Lokalbevölkerung veranstaltet gemeinsamen Protestmarsch gegen schlechte Stromversorgung und Ausbeutung
Kein Strom, keine Gebührenzahlung! Keine Stromabschaltungen!
von Moshood Osunfunrewa, „Democratic Socialist Movement“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Nigeria)
Es ist keine Neuigkeit, dass die Krise bei der Stromversorgung sich immer mehr zuspitzt, seit die Privatfirmen GENCO und DISCO das alte Energieunternehmen PHCN übernommen haben. Unter der PHCN war die Situation schon schlimm. Jetzt, unter der Ägide der Privatfirmen, die sich alle Mühe geben Dunkelheit zu verbreiten, dabei aber Milliarden an Profiten scheffeln, ist die Lage noch viel schlimmer geworden.
Es waren diese schlimmen Bedingungen, die die BewohnerInnen der Wohnquartiere Ago Palace und Okota und umliegender Viertel in Lagos am Donnerstag, dem 14. Mai, dazu veranlasst haben, zu Dutzenden auf die Straße zu gehen, um gegen die exorbitanten Rechnungen von „IKEJADISCO“ („Ikeja Electric“) zu protestieren. Die Forderungen des Unternehmens beruhten dabei auf Dienstleistungen, die niemals erbracht worden sind. „Kein weiteres Geld für Dunkelheit!“, skandierten die ProtestteilnehmerInnen. Dafür, dass der Strom an den meisten Tagen im Monat gar nicht geliefert wird oder nur für höchstens drei Minuten am Tag an einigen wenigen Tagen im Monat werden die BewohnerInnen dieser Stadtviertel gezwungen, am Ende jedes Monats hohe Summen an Tarifentgelten zu bezahlen – oder andernfalls Gefahr zu laufen, dass ihnen der Strom ganz abgestellt wird.
Der Protest begann an der Mosebolaje Street und zog zuerst durch das Wohnviertel, um weitere AnwohnerInnen zu mobilisieren. Offiziell begann die Aktion dann an der Ago Palace Way und ging von dort aus über den großen Kreisel bis zum Büro von IKEJADISCO in Cele (Geschäftsstelle Oshodi). Im Zuge des Protests kamen immer mehr Leute hinzu und stimmten in die Forderungen mit ein. Die Menge wurde so groß, dass der Verkehr spürbar aufgehalten wurde. Am Ende der Aktion waren gut 1000 Personen beteiligt.
Bemerkenswert war, dass die Protestaktion einen großen Teil an Menschen angezogen hat, die eher aus den Wohnvierteln der Mittelschicht kommen, wo die Wohnungsmieten zwischen 250.000 nigerianischen Naira und 500.000 Naira liegen (~ 1.100 Euro – 2.300 Euro). Das zeigt, wie gravierend das Problem ist, wer alles darunter zu leiden hat und welche Wut in den Wohnvierteln herrscht.
Vier Mitglieder von „Democratic Socialist Movement“ (DSM; Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Nigeria) haben sich aktiv an dieser Protestaktion beteiligt und das Flugblatt verteilt, das das DSM verfasst hat und in dem alle mit dem Problem zusammenhängenden Aspekte erwähnt werden. Das Flugblatt (übrigens das einzige, das es bei dieser Aktion gab) ermöglichte es, dass auch PassantInnen, die an der Szenerie vorbeigingen, über die Forderungen der Protestaktion informiert werden konnten. Rund 1.000 Kopien dieses Flugblatts wurden verteilt und drei Ausgaben der DSM-Zeitung „Socialist Democracy“ (dt.: „Sozialistische Demokratie“) konnten verkauft werden. Dagga Tolar, Mitglied des Bundesvorstands des DSM, war einer der drei offiziellen RednerInnen bei der Kundgebung. Die anderen waren Mr. Bankole und Alex Chaha.
Geschäftsleitung von DISCO bleibt eine Antwort schuldig
Als die ProtestiererInnen vor Ort eintrafen, waren die Türen bei IKEJADISCO verschlossen. Anfangs versuchten die ProtestteilnehmerInnen das Öffnen der Eingänge zu erzwingen, bevor die Demoleitung sie beruhigen und dafür sorgen konnte, dass die Wogen sich glätteten. Schnell wurde die Forderung laut, dass die Geschäftsführung herunterkommen solle, um das Protestschreiben der BewohnerInnen des Stadtteils entgegenzunehmen. Die ProtestiererInnen einigten sich auf eine Delegation aus sechs Personen, die sich mit der Geschäftsleitung zusammensetzen sollte. Die anderen ProtestteilnehmerInnen blieben unten vor dem Gebäude und skandierten weiter ihre Forderungen. Von jetzt an waren Beamte der „Division Police Officers“ (DPOs) aus Ago Palace und Okota zugegen, die den friedlichen Verlauf der Kundgebung sicherstellen sollten. Die DPOs beteiligten sich auch als Beobachter am Treffen mit der Geschäftsführung.
Der Ingenieur Oyewole, Geschäftsführer der Niederlassung Oshodi von IKEJADISCO, machte in seiner Reaktion auf den Protest und die Petition der AnwohnerInnen aus Ago United und Okota die immer wieder unterbrochenen Stromlieferungen für die Probleme verantwortlich und beschwerte sich seinerseits, dass sogar sein Büro über 24 Stunden am Tag mit einem Generator betrieben werden muss. Was das angeht, kann man sich eigentlich nur wundern, dass NigerianerInnen von denen, die selbst auf Strom aus Generatoren angewiesen sind, erwarten, sie wären in der Lage, auch noch ihre Stromversorgung sicherzustellen!
Die Delegation machte hingegen deutlich, dass man nicht für Benzin bezahlt, wenn man es an der Tankstelle gar nicht bekommt. In dem Fall kehrt man zwar mit leerem Tank bzw. Kanistern nach Hause zurück, hat aber das Geld dafür noch im Portemonnaie. Das Gegenteil ist bei DISCO der Fall. Hier gibt es kein Licht und man zahlt für Dunkelheit plus einer Grundgebühr von 750 Naira (~ 3,40 Euro), Mehrwertsteuer etc.
Von vornherein war klar, dass bei dem Treffen mit der DISCO-Geschäftsführung nichts herauskommen würde. Dies wurde auch der Menschenmenge gegenüber gesagt, die sich am Protest beteiligt hatte und bis zum Schluss unter Gesängen und dem Skandieren von Forderungen auf die Rückkehr der Delegation gewartet hatte. Dagga Tolar berichtete von dem Treffen mit der Geschäftsführung. Er betonte, dass das Treffen nur in dem Punkt erfolgreich war, dass die Petition übergeben werden konnte und dass die Forderung „Kein Licht, kein Geld“ stehenbleiben muss!
Für die Rückverstaatlichung des Energiesektors und die Aufstellung eines Plans zur Stromversorgung
Angesichts der kontinuierlich ausbrechenden Kämpfe in vielen Wohnvierteln des Landes und vor allem in Lagos wird sich das DSM für eine landesweite Kampagne zum Thema Stromversorgung stark machen. So wird es zum Beispiel am Mittwoch, dem 20. Mai, zu einer weiteren Protestaktion in der Region Akinola Aboru nahe Iyana Ipaja (Lagos) kommen, bei der Mitglieder des DSM eine aktive organisatorische Rolle spielen. All diese Proteste können dabei helfen, eine Massenbewegung der ArbeiterInnen und der BewohnerInnen der betroffenen Wohnquartiere gegen die Privatisierung des Energiesektors aufzubauen. Die Gewerkschaft der Beschäftigten dieser Branche, die ursprünglich gegen die Privatisierung war, muss zu ihren alten Beschlüssen zurückfinden. Sie hatte augenscheinlich kapituliert, weil es ihr an Unterstützung aus der Bevölkerung und an Solidarität vom Gewerkschaftsbund NLC gefehlt hatte.
Umso besser, dass immer mehr Menschen zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Privatisierung der Stromversorgung ein Fehler gewesen ist. So lautet dann auch eine Forderung der AnwohnerInnen von Ago Okota, die bei dem Protest zum Ausdruck gebracht wurde, dass der Verkauf von PHCN (vormals: NEPA), dem aufgelösten öffentlichen Stromversorger, rückgängig gemacht werden muss. Es ist klar, dass die Privatunternehmen, die PHCN zum Schleuderpreis aufgekauft haben, weder die finanziellen Mittel noch die technischen Voraussetzungen dafür haben, um die Branche wieder in Gang zu bringen. Das erklärt, warum die Regierung ihnen nur ein Jahr nach der Übernahme mit einem Rettungspaket unter die Arme greifen musste. Allerdings vertreten wir in dem von uns verteilten Flugblatt die Auffassung, dass der Energiesektor – sollte er zur Verhinderung eines erneuten Debakels wie bei PHCN rück-verstaatlicht werden – unter die demokratische Kontrolle der dort Beschäftigten, der VerbraucherInnen und des nötigen Fachpersonals gestellt werden muss. Diese Maßnahme würde sicherstellen, dass die vorhandenen Ressourcen auf gerechte Art und Weise zum Einsatz kommen, um so für eine stabile Stromversorgung sowohl von Betrieben als auch für den Privatgebrauch sorgen zu können.
Klar ist natürlich, dass der Energiesektor – genau wie andere wesentliche Branchen der nigerianischen Wirtschaft – umfassende staatliche Investitionen benötigen, die unter demokratisch aufgebauten Geschäftsführungen zu tätigen sind, damit Plünderern und der Korruption das Handwerk gelegt werden kann. Klar ist auch, dass die neue Regierung unter dem gerade erst ins Amt gewählten Präsidenten Buhari diese Forderungen nicht umsetzen kann, weil sie pro-kapitalistisch ausgerichtet ist. Sie ist nicht in der Lage, öffentliches Eigentum zu schaffen, dass auch noch unter demokratischer Kontrolle steht. Nur eine Regierung, die aus arbeitenden Menschen besteht, kann den Schritt der Rück-Verstaatlichung des Energiesektors und anderer Branchen wagen, die nötigen Mittel dafür zur Verfügung stellen und sie unter die demokratische Geschäftsführung und Kontrolle durch die Beschäftigten und VerbraucherInnen stellen. Das ist einer der Gründe, weshalb wir vom DSM immer wieder zu Aufbau einer Massenpartei der ArbeiterInnen aufgerufen haben, die sich mit den sozialen Kämpfen der arbeitenden Menschen identifiziert und den Dieben aus der kapitalistischen elite die politische Macht aus den Händen reißt, um zu einer Regierung der arbeitenden Menschen zu kommen, die ein sozialistisches Programm vertritt. Parallel zu unseren Kampagnen für den Aufbau einer Massenpartei der arbeitenden Menschen durch die Arbeiterbewegung arbeitet das DSM zusammen mit einigen GewerkschafterInnen und linken AktivistInnen daran, die „Socialist Party of Nigeria“ (SPN) als Beispiel für eine echte politische Alternative für die arbeitenden Menschen aufzubauen.