Gysi will LINKE in die Arme der SPD treiben

Foto: http://www.flickr.com/photos/die_linke/ CC BY 2.0
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Um an die Regierung zu kommen, sollen auch Kriegseinsätze akzeptiert werden

Eine Woche vor ihrem Bundesparteitag in Bielefeld trommelt der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi lauter als je zuvor für eine Regierungsbündnis der LINKEN mit Kriegs- und Kürzungsparteien. In einem Interview mit der taz vom 29.5. geht er so weit, die vom Erfurter Programm festgelegten „Roten Haltelinien“ für „überflüssig“ zu erklären. DIE LINKE müsse für ihre Regierungsfähigkeit auch ihr bisher striktes Nein zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr aufgeben.
Die Antikapitalistische Linke hat zum Bielefelder Leitantrag, der einen bedingungslosen Regierungskurs formuliert, Änderungen eingebracht, die für die Zukunft der LINKEN immer wichtiger werden.
Von Heino Berg, Göttingen
Pressegerüchte über einen eventuelle Rücktrittsankündigung auf dem Parteitag hat Gregor Gysi für öffentliche Weichenstellungen genutzt, noch bevor die Delegierten in Bielefeld darüber beraten und entscheiden konnten. Die rote-roten bzw. rot-rot-grünen Koalitionen von Brandenburg und Thüringen, so Gysi, könnten nach den Landtagswahlen von Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt durch ähnliche Regierungsbündnisse ergänzt werden. „Deshalb wird der letzte Parteitag vor der Bundestagswahl beschließen, dass wir für eine Regierung zur Verfügung stehen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Zusätzlich wird er aber überflüssige rote Linien für Koalitionsverhandlungen ziehen wollen, obwohl das Wahlprogramm reicht. Überflüssig deshalb, weil man seiner eigenen Verhandlungsdelegation trauen sollte.“ (taz, 29.5.)

Rote Haltelinien

In diesem Fahrplan wird kein Wort mehr verloren über inhaltliche Vorbedingungen für Regierungskoalitionen mit einer Partei, die gerade erst mit dem Tarifeinheitsgesetz die Axt an das Streikrecht gelegt, den Kriegskurs der Nato in der Ukraine und das Spardiktat gegenüber der neuen Regierung in Griechenland verstärkt und ihre Agenda 2010-Politik weiterhin verteidigt. Im Gegenteil: Solche Bedingungen bezeichnet Gysi als störend und „überflüssig“, weil wir ja der „Verhandlungsdelegation trauen können“, die zusammen mit den Vertretern von SPD und Grünen für einen „Politikwechsel“ sorgen kann.
Um eine Regierungskoalition auch auf Bundesebene vorzubereiten, obwohl die beiden Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger diese angesichts der Regierungspolitik der SPD in der GroKo als unwahrscheinlich beschrieben haben, setzt Gysi auf „vertrauliche Gespräche“ mit SPD und Grünen, an denen allerdings nun auch VertreterInnen des linken Parteiflügels teilnehmen sollten, um deren Widerstand gegen den Ausverkauf linker Prinzipien und Alleinstellungsmerkmale noch stärker aufzuweichen.

Kriegseinsätze der Bundeswehr

Am deutlichsten wird die Bereitschaft des Fraktionsvorsitzenden, für seine Bewerbung als Verteidigungs- oder Sozialminister unter Sigmar Gabriel alles über Bord zu werfen, wofür DIE LINKE gegründet und von vielen Menschen gewählt wurde, in der Frage von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Dazu ein Auszug aus Gysis Interview mit dem Hausblatt der Grünen:

„Es ist richtig, dass sich unsere Partei strikt gegen Kriegseinsätze ausspricht. Wir könnten aber darüber reden, um welche es vor allem geht.

Das verstehen wir nicht. Sie wollen also Ihre Partei überzeugen, für Kriegseinsätze zu stimmen?

Nein, aber generell werde ich meinen Leuten sagen: Wir haben nicht 50 Prozent der Stimmen, sondern 10. Wenn wir A, B und C erreichen, ist das eine riesige Menge. Ihr könnt nicht noch D, E und F bekommen. Hauptsache, wir setzen reale Veränderungen durch und verlieren nicht unsere Identität.“

Sogar Kriegseinsätze sollen also durch Regierungsvertreter der LINKEN mitgetragen werden – von Auslandseinsätzen, welche die Bundesregierung nicht als Krieg definiert, ganz zu schweigen. Ein Kriegseinsatz weniger als diejenigen, welche SPD und Grüne ansonsten auf ihrem Kriegskurs befürworten würden, ist nach dieser Logik des kleineren Übels schon deshalb zustimmungsfähig, weil ohne DIE LINKE in der Regierung mehr militärische Abenteuer drohen könnten. Auf diesem Weg wird DIE LINKE zum Anhängsel der bürgerlichen Systemparteien, anstatt sich als antikapitalistische Opposition gegen dieses Kartell aufzustellen und so die wahlmüden Opfer dieses Systems für den Widerstand in den Betrieben, auf der Straße und an den Wahlurnen mobilisieren zu können.
Im entsprechenden Änderungsvorschlag der AKL zum Leitantrag des Parteivorstands heißt es dazu:
„Die Mindestbedingungen, die das Erfurter Programm für Regierungsbündnisse unserer Partei festgelegt hat, stehen für DIE LINKE nicht zur Disposition und bleiben auch für Länder und Kommunen verbindlich, weil davon die politische Glaubwürdigkeit der Gesamtpartei abhängt. Sie sind ebenso wie unsere Wahlversprechen keine Verhandlungsmasse, die beliebig aufgeweicht oder auf Landesebene ignoriert werden dürfen, sondern bleiben Ausschlusskriterien für jedes Sondierungsgespräch über Regierungsbündnisse mit anderen Parteien. Da die Regierungspraxis von SPD und Grünen in Bund und Ländern diesen Mindestbedingungen weder innen- noch außenpolitisch gerecht wird und sich im Gegenteil immer weiter von ihnen entfernt, gibt es für Koalitionsangebote unserer Partei an ihre Adresse derzeit keine Grundlage.“

Der Leitantrag von Bielefeld

Der Vorstoß von Gysi im Interview mit der „taz“ treibt allerdings nur das auf die Spitze, was der Parteivorstand in seinem Leitantragsentwurf bereits angelegt hat: Auch dort wird eine Regierungsbeteiligung der LINKEN an Landes- und Bundesregierungen als wichtigste Politikoption der Partei beschrieben, ohne darauf einzugehen, dass die vorgesehenen Koalitionspartner für soziale und demokratische Verbesserungen im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung weniger denn je zur Verfügung stehen. Wer TTIP, Vorratsdatenspeicherung, Schuldenbremse, Tarifeinheitsgesetz, Austeritätsdiktate für ganz Europa bei gleichzeitiger Unterstützung für den Kriegskurs von EU und Nato in der Ukraine, Rüstungsexporte an Saudi-Arabien und ähnliche Schweinereien glaubwürdig kritisieren will, muss die Frage beantworten, warum er mit den dafür Verantwortlichen so schnell wie möglich ins Regierungsbett steigen und das Ziel eines „Politikwechsels“ damit zu einer hohlen Floskel degradieren will.
Begründet wird diese Anbiederung an prokapitalistischen Parteien vor allem mit dem Ziel „Schwarz-rote Koalitionen abzulösen und einen linken Politikwechsel“ herbeizuführen. (Zeile 545 des Leitantrags). Dazu heißt es in dem von SAV unterstützten Änderungsantrag der AKL, der Teile eines ähnlichen Landesparteitagsbeschluss der niedersächsischen LINKEN übernommen hat:
„DIE LINKE kämpft nicht nur für die Überwindung des kapitalistischen Profitsystems, sondern unterstützt auf dem Weg dahin jeden noch so kleinen Fortschritt für die Lebensbedingungen der Bevölkerung sowie alle Schritte, die das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten verschieben können. Wir wollen Brücken bauen zwischen den Tagesforderungen der Bevölkerung und den sozialistischen Zielen unserer Partei, anstatt nur in Grundsatzprogrammen oder Sonntagsreden an letztere zu erinnern. Dazu gehört in der Regierungsfrage unser Angebot, bedingungslos an der Ablösung von CDU/CSU aus Bundes- und Landesregierungen mitzuwirken. Jede politische Niederlage dieser Hauptpartei des deutschen Kapitals stärkt das Selbstvertrauen und die Aktionsbereitschaft der Menschen, für deren Emanzipation wir angetreten sind. Die Abgeordneten der LINKEN können in den Parlamenten zwar die Bildung von rot-grünen Minderheitsregierungen ermöglichen und fortschrittlichen Einzelmaßnahmen zustimmen, aber nicht durch Regierungsposten oder Tolerierungsverträge Mitverantwortung für die neoliberale Politik dieser Parteien übernehmen.“

Parteitagstaktik

Gysis „Roadmap“, welcher DIE LINKE über die Zwischenstationen rot-rot-grüner Landesregierungen in Ostdeutschland spätestens 2017 auch in eine Bundesregierung unter Gabriel befördern soll, führt jedoch in die gleiche Sackgasse, in der andere Linksparteien Europas, zum Beispiel in Italien, bereits verschwunden sind. Kriegs- und Austeritätsparteien wie SPD und Grüne sind für SozialistInnen auch dann keine glaubwürdigen Bündnis- oder gar Regierungspartner, wenn diese in Koalitionsverhandlungen wie in Thüringen einige soziale Versprechungen zu Protokoll geben sollten. Diese sind – wie in Brandenburg oder Thüringen – an Finanzierungsvorbehalte gekoppelt und unter der Schuldenbremse nicht einmal das Papier wert, auf dem sie geschrieben wurden. Die SPD klammert sich an die Hartz-Gesetze und andere „Konterreformen“, während die Grünen bei ihrer Kriegspolitik in der Ukraine sogar die Union noch rechts überholen wollen. Wer – wie Gregor Gysi – für solche Parteien unbedingt koalitionsfähig werden möchte, muss die antikapitalistischen und friedenspolitischen Grundsätze des Erfurter Programms faktisch entsorgen und mittelfristig eine Parteispaltung billigend in Kauf nehmen.
Die Provokation von Gysi in der Frage der Kriegseinsätze kann auch als probates taktisches Mittel gewertet werden, um den Leitantrag und die Beliebigkeit seiner „Regierungsoptionen“ als Kompromiss und als „kleineres Übel“ erscheinen zu lassen. Der linke Parteiflügel und seine Delegierten sollten sich nicht ein weiteres Mal auf solche Manöver einlassen und den Regierungsambitionen derjenigen, die unbedingt im Kapitalismus ankommen wollen, ein deutliches Stoppschild entgegenhalten. SAV-Mitglieder in der LINKEN werden sich bei den Vorbesprechungen des linken Parteiflügels in Bielefeld für deutliche Antworten auf diesen Vorstoß von Gysi und seinen FdS-Freunden einsetzen. Dabei sind wir als SozialistInnen sind nicht grundsätzlich gegen Regierungsbeteiligungen, sondern nur, solange dafür weder andere antikapitalistische Bündnispartner, noch eine tragfähige Basis in Massenbewegungen der Bevölkerung vorhanden sind:

(…) Regierungsbereitschaft ist aber weder Selbstzweck noch Stellvertreteranspruch. Sie ist erst dann realisierbar, wenn nicht nur unsere Partei, sondern die Mehrheit der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung selbst für einen wirklichen Politik- und Systemwechsel aktiv wird und auf die Straße geht. Solange das – wie in Deutschland – noch nicht der Fall ist und keine anderen antikapitalistischen Partner für einen Politik- und Systemwechsel zur Verfügung stehen, konzentriert sich DIE LINKE in Bund, Ländern und Kommunen auf die Bildung von Oppositionsbündnissen gegen das Kartell der Kürzungs- und Kriegsparteien. Die Erfahrung zeigt, dass auch aus der Opposition heraus wichtige Teilforderungen durchgesetzt werden können.“ (AKL-Änderungsantrag)

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