Gemeinsam gegen IS, Krieg und Kapitalismus
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Die Angriffe der türkischen Armee auf die KurdInnen und die Absage Erdoğans an Verhandlungen mit der PKK haben die Lage im Mittleren Osten eskaliert. Der türkische Staat hat die IS-Mörderbanden gewähren lassen und unterstützt. Doch die kurdische Bewegung ist im Kampf gegen den IS stärker geworden. Jetzt geht Erdoğan gegen die KurdInnen vor und will gleichzeitig den IS enger an die Leine nehmen. Dieser Ritt auf der Rasierklinge könnte dazu führen, dass das NATO-Land Türkei vollends in das blutige mittelöstliche Chaos hinein schlittert.
Schon nach wenigen Tagen hat die türkische Regierung die ohnehin kaum glaubwürdige Legende aufgegeben, die Türkei würde in erster Linie gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ vorgehen. Die türkische Armee hat ihre Angriffe auf die PKK intensiviert, von Aktionen gegen den IS ist nichts mehr zu hören. In den Tagen nach Suruç wurden Festnahmen von IS-Anhängern im türkischen TV gezeigt, jetzt wird deutlich, dass sich die Repression mit voller Wucht gegen die kurdische Bewegung und die türkische Linke richtet.
Erdoğan hat den Terroranschlag von Suruç, eine Kriegserklärung des IS an die Linke in der Türkei, genutzt, um gegen die PKK in die Offenisve zu gehen. Kurzfristig will Erdoğan die HDP als „Terroristenfreunde“ darstellen, um bei möglichen Neuwahlen die absolute Mehrheit zu holen, welche die AKP im Juli verpasst hat. Gleichzeitig verfolgt er erneut seinen Plan, das Assad-Regime zu stürzen und die kurdische Selbstverwaltung in Rojava zu zerschlagen, um Macht und Einfluss der Türkei in der Region zu erweitern.
Erneut verraten
Erdoğan hat für seinen Krieg gegen die KurdInnen das OK von US-Präsident Obama, der NATO und der deutschen Regierung bekommen, nachdem sich Türkei und USA darauf geeinigt haben, eine „Pufferzone“ in Syrien einzurichten und damit eine Basis zu schaffen, sowohl gegen die kurdische Selbstverwaltung als auch gegen den IS und das Assad-Regime agieren zu können.
Die westlichen Regierungen haben angeblich eine „Anti-IS-Koalition“ geschmiedet. Aber sie erlauben dem Erdoğan-Regime, diejenigen zu bombardieren, die am Härtesten gegen den IS gekämpft, seinen Vormarsch gestoppt und ihn in Nordsyrien in die Defensive gedrängt haben.
Selbst in bürgerlichen Zeitungen ist die Rede davon, dass die KurdInnen vom Westen verraten werden. Als die US-Luftwaffe im Herbst 2014 die Stellungen der IS vor Kobanê bombardierte, gab es eine Zusammenarbeit der YPG mit dem US-Militär und SprecherIinnen von PYD und YPG sprachen von „gemeinsamen Zielen“ in der Region. Doch der Westen nutzte den heldenhaften Einsatz der KämpferInnen von YPG/YPJ, um Schläge gegen den IS auszuteilen und gibt jetzt diese KämpferInnen zum Abschuss frei.
Die KurdInnen wurden in der Vergangenheit immer wieder von angeblichen „Verbündeten“ verraten, vom Iran, den USA, von Syriens Assad und kurdischen Politikern wie Barzani und Talabani. Im Winter 2014 versuchte Barzani, Präsident der Autonomen Region Kurdistan und Liebling des Westens in der Region, PKK und PYD im Rahmen einer angeblichen „kurdischen Einheit“ einzubinden. Heute fordert Barzani die PKK-KämpferInnen auf, den Nordirak zu verlassen, um „Zivilisten zu schützen“ und will sie der türkischen Armee in die Arme treiben.
Die einzigen echten potenziellen Verbündeten der KurdInnen sind die unterdrückten und ausgebeuteten Massen in der Türkei, Syrien, dem Irak und dem Iran. Das wichtigste politische Kapital der kurdischen Bewegung ist dabei ihr Eintreten gegen jede Form von nationaler und religiöser Unterdrückung und die Verteidigung der demokratischen Rechte aller Bevölkerungsgruppen in der Region.
Der Westen und der Islamische Staat
Der IS ist das Kind des zerstörerischen Krieges im Irak und der Unterdrückung der sunnitischen Bevölkerung durch die US-Besatzungstruppen und die Maliki-Regierung sowie der US-amerikanischen, saudischen, türkischen und katarischen Einmischung in Syrien, bei der islamistische Terroristen zum Sturz des Assad-Regimes bewaffnet wurden.
Die imperialistische Kreatur IS ist schon längst außer Kontrolle und der Westen will den „Islamischen Staat“ eindämmen und zurückdrängen. Doch im Zweifelsfall ist Obama und Merkel die Übereinkunft mit ihrem Verbündeten Türkei wichtiger.
Wer PKK und YPG bombardiert, der hilft dem IS. Das wissen Obama und Merkel, aber sie akzeptieren es als kleineres Übel für ihre imperialistischen Interessen. Das ist brutal, aber nur logisch in dem Versuch die Kontrolle nicht gänzlich zu verlieren. Der Kapitalismus kann im Mittleren Osten nicht anders, er lässt eine gefährliche Wendung auf die nächste folgen, kommt aus dem selbst geschaffenen Chaos nicht mehr heraus, fördert mal die einen reaktionären Sektierer, mal die anderen und heizt damit eine Instabilität an, die jetzt die Türkei ergreift und auf den Westen selbst zurückfällt.
Es wird kein Ende des Mordens im Mittleren Osten geben, ohne den Kapitalismus abzuschaffen. Ob westliche Imperialisten, regionale Despoten oder religiös-sektiererische Banden, sie alle können keinen dauerhaften Frieden schaffen geschweige denn die Region wirtschaftlich und sozial entwickeln.
Um den Teufelskreis der sektiererischen Vergeltung zu durchbrechen, brauchen die Türkei, Syrien und der Irak eine revolutionäre Bewegung, welche die Einheit der Armen und der Arbeiterklasse über nationale und religiöse Grenzen hinweg glaubhaft vertritt. Ziel muss der Bruch mit Kapitalismus und feudalen Strukturen und der Aufbau einer sozialistischen Demokratie, einer freiwilligen Föderation sozialistischer Länder in der Region sein.
Eine linke Bewegung im Mittleren Osten muss für Ziele kämpfen, die alle unterdrückten Völker und Ausgebeuteten nachvollziehen können. Demokratie allein reicht nicht, die soziale Frage und damit die Eigentumsfrage müssen aufgeworfen werden.
Welche Antwort auf Erdoğans Provokationen?
Die türkischen Militärschläge haben zum Ziel, die PKK zu gewalttätigen Reaktionen zu provozieren und damit den Vorwurf des „Terrorismus“ scheinbar zu bestätigen und dies auf die HDP auszuweiten.
Mit welcher Strategie kann die kurdische und türkische Linke darauf reagieren?
Die Anschläge auf Militär und Polizei, die es bisher gegeben hat, sind nicht hilfreich. Es ist verständlich, dass die kurdische Bewegung angesichts der Gewalt und der Ungeheuerlichkeit des Massakers von Suruç nicht untätig bleiben will. Natürlich müssen HPG und YPG/YPJ auch Maßnahmen ergreifen, die eigenen KämpferInnen zu schützen. Doch die Reaktion der linken kurdischen Bewegung sollte darauf ausgerichtet sein, den Gegner zu schwächen und die eigene Position zu verbessern anstatt mit Vergeltungsaktionen in die gestellte Falle zu laufen. Der HDP-Vorsitzende Demirtaş hat zu Recht die PKK-KämpferInnen zur Zurückhaltung aufgerufen.
Der Wahlerfolg der HDP basierte darauf, dass der Kampf für die Rechte der KurdInnen mit dem Eintreten für demokratische Rechte, gegen die Kriegsgefahr und mit den sozialen Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung verbunden wurde. Mit dieser Botschaft gelang es der HDP, für Teile der türkischen Arbeiterklasse und Mittelschichten interessant zu werden.
Daran gilt es anzuknüpfen. Größeren Teilen auch der türkischen Bevölkerung ist bewusst, dass Erdoğans Manöver Krieg und Terror ins eigene Land holfen. Die linke kurdische Bewegung muss deutlich machen, dass sie nicht einfach eine der kriegführenden Parteien im mittelöstlichen Bürgerkrieg ist, sondern grundlegend für die sozialen Interessen der arbeitenden und armen Menschen eintritt.
Die Türkei wimmelt geradezu von potenziellen agents provocateurs, aus Armee, Polizei, Geheimdienst oder rechten islamistischen Gruppen wie IS und Hüda-Par.
In dieser gefährlichen Situation muss die Linke in der Türkei und Kurdistan die Geduld aufbringen und längerfristig denken. Sowohl militärische Vergeltung, vor allem aber Selbstmordanschläge, die einfache türkische Wehrpflichtige treffen können vom Regime genutzt werden, den Bürgerkrieg zu beschwören und die Spaltung zwischen TürkInnen und KurdInnen zu vertiefen.
Die PKK sollte alles unterlassen, was diese Spaltung erleichtern kann. Die kurdische Bewegung sollte alle Anstrengungen darauf ausrichten, die Spaltung zu überwinden und den Dialog mit der türkischen Arbeiterklasse suchen. Die Verbindungen, die seit den Gezi-Protesten entstanden sind, müssen aufrecht erhalten und ausgebaut werden.
Erdoğan hat keine Mehrheit. Die Angst vor Islamisierung und Krieg wächst. Daran gilt es anzuknüpfen.
- Stoppt Erdoğans Krieg im Irak, Syrien und im eigenen Land
- Nein zur türkisch-amerikanischen „Pufferzone“ in Nordsyrien
- Öffnung der türkisch-syrischen Grenze für alle Flüchtlinge aus Syrien und alle, die aus der Türkei nach Rojava wollen, um den Wiederaufbau zu unterstützen
- Schluss mit der türkischen Unterstützung für den IS und andere dschihadistische Gruppen
- Für den gemeinsamen Kampf von kurdischen und türkischen ArbeiterInnen und Armen gegen den dschihadistischen Terror und gegen die AKP-Regierung
- Aufhebung des Verbots der PKK und anderer kurdischer Organisationen in Deutschland
- Sofortiger Abzug der Bundeswehr-Einheiten aus der Türkei
- Nein zu Unterdrückung und Kapitalismus – für Regierungen von demokratisch gewählten VertreterInnen der Arbeitenden und Armen, für einen freiwilligen sozialistischen Staatenbund des Mittleren Ostens
- Nein zur Festung Europa und zum mörderischen Grenzregime – Flüchtlinge aufnehmen statt sie zu bekämpfen