dokumentiert: Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di
Die Mitgliederbefragung hat es deutlich gemacht: Der Schlichterspruch ist in den Augen der KollegInnen das Papier nicht wert, auf dem er steht. Er bedeutet nur 3,3 Prozent durchschnittliche Erhöhung, nachdem im Durchschnitt 10 Prozent gefordert gewesen waren. Verbunden ist das auch noch mit einer fünfjährigen Laufzeit. Somit ist dieser Schlichterspruch von einer wirklichen Aufwertung weit entfernt. Das haben 69,13 Prozent der befragten ver.di-Mitglieder (68,8 Prozent bei der GEW, 60 Prozent beim DBB) ebenso gesehen und damit ein deutliches Signal für die Fortsetzung des Arbeitskampfes gegeben.
Frank Bsirske hat diese hohe Ablehnung als „außergewöhnlich” bezeichnet. Doch in vielen Versammlungen vorher hatte sich bereits der Unmut über den Schlichterspruch gezeigt.
Noch im Juli diesen Jahres hatten Frank Bsirske und andere Gewerkschaftsspitzen allerdings diesen Schlichterspruch beworben und für seine Annahme argumentiert. Dabei wurden vor allem Zweifel an den Erfolgsaussichten einer Streikfortführung aufgeworfen, dass eine Entsolidarisierung der Eltern drohe und man Gefahr laufen würde, bei den Arbeitgebern „Verbrannte Erde“ zu hinterlassen (O-Ton Frank Bsirske).
Reaktion der Arbeitgeber
Der Verband Kommunaler Arbeitgeber (VKA) hat erklärt, dass er keine Nachbesserungen am Schlichterspruch vornehmen wird. Das passt zur harten Linie der letzten Monate und macht deutlich, dass es nun eine andere Gangart in der Tarifauseinandersetzung braucht. Ein einfaches „Weiter so” wird nicht reichen. Es braucht eine Ausdehnung des Kampfes, um die Arbeitgeber zum Einlenken zu zwingen.
Keine Abstriche machen
Offensichtlich sind die Arbeitgeber nicht bereit substanzielle Zugeständnisse zu machen. Da hat auch kein Verzicht von ver.di-Seite bisher geholfen. Nach wie vor gilt: Das Ziel einer deutlichen Aufwertung aller Berufsgruppen ist nicht erreicht. Die Ablehnung des Schlichterspruchs macht deutlich, dass eine Mehrheit nicht gewillt ist, sich mit einigen wenigen Zugeständnissen an wenige abspeisen zu lassen.
Selbst auf der ver.di-Website hieß es am 8. August: „Die Beschäftigten erwarteten eine echte Aufwertung ihrer Tätigkeiten. Dies ist mit dem Schlichterspruch aus Sicht der ver.di-Mitglieder nicht eingelöst worden. So seien Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen fast leer ausgegangen. Für das Gros der Erzieherinnen in der Entgeltgruppe S 6 wären es bei Vollzeitarbeit 60 Euro monatlich mehr gewesen. Allerdings arbeiteten 62 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit, so dass am Ende oft nur 30 Euro brutto mehr rauskämen. ‘Das ist nicht die Aufwertung, die die Kolleginnen zu Recht erwarten’, so Bsirske.”
Eine wirkliche Aufwertung hätte auch helfen können, die tiefe Kluft in der Bezahlung von Männer- und Frauenberufen zu reduzieren. Jetzt sollten nicht vorzeitig Abstriche an den Forderungen gemacht werden, wie Frank Bsirske es am 11. August andeutete, sondern ein ernsthafter Kampf für die Forderungen geführt werden.
Es muss spürbare Verbesserungen für alle Beschäftigtengruppen geben. Das gilt insbesondere für die Berufsgruppe der SozialarbeiterInnen. Auch erhalten in großen Städten viele ErzieherInnen bereits die Entgeltgruppe S8 und würden mit dem Schlichterspruch nichts hinzugewinnen.
Bei einem Wechsel von einem anderen Träger in den kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst muss die durch die Vorbeschäftigungszeit erworbene Kompetenz anerkannt werden.
Fortsetzung des Arbeitskampfes
Auch wenn Frank Bsirske nun davon spricht, dass der Streik fortgesetzt werden soll, ist alles andere als klar, dass es auch dazu kommen wird. Jetzt wird verhandelt und es gibt keine Garantie, dass bei einem verbessertem, aber in den Augen vieler KollegInnen immer noch unzureichenden Angebot, die ver.di-Spitze wie bei der Bekanntgabe des Schlichterspruchs versuchen wird einzulenken.
In der GEW-Stellungnahme vom 8. August wird vor allem betont, dass das von der Satzung geforderte Quorum zum Weiterstreiken verfehlt wurde, die Diskussionen in den Mitgliederversammlungen „weitaus differenzierter [waren] als dies in einer schlichten Zahl zum Ausdruck kommt.” Es müsse abgewogen werden, ob „wir durch weitere Streiks am Ende wirklich mehr erreichen.”
Aber auch in ver.di muss sich einiges tun. Auch wenn jetzt sich Bsirske für eine Fortsetzung ausspricht, ist es ja nur sechs Wochen her, dass er sich noch für das Gegenteil eingesetzt hat. Die Entscheidung der Bundestarifkommission ist nun bis Ende September zu verhandeln und ab Oktober wieder zum Streik aufzurufen, wenn es keine substanziellen Verbesserungen des Schlichterspruchs gibt.
Bsirske selbst verkündete nun die neue Streikstrategie als Strategie der Unplanbarkeit: Da wo wir stark sind streiken wir wieder unbefristet, sonst ab und zu ohne Ankündigung. Als ob wir damit stärker würden. Ganz im Gegenteil. Gerade in den Kindergärten wird eine Strategie der Unplanbarkeit den Druck vor allem auf die Eltern massiv erhöhen, die morgens dann plötzlich erfahren, dass ihre Kinder nicht betreut werden. Das wird den solidarischen Schulterschluss erschweren. Eine solche Strategie kann zum Bumerang werden. Daher sollte die Frage der Streikstrategie von KollegInnen aller Bereiche intensiv diskutiert und dann gemeinsam entschieden werden.
Kampf ausweiten
Viel zu viele Möglichkeiten wurden in den letzten Monaten ausgelassen, die Kraft des Arbeitskampfes zu steigern. Vor allem hat die ver.di-Führung die Chance nicht genutzt, die sich durch die zeitgleichen Streiks und Tarifverhandlungen (zum Beispiel Post, Amazon, Handel, Berliner Charité) ergab, nämlich die Kämpfe zu koordinieren und die Streikenden mit großen Protestkundgebungen gemeinsam auf die Straße zu holen. Damit hätte ver.di ein neues Klima schaffen können, die gemeinsame Kraft und Solidarität wäre deutlich geworden.
Aufgrund der langen Streikunterbrechung kann es nun einige Zeit dauern und viele Anstrengungen bedeuten, einen neuen Anfang zu machen. Deshalb sollten zeitnah lokale Versammlungen und eine weitere bundesweite Streikdelegiertenkonferenz stattfinden, auf denen die Wiederaufnahme des Streiks ausführlich diskutiert wird. Die Vernetzung von KollegInnen sollte dazu verstärkt werden. Über den Abbruch eines Streiks sollten Streikdelegiertenversammlungen örtlich und bundesweit entschieden werden.
Solidarität organisieren
Arbeitsstress und der Tätigkeit nicht angemessene Bezahlung betrifft Millionen von Beschäftigten in Deutschland. Ein Erfolg des Sozial- und Erziehungsdienst wäre ein Signal, das zu ändern. Gleichezeitig wäre eine Niederlage oder ein unzureichendes Ergebnis schlecht für alle Beschäftigten. Damit hat die Auseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst eine Bedeutung für die gesamte Gewerkschaftsbewegung. Das ist die Grundlage massiv Solidarität für die Aufwertungskampagne zu organisieren.
Um die Aufwertungskampagne gegen den Willen der Arbeitgeber zu einem Erfolg zu machen ist eine aktive und breite Kampagne von ver.di und aller DGB-Gewerkschaften nötig. Ein neuer Streik muss von Anfang an auch mit einer ganz anderen Art der Unterstützung aus ver.di und den anderen Gewerkschaften begleitet werden. KollegInnen in anderen Bereichen sollte der Modellcharakter des Kampfes für die Aufwertung deutlich gemacht werden, um sie für Solidaritätsaktionen zu gewinnen.
Der ver.di-Bundeskongress im September sollte die Auseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst auf die Tagesordnung setzen und diskutieren, wie die gesamte Kraft von ver.di eingesetzt werden kann, die Auseinandersetzung zu einem Erfolg zu machen.
So könnten Betriebs- und Personalräte in den Kommunen, bei der Post, in den Krankenhäusern usw. einbezogen werden, um Betriebsversammlungen „Streik im Sozial- und Erziehungsdienst – welche Folgen für die Beschäftigten“ einberufen. Diese könnten dazu genutzt werden, um den KollegInnen die Hintergründe zu erklären, für solidarische Unterstützung zu werben. Auch könnte man Druck auf die Arbeitgeber machen, für die Ersatz-Kinderbetreuung aufzukommen. Das würde dann indirekt die ökonomische Wirkung des Streiks erhöhen.
Wenn Betriebs- und Personalversammlungen dann noch bundesweit koordiniert und innerhalb einer Woche organisiert würden, könnte man eine Aktionswoche damit verbinden und überall von den Versammlungen aus KollegInnen zu Protestkundgebungen vor den Rathäusern mobilisieren. Eine bundesweite Demonstration wäre ein weiterer Schritt. Der Streik könnte so eine große politische und gesellschaftliche Wirkung entfalten.
In einigen Städten hat es Solidaritätskomitees für den Streik gegeben. Bei einer Fortsetzung des Streiks wird die Frage von Solidaritätsarbeit eine noch größere Bedeutung bekommen, die Unterstützung von Eltern und anderen Teilen der Bevölkerung zu organisieren. Schon jetzt sollten Initiativen dazu ergriffen werden, dass auszuweiten.
Einladung zu bundesweitem Treffen am 30.8.2015
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ lädt gemeinsam mit “ver.di Linke NRW” zu einem bundesweiten Vernetzungstreffen am 30. August in Dortmund ein.
Wir wollen Bilanz aus den verschiedenen Tarifrunden und Arbeitskämpfen in diesem Jahr ziehen. Insbesondere wird es eine kritische Diskussion zum Streikabbruch und dem schlechten Abschluss bei der Post geben. Wir werden auch die bisherige Bilanz und das „Wie weiter“ für den Kampf für eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe diskutieren. Zudem wird von den Erfahrungen des elftägigen Streiks für mehr Personal an der Berliner Charité berichtet.
Das Treffen soll zur Vorbereitung auf den ver.di Bundeskongress im September 2015 sowie für die Forderungsdiskussion zur Tarifrunde Bund und Kommunen 2016 dienen.
Außerdem wollen wir erste Überlegungen anstellen, wie sich kritische AktivistInnen in ver.di effektiver zusammen schließen können, um sich für einen kämpferischen Kurs ihrer Gewerkschaft einzusetzen.
Wann: Sonntag, 30. August, 11 bis 16 Uhr
Wo: Das Treffen findet in den Räumen des ver.di Bezirk Dortmund, Königswall 36, in der Nähe des HBF, Dortmund statt.
Bitte meldet euch hier an:
info@netzwerk-verdi.de