Führung der LINKEN brüskiert Parteibasis
Wer Wahlkampf in Griechenland machte, traf auf Resignation und Desinteresse. Dass diese Wahlen doch eh nichts ändern würden oder die Parteien alle gleich seien, war bei vielen Menschen die vorherrschende Stimmung.
von Lucy Redler
45 Prozent der Griechinnen und Griechen nahmen erst gar nicht an der Wahl am 20. September teil, die Beteiligung lag mit 55 Prozent auf einem historischen Tiefstand (in einem Land, in dem offiziell Wahlpflicht herrscht). Alle Parteien, die zuvor im Parlament waren, verloren absolut an Stimmen. 330.000 Menschen, die im Januar Syriza gewählt hatten, machten ihr Kreuz diesmal nicht mehr bei Syriza. Ihr bisheriger Koalitionspartner ANEL verlor 100.000 Stimmen. Die konservative Nea Dimokratia verzeichnete 200.000 Stimmen weniger. Pasok (und auch Pasok, Dimar und Kidiso zusammengerechnet) verlor ebenfalls in absoluten Zahlen.
Die Hauptbotschaft dieses Ergebnisses ist: Wenn Hunderttausende den Memorandumsparteien den Rücken zukehren, gibt es keine Akzeptanz der Sparpolitik.
Und doch geht Syriza auf der Basis von Demoralisierung, einer Kleineren-Übel-Logik und mangels einer ausreichend attraktiven politischen Alternative von links als offizieller Wahlsieger aus den Wahlen hervor. Wie war das möglich?
Nachdem Syriza im Januar Hoffnung verbreitet und ein Ende der Sparpolitik versprochen hatte, beugte sich die Spitze um Tsipras ohne demokratisches Mandat der Partei den Sparmaßnahmen des dritten Memorandums der Troika. Sie segnete damit die Kürzung der Mindestrenten um 100 Euro, das größte Privatisierungsprogramm der Geschichte, den Zwang zu Massenentlassungen und andere soziale Grausamkeiten ab. Der Charakter von Syriza hat sich damit fundamental geändert: von einer linken, reformistischen Partei zu einer Partei, die vor der Troika und dem griechischem Kapital kapituliert hat und nun neoliberale Politik umsetzt. Nichtsdestotrotz stellt Tsipras all das als Erfolg der Linken in Europa dar: „Wir kämpfen für den großartigen Erfolg der Linken in Griechenland und die Aufrechterhaltung der Hoffnung in ganz Europa.“ Die Syriza-Jugend sieht das offenbar anders und spaltete sich von der Partei ab, Dutzende Abgeordnete verließen die Fraktion, Scharen von Basis-Mitglieder kehrten Syriza in den letzten Wochen den Rücken.
Aus der Sorge, im Herbst – wenn die neuen Sparmaßnahmen spürbar werden – in der Bevölkerung rapide an Unterstützung zu verlieren, rief Tsipras Neuwahlen aus – auch aus dem Kalkül, sich der Parteilinken um Lafazanis zu entledigen und dieser kaum Zeit zu geben, eine politische Alternative zu Tsipras Kurs aufzubauen. Dieses Kalkül ging auf, wenngleich Tsipras das Ziel einer Alleinregierung verfehlte. Er wird wohl erneut mit ANEL eine Koalition bilden und möglicherweise weitere bürgerliche Kräfte wie Pasok oder To Potami in eine Regierung oder Tolerierung einbeziehen.
Drei Faktoren für die erneute Wahl von Tsipras
Warum Syriza die Wahl gewonnen hat, hat im Wesentlichen drei Gründe:
Erstens gaben viele Menschen Tsipras erneut ihre Stimme, weil dieser als kleineres Übel zu ND und Pasok angesehen wird. Letztere gelten als VertreterInnen des alten korrupten politischen Systems. Die passive Unterstützung für Tsipras Kurs beruht auf der Vorstellung, dass er immerhin versucht habe gegen die Troika zu kämpfen und dass man ihm eine zweite Chance geben müsse. Die Propaganda, dass es keine Alternative gegeben habe, wird von einer breiten Schicht offenbar noch akzeptiert. Das ist jedoch nicht mit Begeisterung, Enthusiasmus und aktiver Unterstützung für Tsipras zu verwechseln. Diese Wahlen sind eine Momentaufnahme und die Stimmung kann sich sehr schnell ändern, wenn die Sparmaßnahmen in den nächsten Monaten spürbar werden. Nikos Anastasiadis von der griechischen Schwesterorganisation der SAV, Xekinima, kommentiert dies wie folgt: „Die Politik der Memoranden hat bereits Parteien zerstört, die viel stärker und besser strukturiert waren als Syriza. Die Einführung der neuen Maßnahmen wird bald den Betrug offenlegen, es wird zu sozialer Zerstörung kommen. Die Idee sozialer Kämpfe und der Notwendigkeit einer neuen Linken wird dann wieder stärkere Unterstützung erfahren. Viele von denjenigen, die Syriza als kleineres Übel gewählt haben, werden bald mit der harten Wirklichkeit konfrontiert.“
Zweitens ging die Hälfte der Griechinnen und Griechen gar nicht zur Wahl, enthielt sich aus Frustration der Stimme und ermöglichte damit einen prozentualen Erfolg Syrizas. Im Vergleich zu den Wahlen im Januar verweigerten nahezu eine Million mehr Menschen die Stimmabgabe. Viele von ihnen haben der Wahl wahrscheinlich deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil das dritte Memorandum bereits feststeht. Das bedeutet aber nicht, dass ein Teil dieser Menschen nicht für linke Politik in Zukunft erreicht werden kann.
Und drittens gab es offenbar für viele keine überzeugende linke Alternative zum Kurs von Tsipras. Letzteres hat viel mit der Demoralisierung in Griechenland zu tun. Es liegt auch in der Kürze der Zeit begründet, die die „Volkseinheit“ hatte, sich aufzubauen und an den Angriffen der bürgerlichen Medien. Es gibt aber auch politische Schwächen der „Volkseinheit“, die eine Rolle gespielt haben, wie griechische GenossInnen berichten. Die „Volkseinheit“ hat offenbar nicht als bewegungsorientiertes und breites Projekt der gesamten Linken links von Syriza überzeugt, geschweige denn Menschen begeistert. Nikos Anastasiadis erklärt, dass es nicht ausreicht, wenn eine linke Kraft zu Wahlen antritt, deren Führung dauerhaft eine linke Politik vertreten hat. Damit es zu einer Identifizierung kommt und Leute für eine neue linke Kraft kämpfen, sei weitaus mehr nötig. All das wird in der griechischen Linken in nächster Zeit zu bilanzieren und auch für die deutsche Linke von Interesse sein.
Von TINA zu TINO
Erst einmal ist es sehr bitter dass aus dem TINA-Kurs von Tsipras (There is no alternative) nun TINO (There is no opposition) wurde. Dass es keinen breiteren Wahlantritt links von Syriza gab, hängt auch mit dem sektiererischen Kurs der Kommunistischen Partei KKE und der Mehrheit von Antarsya zusammen, die sich einer Einheitsfront verweigern. Dass die KKE angesichts des Rechtsrucks von Syriza noch nicht mal prozentual zulegen konnte, spricht Bände. Als erfolgversprechende politische Opposition fällt sie leider aus.
Das einzige halbwegs positive Ergebnis am Wahlabend ist, dass auch die neofaschistische Goldene Morgenröte 10.000 Stimmen verloren hat und nur aufgrund der politischen Schwäche anderer Parteien zur drittstärksten Kraft im Parlament wurde. Doch auch hier ist keinesfalls Entwarnung angesagt und die Nazis können erneut zulegen, wenn es nicht gelingt, eine breite Massenbewegung gegen die anstehenden Sparpläne zu organisieren.
Gysi und Riexinger feiern Tsipras
Ungeachtet der Tatsache, dass Syriza einem massiven Kahlschlagsprogramm zugestimmt hat und die deutsche Regierung sehr zufrieden mit diesem Wahlergebnis sein kann, feierte die LINKE- Parteispitze mit euphorischen Meldungen das Ergebnis. Bernd Riexinger kommentierte am Wahlabend, dass Tsipras gegen die neoliberalen EU-Eliten und Meinungsmacher gesiegt habe. Gregor Gysi trat in Athen auf und feierte das Ergebnis als „klare Absage an die Europapolitik von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble“. Nur mit einer starken linken Regierung „gäbe es die Gewähr, dass soziale Spielräume in dem europäischen Erpresserpaket ausgereizt werden“.
Dass sich die Parteispitze und Gregor Gysi mit minimalen Primärüberschüssen in den nächsten zwei Jahren einen neoliberalen Horrorkatalog schönreden ist schlimm genug. Das sie diese katastrophale Position mit dem Slogan „Wir unterstützen Syriza – Weil Europa eine Alternative braucht“ als offizielle Position der LINKEN in Athen und Deutschland verbreiten, ist jedoch völlig inakzeptabel. Nicht nur die Basis, sondern auch der Parteivorstand wurde hiermit brüskiert. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Parteispitze komplett über die Basis hinwegsetzt. All das hat nichts mehr mit dem neuen politischen „Sound des Zuhörens“ zu tun, den Bernd Riexinger und Katja Kipping bei ihrer ersten Wahl versprochen hatten. Das Argument, man müsse Syriza unterstützen, weil diese die Schwesterpartei der LINKEN sei, ist so unpolitisch und formalistisch, dass man sich verschämt abwenden möchte.
In Griechenland ist der Reformismus an der Regierung gescheitert. Im Vergleich zur Mitterand-Regierung in den achtziger Jahren in Frankreich geschah dies in bahnbrechendem Tempo und auf der Basis von einem weitaus bescheidenerem reformistischen Programm. Die Linke in Deutschland, Griechenland, Spanien, Irland und europaweit muss daraus die Lehren ziehen und eine Strategie- und Programmdebatte führen, wie eine politische sozialistische Gegenmacht zum Kapital innerhalb und außerhalb des Parlaments aufgebaut werden kann.