Revolutionäre Massenorganisation der Linken nötig für den Ausweg aus der kapitalistischen Krise
Stellungnahme von Xekinima (griechische Schwesterorganisation der SAV)
Für die Wahlen am 20. September ruft Xekinima dazu auf, gegen diejenigen Parteien zu stimmen, die für das neueste „Memorandum“ stehen, das mit der „Troika“ aus EU, EZB und IWF abgeschlossen wurde (dabei handelt es sich um Syriza, ND, PASOK, To Potami und ANEL), sowie gegen die Nazipartei „Goldene Morgenröte“. Xekinima ruft zu einer kritischen Stimme für die „Volkseinheit“ (gr. Laiki Enotita, kurz LAE) auf.
Die Wahlen finden vor einem widersprüchlichen und schwierigen Hintergrund statt. In weiten Teilen der Gesellschaft herrscht berechtigterweise große Enttäuschung. All jene, die an Syriza geglaubt haben und hofften, dass eine Linksregierung Maßnahmen im Interesse der arbeitenden Bevölkerung und gegen die in den Memoranden festgeschriebene Austeritätspolitik umsetzen würde; all jene, die für das „Nein“ beim Referendum gekämpft haben, das eine machtvolle Antwort auf die Erpressung der Troika, der EU und ihrer Vertreter vor Ort bedeutete; all jene, die Teil der Bewegungen der letzten Zeit waren und dachten, dass der Zusammenbruch der alten Memorandumsparteien ND und PASOK eine bessere Zukunft bedeuten würde … sie alle versuchen ihre Wunden zu heilen, die durch die Kapitulation der Regierung von Alexis Tsipras vor der Troika entstanden sind, und sie versuchen, ihre Enttäuschung und Verwirrung zu überwinden und wieder nach vorne zu schauen.
Welcher Ausweg?
Heute geht es wieder um die ganzen „alten“ Fragen: Wie können sich diejenigen, die in den letzten Jahren gegen die Memoranden gekämpft haben, Ausdruck verschaffen? Wie können die Leute repräsentiert werden, die im Referendum mit „Nein“ gestimmt haben? Wie können die weit verbreitete Enttäuschung und der Vertrauensverlust überwunden werden? Wie können diejenigen, die weiter kämpfen und einen Ausweg aus der Krise finden wollen, politisch und auf Wahlebene repräsentiert werden?
Die meisten arbeitenden Menschen verstehen – das hat die Geschichte der vergangenen Wahlen gezeigt – dass von den alten Memorandumsparteien PASOK und ND nichts Neues erwartet werden kann. Dasselbe gilt für Parteien wie To Potami, die in allen entscheidenden Momenten (Referendum, Memoranden usw.) gezeigt hat, dass sie ein und dasselbe ist wie die alten Parteien des Establishments. Andererseits gibt es in Teilen der Bevölkerung das Gefühl, dass Syriza eine weitere Chance gegeben werden sollte, um zu verhindern, dass ND und die anderen etablierten Parteien wieder an die Regierung zurückkehren.
Das Ende Syrizas als linker Partei
Fakt ist, dass die Syriza, die es vor dem Referendum gab, nicht mehr existiert. Das drückt sich nicht nur in den Tausenden Austritten linker Basismitglieder aus oder darin, dass die Partei keinerlei Forderungen der arbeitenden Klassen und der sozialen Bewegungen mehr vertritt. Auch der Umstand, dass führende Figuren eine „Regierung der nationalen Einheit“ mit den Feinden von gestern in Betracht ziehen, ist gar nicht so zentral. Der wichtigste Grund, der die Entwicklung Syrizas von einer linken Partei zu einer Partei des Establishments deutlich macht, ist das offene Bekenntnis, alle Maßnahmen des letzten Memorandums umzusetzen, koste es was es wolle.
Schließlich ist der Grund dafür, dass die Neuwahlen so eilig (und in Übereinstimmung mit Syrizas gestrigen „Feinden“ in der EU) einberufen wurden, dass die Masse der Bevölkerung bislang gar keine Zeit hatte, das volle Ausmaß und die Bedeutung der Maßnahmen, die das dritte Memorandum vorschreibt, zu verstehen. Um eine Vorstellung davon zu geben, was nach den Wahlen ansteht: Im letzten Monat wurde die Mindestrente von 490 auf 390 Euro gekürzt.
Wählt LAE!
Momentan ist die beste Möglichkeit für Linke, sich bei den kommenden Wahlen Ausdruck zu verschaffen, die „Volkseinheit“ (LAE) zu wählen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stellt LAE den besten Ausdruck des Widerstands gegen Tsipras’ Führung und gegen die Kapitulation Syrizas vor der Troika dar. LAE zeigt, dass sich große Teile der Parteimitglieder gegen Tsipras’ Entscheidung wehren, die Wahlversprechen und das Programm von Syriza auf den Müll zu werfen. Das zeigt, dass Syriza nicht das Eigentum von Tsipras und seiner (ungewählten) Clique ist. Und es zeigt, dass Tausende Basismitglieder der Führung den Rücken kehren und neue Wege nach vorne suchen.
Die Abgeordneten von LAE haben im Parlament ihre Position zum historischen Sieg des „Neins“ beim Referendum und zum Wahlprogramm von Syriza aufrechterhalten. LAE genießt derzeit die Unterstützung von nennenswerten Teilen der Syriza-Basis (von der Linken Plattform, Teilen der Syriza-Jugend, einem Teil der Tendenz „53“ usw.), wenn sie auch nicht vollständig mit LAE übereinstimmen. Diese Kräfte beziehen sich auf LAE als einer Möglichkeit, sich gegen die Tsipras-Führung zu stellen. Neben diversen linken Strömungen und Gruppierungen innerhalb Syrizas unterstützen relevante Organisationen der radikalen Linken LAE.
Andererseits war LAE bisher nicht in der Lage, Begeisterung in den linksorientierten Massen der Bevölkerung oder der Gesellschaft insgesamt hervorzurufen. Dafür gibt es viele Gründe. Der erste ist ein objektiver: Die generelle Enttäuschung und der Vertrauensverlust, hervorgerufen durch Syrizas Kapitulation gegenüber der Troika. Es gibt auch einige subjektive [also durch LAE selbst verschuldete] Gründe. Das Gesamtbild von LAE wirft Fragen und Zweifel auf: Beispielsweise war die LAE-Führung lange Zeit ein fester Teil der Syriza-Führung; es gibt keine neuen Gesichter, die das Bild der neuen Partei in der Öffentlichkeit prägen; es gibt Zweifel bezüglich der inneren Demokratie von LAE; es mangelt an Klarheit und Konsistenz in den öffentlichen Äußerungen verschiedener LAE-RepräsentantInnen usw. Und schließlich erweckt LAE nicht den Eindruck von Offenheit dafür, dass sich andere Organisationen außerhalb der alten Syriza-Linken zumindest im Rahmen eines Wahlbündnisses einbringen können, was sich auch in den Kandidatenlisten widerspiegelt. All diese Faktoren rufen ernsthafte Zweifel und Zurückhaltung unter großen Teilen der möglichen Wählerbasis der neuen Partei hervor.
Trotz all dieser Schwierigkeiten mit LAE sollten wir nicht aus den Augen verlieren, was wirklich auf dem Spiel steht: Bei den kommenden Wahlen stellt LAE das zentrale Vehikel zum Ausdruck der Opposition seitens der Arbeiterklasse, der Jugend und breiter Schichten der arbeitenden Bevölkerung gegen die Kapitulation von Tsipras und der Syriza-Führung dar.
Defizite und Schwächen der restlichen Linken
Angesichts der Gesamtsituation werden viele linke AktivistInnen bei diesen Wahlen die Kommunistische Partei (KKE) und Antarsya (Antikapitalistische Linke) wählen. Das ist vollkommen nachvollziehbar. Aber wir sollten deutlich machen, dass weder die KKE noch Antarsya in den letzten Jahren der tiefsten Krise des modernen Griechenlands fähig waren, Lösungen und einen Ausweg aus der Agonie der griechischen Gesellschaft aufzuzeigen.
Die Schuld dafür trägt nicht die griechische Gesellschaft – es liegt an den Unzulänglichkeiten von KKE und Antarsya selbst. Es ist kein Zufall, dass die Wahlunterstützung der KKE heute viel geringer ist als vor dem ersten Memorandum im Jahr 2010. Gleichzeitig durchlebt Antarsya eine neue interne Krise und eine große Spaltung – statt davon zu profitieren, dass Syriza gerade explodiert und in alle Richtungen auseinanderfliegt.
Einer der größten Fehler dieser beiden linken Formationen hat mit ihrer Einstellung zur Einheitsfrontmethode zu tun – sie zeigen nicht die geringste Bereitschaft, mit anderen linken Kräften zusammenzuarbeiten. Einheitsfrontpolitik würde bedeuten, in Fragen, über die Einigkeit herrscht und die die allgemeinen Interessen der Arbeiterklasse und der sozialen Bewegungen betreffen, mit jeder Partei zusammenzuarbeiten, selbstverständlich unter Beibehaltung der ideologischen, politischen und organisatorischen Unabhängigkeit.
Heute erhalten diese Parteien die Quittung für ihre Fehler. Wir hoffen, dass sie in Zukunft fähig sein werden, ihre Haltung zu korrigieren, damit sie nicht vollständig und dauerhaft von den Prozessen abgeschnitten sein werden, die innerhalb der Linken und der breiten Gesellschaft stattfinden.
Was für eine Linke brauchen wir?
Neben all dem Genannten besteht aus Sicht von Xekinima die zentrale Aufgabe im Aufbau einer linken Massenkraft, die bereit dazu ist, die entschiedene Konfrontation mit den Gläubigern und der EU einzugehen, die die Schuldenzahlungen verweigert und sich daran macht, das Bankensystem zu verstaatlichen – im vollen Bewusstsein dessen, dass diese Politik den Konflikt mit der EU und den Austritt aus der Eurozone bedeuten wird. Die Wiedereinführung einer nationalen Währung ist keine „Tragödie“ – höchstens für die herrschende Klasse. Im Gegenteil; sie kann die Grundlage für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft sein, aber nur unter einer entscheidenden Bedingung: Sie muss einhergehen mit der Verstaatlichung der Schlüsselsektoren der Wirtschaft unter Arbeiterkontrolle und -verwaltung, damit die Wirtschaft im Dienste der Interessen und Bedürfnisse der Mehrheit der Gesellschaft demokratisch geplant werden kann, statt riesige Profite für eine Handvoll Reeder, Bankiers und Industrielle zu produzieren.
Diese Linke sollte außerdem internationalistisch sein, also die Notwendigkeit von gemeinsam koordinierten Kämpfen mit der Arbeiterklasse in Europa und weltweit anerkennen. Gleichzeitig braucht diese Linke innere Demokratie, denn ohne volle innere Demokratie hat die Linke keine Zukunft. Hoffentlich werden dies größere Teile der Linken einsehen, denn leider hat die griechische Linke in ihrer Geschichte diesbezüglich große Schwächen aufzuweisen.
All das Genannte zeigt, wie eine revolutionäre Linke der Massen aufgebaut werden kann. Ohne eine solche revolutionäre Linke werden die arbeitenden Massen Griechenlands niemals aus dem Teufelskreis entkommen, in den uns die Krise des kapitalistischen Systems getrieben hat.
Das Potenzial für den Aufbau einer solchen Linken Massenbewegung besteht heute. Es gibt eine „kritische Masse“ innerhalb und außerhalb der „Volkseinheit“ (LAE). In Bündnissen wie der „Initiative des 17. Juli“, in den linken Netzwerken, die Syriza verlassen haben (z. B. die ehemalige Tendenz „53“, der Jugendverband usw.), aber auch unter den Tausenden von parteilosen AktivistInnen in den sozialen Bewegungen oder in unabhängigen linken Initiativen, die sich nicht unbedingt von LAE angezogen fühlen.
Eine der entscheidenden Aufgaben der nächsten Periode ist es, all diese Kräfte in einer wirklich vereinten und demokratischen Front zusammenzubringen, auf der Grundlage eines klaren, klassenbasierten, internationalistischen politischen Programms, bereit für den Bruch mit der EU und der Macht des Kapitals – das würde den Weg für eine alternative, sozialistische Gesellschaft eröffnen.
Ohne Zweifel ist die griechische Gesellschaft bereit dafür, auch wenn sie derzeit eine Phase des politischen Rückzugs durchmacht. Die Arbeitenden und Armen Griechenlands haben das in den letzten Jahren mit ihren historischen Kämpfen gegen die Memoranden bewiesen. Die griechischen ArbeiterInnen haben das mit dem gewaltigen Ergebnis beim Referendum vom 5. Juli gezeigt, als 61,3 Prozent mit „Nein“ stimmten – ein „Nein“, dass durch ganz Europa und die Welt gehallt ist, mit der Botschaft an die Gläubiger und die herrschenden Klassen: „Nein, wir haben keine Angst vor euch!“ Und die griechische Bevölkerung wird ihre Kraft zu Widerstand und Kampf auch in der jetzt beginnenden Periode an den Tag legen, mit neuen Kämpfen gegen das dritte Memorandum, welches diesmal auch die Unterschrift von Syriza trägt.