Kritische Betrachtung des neuen Buchs von Laurie Penny
Laurie Penny wird in den Medien gehypt. Die Zeit betitelt sie als derzeit „wichtigste junge Feministin“1 , von Spiegel über taz bis zur FAZ wird über ihr neues Buch: „Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution“ berichtet. Der Titel klingt kämpferisch. Ein feministisches Buch, das sich auch mit Revolution beschäftigt und eine relativ breite Öffentlichkeit erhält?
Von Linda Fischer
Als ich mir das Buch kaufe, wundert sich auch der Buchhändler an der Kasse über die mediale Aufmerksamkeit. Bereits in der Einleitung greift Laurie Penny den „Mainstream-Feminismus“ an und fragt sich wieso dieser so lau und feige bleibe. Sie erklärt, dass in den Medien nur der Feminismus eine Rolle spiele, der „in erster Linie den heterosexuellen, gut verdienenden weißen Frauen der Mittelschicht und der oberen Mittelschicht“ nütze, den „Karrierefeministinnen“. MarxistInnen bezeichnen diesen Feminismus als bürgerlich bzw. kleinbürgerlich. Vor dem Hintergrund der Debatte in Deutschland über Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen bei der sich SPD und CDU als angebliche Frauenbefreier profilieren wollen, freue ich mich über passend polemische Antworten von Penny: „(…) dabei besteht das Hauptproblem darin, dass es schon viel zu viele Vorstandszimmer gibt und keins von ihnen brennt.“ Neben teils treffenden und lebensnahen Beschreibungen verschiedener Erscheinungsformen von Frauenunterdrückung, bleiben ihre Alternativen zum bürgerlichen Feminismus insgesamt enttäuschend.
Laurie Penny schreibt, dass das Buch eine Geschichte darüber ist, wie Sex, Geld und Macht Mauern um unsere Fantasie errichten. Eine Vielzahl von Themen werden angesprochen: Feminismus in den Medien, Pornografie, die voranschreitende Gegenrevolution zu Errungenschaften von Frauen. Es geht um „abgefuckte Mädchen“, die mittels „Essstörung den Belastungen der modernen Weiblichkeit entfliehen“ möchten, um verlorene Jungs und die „Krise der Männlichkeit“, um Slutwalks und Slutshaming und der Rückeroberung des Wortes „Schlampe“. Sie entlarvt die angebliche sexuelle Freiheit von Filmen wie „Fifty shades of Grey“ – Eine Fantasie über hübsche, weiße junge Frauen, die von Männern kontrolliert, verletzt und beherrscht werden, und deshalb Mainstream-Trend werden, weil sie den gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlechterrollen entsprechen. Sie thematisiert, dass alleinstehende Mütter als Sündenböcke herhalten müssen, von denen wie „von Bettlern oder Dieben“ gesprochen wird. Sie spricht von dem Dilemma dass Frauen als egoistisch bezeichnet werden, wenn sie Kinder bekommen, und auch, wenn sie keine bekommen. Sie klagt die Allgegenwart von Gewalt gegen Frauen an. Sie geht auf Sexismus im Internet („Cybersexismus“) ein, und beschreibt den krassen Frauenhass, den öffentlich agierende Frauen im Netz und darüber hinaus erfahren. Sie erzählt von Drohungen gegen sie und anderen Frauen, verletzt vergewaltigt oder umgebracht zu werden und so weiter.
Ihr Schreibstil ist persönlich und wütend. Die extreme Fülle an Themen macht es dem Leser schwer den Überblick zu behalten und herauszufinden welches Ziel das Buch hat. Laurie Penny sagt, dass das Buch eine Polemik ist, gestützt auf Studien, Erfahrungen und Jahre des Schreibens, und politischen Aktivitäten in der queeren und feministischen Szene in Großbritannien, USA und im Netz.
Was sind ihre Antworten?
Das Buch bleibt bei der Auflistung verschiedener Einzelthemen und Erscheinungsformen von Unterdrückung stehen, ohne eine übergreifenden Analyse zu liefern. Penny betont zwar welchen Einfluss der Neoliberalismus auf unsere Vorstellungen über Liebe und Sex hat, ihre Antworten bleiben jedoch fast ausschließlich politisch geprägt durch postmoderne, kleinbürgerliche Szenedebatten. Da verwundert es nicht, dass sie derzeit die Pirate Party in Großbritannien unterstützt.
Das Kapitel zur Liebe ist ein gutes Beispiel: Sie führt aus wie die romantisch-monogame Liebesbeziehung emotional überfrachtet wird. Der Druck für Frauen steigt den einen richtigen Mann zu finden, um ein angeblich erfülltes Leben führen zu können. Sie setzt dieses Bild von Liebe in den gesellschaftlichen Kontext: „Die romantische Liebe bietet Trost und Rückzug vor den Entbehrungen der Arbeitswelt und dient gleichzeitig der Aufrechterhaltung dieser Arbeitswelt.“ Ihr Ziel ist die freie Liebe: „Liebe, die ohne Besitzansprüche, Zwang und Unterdrückung auskommt, Liebe, die nicht gleichbedeutend mit Arbeit, Pflicht und Konformität ist.“ Das klingt erst mal vernünftig. Die konkrete, mögliche Alternative die sie anbietet ist Polygamie und häufig wechselnde PartnerInnen. Wie frei eine Liebe von Besitzansprüchen und Unterdrückung ist, hängt jedoch nicht von der Anzahl an PartnerInnen und der Dauer einer Beziehung ab, sondern von den gesellschaftlichen Bedingungen und Geschlechterrollen. In einer befreiten bzw. sozialistischen Gesellschaft ist davon auszugehen, dass die Rolle der Kleinfamilie an Bedeutung verlieren wird und vielfältigere Beziehungsformen entstehen, weil die ökonomische Notwendigkeit der Kleinfamilie nicht mehr bestehen wird.
Woher kommt Frauenunterdrückung?
Eines der stärkeren Kapitel ihres Buches handelt vom Patriarchat. Dieses definiert sie als Väterherrschaft (im Gegensatz zu Männerherrschaft) und meint damit „die Herrschaft weniger mächtiger Haushaltsvorstände über den Rest der Gesellschaft.“ Anders ausgedrückt macht Penny einen Unterschied zwischen Kapitalisten und Männern aus der Arbeiterklasse. Sie führt aus: „Die meisten Männer haben nicht viel Macht, und das bisschen soziale und sexuelle Überlegenheit, das sie über Frauen haben, wird heute infrage gestellt.“
Penny beschreibt das Patriarchat als jahrhundertealte Struktur der wirtschaftlichen und sexuellen Unterdrückung. Sie erklärt leider nicht wie und warum das Patriarchat entstanden ist. Dabei könnte uns die Entstehungsgeschichte der Frauenunterdrückung helfen, zu verstehen was zu tun ist um sie abzuschaffen. Engels analysierte in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“, dass die Unterdrückung der Frau mit der Entstehung des Privateigentums und der ersten Klassengesellschaft zusammenfällt. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft wird letztlich durch ihre ökonomische Position, also durch die Eigentums- und Produktionsverhältnisse in der Gesellschaft bestimmt. Frauenunterdrückung kann daher auch nur durch die Abschaffung der Klassengesellschaft überwunden werden.
Auch wenn Laurie Penny beschreibt, dass die Mehrheit der Männer nicht Teil des Patriarchats ist, so geht sie dennoch davon aus, dass alle Männer in einer Kultur des Sexismus eingebunden sind und „Männer als Gruppe – Männer als Struktur Frauen verabscheuen und verletzen, auch wenn der einzelne Mann das vielleicht nicht tut.“ An vielen Stellen betont sie die Privilegien der Männer im Allgemeinen gegenüber Frauen.
„Männer als Gruppe“ mit einem einheitlichen Interesse gibt es in Klassengesellschaften jedoch nicht. Das Problem ist, dass Penny den Unterschied zwischen Männern aus der Arbeiterklasse und Männern aus der herrschenden Klasse an diesem Punkt nicht macht. Natürlich profitiert der männliche Teil der Arbeiterklasse zu einem gewissen Anteil an der Unterdrückung von Frauen: Mehr Freizeit, weniger häusliche Belastungen, häufig weniger finanzielle und pflegerische Verantwortung in der Familie usw. Wir sind ebenfalls alle durch eine Kultur des Sexismus geprägt. Aber Männer aus der Arbeiterklasse haben kein ureigenes Interesse daran, dass das System der Frauenunterdrückung bestehen bleibt, da es Ihnen ebenfalls schadet: Es sind die selben kapitalistischen Triebkräfte die für Arbeitslosigkeit, Armut, etc. sorgen, wie die die Frauen in unterbezahlte Jobs zwingen und Hausarbeit, Pflege etc. privatisieren. Wenn Frauen als Lohndrückerinnen eingesetzt werden, dann schadet das auch dem männlichen Teil der Arbeiterklasse. Vor allem profitiert die herrschende Klasse von Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse.
Idealismus vs. Klassenkampf
Laurie Penny appelliert an das Gewissen der Männer und den Wohlfühleffekt: „Männer, die ein Gewissen haben, machen sich gar keine Vorstellung davon, wie wohl sie sich fühlen würden in einer Welt, in der Frauen als freie und gleichberechtigte Akteurinnen leben, arbeiten und vögeln dürfen, in einer Welt, in der Menschlichkeit vor dem Geschlecht kommt.“
Insgesamt bleibt nicht viel übrig von der Revolution, die dem Leser im Titel versprochen wird. Ihre Vorschläge im Nachwort bleiben idealistisch, moralisch und fordern den Kapitalismus nicht heraus. Kein Wunder also, dass DIE ZEIT und Co. Laurie Penny hypen. Sie schreibt: „Die Revolution beginnt in der menschlichen Fantasie.“ Solange wir davon träumen anders zu leben, würden sie nicht gewinnen können. Sie führt weiter aus, dass wir uns der inneren Stimme unserer Erziehung widersetzen müssen, die uns sagt, wir sollen ein braves Mädchen sein. Der Fokus liegt auf individuellen, moralischen Lösungen, die bei der breiten Masse nicht zu Veränderungen führen können, und die die unterdrückerische Natur des Kapitalismus völlig unterschätzten.
In der Geschichte des Kampfes gegen Frauenunterdrückung konnten vor allem zu Zeiten starker allgemeiner Arbeiterbewegungen die größten Fortschritte für und von Frauen erkämpft werden. Arbeitskämpfe, wie zum Beispiel der Bergarbeiterstreik vor dreißig Jahren in Großbritannien führten zu einer wahrnehmbaren Verschiebung der Einstellung der männlichen Bergarbeiter gegenüber Frauen, sowie schwulen und lesbischen AktivistInnen, Schwarzen und AsiatInnen die den Kampf aktiv unterstützten. Viele Bergarbeiter sahen Frauen in einem anderen Licht, da sie zu Organisatorinnen des Arbeitskampfes wurden. Aber der Arbeitskampf führte auch zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein unter Frauen, die sich vermehrt trauten unglückliche Beziehungen zu beenden.
Statt an Moral zu appellieren, müssen wir in unserer täglichen Arbeit, in Kämpfen, auf Demos usw. immer wieder aufzeigen, dass wir gemeinsam stärker sind und die gleichen Interessen haben. Das beinhaltet Sexismus und andere unterdrückerische Spaltungsmechanismen innerhalb der Arbeiterklasse zu bekämpfen, um die Teilnahme Aller in einem vereinten Kampf zu ermöglichen und die materiellen Wurzeln von Unterdrückung und Ungleichheit, den Kapitalismus, abschaffen zu können.
Linda Fischer ist Mitglied des SAV-Bundesvorstands.