Die rassistische Welle bringt rechte Terroristen hervor
Einen Tag vor der Wahl überfiel ein Nazi die damalige Kandidatin und inzwischen gewählte Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Kölner Stadtteil Braunsfeld und verletzte sie mit einem Messer lebensgefährlich am Hals. Reker konnte gerettet werden und ist auf dem Weg der Genesung. Vier weitere Menschen wurden bei dem terroristischen Angriff durch Messerstiche verletzt. Der Täter Frank Steffen wurde überwältigt und gestand seine Tat. Er sagte, er hätte es „für eure Kinder“ getan und wolle damit gegen die Flüchtlingspolitik von Reker protestieren.
von Claus Ludwig, Köln
Henriette Reker war die gemeinsame Kandidatin von Grünen, CDU und FDP und zweier lokaler Wählerbündnisse und gewann am Tag nach der Attacke die Wahl gegen den SPD-Kandidaten Jochen Ott mit 52 Prozent zu 32 Prozent im ersten Wahlgang.
Bis dahin war sie als Sozialdezernentin unter anderem zuständig für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen. Erfolgreich war sie dabei nicht. Seit Jahren waren die Flüchtlingszahlen gestiegen, Reker hatte sich wie die gesamte Verwaltung von einem Provisorium zum nächsten gehangelt und die Standards für die Unterbringung immer weiter verschlechtert. Den Bau dringend benötigter neuer Wohnungen für Flüchtlinge und andere Wohnungssuchende hatte auch sie nicht veranlasst.
Allerdings hatte sich Reker für eine „Willkommenskultur“ ausgesprochen und trat auf Veranstaltungen zur Bürgerinformationen in den Stadtteilen als diejenige auf, welche die Einrichtung neuer Unterkünfte begründete. Als SPD-Kandidat Ott im Wahlkampf die Forderung erhob, die als Flüchtlingsunterkünfte genutzten Turnhallen müssten bis Jahresende wieder für den Sport freigegeben werden, bezeichnete sie dies als populistisch.
Offensichtlich reichte dies, um sie in der Vorstellung von Rassisten zu einer Verkörperung des „Gutmenschen“ zu machen, die „für Flüchtlinge“ eintritt.
Medien zurückhaltend
Die bürgerlichen Medien reagierten seltsam zurückhaltend auf den nur knapp gescheiterten Mordversuch. Am Tag selbst war das Thema überall in den Schlagzeilen, aber danach gingen die überregionalen Medien schnell zu anderen Themen über. In Zeiten der „Brennpunkt“-Inflation und der „Breaking News“ in Permanenz verwundert diese eher ruhige Berichterstattung.
Dies war der erste gezielte Mordanschlag eines Faschisten auf eine bürgerliche Politikerin seit mehreren Jahrzehnten. Es sollte keinen Flüchtling treffen, keinen Migranten, keinen Obdachlosen, Punk oder linken Aktivisten, es sollte „eine von ihnen“ treffen, aus dem Establishment. Das sollte den bürgerlichen Politikern und Medien eine groß angelegte öffentliche Debatte wert sein.
Das sollte zum Beispiel den Kölner Express, Spezialist für Marktschreierei, veranlassen, einen Aufruf in großen Lettern zu bringen, dass jetzt, nach dem rechten Mordversuch an unserer Oberbürgermeisterin, alle auf die Straße müssten gegen die Nazis und Hooligans, die am 25. Oktober durch Köln marschieren wollen.
Und genau da liegt wohl das Problem. Bürgerliche Medien und Politiker wollen offensichtlich nicht betonen, welch neue Qualität der Angriff auf Henriette Reker darstellt, wollen die ohnehin laufende Diskussion darüber, was das für Menschen bedeutet, die sich in irgendeiner Weise für Flüchtlinge engagieren oder auch nur so wahrgenommen werden, nicht weiter befördern. Sie haben Angst vor der Welle rassistischer Hetze und Gewalt, die durch das Land zieht. Aber sie scheinen ebenso Angst zu haben vor einer massiven antifaschistischen Reaktion.
Erneut der „Verfassungsschutz“?
Die Zahlstelle für Nazis mit knapper Kasse, umgangssprachlich „Verfassungsschutz“ genannt, hatte zunächst behauptet, nichts über die Vorgeschichte des Täters Frank Steffen zu wissen. AntifaschistInnen aus Nordrhein-Westfalen waren besser informiert. Sie guckten in ihre Archive und fanden innerhalb weniger Stunden heraus, dass Steffen Anfang der 1990er Jahre im Umfeld der faschistischen FAP („Freiheitliche Arbeiterpartei“) im Raum Bonn/Rhein-Sieg aktiv war. Die FAP war eine der größten Nazi-Organisationen Anfang in dieser Zeit und wurde 1995 verboten.
Steffen hatte danach keine große Rolle mehr gespielt, sich aber seit 2007 immer wieder in Online-Foren mit rassistischer Propaganda hervor getan. Er hatte sich wohl für die German Defence League interessiert, die nach dem Vorbild der English Defence League eine Schlägertruppe aufbauen wollte, die sich als „bewaffneter Arm“ der rechtspopulistischen, islamfeindlichen Strömung darstellt und sich verbal von den Nazi-Gruppen distanziert. Im August hatte die German Defence League einen Marsch mit rund hundert Teilnehmern durch die Kölner Innenstadt organisiert, einige ihrer Aktiven landeten später bei KÖGIDA.
Steffen ist 44 Jahre, gelernter Maler und seit vielen Jahren erwerbslos. Laut Informationen des Kölner Stadtanzeiger (KStA) war er nie bei der Arbeitsagentur aufgetaucht oder in Arbeit vermittelt worden. Allerdings behauptet er, die ganze Zeit Sozialleistungen bezogen zu haben. Seine Akte bei der Arbeitsagentur ist gesperrt. „In Sicherheitskreisen wird vehement dementiert, dass S. Als Informant etwa für den Verfassungsschutz gearbeitet haben soll.“ Dieses Dementi kam ziemlich schnell, juristisch ausgedrückt könnte man wohl davon sprechen, dass es einen „Anfangsverdacht“ gibt, dass der „Verfassungsschutz“ seine Finger im Spiel hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Informant des Inlands-Geheimdienstes von der Leine geht und selbst rechts motivierte Straftaten begeht.
Steffen gibt sich als Mensch, der nichts zu verlieren hatte. Laut Express und KStA sprach er von Suizid-Absichten und behauptete „Ich bin heute morgen aufgestanden, um heute Abend als Mörder im Gefängnis zu sitzen“. Er wolle nicht „in zwanzig Jahren in einer muslimisch geprägten Gesellschaft leben“.
Allerdings hat er seine Wohnung komplett gesäubert. Die Festplatten waren aus den Computern ausgebaut worden, die Polizei konnte bei der Durchsuchung keine Papiere finden. Nach Angaben des Express wurde seine Facebook-Seite auch nach der Festnahme noch benutzt. Frank Steffen mag sich selbst „geopfert“ haben, aber er wusste, was er tat, schützt möglicherweise seine Hintermänner.
Im Frühjahr 2015 hatten Faschisten um Melanie Dittmer, Anmelderin der rechten DÜGIDA-Aufmärsche in Düsseldorf, ein Video auf Youtube verbreitet, dass sie bei Messerkampf-Übungen zeigt. Der Angriff auf Frau Reker wurde gezielt ausgeführt, der Täter wusste, wie er das Messer führen müsste. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Polizei prüft, ob es einen Zusammenhang gibt.
Neue Generation rechter Terroristen
Frank Steffen kommt aus der „klassischen“ Nazi-Szene der frühen 1990er, aus der sich auch der NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“) gebildet hat. Sein Terrorakt selbst ist allerdings nicht nach dem Vorbild des NSU abgelaufen. Stattdessen orientiert er sich an der ersten Generation der rechtspopulistischen, islamophoben Terroristen wie Anders Breivik in Norwegen, Hans van Themsche in Belgien oder Alex W. in Dresden.
Breivik hatte im Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 76 Menschen ermordet. Sein Ziel war es offensichtlich nicht, eine lebensfähige rechte terroristische Struktur aufzubauen, sondern ein Fanal zu setzen, die eigene Freiheit zu opfern, um zum Bürgerkrieg gegen die „Islamisierung“ aufzurufen. Dieser schlimmste rechte Terrorakt in Europas Nachkriegsgeschichte ist in Deutschland schon fast wieder in Vergessenheit geraten.
Im belgischen Antwerpen, einer Hochburg der rechten flämischen Bewegung Vlaams Belang, erschoss im Mai 2006 der 18jährige Hans van Themsche eine afrikanisches Au-Pair-Mädchen und ein zweijähriges Kind, welches von der Frau betreut wurde. Eine türkische Frau überlebte schwerverletzt. van Themsche weigerte sich aufzugeben und wurde von einem Polizisten niedergeschossen, überlebte aber und wurde später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. In einem Brief hatte er festgehalten, er wolle so viele Ausländer wie möglich töten. Zuvor hatte der Vlaams Belang von „Antwerpistan“ gesprochen, der angeblich drohenden Umwandlung der flämischen Hafenstadt in ein islamisches Reich.
Im Juli 2009 wurde die Deutsch-Ägypterin Marwa El-Sherbini im Gerichtssaal in Dresden ermordet, ihr Mann schwer verletzt. Ihren Mörder, Alex W., traf sie im Gericht, weil dieser sie auf einem Spielplatz verbal als „Islamistin“ und „Terroristin“ attackiert hatte. Er wollte die Strafe wegen Beleidigung nicht akzeptieren und ging in Berufung. Er sah „Islamistin“ nicht als Beleidigung, sondern als „Bezeichnung“. Noch vor Gericht erklärte El-Sherbini ihre Haltung zur Religion, versuchte, die Denkweise von Alex W. mit Argumenten zu verändern. Dieser ließ sich nicht beeindrucken und stach auf sie ein. Die im dritten Monat schwangere junge Frau starb vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes.
Die meisten Gruppen aus dem rechtspopulistischen Spektrum propagieren nicht den Aufbau gewalttätiger Abteilungen. Trotzdem ist die Gefahr weiterer terroristischer Akte aus dieser Ecke vorhanden. Die Ideologie und die Funktionsweisen der islamfeindlichen Blogs und Gruppen sind geradezu prädestiniert, sogenannte „Einzeltäter“ hervorzubringen.
Durch das geistige Klima, das die neuen Rechten aller Schattierungen erzeugen, werden Menschen angezogen, die für Verschwörungstheorien offen sind. Wenn zudem individuelle psychische Voraussetzungen wie ein Mangel an Empathie gegeben sind, können die islam- und flüchtlingsfeindlichen Ideen zum Katalysator rechter Gewalt werden. Bei den meisten der neuen Rechtsterroristen wird man wohl schwere Persönlichkeitsstörungen finden – die paranoide Vorstellung von der „Überfremdung“ braucht paranoide Vollstrecker.
Der Publizist Kay Sokolowsky diagnostiziert den Rassisten eine kollektive „Angststörung“ mit zuweilen tödlichen Konsequenzen: „Weil der Angsthaber die Angst selbst nicht überwinden will, kann er sich kein anderes Mittel gegen sie vorstellen, als das Objekt auszumerzen, das ihm Grauen bereitet … Die rassistische Theorie will immer auf die Praxis hinaus. Es gibt kein Spiel mit rassistischen Vorurteilen. Dem Fremdenhasser ist jedes Wort todernst.” (Sokolowsky: Feindbild Moslem, Berlin 2009, S. 133 + 136)
Da wächst was zusammen …
Frank Steffen steht, auch wenn er sich dessen selbst nicht bewusst sein mag, für die Synthese aus traditioneller Nazi-Szene und neuer rechtspopulistischer Bewegung.
Dieses Zusammenwachsen der Methoden des „klassischen“ Faschismus – Gewalt auf der Straße, NS-Orientierung, Feindschaft gegen alles Linke und Liberale – und der in den letzten zwanzig Jahren entstandenen Szene der „Rechtspopulisten“ und Islamhasser, vor allem ihre hysterische Propaganda bezüglich der „Islamisierung“ und der Übernahme Deutschlands durch MigrantInnen, erleben wir auch bei PEGIDA und der AfD.
Zu Beginn orientierten sich sowohl PEGIDA als auch der rechte AfD-Flügel noch am scheinbar gemäßigten rechtspopulistischen Modell, wie es im Westen vor allem durch ProKöln/ProNRW verkörpert wurde. Doch sie haben inzwischen mehr faschistische Elemente und Methoden übernommen, ebenso wie ProNRW selbst, welche den Schafspelz abgelegt hat und bei der Zusammenarbeit mit HoGeSa und diversen -GIDAs in Nordrhein-Westfalen ihr Wolfsgrinsen erkennen lässt.
Eine klare Trennlinie zwischen Nazis und Rechtspopulisten lässt sich in der derzeitigen Lage kaum ziehen. Bewegungen wie PEGIDA setzen sich aus verschiedenen Strömungen von Rassisten zusammen. Die Dynamik der Flüchtlingsdebatte, vor allem Anheizen der Diskussion durch rechtspopulistische Zickzacks etablierter Politiker aus CSU, CDU und SPD sowie den Schutz rassistischer Aufmärsche und das Weggucken bei Gewalttaten durch den Staatsapparat haben den Spielraum der Faschisten deutlich erweitert.
Der Frage des Selbstschutzes von antifaschistischen Aktivitäten kommt dadurch eine größere Bedeutung zu. Den Politikern bürgerlicher Parteien sei geraten, das Attentat auf Henriette Reker als ernste Warnung zu verstehen und sowohl die Rolle der Polizei als Schutzmacht der rechten Aufmärsche als auch ihre eigene Rolle bei der Flüchtlingsdebatte zu hinterfragen.