Nach dem Verrat von Tsipras gibt es weiter Widerstand – Interview mit Eleni Mitsou
Nach dem massiven Verrat von Tsipras und der Umsetzung der Kürzungspolitik durch die Syriza-Regierung – wie ist die Stimmung in der griechischen Bevölkerung?
Die Menschen sind sehr enttäuscht und verärgert. Zur Zeit herrscht eine gewisse Demoralisierung vor, viele denken, dass man nichts mehr ändern kann. Aber es gibt doch auch eine wichtige Schicht, die entschieden ist mit dem Kampf weiter zu machen.
Es gibt also Proteste gegen die Regierung?
Ja, Syrizas Schonfrist ist vorbei. Es gibt die ersten Massenmobilisierungen: Am 4 Februar gab es einen Generalstreik, der massenhaft befolgt wurde. Aktuell protestieren außerdem die Bauern. Die Syriza-Regierung hat die Steuern für Bauern geändert. In den nächsten Jahren sollen die Steuerabgaben um das dreifache steigen. Außerdem werden auch die staatlichen Versicherungsbeiträge angehoben. Die Landwirte haben nun zehntausend Traktoren auf alle großen Straßen gefahrenm um den Verkehr jeweils bis zu sechs Stunden zu blockieren, zum Beispiel werden die Fernverkehrsstraßen um Athen herum blockiert.
Außerdem gibt es auch Demonstrationen und Streiks von Selbstständigen, von Ärzten, Architekten und Anwälten, also eher der Mittelschicht. Aber es sind nicht nur solche Schichten, die auf den Demos sind, sondern auch viele andere. Es gibt in Griechenland viele Menschen, die Architektur studiert haben oder ein kleine Firma oder einen Laden haben und wirklich wenig verdienen. Sie verdienen ungefähr 600 bis 800 Euro im Monat, sind also keine reichen Leute. Die Proteste richten sich gegen die Regierung und gegen die Reformen, die ähnlich sind wie bei den Bauern (höhere Steuerabgaben, höhere Versicherungsbeiträge).
Es gibt auch viele kleinere Kämpfe. Im Januar begann ein Streik der Putzfrauen, die die öffentlichen Busse putzen. Sie werden nicht direkt vom Staat angestellt, sondern von einer ausgelagerten Firma, die einen Vertrag mit dem Staat hat. Die Firma zahlt ihnen seit fünf Monaten keinen Lohn. Sie haben zu unseren GenossInnen Kontakt aufgenommen und haben nach Hilfe gefragt. Jetzt streiken sie. Die Busfahrer, unsere GenossInnen und andere solidarischen Leute aus Athen stehen mit ihnen Streikposten.
Und solche Kämpfe gibt es die ganze Zeit. Es kommt sehr oft vor, dass man arbeitet, aber nicht bezahlt wird. Das muss dann irgendwie über die Familie aufgefangen werden. Man muss wirklich häufig streiken, einfach nur um das normale Gehalt zu bekommen.
Und wie ist die Einstellung zu Parteien und Politik bei den Protestierenden und in der griechischen Bevölkerung allgemein?
Ich glaube es ist ähnlich wie in allen europäischen Ländern. Es gibt eine Anti-Parteien-Stimmung. Und das ist eines der Probleme, die man jetzt überwinden muss. Die Bevölkerung denkt, dass alle Parteien gleich sind. Und besonders nach dem Verrat von Syriza hat sich diese Stimmung noch verstärkt.
Es gibt und gab Abspaltungen von Syriza. Welche sind das?
Die erste Spaltung war die Linke Strömung, die zusammen mit anderen die „Volkseinheit“ (LAE) geformt hat. Und dann gibt es von der Jugend mehrere Abspaltungen. Mehr als zwei Drittel der Syriza-Jugend sind aus der Partei ausgetreten, aber sie haben sich weiter gespalten. Und jetzt gibt es ungefähr fünf oder sechs Syriza-Abspaltungen. Da es aber noch ein paar Parteimitglieder gibt, die keine hohen Funktionäre sind, gehen die Austritte weiter.
Die „Volkseinheit“, zu dessen Wahl Xekinima im September aufgerufen hatte, hat den Einzug in das griechische Parlament nicht geschafft. Wie ist die „Volkseinheit“ entstanden und was ist ihr Charakter?
Die Volkseinheit wurde im August gegründet, ungefähr einen Monat vor den Wahlen. Die Hauptkraft ist die Linke Strömung aus Synaspismos (der größten Mitgliedsorganisation innerhalb von Syriza) und ihre Verbündeten DEA (Internationale Arbeiter-Linke, eine Organisation aus der Tradition der britischen Socialist Workers’ Party), sowie drei politische Organisationen die sich von Antarsya (dem Bündnis der antikapitalistischen Linken) abgespalten haben. Antarsya hat die Hälfte ihrer Mitglieder an die “Volkseinheit” verloren. Außerdem gibt es noch ein paar sehr kleine politische Gruppen und mit ARK eine kleinere Abspaltung von Syriza. Wir haben bei den ersten Treffen teilgenommen, aber uns entschieden nicht Teil der “Volkseinheit” zu werden.
Die “Volkseinheit“ ist sehr stark von der Linken Strömung kontrolliert. Die Mehrheit der Führungsfiguren in der “Volkseinheit” gehören dieser an. In vielen Fällen handelt es sich um Personen, die Parlamentssitze oder andere sehr wichtige Positionen in der ersten Syriza-Regierung hatten. Viele Menschen finden nicht, dass sie ausreichend Widerstand gegen Tsipras und seine Clique geleistet haben, die der griechische Arbeiterklasse in den Rücken gefallen ist.
Dazu präsentiert sich die “Volkseinheit” als “demokratische patriotische Front” und ihr Programm zur Überwindung der Krise ist begrenzt auf die Notwendigkeit mit dem Euro zu brechen, eine Nationalwährung einzuführen und die Schulden nicht zu bezahlen. Diese Forderungen werden nicht mit Maßnahmen und Strategien verbunden die mit der Herrschaft des Kapitals brechen und den Weg zum Sozialismus aufzeigen, auch wenn sie Sozialismus irgendwo in ihrem Programm erwähnen.
Im Gegenteil: Die “Volkseinheit” schürt die Illusion, Griechenland könne die Krise auf Basis des Kapitalismus überwinden ohne wirklich mit den griechischen Kapitalisten zu brechen. Sie denken, dass es ausreicht Griechenlands Abhängigkeit von der EU zu beenden und mit anderen kapitalistischen Ländern wie Russland oder China zusammenzuarbeiten.
Die „Volkseinheit“ hat während des Wahlkampfes versucht Basisgruppen aufzubauen. Viele Menschen, insbesondere die Syriza verlassen haben, sind zu diesen Treffen gegangen um zu erfahren welche Perspektiven die „Volkseinheit“ diskutiert. Die meisten der dieser AktivistInnen sind nicht eingetreten. Sie wollten diskutieren, was falsch gelaufen ist mit Syriza, aber die Linke Strömung hat nur gesagt, dass es dafür keine Zeit gäbe. Sie wollten über das Programm diskutieren, aber die Kader der Linken Strömung erwiderten, dass für solche Diskussionen keine Zeit sei und man nach den Wahlen darüber diskutieren könne. Sie wollten die Kandidaten für die Wahlliste wählen. Die Linke Strömung hat ihnen geantwortet, dass sie selbst ganz oben auf der Liste stehen werden.
Deshalb war und ist die „Volkseinheit“ nicht sonderlich attraktiv für die Arbeiterklasse und die Jugend. Es ist trotzdem wahrscheinlich, dass sie bei den nächsten Wahlen ins Parlament kommt, weil viele Menschen die im September letzten Jahres noch Illusionen in Syriza hatten dann wahrscheinlich die „Volkseinheit“ wählen werden. Allerdings haben sie auch nicht so viel Auswahl auf der Linken. Es gibt die „Volkseinheit“ oder die Kommunistische Partei und ein paar werden wohl auch noch für Antarsya stimmen. Auf Wahlebene kann es also sein, dass sie in Zukunft besser abschneiden, aber ansonsten sind sie nicht sehr attraktiv.
Was ist mit den Faschisten. Die „Goldene Morgenröte“ stagniert zwar aktuell, aber wie groß ist die potenzielle Gefahr ?
Die potenzielle Gefahr ist groß. Sie stagnieren, aber haben auch nicht verloren. Trotzdem ist es wichtig anzuerkennen, dass sie es bisher noch nicht geschafft haben die Welle von Flüchtlingen erfolgreich für ihren Hass und die Stärkung ihrer Kräfte zu benutzen.
Was sie gerade auch etwas schwächer macht ist der Fakt, dass sie vor Gericht stehen und viele im Gefängnis sind. Aber die Regierung schenkt dem Verfahren keine große Beachtung. Wenn es der „Goldenen Morgenröte“ irgendwie gelingt aus dem Verfahren rauszukommen ohne verurteilt zu werden, kann sie das in Zukunft stärken. Vor allem weil es wenig Beachtung seitens der Linken gibt. Von der Linken gehen nur wir und ein paar andere antifaschistische Gruppen zu den Gerichtsverhandlungen, um die Bevölkerung über den Verlauf zu informieren, aber niemand sonst aus der gesellschaftlichen Linken.
Die „Goldene Morgenröte“ hat Verbindungen zur Polizei, hat Verbindungen zum Justizsystem usw. Es wird also nicht wirklich unparteiisch entschieden werden.
Eine andere Gefahr ergibt sich aus der Flüchtlingssituation. Bis jetzt haben die Flüchtlinge Griechenland durchquert um nach Deutschland oder ein anderes nordeuropäisches Land zu gelangen. Wenn die EU ihre aktuellen Pläne durchsetzt, besteht die Gefahr, dass Hunderttausende in Griechenland fest sitzen werden. Dann könnte sich die Stimmung in Teilen der griechischen Bevölkerung ändern. Die Geflüchteten werden kein Essen, Trinken usw. haben. Das wird früher oder später zu Auseinandersetzungen mit der griechischen Bevölkerung führen. Das wird man nicht nur mit Solidaritätsaufrufen verhindern können, im besonderen in einer Gesellschaft die ökonomisch zerstört wurde. Die Linke und die antifaschistische Bewegung würde mit einer großen Herausforderung konfrontiert sein.
Aber aktuell gibt es auch große Solidarität mit den Flüchtlingen in der griechischen Bevölkerung?
Ja, die Mehrheit spricht sich für die Flüchtlinge aus. Sie symphatisieren mit Ihnen, insbesondere nachdem sie gesehen haben, dass es Kinder und Familien sind, und dass sie der griechischen Bevölkerung nichts wegnehmen wollen, sondern nur einen sicheren Ort zum Leben suchen. Selbst an Orten und Arbeitsplätzen wo die Faschisten sehr regelmäßig ihre Propaganda verbreiten, zum Beispiel bei den Busfahrern. Viele Busfahrer haben Flüchtlinge von einem Ort zum anderen in Athen transportiert. Sobald sie den geflüchteten Menschen selbst begegnet sind und ihre Lage mitbekommen haben, ist die Propaganda der Faschisten zusammengebrochen.
Und es gibt sehr viel Solidaritätsarbeit. Wenn diese Arbeit, die es in jeder Nachbarschaft in Athen oder auf den Inseln gibt, koordiniert werden würde, dann könnte sie soviel effektiver sein. Die Menschen geben Schuhe, Kleidung, Essen, Decken usw. in enormer Anzahl. Wenn die Syriza-Regierung dies effektiv koordinieren würde, wäre die Situation sehr viel besser. Aber Syriza ist noch nicht einmal fähig das zu machen.
Was die Haltung von Syriza gegenüber den Geflüchteten?
Sie machen keine Propaganda gegen die Flüchtlinge, aber sie tun auch nicht wirklich etwas. Sie hätten mehr Volksküchen und Unterkünfte für die geflüchteten Menschen bauen und eröffnen können. Sie haben mehr gemacht als die Regierungen zuvor, aber es ist extrem wenig, verglichen damit was eine sogenannte Linke Regierung eigentlich tun sollte. Sie haben sich bisher noch nicht gegen die Flüchtlinge gewandt. Es fängt aber an, dass die Regierung sich gegen Immigranten ausspricht. Vor ein paar Monaten haben sie Immigranten ins Land gelassen, jetzt stoppen sie die Immigranten und versuchen sie wieder zurück in die Länder zu schicken aus denen sie gekommen sind, wie Marokko oder Algerien.
In welchen Kampagnen ist Xekinima aktiv?
Wir machen viel Gewerkschaftsarbeit. Wir haben einige GenossInnen, die gewählte Gewerkschaftsvertreter sind. Wir versuchen Streiks und andere Formen von Mobilisierungen gegen die Kürzungen und die Entlassungen zu organisieren.
Zum Beispiel in Volos, da gibt es eine Tochterfirma von Continental und die entlassen wieder Mitarbeiter. Wir haben dort einen Genossen, der ein gewählter Gewerkschaftsvertreter ist und wir versuchen Streiks gegen die Entlassungen und Gehaltskürzungen zu initiieren.
Neben der Gewerkschaftsarbeit ist die antifaschistische Arbeit und die Mobilisierung gegen Faschisten wichtig.
Kampagnen die die Umwelt betreffen nehmen in letzter Zeit zu, weil ganze Teile von Griechenland verkauft werden. Es gibt eine sehr schöne Gegend im Süden von Griechenland, die aus Sanddünen besteht. Eigentlich ist das ein Umweltschutzgebiet, aber sie wollen es verkaufen damit darauf eine Golfanlage gebaut wird.
Außerdem ist die Bewegung in Chalkidiki gegen den Bau einer Godmine sehr wichtig für uns. Es gibt eine kanadische Firma die ein großes Gebiet zerstören will, was derzeit ein Gebirgswald ist, um Gold abzubauen. Goldminen zerstören die Umwelt bis auf den Grund: Das Wasser würde vergiftet werden, die Luft würde verschmutzen, die Bäume würden gefällt werden und die Gefahren bei einem Unfall sind massiv. Diese Firma zahlt noch nicht mal Steuern in Griechenland. Wir sind sehr aktiv gegen dieses Vorhaben. Die Polizeibrutalität gegen die Bewegung ist unfassbar, weil die Polizei die Interessen der Firma schützt. Die Mehrheit der Dörfer sind in dieser Bewegung aktiv und auch viele Leute aus Chalkidiki.
Diese Bewegung hatte große Hoffnungen in Syriza gesetzt, dass sie diese sogenannte Investition stoppen und die Firma, die sich “Eldorado Gold” nennt, vertreiben würden. Aber das hat Syriza nicht getan. Und einige sind dadurch sehr enttäuscht und haben aufgegeben, aber es gibt immer noch viele die den Kampf weiter führen.
Abschließend, welche Lehren ergeben sich aus der Entwicklung Syrizas und welches Programm schlägt Xekinima vor?
Wir erklären, dass es eine neue Partei der Linken, eine neue Arbeiterpartei, braucht, die demokratisch geführt wird und ein revolutionäres Programm hat. Es reicht nicht aus nur zu sagen, dass wir mit dem Euro brechen müssen und die Schulden nicht bezahlen. Diese zwei Schritte müssen unweigerlich und unmittelbar zu anderen Maßnahmen führen. Sie führen zu Fragen der Verstaatlichung der Banken, um überhaupt Geld zur Verfügung zu haben. Denn, wenn Griechenland aufhört die Schulden zu zahlen, werden die Kapitalisten anfangen die Wirtschaft zu ersticken. Wir müssen die Schlüsselindustrien verstaatlichen und unter Arbeiterkontrolle stellen. Nicht von staatlich eingesetzten Leuten, sondern von demokratisch gewählten Arbeitern geführt und kontrolliert.
Und wir müssen die Wirtschaft planen. Insbesondere muss man beginnen die Landwirtschaft zu planen um die Grundbedürfnisse der griechischen Bevölkerung nach Essen usw. zu bedienen.
All diese Maßnahmen führen zu einem Zusammenstoß mit dem Kapitalismus und führen zu sozialistischen Schlussfolgerungen. Diese Maßnahmen sind die einzige Möglichkeit die griechische Bevölkerung aus der Krise zu führen. Das ist das, was wir vorschlagen und in der Linken und in Bewegungen hinein tragen. Die Abspaltungen von Syriza, außer die „Volkseinheit“ die als Einzige organisiert ist, sind auf der Suche nach Antworten, sie wissen noch nicht, was sie tun wollen. Es gibt neue Gruppen, die aber noch keine Strukturen haben oder sagen können ob sie eine Partei sind oder nicht. Sie sprechen teilweise miteinander und sind im Diskussionsprozess, aber die Situation ist sehr fließend.
Und der Klassenkampf geht weiter. Tsipras wird herausfinden, dass die griechischen Massen seine Lügen nicht fressen werden. Wir bereiten uns auf die nächste Runde vor.