„Kämpfen wie ein Mädchen!“ – Interview zu Frauenkämpfen in Brasilien
Proteste gegen die WM, Gebühren im Nahverkehr, LGBT-Proteste, Streikbewegungen, Schulproteste, Massenbesetzungen und Rätebildung durch landlose Arbeiter, der „Brasilianische Frühling“ 2013 – in Brasilien fanden in den letzten Jahren die größten Massenbewegungen seit Jahrzehnten statt. An den Protesten beteiligten sich besonders viele Frauen. Es entwickelten sich Bewegungen wie „Mulheres em Luta“ (Frauen im Kampf), die den Kampf gegen die Unterdrückung der Frau und gegen den Kapitalismus verbinden.
Auch in der PSOL (Partei Sozialismus und Freiheit) gab es Auseinandersetzungen um die politische Rolle der Frauen, der linke Flügel der Partei erkämpfte eine Frauenkommission, die eng verbunden ist mit den Kämpfen der Frauen auf der Straße. Wir sprachen mit Jane Barros. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der PSOL und der nationalen Frauenkommission der Partei.
Du bist aktiv in der Frauenkommission der PSOL. Was macht diese Kommission?
Dass es die Frauenkommission in der PSOL gibt, war ein Erfolg der Parteilinken. Die jetzige Führung versucht mit allen Mitteln diese Anstrengungen zu deckeln. In der Kommission diskutieren und organisieren wir die Frauenarbeit der PSOL. Wir veröffentlichen Material, aber vor allem greifen wir in Klassenkämpfe ein und bringen uns aktiv in die politische Schulung ein. In dem Zusammenhang spielen wir eine große politische Rolle für die ganze Partei.
Wieso ist eine Frauenkommission in der jetzigen Phase wichtig für die Arbeit der Partei?
In der brasilianischen Gesellschaft ist die Unterdrückung der Frau sehr ausgeprägt. Sexismus und Machismus nehmen brutale Formen an. Alle zwei Stunden wird eine Frau umgebracht. Der Lohnunterschied ist noch höher als in Europa, dazu kommt die rassistische Diskriminierung bei der Bezahlung. Eine schwarze Frau verdient im Durchschnitt siebzig Prozent weniger als ein weißer Mann. Generell haben Frauen mit allen ihren Aufgaben im Job und Zuhause den doppelten oder dreifachen Arbeitstag im Vergleich zu Männern. Ein anderes Beispiel sind die Gewerkschaften. In manchen Gewerkschaften, wie die der Lehrer oder Krankenhausbeschäftigten sind bis zu neunzig Prozent der Mitglieder weiblich. Trotzdem besteht die Führung oftmals nur aus Männern. Auf all das wollen wir politische Antworten geben und dagegen Widerstand organisieren. Dazu gehört auch, ein Bewusstsein unter Frauen dafür zu schaffen, die eigene Unterdrückung nicht mehr als „normal“ zu betrachten, sondern dagegen anzukämpfen.
In Deutschland verbreiten Politik und Medien gerade die fremdenfeindliche Einstellung, Religion und vor allem der Islam und seine spezifischen Eigenschaften seien der Grund für Frauenunterdrückung. Nun ist Brasilien kein muslimisches Land, sondern katholisch …
… tatsächlich ist Brasilien kein hauptsächlich katholisches Land mehr. Die zumeist evangelikalen Pfingstkirchen haben sehr viel Einfluss gewonnen.
Gut, auch diese verstehen sich ja als Vertreter des Christentums. Aber trotzdem: was ist der eigentliche Grund für die Unterdrückung der Frau in Brasilien?
Die Unterdrückung der Frau ist untrennbar verknüpft mit dem Entwicklungsstadium des brasilianischen Kapitalismus. Brasilien ist ein ökonomisch abhängiges und peripheres Land und braucht eine Schicht besonders ausgebeuteter Arbeiterinnen und Arbeiter, um seine Profitrate beizubehalten. Die schwächsten Schichten der Arbeiterklasse werden unter dem Mindestlohn bezahlt und die Frauenunterdrückung wird genutzt, um Frauen in dieser Position zu halten.
Was sind wichtige Kampagnen die ihr in eurer Frauenarbeit gemacht habt?
Eine sehr wichtige Kampagne der PSOL ist der Kampf gegen den Abbau von Krippenplätzen. Außerdem haben wir uns an einer großen landesweiten Kampagne beteiligt um das Recht auf Abtreibung zu verteidigen. Unser Abgeordneter Jean Wyllys hat einen Gesetzentwurf eingebracht, um Abtreibung zu legalisieren. Gerade ist Abtreibung nur in spezifischen Fällen legal, beispielsweise bei Vergewaltigungen. Wir organisieren Proteste wie Straßenblockaden oder beteiligten uns 2015 an den Großprotesten in Sao Paolo, Rio und weiteren Groß- und Provinzhauptstädten, in denen oft über 10.000 Menschen aktiv waren. Das sind die größten Proteste für das Recht auf Abtreibung, die es in Brasilien je gab. Die Kämpfe um das Recht auf Abtreibung tragen zwar auch den Charakter von Verteidigungskämpfen, werden von uns aber offensiv geführt. Wir kämpfen um eine allgemeine Legalisierung und bringen gleichzeitig den Kampf gegen die brasilianische „rape culture“ wieder auf die Tagesordnung.
Neben den Kämpfen um ein allgemeines Abtreibungsrecht – welche Rolle spielen Frauen in sozialen Kämpfen in Brasilien?
Generell stellen sie bei fast jeder Bewegung die Mehrheit der Beteiligten. Aktuell gibt es Auseinandersetzungen an den Sekundarschulen, wo auch vor allem Schülerinnen aktiv sind. Der Slogan der Bewegung ist „Kämpfe wie ein Mädchen“, weil in Brasilien sonst immer nur gesagt wird „Kämpfe wie ein Mann“ oder „Heul’ doch wie ein Mädchen“. Der Slogan ist so populär, dass er von allen Medien aufgegriffen wurde. Die wichtigste Bewegung zur Zeit ist MTSI, die Bewegung der Arbeiter in Obdachlosigkeit. Auch hier sind die Mehrheit der Aktiven selbst in den Führungsstrukturen weiblich.
Generell kann man wirklich von einer Protagonistenrolle der Frauen in den wichtigsten Kämpfen der letzten Jahre sprechen. Das hat nichts damit zu tun, dass Männer in den Hintergrund gedrängt werden, nur werden sich immer mehr Frauen ihrer Rolle in Kämpfen bewusst und gewinnen so Selbstbewusstsein. Ein Kampf für die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft muss immer ein gemeinsamer Kampf von Frauen und Männern sein, aber das ist auch nur möglich wenn Frauen in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen.
Das Interview führte Katharina Doll