„Ein wichtiges Fanal des Aufbruchs“
Interview mit Stephan Gummert und Carsten Becker von ver.di Charité
Am 1. Mai trat der erste Tarifvertrag für Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung an der Charité in Kraft. In vier Jahren Tarifauseinandersetzung mit zwei Tagen Warnstreik und elf Streiktagen hat eine kämpferische ver.di Betriebsgruppe gemeinsam mit Hunderten Kolleg*innen durchgesetzt, was viele nicht für möglich gehalten haben. Während zu Beginn der Auseinandersetzung behauptet wurde, ein solcher Tarifvertrag sei grundgesetzwidrig, haben die Kolleg*innen bewiesen, dass dafür erfolgreich gestreikt werden kann. Der Richter am Berliner Arbeitsgericht stellte klar: „Die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers endet dort, wo der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter beginnt.“
Der Tarifvertrag schreibt Quoten in der Intensivpflege und der Kinderklinik vor und enthält Verbesserungen für Funktionsbereiche und die stationäre Pflege. Durch die Einführung einer Interventionskaskade können Beschäftigte Überlastung anzeigen und Entlastung fordern, bis dahin Bettensperrungen zu erreichen. Das Tarifinfo der ver.di Betriebsgruppe ist hier zu finden: http://www.mehr-krankenhauspersonal.de/1795
Lucy Redler sprach mit Stephan Gummert und Carsten Becker über die Bedeutung des Tarifvertrags und wie es nun weiter geht. Beide sind langjährige Aktivisten der ver.di-Betriebsgruppe und Mitglieder der SAV.
Was ist die politische Bedeutung eines solchen Tarifvertrags in einem Gesundheitssystem, dass von Fallpauschalen und Marktlogik geprägt ist?
Stephan: Das Unbehagen gegenüber der Krankenhausfinanzierung ist in vielen gesellschaftlichen Gruppen groß. Vom Unbehagen zu Wort und Tat zu gelangen scheint aber bisher Privileg der Gewerkschaft zu sein. Die politischen Entscheidungen der Agenda 2010 der Sozialdemokratie machten auch die Krankenhauslandschaft verfügbar für das Kapital.
Mit dem „Dammbruch“ eines ersten Tarifvertrags, der Hand an die tradierten Ausbeutungsprozesse legt, stehen wir zwar erfolgreich da, sind aber zugleich in einer Dilemmasituation. Ein Tarifvertrag bringt das System nicht ins Wanken, sondern zieht nur eine untere Haltelinie ein.
Für viele aktive Gewerkschafterinnen, Gewerkschafter und Beschäftigte im Gesundheitswesen ist aber der Fakt, das ein solcher Vertrag das erste Mal Wirklichkeit wurde, ein wichtiges Fanal des Aufbruchs und könnte somit eine Bewegung entfachen, die das System mittelfristig zur Kurskorrektur zwingt und eine Perspektive für eine erfolgreiche Verteidigung eines Eckpfeilers der öffentlichen Daseinsvorsorge eröffnet. Kurz gesagt: Organisieren lohnt, Widerstand lohnt und ein Streik führt zum Erfolg.
Zum ersten Mal in der Geschichte ist es gelungen, auf den Intensivstationen und in der Kinderklinik feste Quoten einzuführen. Mit welcher Wirkung des Tarifvertrags rechnet ihr in der stationären Pflege und was wird sich bei den Nachtdiensten ändern?
Stephan: In der stationären Pflege wird im Prinzip verbindlich eine Personalbemessung wieder eingeführt, die schon einmal Gesetzesrang hatte. Die Pflegepersonalregelung (PPR) hatte in der Vergangenheit nur noch „Benchmark“charakter und wurde um fünfzehn bis zwanzig Prozent unterschritten, denn es entschied allein das zugewiesene Budget über die Stellenausstattung. Jetzt ist eine Grenze von 90 Prozent der Stellen als unterste Haltelinie eingezogen worden. Zusammen mit Nachtdienststellen und der Berücksichtigung sogenannter Sondertatbestände können Stationen auf dem Papier mit einer bis drei Vollkräften oder der Verbesserung einer ihrer Schichten rechnen. Für die Nachtdienste ist ein Verstärkungskontigent von vierzig Vollkräften verabredet, das nun verteilt gehört. Ich denke die Nachtdienstausstattung könnte ein erstes Konfliktfeld werden. Bei der Mehrausstattung des Pflegepersonals auf Basis dieses Tarifvertrags wird es sich um Fachpersonal handeln. Zuletzt hatte die Charité versucht, sich größere Freiheiten beim Qualifikationsmix zu verhandeln.
Da es der erste Tarifvertrag dieser Art ist, schreibt ihr zu Recht, dass manche Auswirkungen erst im Oktober bilanziert werden können. Ihr habt ein beeindruckendes Netz von TarifberaterInnen aufgebaut. Wie werden diese in die Umsetzung im Rahmen der Laufzeit bis Sommer 2017 einbezogen?
Stephan: Aus leidvoller Erfahrung wissen wir, das Papier in der Charité geduldig ist. Der eigentliche Kampf um die Umsetzung wird jetzt im Betrieb beginnen. In einem ersten Schritt geht es um eine schnelle Wissensvermittlung und die Herstellung effektiver Kommunikationsstrukturen mit den Aufsichtsorganen. Eine Schlüsselrolle wird der etablierte und durch den Streik gewachsene Stamm gewerkschaftlich Aktiver und natürlich die TarifberaterInnen einnehmen. Die zahlreichen Mitglieder des Betriebsgruppenvorstands können wir für diese Arbeit freistellen und die TarifberaterInnen bzw. die ver.di Betriebsgruppe werden einmal im Monat große offene Versammlungen an den Campi und einmal im Quartal eine Charité-weite Großversammlung durchführen, um mit unseren VertreterInnen im Gesundheitsausschuss über die jeweiligen Umsetzungsstände zu diskutieren. Der Prozess muss ein offener und partizipativer bleiben, ansonsten lässt sich der Tarifvertrag nicht mit Leben füllen.
Welche Rolle haben politische Bündnispartner in dem Prozess gespielt?
Carsten: Ich versuche mal kurz zu Antworten, obwohl dies eigentlich einer eigenen Broschüre bedarf. Grundsätzlich ist es ja wichtig, für Arbeitskämpfe im Öffentlichen Dienst Unterstützung in der Bevölkerung zu haben. Wir hatten daher auch schon in unseren vorigen Arbeitskämpfen solidarische Unterstützung “von außen”, um dieses sicher zustellen. Die SAV hatte sich da ja schon seit 2006 hilfreich zur Verfügung gestellt.
Für unsere Tarifauseinandersetzung zur Mindestbesetzung haben wir dann aber mehr gemacht. Das Aktionsbündnis “Berlinerinnen und Berliner für mehr Krankenhauspersonal“ ist aber eine qualitativ neue und eigenständige Struktur. Es wäre schade, wenn ich hier jemanden vergessen würde, weil das Bündnis in der Tat sehr breit aufgestellt ist bis hin zu Selbsthilfegruppen von PatientInnen. Für linke Aktivisten sehe ich hier aber einen Hoffnungsschimmer wegen der guten und erfolgreichen Zusammenarbeit von SAV, Marx21 und Interventionistischer Linken, wie hier eine betriebliche Auseinandersetzung gemeinsam und aktivierend in die Stadt und darüber hinaus getragen wurde und wird. Und angesichts der nun laufenden Auseinandersetzung bei Vivantes kann und sollte dies ja auch erfolgreich weitergeführt werden. Die Streikuni, also politische Bildung im Streiklokal und die Pressekonferenz mit PatientInnen und Angehörigen sind allein zwei Elemente, die Schule machen sollten. Und ganz pragmatisch: Die Betriebsgruppe hätte das auch alles gar nicht alleine leisten können.
Der Bundestagsfraktion der LINKEN gebührt ein extra dickes Danke. Nicht nur, dass sie den ersten Gesetzesentwurf zur Personalbemessung ins Parlament gebracht hat, aber auch besonders, dass wir durch sie über den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages eine Bestätigung erhielten, dass unsere Forderungen nach einem Tarifvertrag nicht gegen das Grundgesetz verstößt und sie hierzu auch ein Hearing und anderes organisierte. Der emotionale Höhepunkt für viele Streikende war, auch für die Sozialdemokraten unter ihnen, als wir auf unserer Demonstration an den Abgeordnetenbüros vorbei zum Brandenburger Tor von den Abgeordneten und MitarbeiterInnen der LINKEN an den Fenstern mit einem riesigen Transparent “Mehr von euch ist besser für uns alle” begrüßt und beklatscht wurden. Ja, diese Tarifbewegung ist eine politische. Und diese Zusammenarbeit mit allen AkteurInnen zeigt, dass sie ernst und laut aber auch bunt und vielfältig sein und trotz der Anstrengung und des ernsten Hintergrundes auch Spaß machen kann. Ein Appell an alle, sich für linke Politik zu begeistern!
ver.di bundesweit setzt auf den Weg, Personalmindestbesetzungsregelungen gesetzlich zu erstreiten. ver.di Charité hat immer darauf gesetzt, durch einen tariflichen Kampf einen Flächenbrand auszulösen, der dann auch den Druck für gesetzliche Regelungen erhöht. Eure Strategie kann jetzt als richtig bilanziert werden. Welche Aufgaben kommen nun auf ver.di bundesweit zu und wie hat euer Kampf die Diskussion innerhalb des Fachbereichs verändert?
Carsten: Es ist klar und selbstverständlich, dass wir eine gesetzliche Personalbemessung für die Krankenhäuser brauchen, die auch ausfinanziert ist. Das ist ein dickes Brett. Ich glaube in Kalifornien hat dies zum Beispiel zehn Jahre gedauert. Da muss erst einmal festgehalten werden, wie weit wir hier jetzt schon als ver.di sind. Ganz unbescheiden sehe ich hier ver.di als die entscheidende Stimme. Das haben weder Pflegeverbände noch die sogenannte „pflegekammer-bewegung“ geschafft. ver.di hat bundesweit mit dem Nachtdienstcheck und den Aktivitäten zu den fehlenden 162.000 Stellen klar die Marker gesetzt und ist nun auch in der Expertenkommission vom Bundesgesundheitsministerium vertreten. Die gesetzliche, ausfinanzierte, Personalbemessung ist bei der Politik in den Bundesländern und im Bund auf dem Tisch und ver.di wird keine Ruhe geben, bis wir dieses Gesetz haben. Wir an der Charité wollten aber nicht auf eine gesetzliche Regelung warten, denn angesichts der Politik der etablierten Parteien war uns bewusst, dass nur großer Druck von unten diese zu einer solchen Regelung zwingen kann und dass das dauern kann. Wir waren einerseits selbstbewusst, in unserem Betrieb etwas erkämpfen zu können und gleichzeitig davon überzeugt, dass betriebliche Kämpfe für Tarifverträge den Druck für ein Gesetz zur Personalbemessung nur erhöhen können. Dass also genau diese beiden Aktivitäten zusammen uns erfolgreich werden lassen. Als wir unseren Kampf 2012 begannen, war das innerhalb von ver.di noch umstritten und viele waren von unserem Weg nicht überzeugt. Wir hätten uns auch an einigen Stellen mehr Unterstützung aus der Führung der Organisation gewünscht. Daher bin ich sehr froh, wie viele KollegInnen und Kollegen bei Vivantes, im Saarland, in Hamburg, in Bayern und und und… sich mittlerweile für Entlastung durch Tarif auf den Weg machen. Wir sind hier auf dem Weg zu einem Flächenbrand. Natürlich wäre es schöner, wenn all dieses viel früher gemeinsam begonnen hätte. Aber: hätte, hätte Fahrradkette. Im Ernst, wir dürfen nicht vergessen, dass als wir mit unserem Tarifkampf schon längst begonnen hatten, wir eine Debatte zur Neuausrichtung der Kampagne „Der Druck muss raus“ im Fachbereich hatten. Die war ja auch bitter nötig, nicht nur aus unserer Sicht an der Charité. In dieser Debatte kam zum tragen, dass wir leider nicht in allen Krankenhäusern so durchsetzungsfähig sind, wie man sich das als Gewerkschafter wünscht und das sicherlich auch zu lange ein künstlicher Widerspruch von einigen gesehen wurde zwischen unserer Tarifbewegung und dem Kampf für eine gesetzliche Personalbemessung. Die Durchsetzungsfähigkeit können wir aber nur im Kampf steigern, das ist sicher auch eine Lehre aus den Streiks und Tarifkämpfen an der Charité in den letzten zehn Jahren. Auch sind wir sehr stolz, dass wir mit unserem Streikkonzept und auch mit unserem TarifberaterInnen-Konzept, neue und effektive Instrumente unseren Schwestern und Brüdern in den anderen Krankenhäusern zur Verfügung stellen können. Das Streikkonzept ist sicherlich krankenhausspezifisch, unser TarifberaterInnen-Konzept aber deutlich universeller. Unsere Erfahrung aber auch die frischen Erfahrungen andernorts haben gezeigt, wir können dadurch ganz neue Schichten von Beschäftigten erreichen und für gewerkschaftliche Aktivitäten begeistern.
Text des SAV-Flugblatts an die Charité-KollegInnen
Link zum Flugblatt an die Charité-KollegInnen: [wpfilebase tag=file id=2064 tpl=simple /]
Link zu einer Fassung des Flugblatts zur bundesweiten Verteilung: [wpfilebase tag=file id=2065 tpl=simple /]
Ihr seid Helden!
… und wir gratulieren zum Tarifvertrag
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Charité,
wir gratulieren Euch zur Erkämpfung des ersten Tarifvertrags über Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung in einem Krankenhaus! Ihr habt in einer schwierigen vier Jahre dauernden Auseinandersetzung Durchhaltevermögen gezeigt und bewiesen: wer kämpft, kann etwas erreichen!
Wir von der Sozialistischen Alternative haben in diesen vier Jahren (wie auch schon bei den Streiks 2006 und 2011) Euren Kampf auf vielen Ebenen unterstützt: durch unsere aktiven Mitglieder in der ver.di-Betriebsgruppe, im Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“, in der Gewerkschaft ver.di und der Partei DIE LINKE, durch Berichterstattung in unserer Zeitung „Solidarität“ und auf unserer Webseite sozialismus.info. Wir sind froh und stolz, dass wir diesen Kampf mit Euch zusammen führen und zu einem Erfolg machen konnten.
Historischer Erfolg
Dieser Tarifvertrag hat nicht nur eine Bedeutung für Eure Arbeitsbedingungen und für den Patientenschutz an der Charité. Ihr habt eine Vorreiterrolle übernommen und für Beschäftigte in Krankenhäusern in der ganzen Republik, aber auch im Ausland, mehr als nur ein Zeichen gesetzt. Ihr habt bewiesen, dass Streiks in der Pflege nicht nur möglich sind, sondern dass sie nötig sind, weil unerträgliche Arbeitsbedingungen bestehen, die die Gesundheit und das Leben von Beschäftigten und PatientInnen gefährden. Es ist Euch gelungen das Tarifrecht und die Streikmöglichkeiten im Krankenhaus auszuweiten. Euer Schlachtruf „Mehr von uns ist besser für Alle“ hat all das auf den Punkt gebracht und wurde von Krankenhaus-KollegInnen in ganz Deutschland aufgegriffen.
Ihr habt auch gezeigt: Ihr hattet einen langen Atem, aber Eure Geduld war am Ende! Wenn Arbeitsbedingungen unerträglich geworden sind, kann und darf man nicht auf die Versprechen von PolitikerInnen setzen, durch gesetzliche Regelungen Abhilfe zu schaffen. Man muss den Kampf aufnehmen und Druck machen. Dieser Druck wird auch helfen, eine gesetzliche Regelung zu erstreiten. Der Kampf für einen Tarifvertrag und für eine gesetzliche Mindestpersonalbemessung waren und sind kein Widerspruch.
Ihr habt den Staffelstab nun weiter gereicht an KollegInnen im Saarland, in Hamburg, bei Vivantes und weiteren Krankenhäusern. Es ist an der Zeit, dass ver.di den Kampf für mehr Personal bundesweit koordiniert nach Eurem Beispiel führt und zu einer Top-Priorität macht. Die Krankenhausstreiks im Rahmen der Tarifrunde Bund und Kommunen haben gezeigt, dass eine neue Bewegung in der Entstehung begriffen ist, die die Unterstützung aller GewerkschafterInnen verdient. Und: durch Streiks werden Belegschaften aktiviert, organisiert und die Gewerkschaft gestärkt. Durch Eure Streiks ist Euch gelungen Teile der Kolleginnen und Kollegen zu mobilisieren, die davor nicht mobilisiert worden waren. Das muss die Marschrichtung für die Zukunft sein!
Ihr habt auch neue Standards für die demokratische Organisierung von Arbeitskämpfen und die Einbeziehung der Belegschaft gesetzt: die Schaffung und Ermächtigung der TarifberaterInnen und dadurch die Aktivierung und Motivierung vieler KollegInnen, die Selbstverpflichtung der Tarifkommission, nicht gegen das Votum der TarifberaterInnen zu handeln, die Durchführung von Streikversammlungen und Diskussionsmöglichkeiten für die Streikenden, die Streik-Universität usw. sind wichtige Schritte bei der notwendigen Demokratisierung von Arbeitskämpfen unserer Gewerkschaften.
Rein in ver.di!
Ihr konntet nicht alle Eure Forderungen durchsetzen. Wir teilen die Einschätzung, dass nach vier Jahren Auseinandersetzung und der durch die Verzögerungstaktik der Arbeitgeber nach dem Streik im Sommer letzten Jahres entstandenen Situation, wahrscheinlich nicht mehr hätte erreicht werden können. Das hängt auch damit zusammen, dass Ihr als eine Belegschaft in einem Krankenhaus den Kampf alleine führen musstet. Ohne die engagierte und kämpferische ver.di-Betriebsgruppe wäre das unmöglich gewesen. Wenn die bundesweite ver.di-Spitze von Anfang an genauso mutig, kämpferisch und engagiert gehandelt hätte, könnte das Ergebnis heute noch besser aussehen. Die Schlussfolgerung daraus sollte unserer Meinung nach sein: rein in ver.di! Die Betriebsgruppe stärken und sich in der Gewerkschaft für einen kämpferischen und demokratischen Kurs einsetzen.
„Hoffentlich nehmen sich viele Beschäftigte an den Charité Streikenden ein Beispiel und kämpfen dafür, dass Menschen wichtiger sind als Profite.“ Lucy Redler, aktiv im Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ und SAV-Bundessprecherin
Zweifellos beinhaltet der Tarifvertrag wichtige Verbesserungen bzw. die Möglichkeit Verbesserungen im Rahmen der Umsetzung des Tarifvertrags zu erreichen. Der politisch wichtigste Erfolg ist die Anerkennung, dass die Situation der Beschäftigten untragbar geworden ist! Erinnern wir uns: Professor Frei hat noch im letzten Jahr behauptet, die Lage für Euch sei nicht schlecht! Nun springen all diejenigen auf den von Euch in Bewegung gesetzten Zug, die für die schlechten Arbeitsbedingungen mitverantwortlich sind – u.a. Regierungspolitiker aus SPD und CDU – und sagen, der Tarifvertrag sei richtig und wichtig. Warum bitteschön musstet Ihr dann vier Jahre gegen alle möglichen Widerstände darum kämpfen???
Mitmach-Tarifvertrag
Es ist ein Erfolg, dass feste Quoten für den Intensivbereich und die Kinderklinik durchgesetzt wurden. Es ist ein Erfolg, dass weitgehende Überlastungsindizien festgeschrieben wurden, die Euch nun die Möglichkeit geben werden, gegen Arbeitsüberlastung vorzugehen. Das wird Eure aktive Mitarbeit voraussetzen. Ohne Überlastungsanzeigen und das Ingangsetzen der so genannten „Interventionskaskade“ wird der Tarifvertrag keine Wirkung entfalten können. Es ist ein Mitmach-Tarifvertrag, der Euer Engagement voraussetzt. Ob diese „Interventionskaskade“ ausreicht, um auf Überlastungen effektiv zu reagieren wird sich in der Umsetzung herausstellen. Auch das bedarf der offenen und kritischen Debatte unter den Beschäftigten, die ja auch von der ver.di-Betriebsgruppe durch die Durchführung regelmäßiger Versammlungen organisiert werden soll.
Wie die ver.di-Betriebsgruppe selber schreibt, sind die Regelungen für die stationäre Pflege ein „deutlicher Kompromiss“. Es ist gut, dass hier nichts schön geredet wird, sondern die ver.di-Betriebsgruppe offen und ehrlich kommuniziert, was das Ergebnis ist. Gleichzeitig haben TarifberaterInnen und Betriebsgruppe bewiesen, dass sie nicht zu faulen Kompromissen bereit waren, nur um einen Tarifvertrag um jeden Preis abzuschließen – als sie den von Arbeitgeberseite vor einigen Wochen plötzlich geforderten so genannten „Skill-Mix“ zurückwiesen und standhaft geblieben sind. Die Kappungsgrenze für den Anteil der nichtexaminierten Berufs- und Beschäftigtengruppen auf acht Prozent in der stationären Krankenpflege ist im Vergleich zur Situation in anderen, vor allem privatisierten Häusern, vertretbar. Sollte der Arbeitgeber nun aber versuchen, die Situation auf einzelnen Stationen durch eine deutliche Erhöhung dieser Quote zu verschlechtern, muss dem entschlossen und gemeinsam Widerstand entgegen gesetzt werden.
Solidarität mit den CFM-KollegInnen
Immer noch gibt es keinen Tarifvertrag beim Charité Facility Management (CFM). Immer noch müssen dort viele Kolleginnen und Kollegen zu Niedriglöhnen arbeiten, gibt es extrem viele befristete Arbeitsverhältnisse und miese Arbeitsbedingungen. ver.di fordert seit Jahren einen Tarifvertrag – aber einen Tarifvertrag, der die Löhne und Arbeitsbedingungen verbessert!
Wir rufen Euch auf: Unterstützt Eure KollegInnen der CFM bei ihrer Auseinandersetzung. Eine Charité – eine Belegschaft! Die SAV fordert die Rücknahme der Teilprivatisierung und die Wiedereingliederung der CFM in die Charité. Ausgliederungen und Spaltungen von Belegschaften helfen nur den Arbeitgebern und schwächen die Kampfkraft der Beschäftigten.
Der Kampf geht weiter!
All das muss bedeuten: der Kampf geht weiter! Wenn es Euch gelingt die Gewerkschaft im Betrieb zu stärken, wenn mehr KollegInnen sich organisieren und aktiv werden, dann wird in Zukunft der Kampf für weitere Verbesserungen wieder aufgenommen werden können. Und vergesst nicht, was Carsten Becker auf einer der Streikversammlungen sagte: Das ist ein Tarifvertrag über Mindestbesetzungen. Hier wurde festgeschrieben, was das absolute Minimum sein muss. Das bedeutet nicht, dass die Situation dadurch gut ist.
Also: bleibt wütend, kritisch und widerständig!
Dass das so ist hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es Euch natürlich nicht möglich war, im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung in einem Krankenhaus das eigentliche Problem anzugehen: die Durchökonomisierung des Gesundheitswesens nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, Fallpauschalen-System und Privatisierungen. Euer Tarifvertrag hat natürlich auch nur im Rahmen der bestehenden Strukturen der Charité Handlungsmöglichkeiten eröffnen können. Der Gesundheitsausschuss ist ein Erfolg, aber seine paritätische Besetzung gibt dem Arbeitgeber durchaus die Möglichkeit zur Blockade. Um dies zu verhindern, wird auch Druck aus der Belegschaft und Unterstützung der ver.di-VertreterInnen im Gesundheitsausschuss durch Euch nötig sein. Solange Krankenhausleitungen nicht demokratisch durch Beschäftigte, Patientenverbände und Gewerkschaften gewählt werden, solange es keine Rückführung der privatisierten Bereiche in öffentliches Eigentum und eine auskömmliche Finanzierung des Gesundheitswesens auf Basis der Bedürfnisse von Beschäftigten und PatientInnen gibt, werden die Zustände auch nicht wirklich gut werden können!
Politische Veränderung nötig
Solche notwendigen Veränderungen werden nicht durch eine Belegschaft alleine durchgesetzt werden können. Dazu ist eine bundesweite Bewegung aller Krankenhausbeschäftigten, ja aller Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften nötig, denn alle sind potenzielle PatientInnen. Dazu sind aber auch gesellschaftliche, politische Veränderungen nötig. Solange Politik im Interesse der Reichen und Superreichen, der Banken und Konzerne gemacht wird, wird es auch kein bedarfsgerechtes Gesundheitswesen geben.
Euren langen Atem müsst Ihr also behalten und diesen brauchen Lohnabhängige und Erwerbslose insgesamt. Wenn wir aber als solche zusammen stehen, uns organisieren, auf die Straße gehen, streiken und Gegenwehr organisieren, dann können wir auch etwas erreichen. Das habt Ihr bewiesen!
„Nach dem Streik ist vor dem Streik. Die Krankenhäuser gehören uns allen!“ Stephan Gummert, Streikaktivist, ver.di Betriebsgruppenvorstand* und SAV-Mitglied
Wir brauchen eine andere Politik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung. Wir brauchen kämpferische Gewerkschaften und eine Massenpartei, die für diese Interessen konsequent kämpfen. Das wird uns in Konflikt mit den Reichen und Mächtigen bringen, die dieses kapitalistische System unter allen Umständen aufrecht erhalten wollen, weil sie dadurch reich und mächtig werden. Wir können uns aber dieses System nicht mehr leisten: es macht uns krank, es zerstört die Umwelt, es führt zu Kriegen und Krisen. In vielen Ländern der Welt haben diese Krisen und Kriege zu Bewegungen von unten und zu neuen Debatten über Alternativen zum Kapitalismus geführt. In den USA hat der demokratische Sozialist Bernie Sanders den Präsidentschaftswahlkampf aufgemischt, in Großbritannien hat der Sozialist Jeremy Corbyn die Wahl zum Labour-Vorsitz gewonnen. In beiden Ländern haben sich Zehntausende aktiviert, um Veränderungen im Interesse von Mensch und Natur zu erkämpfen. So etwas ist auch in Deutschland nötig und es wird sich früher oder später auch entwickeln. Die Massendemonstrationen gegen TTIP sind ein Vorbote davon.
Ihr als Beschäftigte der Charité habt in den letzten Jahren viele Kampferfahrungen gemacht, die in solchen Bewegungen gebraucht werden. Wir rufen Euch auf, aktiv zu werden in der Gewerkschaft, der Partei DIE LINKE, in Bewegungen gegen Umweltzerstörung, TTIP, Rassismus und rechte Gewalt. Wir bieten Euch an, das gemeinsam mit und in der SAV zu machen, die in all diesen Bereichen engagiert ist und sich für entschlossene Kämpfe, gegen faule Kompromisse und für eine antikapitalistische Perspektive einsetzt.