dokumentiert: Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di
Die Rahmenbedingungen dieser Tarifrunde waren günstig für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die öffentlichen Haushalte erzielen massive Überschüsse (Laut Frank Bsirske von 30 Milliarden Euro). Gleichzeitig machen seit Jahren stattfindender Personalabbau, permanent steigende Anforderungen, keine akzeptable Personalbemessung und Personalentwicklung den öffentlichen Dienst nicht gerade attraktiver. Schlechte Bezahlung macht es zunehmend schwerer, qualifiziertes Personal und Nachwuchskräfte zu finden. Diese Erkenntnis hatte sich zum Teil auch schon bei den Arbeitgebern durchgesetzt.
Hohe Streikbereitschaft
Die Beteiligung an den Warnstreiks war gut, wie viele örtliche Berichte zeigten. Der eintägige Ausstand an den Flughäfen, der zu hunderten von Flugausfällen führte, machte deutlich, welches Potenzial da ist, ökonomische Wirkung zu erzielen. Ein großer Fortschritt wurde auch bei den Krankenhäusern erreicht. Hier wurde die von der ver.di Betriebsgruppe Charité entwickelten Streikstrategie von Stations- und Bettenschließungen aufgegriffen, um effektive Streiks zu führen. Die Arbeitgeber versuchten das zu konterkarieren, indem sie sich weigerten, Notdienstvereinbarungen zu unterschreiben. Trotzdem gingen tausende Beschäftigte der Krankenhäuser auf die Straße. Besonders in Hamburg und im Saarland, wo in Anlehnung an den an der Berliner Charité erreichten Tarifvertrag über Gesundheitsschutz und Mindestbesetzungen nun auch Vorbereitungen für Arbeitskämpfe für diese Ziele laufen, gelangen gute Streikmobilisierungen.
Gemeinsam Stärke zeigen
Zudem fanden in diesem Frühjahr zeitgleich mehrere Tarifrunden statt. Für fast 8 Millionen Beschäftigte standen Tarifverhandlungen an, davon allein 3,8 Millionen in der Metallindustrie sowie 2,4 Millionen im öffentlichen Dienst. Dazu kommen Bankbeschäftigte, DruckerInnen, Telekombeschäftigte, BauarbeiterInnen und viele mehr.
Die Forderung nach einer Koordinierung durch zeitgleiche Streiks und gemeinsame Protestkundgebungen wäre ein Weg gewesen, um gemeinsam Stärke zu zeigen und eine tarifpolitische Bewegung zu beginnen, die Umverteilung der letzten 20 Jahre umzukehren. Der Anteil der Löhne und Gehälter am
Volkseinkommen ist in den letzten fünfzehn Jahren von 72 auf 68 Prozent gesunken. Einhundert Milliarden Euro mehr bekämen alle Beschäftigten, wäre die Lohnquote noch auf dem Niveau des Jahres 2000! Damit bot sich die Gelegenheit dieses Jahr deutliche Fortschritte bei der Entgeltentwicklung zu erzielen. Leider wurde mit dem jetzigen Verhandlungergebnis diese Chance vertan.
Zusatzversorgung
Die Arbeitgeber wollten massive Kürzungen bei der Leistung der Zusatzversorgung. Das ist vom Tisch, doch stattdessen gibt es nun – durch die Erhöhung der Zusatzbeiträge für die ArbeitnehmerInnen – eine Kürzung der Entgelte im Erwerbsleben, die bis zu weitere 0,4 Prozent des Monatsentgelts betragen kann (wobei die Arbeitgeber dann ebenfalls mehr einzahlen müssen). In Ostdeutschland steigen die Beiträge bis 2018 auf 4,25 Prozent. Damit werden gerade jüngere Beschäftigte zur Kasse gebeten, die solche Zusatzbeiträge wahrscheinlich die gesamte Berufszeit werden zahlen müssen. Der Vertrag hat eine Laufzeit von zehn Jahren.
Entgeltordnung
Seit Einführung des TVÖD war die Entgeltordnung ein Knackpunkt. Erst 2014 wurde eine Einigung für die Beschäftigten im Bund erzielt, im Bereich des VKA wurde über elf Jahre verhandelt. Für 1088 von 4000 Tätigkeitsmerkmalen wurden neue Bewertungen gefunden. Eine abschließende Bewertung, was dies real bringen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Aber wie es scheint, konnten zumindest in den Bereichen Pflege, Verwaltung und IT Verbesserungen erzielt werden.
Verzicht bei der Jahressonderzahlung
Unnötigerweise hatten ver.di und Arbeitgeber bereits im Vorfeld vereinbart, dass bei Abschluss der EGO die Tarifpartner die Kosten jeweils hälftig kompensieren. Dies wird nun über die Jahressonderzahlung erfolgen: Sie wird drei Jahre lang auf dem Stand von 2015 eingefroren und ab 1. Januar 2017 um 4 Prozentpunkte gekürzt. Im BAT hatten Weihnachts- und Urlaubsgeld noch bis zu 135 Prozent eines Monatsgehalts ausgemacht. Mit der Einführung des TVÖD gab es bereits eine Absenkung dieser Zahlung. Nicht davon zu sprechen, dass alle Beschäftigten in Ostdeutschland weiterhin bis zu einem Viertel weniger erhalten. Auch nach Ende der Laufzeit dieses Tarifvertrags und damit 28 Jahre nach der Wiedervereinigung wird es keine Angleichung geben. Verzichten müssen jetzt alle bei der Jahressonderzahlung, unabhängig davon ob sie an anderer Stelle profitieren.
Auszubildende
Die Vergütungen steigen in zwei Schritten um 35 Euro und 30 Euro (gefordert waren 100 Euro bis 2017) bis 2018, die bisherige Übernahmeregelung wird verlängert. Positiv ist, dass einen Tag mehr Urlaub für Auszubildende gibt (jetzt 29, gefordert waren 30) und ein Lernmittelzuschuss von 50 Euro in jedem Ausbildungsjahr gibt.
Sachgrundlose Befristung
Nirgendwo werden so viele Menschen befristet eingestellt wie im öffentlichen Dienst. Bei Neueinstellungen sind es schon 60 Prozent (Quelle: verdi.de). Klammert man die Beamtinnen und Beamten bei der Betrachtung aus, lag der Befristungsanteil im öffentlichen Dienst 2014 bei 9,3 Prozent, für junge Beschäftigte unter 35 Jahren sogar bei über 20 Prozent. Besonders problematisch ist dabei der rasante Anstieg sachgrundloser Befristungen. Machten diese 2004 noch 17,5 Prozent aller Befristungen aus, waren es 2013 bereits 35,7 Prozent.
Dabei benötigt der öffentliche Diensts mehr denn je mehr Personal, doch sich von Befristung zu Befristung durchhangeln zu müssen, ist für Beschäftigte eine große Belastung. Obwohl die ver.di-Führung die Beendigung der sachgrundlosen Befristung zu einem der wichtigsten tarifpolitischen Ziele erklärt hatte, wurde hier wiederum nichts erreicht. Gerade für eine solche Forderung, die gerade auch für die jüngeren Generationen von entscheidender Bedeutung ist, wäre der volle Einsatz der Kampfkraft notwendig gewesen.
Bewertung
Die Entgelterhöhung von 2,4% rückwirkend ab 1.3.2016 und die weiteren 2,35% ab 1.2.2017 bei einer Laufzeit bis zum 28. Februar 2018 (gefordert waren 6 Prozent über 12 Monate) holt den Rückstand zur Privatwirtschaft nicht grundlegend auf. Momentan ist die Preissteigerung zwar niedrig. Doch wie sie sich in den nächsten zwei Jahren entwickeln wird, kann niemand vorhersagen. Zwar wurde die Kürzung der Leistung bei der Zusatzversorgung verhindert und eine neue Entgeltordnung erzielt, doch dies geht einher mit Kürzungen bei der Nettoauszahlung durch den Verzicht bei Jahressonderzahlung und Zusatzbeiträge. Ob und wer von den Neuregelungen profitiert, ist nicht einschätzbar. Daher empfehlen wir bei der Mitgliederbefragung ab dem 9. Mai mit Nein zu stimmen.
Vernetzung
Noch wichtiger aber ist es, dass sich AktivistInnen, die sich für einen kämpferischen Kurs einsetzen wollen, untereinander vernetzen, um auf den Verlauf und Ausgang zukünftiger Auseinandersetzungen Einfluss zu nehmen. Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ bietet einen Ansatz dazu und lädt zu einem bundesweiten Treffen am 21. Mai in Hannover ein. Außerdem sollte die Konferenz „Erneuerung durch Streik III“ unter dem Motto „Gemeinsam gewinnen“ vom 30.9. bis 2.10.2016 in Frankfurt für weitere Vernetzung genutzt werden.
Ver.di stärken, aber wie?
Beim bundesweiten Treffen vom „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ diskutieren wir zu folgenden Themen:
- Tarifrunde 2016
- Neue Streikformen
- Tarifvertrag zu Gesundheitsschutz und Mindestbesetzung in Krankenhäusern
- Rassismus und AfD im Betrieb stoppen
- TTIP muss weg
Wann: 21. Mai 2016 11 bis 16:30 Uhr
Wo: Freizeitheim Linden, Windheimstr. 4, 30451 Hannover
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