Die Menschheit hat die Erde radikal verändert.
von Jess Spear, Socialist Alternative (CWI in den USA)
Die Menschheit hat die Erde radikal verändert, indem sie die Natur ihrem Überlebens- und Fortschrittskampf immer weiter anpasste. Das Tempo der Veränderung erhöhte sich seit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Klassengesellschaft deutlich und erreichte schon mit der industriellen Revolution eine halsbrecherische Geschwindigkeit, bevor nach dem 2. Weltkrieg die wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte exponentiell zunahmen. Darum mehren sich die Stimmen, die sagen, dass wir in einer neuen geologischen Epoche sind: eine menschenabhängige Ära, das Anthropozän.
Die Menschheit betrat die Bühne der Geschichte vor ungefähr einer Million Jahren, und die moderne Industriegesellschaft, wie wir sie heute kennen, wurde erst vor ca. 50 Jahren aufgebaut – ein Wimpernschlag angesichts der 4,5 Milliarden Jahren langen Geschichte der Erde. Aber auf jeder neuen Stufe unserer Entwicklung haben wir Menschen die Natur verändert, dadurch auch unsere eigene Evolution beeinflusst, und die biologische und soziale Weiterentwicklung ermöglicht. Vom einfachen Landbau über Abbau und Verbrennung fossiler Rohstoffe bis hin zur Entfesselung von Atombomben: unsere Interaktion und Wechselwirkung mit der Natur begann lokal und ist heutzutage global. Die Menschheit hat ohne jeden Zweifel ihre Spuren auf dem Planeten hinterlassen.
Wir können nachvollziehen, wie die Erde mit ihren Kontinenten einst ausgesehen hat, welche die Kontinentaldrift alle 300 bis 500 Millionen Jahre neu kombinierte, und wir wissen, welche Tiere es zu Lande und zu Wasser gab und welche Pflanzen die Oberfläche bedeckten, indem wir ihre chemischen oder physikalischen Spuren entziffern. Und dabei haben wir gelernt, dass unser Planet nie statisch ist. Auf diesem Planeten – also der Erde mit ihren dauerhaft verbundenen Kreisläufen des Energieaustausches zwischen Gestein, Wasser und der Atmosphäre – gab es immer Unruhe, Massensterben und Klimawandel. Die Erdgeschichte ist voll von radikalem Wandel.
Trotzdem schlagen WissenschaftlerInnen jetzt Alarm angesichts der erwiesenen Veränderungsrate, die heute so viel schneller als vor der Existenz der Menschheit ist. KlimaforscherInnen beziehen sich auf den schnellen Anstieg der Treibhausgase, BiologInnen auf die steigende Anzahl aussterbender Arten, OzeanologInnen auf den steigenden Säuregrad der Ozeane, und BodenforscherInnen auf die Auszehrung von Nährstoffen und die Verschlechterung von Anbauflächen, um zu erklären, dass die menschlich-produktive Aktivität das Ökosystem Erde überfordert. Die Anstiegsrate des Kohlenstoffdioxids (CO2) ist anders als alles, was für die letzten mindestens 800.000 Jahren der Erdgeschichte nachgewiesen wurde.
Klimawandel und wirtschaftliche Depression, die miteinander verknüpften Krisen des Kapitalismus, haben zu mehr globalen Aufständen und zur Suche nach Ideen und Strategien geführt, wie unser Elend beendet und das Wohlergehen zukünftiger Generationen gesichert werden kann. Massenbewegungen gegen die Kürzungspolitik zeigen die Weigerung von Arbeiterinnen und Arbeitern, ein System zu akzeptieren, dass zur Befriedigung der 1% ihren Lebensstandard massiv senkt. Aber die große Mehrheit derjenigen, die gegen die herrschende Elite rebellieren, hat noch keine klare Vorstellung davon, was dieses verrottete System ersetzen soll und wie dies erreicht werden kann. Das Zeitfenster für die Abwendung der negativen Konsequenzen des Klimawandels – und Verhinderung zukünftiger Rückfälle – schließt sich in wenigen Jahren, daher ist es von höchster Wichtigkeit, die Arbeiterklasse für eine sozialistische Alternative zu gewinnen. Nur der wissenschaftliche Sozialismus kann die Arbeiterklasse mit einem Programm und einer Strategie bewaffnen, sich im Kampf zu vereinen und die Herrschaft der 1% zu beenden, um den 99% die Macht zu übertragen und schnell einen Plan zur Entwicklung der Gesellschaft in nachhaltiger Art und Weise umzusetzen.
Je höher die Temperatur, desto größer die Probleme
Ein Menschenleben ist relativ kurz. Mit einem Referenzbereich von nur knapp einhundert Jahren ergibt sich auch ein eingeschränkter Blickwinkel auf globale Veränderungen. Zur Vernebelung trägt außerdem die Größe der Erde bei, so dass wir die Effekte der ansteigenden Niveaus von Entwaldung, Gletscherschmelze und massiver Vermüllung der Ozeane nicht bemerken. Der Anstieg der Erdtemperatur um ein Grad Celsius hat keine greifbare Bedeutung für jemanden, der oder die täglich größere Temperaturschwankungen erlebt.
Und obwohl nicht individuell wahrnehmbar, ist es doch eine Tatsache, dass der Abbau und die Verbrennung fossiler Rohstoffe durch die Menschheit die chemische Zusammensetzung unserer Atemluft stark verändert haben – von ursprünglich 280 auf jetzt 400 CO2-Moleküle pro eine Million Luftmoleküle, mehr als jemals in den letzten ca. 25 Millionen Jahren zuvor. Aber auch wenn wir diese radikalen Veränderungen der Erdatmosphäre nicht individuell wahrnehmen können und sich die meisten Menschen in den hochindustrialisierten Ländern nicht bewusst sind, dass die relativ unverschmutzte Natur bei ihnen auf Kosten von verheerenden Umweltschäden in den restlichen Teilen der Welt existiert: Wir nähern uns mit großen Schritten gefährlichen Wendepunkten, nach denen es kein Zurück mehr gibt.
Die Folgen der Verbrennung fossiler Rohstoffe sind seit langem bekannt. Schon 1896 veröffentlichte Svante Arrhenius eine Studie darüber, dass CO2 einen Teil des Sonnenlichts, welches von der Erdoberfläche reflektiert wird, absorbiert und dadurch dessen Austritt aus dem Ökösystem der Erde verhindert – der Treibhauseffekt. Ende der 1950er Jahre begann Charles Keeling, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu messen. Innerhalb weniger Jahre machte er die alarmierende Entdeckung, dass es nicht nur saisonale Schwankungen aufgrund unterschiedlich intensiver pflanzlicher CO2-Absorption und -Abgabe im Jahresverlauf gibt, sondern auch einen großen Anstieg der Gesamtkonzentration des Gases. Die Ceeling-Kurve, die seit 1958 jährlich anhand neuer Messwerte fortgeschrieben wird, gilt als der erste Nachweis, dass die industriellen Aktivitäten der Menschheit die atmosphärische Konzentration der Treibhausgase beeinflussten.
Aber als wichtigster Kanarienvogel im Schacht der Kohlenmine [eine Sicherheitsmaßnahme im Bergbau früherer Zeit, AdÜ] dient die dramatisch schnelle Verringerung der Eisfelder unserer Erde. Als letztes Jahr bekannt wurde, dass der Eisschild der Westantarktis sich destabilisiert hat und in den kommenden Jahrhunderten verschwinden wird, hätte es eine unmittelbare Antwort der führenden Politiker geben müssen. Dieser Eisschild hält genug Wasser, um den Meeresspiegel um 3,3 Meter ansteigen zu lassen! Und sein Verschwinden kann nicht aufgehalten werden – wir können uns nur noch dem Anstieg der Wassermassen anpassen. Dazu kommt die Nachricht, dass auch ein Teil des grönländischen Eisschildes, der das Äquivalent eines halben Meters an Meeresspiegel bindet, schnell schmilzt. Auch das Eisniveau in der Arktischen See hat dramatisch abgenommen, und WissenschaftlerInnen gehen davon aus, dass die Arktis schon Anfang der 2020er Jahre im Sommer eisfrei sein wird.
Die Gletscher und Eisschilde der Erde fungieren als globale Klimaanlage, weil durch ihre Reflektion des Sonnenlichts der Planet kühler gehalten wird. Der Verlust von landbasiertem Eis wird nicht nur den Meeresspiegel ansteigen lassen, was mehr als eine Milliarde Menschen von ihren niedrig gelegenen küstennahen Siedlungsgebieten vertreiben wird – sondern er wird auch das Klima weiter destabilisieren und als Feedbackschleife einer immer stärkeren Erderwärmung wirken: weil das Eis schmilzt, absorbiert die Erdoberfläche mehr Wärme – mehr Eis schmilzt – usw.
Und doch glauben die meisten Menschen immer noch, dass Klimawandel nur heißere Sommer und extremere Wetterkatastrophen bedeutet. Und wir haben ja auch jetzt, im Jahr 2015, die höchsten Temperaturwerte seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Ein-Grad-Marke ist überschritten, d.h. seit dem Beginn der industriellen Revolution ist die globale Durchschnittstemperatur um mehr als 1° Celsius angestiegen. Diese zusätzliche Hitze produziert Hitzewellen, Sturzfluten (extreme Regenfälle mit nachfolgenden Überschwemmungen) und andere tödliche Wetterereignisse, wodurch wir gezwungen werden anzuerkennen, dass der Klimawandel keine rein akademische Diskussion über Auswirkungen auf zukünftige Generationen ist – sondern in unserer Gegenwart stattfindet.
Im Jahr 2003 sind geschätzt 70.000 Menschen der Hitzewelle in Europa zum Opfer gefallen. Seit den 1960er Jahren hat sich die Anzahl extremer Wetterereignisse mehr als verdreifacht und geschätzt 60.000 Menschen getötet, meist in den neokolonialen Ländern. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass ohne Gegen- und Schutzmaßnahmen eine Viertelmillion Menschen mehr in den Jahren 2030-50 durch den Klimawandel sterben werden.
Was die Aussichten für unser zukünftiges Klima anbetrifft, ist es wichtig zu bedenken, dass all diese Klima- und Wetterprobleme von einem geringen globalen Temperaturanstieg herrühren. Nur ein Grad Celsius. Und jetzt stellt euch vor, welche Auswirkungen ein weiterer Grad Anstieg auf uns Menschen, unsere Umwelt und das Biosystem Erde insgesamt haben wird – denn solch ein Anstieg erwartet uns den WissenschaftlerInnen zufolge bis zum Ende dieses Jahrhunderts, wenn wir à la „business as usual“ weitermachen wie bisher.
Willkommen im Anthropozän
Die Beeinflussung unseres Planeten durch menschliche Aktivitäten – von den obersten Schichten der Erdatmosphäre bis zu den tiefsten Meeresgräben – ist so umfassend, dass mehr und mehr WissenschaftlerInnen, die die Geschichte des Biosystems Erde untersuchen, intensiv darüber debattieren, ob wir in eine neue geologische Epoche eingetreten sind: das Anthropozän (anthropo – menschlich, zän – neu); vielleicht sind wir seit Jahrhunderten in dieser Epoche und haben es nur bisher nicht bemerkt.
Der Vorschlag einer neuen Epoche ist keine bloße Namensgebung auf der geologischen Zeitskala der Erde, der die 4,5 Milliarden Jahre von der Entstehung des Sonnensystems bis zur Jetztzeit umfasst. Denn diese Skala selbst ist viel mehr als eine Auflistung von Daten und Namen, nämlich auch ein Werkzeug für die Messung und das Verständnis von Veränderungen, die unser Planet seit seiner Geburt durchmacht. Die Äras, Perioden und Epochen, in die die Zeitskala eingeteilt ist, markieren bedeutende Veränderungen, die jeweils den ganzen Planeten betreffen. Das Anthropozän als neue Epoche anzuerkennen bedeutet, eine Einschätzung abzugeben, ob der menschliche Einfluss abrupt, messbar global, und unbestreitbar anders ist als in der vorherigen Epoche, dem Holozän. Anders gefragt: Haben menschliche Aktivitäten das Ökosystem Erde so sehr beeinflusst, dass dies sich in Gestein, Wasser und der Atmosphäre widerspiegelt und zukünftige WissenschaftlerInnen es dementsprechend feststellen werden?
Es gibt unterschiedliche Vorschläge darüber, wann das Anthropozän auf der geologischen Zeitskala beginnen sollte. Die derzeit diskutierten drei Daten – entweder vor 8.000 Jahren oder zur Zeit der industriellen Revolution oder 1945 – markieren Punkte auf dem Entwicklungspfad der Zivilisation, während denen die Menschheit zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse neue Methoden zur Veränderung der Natur entdeckte und anwandte.
Einige argumentieren mit der systematischen Abholzung von Wäldern und dem Reisanbau, welche beide vor ca. 8.000 Jahren begonnen und die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre veränderten. Andere argumentieren, dass das Anthropozän erst wirklich mit dem Beginn der industriellen Revolution einsetzte, als die verallgemeinerte Nutzung fossiler Brennstoffe begann, die Erdkreisläufe aus dem Gleichgewicht zu bringen und die Effekte hervorzurufen, die wir heute und in der Zukunft erleben. Und das dritte vorgeschlagene Datum bezieht sich auf den Beginn der Atombombenversuche 1945 („Trinity Test“), setzt aber nicht bei den Effekten der Tests selbst an – obwohl wir nicht vergessen sollten, dass WissenschaftlerInnen vor den Gefahren eines „atomaren Winters“ im Falle eines Atomkriegs warnten –, sondern beim global spür- und messbaren Fingerabdruck, den Atombomben hinterlassen; zudem markieren die Atombombenversuche den Aufstieg des US-amerikanischen Kapitalismus’ zu einer beispiellosen Expansionsperiode.
Aber im Gegensatz zu vorherigen Änderungen der geologischen Zeitskala hätten die aktuellen Vorschläge politische und soziale Konsequenzen. Dass die Vorschläge aus der Wissenschaft zur Benennung der neuen Epoche auf die vom Menschen gemachten Veränderungen abstellen, haben viele UmweltaktivistInnen zurecht als Beweis genommen, dass wir unseren Planeten in der Tat radikal verändern.
Die Antworten der Linken waren bisher eine Mischung aus Verwirrung und Verschmelzung der wissenschaftlichen Debatte mit der vorhersehbaren politischen Antwort. Manche AntikapitalistInnen kritisieren den Namen der neuen Epoche, weil der Fokus auf die Menschheit ihnen zufolge mit sich bringt, dass alle Menschen verantwortlich sind, und so die wirkliche Ursache der schnellen Veränderungen verschleiert – nämlich den Kapitalismus. Andere wiederum, darunter insbesondere Anhänger der „deep green ecology“ [Tiefenökologie, AdÜ], benutzen die Benennung als Beweis dafür, dass die Menschheit weitgehend soziopathisch ist – wie können wir es wagen, eine Epoche nach der Menschheit zu benennen! – und dass in wirklich nicht die Menschen das Problem sind, sondern die Zivilisation.
Beide Argumentationen beruhen auf Miß- oder Unverständnis der Entwicklung der Menschheit und ihrer Zivilisation in der vergangenen Million von Jahren. Eine historisch-materialistische Analyse der menschlichen Geschichte und Vorgeschichte ist hingegen der Schlüssel, der die Tür zu einer nachhaltigen Zukunft der Menschheit entriegeln kann.
Konstanter Wandel
„Die Geschichte kann von zwei Seiten aus betrachtet [und damit] in die Geschichte der Natur und die Geschichte der Menschen aufgeteilt werden. Beide Seiten sind indes nicht zu trennen; solange Menschen existieren, bedingen sich Geschichte der Natur und Geschichte der Menschen gegenseitig“, schrieben Karl Marx und Friedrich Engels 1846 in „Die deutsche Ideologie“. Dahingegen glauben viele UmweltaktivistInnen, dass wir uns nicht in der Natur bewegen können, ohne sie zu beschädigen, weil wir als Menschen getrennt von ihr sind. Dieses Argument wird in dem 1989 erschienenen Buch „Das Ende der Natur“ von Bill McKibben ausgeführt, einem führenden Aktivisten und Gründer von 350.org.
Ähnlich wie Rachel Carsons „Der stumme Frühling“ (1962 erschienen) wird McKibbens Buch als eines der ersten angesehen, die die Menschheit vor den Gefahren der Erderwärmung warnten. Er warnt nicht nur vor der Verschmutzung durch fossile Brennstoffe, sondern argumentiert auch leidenschaftlich, dass der Mensch die Natur zerstört habe und dass „wir das Entscheidende an der Natur – zumindest in der Neuzeit – beendet haben: ihre Trennung von der menschlichen Gesellschaft.“ Wir haben die Chemie der Atmosphäre verändert, schreibt er, und daher gäbe es keinen Ort auf der Erde, an den man reisen könne, ohne auf menschliche Spuren zu treffen.
Aber unsere „Trennung von der Natur“ ist ein jüngeres Phänomen, ein Produkt des Kapitalismus, der die Lohnarbeit mit der gesellschaftlichen Produktion für private Profite verband und so die Menschen von der Erde trennte, auf der sie vorher in Subsistenzwirtschaft arbeiteten. Für die überwältigende Mehrheit der Menschheitsgeschichte waren wir aufs Innigste mit der Erde verbunden, lernten dazu und häuften Wissen über ihre saisonalen Veränderungen an und nahmen sie als natürlichen Teil unserer Existenz wahr – auch wenn uns das Verständnis über viele in ihr ablaufende Prozesse fehlte. Noch Marx erklärte: „Der Mensch lebt von der Natur, heißt: die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um nicht zu sterben.“ Dementsprechend ist die Vorstellung, dass wir von der Natur getrennt sind, eine neue Entwicklung, die Hand in Hand mit dem Kapitalismus ging.
Die Vorstellung, dass die moderne Industriegesellschaft das Problem sei und dass die Lösung in einer Rückkehr zur Subsistenz-Lebensweise liege, ist sowohl zu einfach als auch ahistorisch gedacht. Sie nimmt die moderne Zivilisation aus der Menschheitsgeschichte heraus und misst ihren Einfluss an der angeblich besseren Situation vor ihrem Einsetzen – aber dies gilt nur für die Erde, denn wir Menschen starben damals (also in prähistorischer Zeit) an unzähligen Krankheiten, die heute behandelbar sind oder durch Vorsorgemaßnahmen verhindert werden können.
Darüber hinaus verkennt diese Vorstellung die Tatsache, dass schon in der Vorzeit Menschen die Erde stark verändert haben. Seitdem wir Boote bauen (> 10.000 Jahre) und die Meere befahren – zunächst auf der Suche nach Essen, dann aus imperialistischen Eroberungsmotiven und/oder auf der Suche nach Religionsfreiheit – haben wir teils unwissentlich, teils gezielt andere Spezies von einer Seite der Erde auf die andere gebracht, damit Ökosysteme radikal verändert und so manche Art ausgerottet, während andere in der neuen Umwelt gediehen. Diejenigen WissenschaftlerInnen, welche das früheste Startdatum für das Anthropozän vorschlagen, weisen auf den Beginn der Landwirtschaft am Ende der letzten Eiszeit hin, weil die Menschheit schon dadurch, vor 8.000 Jahren, die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre massiv beeinflusst habe.
Tatsächlich sind wir nicht die erste Spezies, die die Atmosphäre verändert. Um ein extremes Beispiel zu geben: vor ca. 2,7 Billionen Jahren tauchten Cyanobakterien auf, blau-grüne Algen, die ersten Organismen, die Photosynthese betrieben und als deren Abfallprodukt Sauerstoff produzierten. Bevor sie im Zuge ihrer Entwicklung immer mehr Sauerstoff ausstießen, gab es praktisch nichts davon in der Atmosphäre – ohne diese Bakterien würden wir nicht existieren.
In Wechselwirkung mit der Natur zu leben, ohne sie zu verändern, ist unmöglich. Lebende Organismen müssen Stoffe mit dem Ökosystem austauschen und somit ihre Entwicklung und die von anderen beeinflussen. Wie Richard Levins und Richard Lewontin 1985 in „The Dialectical Biologist“ schrieben, „kodeterminieren die Umwelt und der Organismus einander.“ Aber wenn alle Spezies die Natur in gewisser Weise beeinflussen, kommt uns dann die Rolle des ständigen Zerstörers zu, weil die Bevölkerung immer größer wird und immer großflächigere industrielle Aktivität entfaltet?
Sind wir Teil der Natur oder nicht?
Unsere Fähigkeit, den Einfluss und die negativen kurz- und langfristigen Konsequenzen unseres Handels auf den Planeten zu verstehen, und unsere sich daraus ergebenden Entscheidungen, wie wir den Lauf der Geschichte ändern wollen, unterscheidet uns von Cyanobakterien und anderen Organismen. Arbeit ist nicht nur eine Quelle des Reichtums – sondern sie war es auch, die die moderne Menschheit, das bewusste Denken, die bewusste Planung und die Ansammlung von Wissen erschaffen hat.
Das Aufkommen von Werkzeugen und mit ihnen die Weiterentwicklung des menschlichen Geistes, die gesellschaftliche Aktivität des Jagens und die Erschaffung von Sprache führten uns auf den Pfad der Erzeugung von Nahrungsüberschüssen – dem Urgrund der Klassengesellschaft, der Zivilisation und des wissenschaftlichen Verständnisses. Kurz gesagt: die gesamte menschliche Geschichte kann auf die Organisation von Arbeit und Technik und auf die Veränderungen von Kultur, Gesellschaft und Umwelt, die sich daraus ergaben, zurückgeführt werden.
Als der Kapitalismus den Feudalismus ersetzte, begann er den langen Prozess des Einbeziehens immer größerer Teile der Bevölkerung in die Bewegung weg von den Feldern und hinein in die Fabriken und Städte, wodurch sich unsere Vorstellungen über unser Verhältnis zur Natur veränderten. Wir sahen uns nicht länger als ihren Teil, sondern als getrennt von ihr an. Für die KapitalistInnen wurde die Natur zu einer kostenlosen Quelle des Reichtums, die bei geschickter Gestaltung durch menschliche Arbeit riesige Profite für sie produzierte. Für die neue Arbeiterklasse, schon entfremdet von der Natur, bedeuteten das Aufreißen der Erde für Rohstoffe, das Schütten giftiger Abfälle in Flüsse und die rußigen Himmel über den menschlichen Siedlungsgebieten einen Angriff auf die Natur und eine Abwertung einst schöner Gegenden. Unsere Vorstellung in Bezug auf unser Verhältnis zur Natur änderte sich auf jeder Stufe der menschlichen Entwicklung – sei es anläßlich der landwirtschaftlichen oder der industriellen Revolution.
Auf zu einer sozialistischen Zukunft
Wir wollen nicht nur eine Verbesserung der heutigen Gesellschaft, sondern wir wollen eine neue erschaffen“ (Engels, zitiert von John Green 2008 in „A Revolutionary Life“). Die Phase des Kapitalismus, in der er nützlich für die Menschheit war, ist vorbei. Er zerstört die Umwelt, bringt unser Klima durcheinander und liefert über eine Billion Menschen einem langsamem Tod durch Hunger und Mangelernährung aus. Niemand wird argumentieren können, dass ein auf dem Profitmotiv basierendes System Probleme löst, von deren Fortbestehen es abhängt. Der Kapitalismus kann die ökologische Balance nicht wieder herstellen, weil die Natur für ihn keinen Wert hat. Aber darum alle Errungenschaften der modernen Zivilisation, all die Technologien und Ressourcen, in den Müll zu schmeißen – wie es manche mit Verweis auf die Umweltschäden, die jene mit sich bringen, vorschlagen – würde bedeuten, das Potenzial für die Schaffung einer nachhaltigen Zukunft zu ignorieren, das trotz allem auch in diesem System steckt.
Als der Kapitalismus über den Feudalismus triumphierte, befreite er die Wissenschaft aus dem Joch der Religion, die viele Entdeckungen zurückhielt, welche ihre Herrschaft herausgefordert hätten. Die Weiterentwicklung kapitalistischer Techniken hingegen – vergesellschaftete Produktion, Arbeitsteilung und Maschinen – machten größere wissenschaftliche Fortschritte notwendig. Und obwohl kapitalistische Investitionen in Forschung und Entwicklung sich hauptsächlich auf Profitmaximierung versprechende Ergebnisse konzentrieren, kann auch die herrschende Klasse heutzutage nicht alle Entdeckungen zurückhalten, die letztendlich ihre Autorität untergraben. Ob aus Bananenschalen hergestelltes Plastik oder Solarstraßen: auf Umwelt- und soziale Probleme angewandte Wissenschaft untergräbt die Autorität derjenigen, die sagen, fossile Brennstoffe seien unverzichtbar.
Der Kapitalismus entwickelte auch die Kraft, die die Macht hat, die gesamte Menschheit zu befreien: die Arbeiterklasse. Als er die Menschen aus den ländlichen Gegenden vertrieb und in hauptsächlich städtische Lohnarbeit zwang, erschuf er eine Kraft, die das gemeinsame Interesse und Potential hat, ihn zu stürzen und eine Gesellschaft zu erschaffen, die der Mehrheit dient. Überall um uns herum sehen wir arbeitende Menschen aufstehen und Veränderungen verlangen, weil der Kapitalismus nicht nur den Übergang zu erneuerbaren Energien zurückhält, sondern es auch ablehnt, in die Gesellschaft zu investieren.
Das Streben nach Profit bringt jedes Großunternehmen und jede kleinere Firma dazu, um Marktanteile zu kämpfen, das Lohnniveau zu drücken, Sonderleistungen zu kürzen, und mit Bankrott zu drohen, um Steuervorteile zu bekommen. Der Kapitalismus ist nicht mehr in der Lage, genug Reserven aufzubauen, um der Arbeiterklasse einen Teil der Profite abzugeben. Die herrschende globale Elite hat keine Vorstellung davon, wie sie aus der Zwickmühle herauskommen soll, sowohl für Wirtschaftswachstum als auch für die Rückzahlung der Staatsschulden an die Großinvestoren sorgen zu müssen.
Massenbewegungen gegen die Kürzungspolitik haben es von Irland über Spanien bis zur heroischen Arbeiterklasse in Griechenland abgelehnt, sich kampflos in ihr Schicksal zu fügen. Proteste gegen neue Handelsabkommen – die Trans-Pacific Partnership und die Transatlantic Trade and Investment Partnership – zeigen, dass arbeitende Menschen verstehen, dass die Großunternehmen nach Wegen suchen, ihre Herrschaft als Teil des Völkerrechts festzuschreiben, und dabei die Bedürfnisse von Mensch und Umwelt ignorieren.
Ein System zu überwinden, das auf unser aller Ausbeutung beruht, das uns von der Natur getrennt hat und das uns in eine völlig unhaltbare und nicht nachhaltige Zukunft führt, beginnt zuallererst mit einer Zurückweisung seiner Ideen. Wenn wir unser Verständnis dessen begrenzen, was die Menschheit ist, ignorieren, was sie war, und – am wichtigsten – nicht verstehen, wie sie vom einen zum anderen kam, dann weisen wir de facto die Erkenntnis zurück, dass wir uns entwickelt haben und dass wir uns vor allem immer noch weiterentwickeln.
Der Zustand des Planeten während des Anthropozäns ist – ob wir das früheste oder das späteste Anfangsdatum wählen – einer des konstanten Wandels. Unsere Entwicklung von Jägern und Sammlern zur modernen Industriegesellschaft brachte ständige Interaktion und Wechselwirkung mit unserer Umwelt mit sich. Sie formte uns. Wir formten sie. Während dieser Prozesse entwickelten wir unsere Vorstellungen über das, was wir sind, über unsere Umwelt, und über unser gegenseitiges Verhältnis weiter. Die Menschheit hat dank des angesammelten Wissens und der Erfahrungen vergangener Generationen über diesen Zeitraum hinweg auch die Fähigkeit entwickelt, endlich nicht mehr nur überleben, sondern auch leben zu können.
Die enormen Ressourcen, Technologien und Reichtümer könnten zusammen mit der menschlichen Erfindungsgabe genutzt werden, um das unnötige Leiden weltweit zu beenden, den Lebensstandard überall zu heben, und eine globale ökologische Balance zu erreichen. Wenn wir dies verstehen und erfassen und entsprechend handeln, können wir die Kontrolle über die aktuell und zukünftig stattfindenden Veränderungen erlangen. Diese Vision hat das Potenzial, die Arbeiterklasse in ihrer historischen Aufgabe zu vereinen, den Kapitalismus zu überwinden. Wir stehen an einem Abgrund, von dem aus wir entweder ins Leere springen können mit der Hoffnung, dass der Kapitalismus eine Chance sieht, uns ein erst noch zu entwickelndes Sicherheitsnetz profitabel zu verkaufen – oder wir können uns die Werkzeuge, Technologien und Ressourcen aneignen und eine Brücke zu einer sozialistischen Zukunft bauen.