Am 23. Juni wird in Großbritannien abgestimmt.
Für Premierminister David Cameron wird es zunehmend zu einer Schicksalsfrage. Die Geier kreisen über seiner politischen Zukunft. Sollten die Austrittsbefürworter gewinnen, werde er „keine 30 Sekunden überleben,“ so der ehemalige konservative Finanzminister Ken Clarke.
Von Chistian Bunke, Manchester
Europa war immer der größte Spaltpilz innerhalb der konservativen Partei. Über alles andere sind sich die Tories im wesentlichen einig: Gewerkschaften sind zu zerschlagen. ArbeiterInnenfeindliche Diktaturen im Ausland sind zu unterstützen. Alles was der Selbstbereicherung dient ist ok.
Massive Privatisierungen
Doch Großbritannien macht seit Ende des zweiten Weltkrieges eine massive Veränderung durch. Aus einem imperialen Weltreich ist ein Land geworden, dass eher mit lateinamerikanischen Staaten vergleichbar ist. Großbritannien importiert mehr als es ausführt. Die große Mehrheit der Infrastruktur ist längst in ausländischem Besitz. Vornehmste Regierungsaufgabe ist es, im eigenen Land den Boden für den rapide fortschreitenden Ausverkauf zu bereiten.
So sind die Eisenbahnen im Besitz französischer und deutscher staatsnaher Konzerne. Neue Atomkraftwerke sollen von französisch-chinesischen Konsortien gebaut werden. Das staatliche Gesundheitswesen soll an Konzerne aus den USA verkauft werden. Und auch die große Mehrheit der in London tätigen Banken und Versicherungskonzerne stammt aus dem Ausland.
Dem steht die Ideologie der britischen Konservativen entgegen. Man ist eine Partei des Imperiums. Ein Imperium, dass dereinst die Weltmeere beherrscht und ganze Länder unterjocht hat. Heute hängt man militärisch gerade noch so eben an den Rockschößen der USA, während man wirtschaftspolitisch eine Erhöhung von Einfuhrzöllen für Stahl auf EU-Ebene verhindert um chinesische InvestorInnen nicht zu verärgern. Diese Politik hat maßgeblich zu einem Kollaps der britischen Stahlproduktion im Laufe des vergangenen Jahres beigetragen. Jetzt stehen 40.000 Jobs auf dem Spiel.
Wachsender Widerstand
Gleichzeitig wirkt die politische Elite des Landes immer degenerierter. David Cameron ist in die Steuerhinterziehung seiner Familie verstrickt, ohne das dies irgendwelche Folgen hätte. Aber Jugendliche wandern für kleinste Vergehen über Monate ins Gefängnis und Erwerbslosen wird beim kleinsten Fehler ihre ohnehin mickrige Sozialhilfe gekürzt.
Am 16. April demonstrierten über zehntausende Menschen gegen die Regierung, die Ablehnung gegen die von ihr über die letzten Jahre durchgeführten Sparpolitik ist nach wie vor groß. Der Aufstieg von Jeremy Corbyn zum Parteichef der Labour-Partei verdeutlicht die Suche nach Alternativen von einer wachsenden Bevölkerungsschicht.
Cameron führt den Kampf gegen den Brexit im Interesse internationaler Kapitalgruppen. Chinesische Banken wollen London als Sprungbrett nach Europa. Die Deutsche Bank schätzt London als Handelsplatz für europäische Staatsschulden. Beides wäre im Falle eines Brexit gefährdet. Der IWF warnt einstimmig vor schweren internationalen wirtschaftlichen Schäden durch einen Brexit. Und auch Camerons Projekt der Privatisierung des Gesundheitssystems würde dadurch erschwert. Schließlich soll diese durch das derzeit zwischen EU und USA verhandelte TTIP-Abkommen ermöglicht werden.
Spaltung der Konservativen
Doch kleinere Teile des britischen Kapitals sind im Brexit-Lager. Kleine Londoner Hedgefonds sehen Debatten innerhalb der EU über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer als Risiko. Ein anderes Beispiel ist John Longworth, bis vor kurzem Generaldirektor der britischen Handelskammer. Er schrieb in der Tageszeitung Daily Mail einen pro-Brexit Artikel und wurde dafür vom Team um David Cameron aus dem Amt gemobbt.
Die Basis der britischen Tories steht mehrheitlich im Brexit-Lager. Ihr verdankt Cameron seine Wahl zum Parteivorsitzenden im Jahr 2009. Damals, als er noch nicht an einen erfolgreichen Premierministerwahlkampf zu denken wagte und Labour noch fest im Sattel zu sitzen schien, versprach er der Parteimitgliedschaft ein EU-Referendum und einen generell europaskeptischen Kurs.
Deshalb führte er die britischen Konservativen auch aus der Europäischen Volkspartei, dem Bündnis europäischer christdemokratischer Parteien wie der CDU, und gründete eine eigene europäische rechtskonservative Vereinigung. Dahinter steckte reines taktisches Kalkül. Außer dem Recht auf Selbstbereicherung vertritt Cameron keine wesentlichen politischen Inhalte.
Doch Inhalte werden ihm jetzt aufgezwungen. Im Interesse internationaler Banken und Konzerne muss er gegen einen Brexit kämpfen, den große Teile seiner Partei wollen. Das Regierungskabinett ist gespalten, die konservative Parlamentsfraktion ebenfalls. Am meisten Unterstützung erfährt Cameron von KarrieristInnen, die finanziell von der Partei abhängig sind. Andere sind in offener Rebellion. Diese versucht Cameron durch eine geplante Entmachtung der konservativen Ortsverbände einzudämmen. Eine Parteispaltung nach dem EU-Referendum ist durchaus möglich.
Wie immer das Referendum ausgeht, die Monate und Jahre danach werden weitere Instabilität hervorbringen. Stimmt Großbritannien für einen Brexit kommt §50 des Lissabon-Vertrages zur Anwendung. Dann wird mindestens für zwei Jahre über neue Wirtschaftsabkommen zwischen Großbritannien und den EU-Staaten verhandelt. Wolfgang Schäuble hat bereits via Financial Times verkünden lassen, dass er Großbritannien keinen einfachen Ausweg anbieten werde.
Bleibt Großbritannien, wird ein löchriges und widersprüchliches Abkommen zwischen Großbritannien und der EU schlagend, welches aber erst durch einen langwierigen Gesetzgebungsprozess in den verschiedenen Mitgliedsstaaten muss. Dieser kann jederzeit scheitern, sollten etwa Kräfteverhältnisse durch Neuwahlen durcheinandergewirbelt werden.
In dieser Situation stellen sich der britische Gewerkschaftsbund und Labour-Parteichef Jeremy Corbyn gegen einen Brexit und und verschenken so die Chance für eine antikapitalistische Brexitkampagne. Doch einige kämpferische Gewerkschaften wie die Tranportarbeitergewerkschaft RMT wollen eine linke Anti-EU-Kampagne. Die Socialist Party, Schwesterorganisation der SAV in England und Wales, hilft mit eine solche aufzubauen.