Niederlage für China im Inselstreit

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Zum Urteil des Internationalen Schiedsgerichtshof zur Situation im südchinesischen Meer

von www.ChinaWorker.info, dem Internetportal für China und Südostasien des „Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI), dessen Sektion in Deutschland die SAV ist

Am 12. Juli hat der Ständige Schiedsgerichtshof, eine Körperschaft der Vereinten Nationen (UNO) mit Sitz im niederländischen Den Haag, sein Urteil zum Konflikt im südchinesischen Meer verkündet, das sehr zum Vorteil der Philippinen ausgefallen ist, die das Verfahren angestrengt haben. Auch wenn der Gerichtshof keine unmittelbare Entscheidungsbefugnis hat und das Regime in China die Haager Instanz nicht anerkennt, stellt dieses Urteil einen diplomatischen Schlag gegenüber China dar. Schon im Vorfeld hatte Peking angekündigt, eine mögliche Entscheidung ignorieren zu wollen.

Das Gerichtsurteil, das 500 Seiten umfasst, deckt zwar zahlreiche Punkte ab. Im Ergebnis geht es aber darum, dass die territorialen Ansprüche Chinas (die sogenannte „Neun-Striche-Linie“) keine rechtliche Grundlage haben und dass China die Souveränität der Philippinen in den betreffenden Gewässern demnach verletzt hat. Das Gericht verfügte, dass das Abkommen, auf dem seine Entscheidung basiert (es geht um das „Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen“ UNCLOS, das in den 1980er Jahren in Kraft trat und auch von China unterzeichnet wurde), alle historisch begründeten Ansprüche nichtig macht, die das Regime in China im Falle der strittigen Inselgruppen und Seegebiete geltend zu machen versucht.

Auch wenn zum derzeitigen Zeitpunkt noch schwer auszumachen ist, wie die genauen Reaktionen der verschiedenen und miteinander konkurrierenden Mächte aussehen mögen, so wird dieses Urteil in der nächsten Zeit umfassende geopolitische Konsequenzen für Südostasien wie auch für die chinesisch-amerikanischen Beziehungen haben. Vincent Kolo, verantwortlicher Redakteur unseres Internetportals www.chinaworker.info, hat uns seine Sicht der Dinge geschildert.

Wofür steht dieses Gerichtsurteil?

Es steht jedenfalls nicht für eine Lösung des Konflikts, der sich immer weiter zuspitzt und in den letzten Jahren mehr und mehr mit militärischen Mitteln ausgetragen wurde. Selbst wenn es nicht das unmittelbar wahrscheinlichste Szenario ist, so besteht doch die Möglichkeit, dass durch dieses Urteil ein militärisches Kräftemessen verstärkt oder gar ein ausgewachsener Krieg ausgelöst wird. Diese Gerichtsentscheidung gießt nur Öl ins Feuer. Die einzigen, die Grund haben, diesen Richterspruch zu feiern, sind die Waffenexporteure und führende Militärs, die mehr Mittel für ihre Armeen wollen.

Als SozialistInnen haben wir noch nie Vertrauen in die UNO und ihre Organe gesetzt. Die Vereinten Nationen haben noch nie eine größere Krise oder gar einen bewaffneten Konflikt zu lösen vermocht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Dieses Gerichtsurteil ist, als wäre die Büchse der Pandora geöffnet worden, was unvorhersehbare Folgen für alle rivalisierenden Mächte haben kann. Das südchinesische Meer ist mit dem Balkan der 1990er Jahre zu vergleichen – nur auf hoher See. Dort gibt es einander überlappende und heftig miteinander in Konkurrenz stehende Gebietsansprüche, und des besteht die Möglichkeit, dass die Aktion einer der beteiligten Seiten zu unvorhersehbaren Reaktionen führen kann. Es gibt eine Reihe von konkurrierenden Seiten, und es geht nicht allein um den Konflikt zwischen China und den USA.

Wie wird China reagieren?

Das ist eine der Fragen, die man zum gegenwärtigen Zeitpunkt am schwersten beantworten kann. Es ist noch nicht einmal klar, ob die führenden Figuren der Diktatur in China einen entsprechenden Plan haben, da möglicher Weise sogar Xi Jinping und sein Team von der Wucht dieses Urteilsspruchs gegen sie überrascht sein könnten. Während Peking die Entscheidung als bedeutungslos abwinkt, wird China dadurch auf internationaler Ebene diplomatisch weiter isoliert. Demgegenüber stellt es für Chinas Rivalen (vornehmlich die Philippinen, wobei das Urteil auch eine Ermutigung für andere Mächte bedeuten kann) eine enorme diplomatische und propagandistische Stärkung dar. Es handelt sich hierbei zweifellos um einen PR-Sieg für den US-Imperialismus, der ihm – abgesehen davon – hilft, die militärische und ökonomische Initiative in Südostasien zurückzugewinnen. Doch dieser „Sieg“ kann auch wie ein Boomerang zurückkommen.

Peking ist außer sich, und das ist wahrscheinlich noch eine Untertreibung. Auch wenn das Regime meint, das Urteil ignorieren zu können, so handelt es sich hierbei um einen heftigen Schlag ins Gesicht, geradezu um eine Demütigung. Diese hat das Potential, die Macht von Xi Jinping zu unterhöhlen und liefert alle Formen unvorhersehbarer Faktoren, die nötig sind, um einen heftigen Kampf an der Spitze des chinesischen Staats auszulösen. Selbst einige KritikerInnen Pekings werden überrascht gewesen sein, wie eindeutig diese Entscheidung gegen das Regime ausgefallen ist. Viele haben zwar erwartet, dass das Gericht nicht im Sinne Chinas urteilen würde. Man ist aber davon davon ausgegangen, dass dies mit mehr Abwägung oder einfach schwammiger vonstatten gehen würde. Stattdessen hat das Urteil nun die Interessen Pekings schwer beschädigt. Ein Kommentator äußerte, dass es sich hierbei um den schwersten diplomatischen Rückschlag für das chinesische Regime seit 1989 und den Sanktionen handeln würde, die kurz nach dem Massaker vom Tiananmen Platz auferlegt worden sind. Das Wirtschaftsmagazin „The Economist“, das ebenfalls davon ausgeht, dass das Urteil die Spannungen verstärken wird, nennt es „den größten Rückschlag bisher für die Versuche Chinas, den amerikanischen Einfluss in Südostasien zurückzudrängen“.

Welche Auswirkungen wird das auf Chinas Innenpolitik haben?

Xi riskiert, als schwacher und unentschlossener Führer wahrgenommen zu werden, sollte er gar nicht darauf reagieren. Das würde vier Jahre zunichte machen, in denen er einiges investiert hat, um von sich selbst das Image des „starken Mannes“ zu kultivieren. Dieses Image ist wiederum entscheidend für sein politisches Ziel, die Wirtschaft und die Machtverhältnisse an der Spitze der Partei umzukrempeln. Er hat den Nationalismus angestachelt und könnte nun zum Opfer seiner eigenen „groß-chinesischen“ Propaganda werden.

In den sozialen Medien Chinas breiten sich Posts wie ein Lauffeuer aus, in denen zerschlagene iPhones zu sehen sind und die Boykott-Aufrufe gegen „Apple“-Produkte (die in chinesischen Fabriken hergestellt werden!) enthalten. Xi will keine Proteste auf der Straße. Im Vergleich zu seinen Vorgängern, die aus taktischen Gründen manchmal zu Protesten animiert und den Massen erlaubt haben, Druck abzulassen (wie beispielsweise 2012 gegen Japan), handelt es sich bei Xi eher um eine Art „Kontroll-Freak“. Wenn es in der kommenden Phase in China doch zu derartigen Protesten kommen wird, dann wäre dies eher ein Zeichen dafür, dass das Regime in eine zunehmend verzweifelte Lage gerät und sich die Krise an der Spitze der Partei zuspitzt.

Von daher kann das Haager Urteil massive Folgen auch innerhalb Chinas nach sich ziehen. Es übt auf jeden Fall größeren Druck auf Xi und seine Verbündeten aus, irgendwie reagieren zu müssen. In Hong Kong könnte die Stimmung unter den jungen Leuten, die sich gegen die dortige Regierung und sogar gegen China richtet, neuen Schwung bekommen, sollte die chinesische Diktatur sich als „Papertiger“ entpuppen, der im Fall des südchinesischen Meeres nicht in der Lage ist „angemessen“ zu reagieren. Und was für Hong Kong gilt, trifft auch auf Tibet, Xinjiang und andere Regionen zu, in denen die Herrschaft Pekings reichlich unbeliebt ist.

Für Taiwan, wo gerade erst die DPP an die Regierung gekommen ist, ist noch schwieriger zu sagen, welche Folgen möglich sind. Schließlich hat Taiwan als „Republik China auf Taiwan“ (ROC) seine ganz eigenen historischen Ansprüche im südchinesischen Meer, ähnlich denen Chinas. Die Entscheidung des Internationalen Schiedsgerichtshofs nun weist auch diese Gebietsansprüche zurück und bringt Tsai Ing-wen, die neue Präsidentin, in eine ausweglose Situation. Wenn sie nicht energisch genug darauf reagiert, macht sie sich von Seiten der Oppositionspartei Kuomintang und der „ROC-Nationalisten“ angreifbar, die ihr dann vorwerfen, auf der Seite Japans und der USA zu stehen und sich nicht genügend für die Interessen Taiwans einzusetzen. Die Kuomintang hat umgehend Druck auf Tsai ausgeübt, die Insel Taiping Dao, die von Taiwan kontrolliert wird, aufzusuchen, um die Hoheitsansprüche Taiwans zu untermauern (vom Haager Gerichtshof ist Taiping von einer „Insel“ zu einem „Felsen“ degradiert worden, was bedeutet, dass es keine Grundlage für Ansprüche Taiwans auf die umliegenden Gewässer gibt). Tsai muss aber auch vorsichtig sein, irgendwelche Schritte zu unternehmen, die die Beziehungen ihrer Regierung zu den USA und Japan beschädigen könnten.

Welche regionalen Verwicklungen stehen uns bevor?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir das noch nicht genau sagen, da viel von dem weiteren Vorgehen der USA abhängt. Wenn Washington versucht, als Vollstrecker des Haager Urteils aufzutreten und z.B. seine Marineaktivitäten in den strittigen Gewässern ausweitet, so wäre dies für China eine Provokation. Wir haben es mit einer äußerst fragilen und potentiell explosiven Situation zu tun, weil die Innenpolitik und die Krisen aller betroffener Seiten (schließlich stehen in den USA Präsidentschaftswahlen an!) beeinflussen können, wie die jeweiligen Mächte zu diesem Konflikt stehen.

China hatte bereits mit der Einrichtung einer Luftabwehr-Zone über dem südchinesischen Meer gedroht, was eine Eskalation bedeuten und die USA zu einer Reaktion zwingen würde. Es wurde auch schon mit dem Bau beispielsweise einer Landebahn, eines Hafens oder militärischer Einrichtungen auf den Untiefen von Scarborough (chinesisch: „Zhongsha-Inseln“) gedroht. Das würde die „rote Linie“ der USA überschreiten, weil dadurch chinesische Kräfte auf wenige hundert Kilometer an die US-Militärbasen auf den Philippinen heranrücken würden. Beide genannten Optionen brächten ein hohes Konfliktpotential mit sich.

Es ist aber auch möglich, dass Chinas Taktik darin besteht, nun seine Manöver im ostchinesischen Meer auszuweiten, wo es um territoriale Auseinandersetzungen mit Japan geht. Der rechts-nationalistische japanische Premier Abe hat gerade erst wieder eine Wahl für sich entscheiden können (die zum Oberhaus), und wartet nur darauf, seine Pläne umsetzen zu können und Japans Militär vom „pazifistischen“ Klotz am Bein zu befreien. Xi könnte eine robustere Gangart gegenüber Japan auch nutzen, um etwaige Schwächen im südchinesischen Meer zu übertünchen. Aber natürlich brächte auch diese Möglichkeit große Gefahren mit sich.

Die Regierung der Philippinen, an deren Spitze seit kurzem der neue Präsident Duterte steht, wird auf der nationalistischen Welle reiten und eine gewisse Euphorie anfachen, die dieser Richterspruch bereiten wird. tatsächlich besteht Dutertes Position aber darin, zu einer Übereinkunft mit China zu gelangen oder zumindest die Spannungen zu beruhigen und zu stärkere Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Ebene zu kommen. Das Verfahren gegen China vor dem Gerichtshof in Den Haag ist von Dutertes Amtsvorgänger Aquino angestrengt worden, der viel stärker mit den USA verbändelt war. Die USA hingegen wollen nicht dass die Annäherung zwischen Duterte und Peking allzu groß wird. Von daher kann dieses Urteil von den Vereinigten Staaten und ihren Unterstützern im Polit-Establishment der Philippinen auch dazu genutzt werden, Sand ins Getriebe zu streuen.

Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass das Urteil des Schiedsgerichts nicht dazu beitragen wird, um die Spannungen zu beruhigen. Es wird vielmehr zum Gegenteil führen. Die Streitigkeiten werden nicht „geklärt“ sondern eher noch größere Gefahren bewaffneter Konflikte oder von Scharmützeln erzeugt. Für die Massen in der Region – von China bis zu den Philippinen und darüber hinaus – sind das alles nur schlechte Neuigkeiten. Für die nationalistischen Politiker und Kriegstreiber bietet das Urteil alle Möglichkeiten, um die Armeeausgaben zu steigern und eine militaristische Stimmung anzuheizen, um die Empörung der Menschen von der wirtschaftlichen Misere im jeweils eigenen Land abzulenken.

SozialistInnen haben immer erklärt, dass kapitalistische Institutionen wie die UNO keine fortschrittliche Rolle spielen können. Keine der korrupten Eliten, die an diesem Konflikt beteiligt sind, haben eine Lösung zu bieten. Sie alle stehen der Arbeiterklasse und den verarmten Schichten feindlich gegenüber. Wir stehen für internationale Solidarität und dafür, dass in ganz Südostasien dringend Arbeiter-Massenparteien aufgebaut werden müssen, die den Kapitalismus und die Austerität bekämpfen und sowohl gegen Nationalismus als auch den Militarismus aufbegehren.