„With the knowledge from the hood that will blow your mind“ (Lah Tere)
von Linda Fischer
Rapmusik gilt als männerdominiert, geprägt von Sexismus und Macho-Gelaber. Und tatsächlich ist Rap mitunter geprägt durch frauenfeindliche Lines, homophobe Sprüche und Ähnliches. Grund genug sich damit zu beschäftigen, was Hip Hop, und im speziellen Rap, ebenfalls ausmacht.
Musik als Kunstform und die Entwicklung neuer Subkulturen, die Schaffung neuer Musikstile drückt die Unzufriedenheit mit dem Status Quo aus. Musik kann dazu dienen die Kreativität und Experimentierfreudigkeit zu entfalten – den Horizont zu erweitern.
Sie ist einerseits Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen und kann andererseits gesellschaftliche Veränderungen, antikapitalistisches und sozialistisches Bewusstsein vorantreiben.
In Zeiten gesellschaftlicher Ruhe und Abwesenheit von Bewegungen, ist auch nicht damit zu rechnen, dass sich unabhängig von industrieller Musik viel Neues entwickelt. Mainstream-Musik war und ist wichtig um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu festigen und zu versuchen Musik, die aufbegehrt, zu ersticken.
Auch im Rap sehen wir durch Kommerzialisierung in den USA oder Europa die Dominanz von Mainstream-Rap, der nicht mehr vordergründig Spiegel der Gesellschaft, sondern im Interesse der Herrschenden ist. Sexismus, Homophobie im Rap gab und gibt es, wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch ohne die Kommerzialisierung. Die Musikindustrie hat damit kein Problem: sexistische Stereotypen und Gangsterpathos zu fördern ist ok, solange die Rapper den wirklichen Gangstern an der Regierung und in den Chefetagen nicht (mehr) an den Kragen wollen.
Hip Hop wird vom Establishment bekämpft und gleichzeitig kommerziell vereinnahmt um den kämpferischen Charakter zu unterdrücken und ins Gegenteil umzukehren. Statt gegen Polizeibrutalität und Repression, handeln die Texte vermehrt von individuellen Reichtum. Statt „each one must teach one“ und „do it yourself“, gibt’s poppige Hooks (Refrains) und gekaufte Feature (bekannte Rapper die gegen Geld eine Strophe in einem Track eines unbekannten Rappers rappen). In der Tendenz wird die Hip Hop Kultur – Graffiti, Breakdance, Djing und Rap – auf Rap beschränkt und der „coole Rapper mit diesen verrückten Klamotten“ vermarktet.
Dennoch: Hip Hop ist eine Kultur die in den letzten Jahrzehnten immer wieder in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten zum Sprachrohr und vorantreibender Kraft von Unterdrückten und Jugendlichen geworden ist und Rap eine Musik die die herrschenden Verhältnisse anprangert und das nicht nur durch männliche MC‘s (Abk. für Master of Ceremonies).
Rolle von Frauen im Rap – die Anfänge
Frauen sind Teil der Hip Hop-Geschichte. Ihre Texte handelten von Polizeibrutalität, Rassismus und Armut, es gibt auch eine Vielzahl feministischer Texte. Roxanne Shané beispielsweise, die 1984 einen Disstrack gegen den sexistischen Text des Hits Roxanne Roxanne der Rapcrew UTFO geschrieben hat. Im UTFO‘s Text ging es um ein „hochnäsiges“ Mädchen, welches die sexuellen Annäherungsversuche der Rapper ausschlägt. Roxanne Shanté´s überlegene Antwort: „(…) Wenn er für mich gearbeitet hätte, wäre er gefeuert worden. Und immer wenn ich ihn sehe, bettelt er mich an und die ganzen anderen Mädchen, die er immer versucht klarzumachen. Und immer wenn er mich sieht, reimt er. Aber versteht, im Vergleich zu mir ist er schwach.”
Queen Latifah, Moonie Love, Yo Yo, MC Lyte,Salt‘n‘pepa, Lin Que sind nur ein paar weitere Namen bekannterer Rapperinnen mit (teil-)politischer Message.
Und auch wenn aktuell weibliche (und männliche) MC‘s in der Regel den gängigen Geschlechterklichées entsprechen müssen, gepaart mit inhalts- und einfallslosen Rap, um erfolgreich zu sein (zum Beispiel Nicki Minaj Anaconda), gibt es auch in den USA eine Vielzahl von Gegenbeispielen. Ein interessantes Projekt ist „Momma‘s Hip Hop Kitchen“. Eine Veranstaltung in der Bronx, die seit neun Jahren stattfindet und eine Plattform und Raum bietet für Frauen im Hip Hop, mit feministischen Anspruch und Mobilisierung der Community. Lah Tere, selber Rapperin und Aktivistin, hat diese Veranstaltung initiiert. Sie meint, dass Hip Hop als Werkzeug für Widerstand genutzt wird, bei dem über Themen wie Ungerechtigkeit und Bildungsungleichheiten gesprochen wird, und darüber, wie das schwarze Frauen gerade in Gegenden wie der Bronx betrifft.
Interessant sind auch die Entwicklungen von Hip Hop, und im speziellen politischen Rap von Frauen, in Ländern die in den letzten Jahren im Vergleich zu Deutschland massive Bewegungen erlebt haben. Exemplarisch (und natürlich unvollständig) möchte ich auf Entwicklungen in der Arabischen Welt und Südamerika eingehen.
Rap und der Arabische Frühling
Die Entstehung der Hip Hopä-Kultur im Nahen und Mittleren Osten ist je nach Land unterschiedlich. Im Iran gibt es beispielsweise eine lange Tradition von Poesie. In einem Interview betont der teheranische Rapper Yas: „Hip-hop begann in den USA, aber der Iran hat eine der längsten Traditionen von Poesie in der Welt“. Der im Libanon lebende Musikjournalist Jackson Allers betont, dass Hip Hop in der arabischen Welt wegen des kolonialen Einflusses von Frankreich (zweitgrößte Hip Hop-Markt in der Welt) in Algerien, Tunesien und Marokko begann.
Die Bedeutung von Rap, insbesondere die politische, nahm mit dem Aufflammen des arabischen Frühlings jedoch enorm zu. Rap spielte eine zentrale Rolle als Sprachrohr der Jugendlichen und Entrechteten, politisierte und inspirierte die Massen. Der tunesische Rapper El Général wurde verhaftet nachdem er seinen Track „Rayes lebled“ (Textzeile: „Wir leben im Leid, wie Hunde, die Hälfte der Bevölkerung erniedrigt“) veröffentlichte. Das Regime Ben Alis hatte scheinbar zu viel Angst vor der Wirkung solcher Rapper.
Eine ganze Reihe weiblicher MC‘s sind eng verbunden mit dem arabischen Frühling (eine interessante Zusammenstellung findet sich auf der Blogspot-Seite revolutionaryarabrap.blogspot.de). Die libanesische MC Malika betont in einem Interview, dass es beim arabischen Hip Hop nicht ums Entertainment geht, sondern um die Möglichkeit eine Stimme zu erhalten.
In der arabischen Welt sind AktivistInnen im Hip Hop von staatlicher und religiöser Repression betroffen. Die tunesische Rapperin Medusa berichtet davon, dass Salafisten sie physisch bei einer Kundgebung für das Recht auf Abtreibung angreifen wolllten. Andere wurden direkt von der Bühne weg verhaftet.
Die andere Seite der „Nicht-Vermarktung“ ist, dass die KünstlerInnen selbst die Kontrolle über die Produktion, die Message und Verbreitung (in der Regel über das Internet) haben. Das führt zwar dazu, dass Rap im Untergrund bleibt, birgt jedoch großes Potenzial für die Kreativität und Schlagkraft. Die marokkanische Rapperin Soultana meint, dass Rap eine Kunst ist, mit der über Dinge wie Armut, Gewalt, Missbrauch und gesellschaftliche Widersprüche berichtet werden kann. „Die Leute die unter diesen Dingen leiden, sind die Leute die diese Musik hören.“
Und gerade Frauen im Rap können anderen Frauen in der arabischen Welt Mut machen sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung zur Wehr zu setzen. In dem Song „Sawt Nssa“ (die Stimme der Frauen) rapt Soultana: „Es ist die Stimme der Frau die ich rufe, es ist die Stimme der Mädchen die ich rufe, die in meinem Land verloren gehen. Die Stimme derjenigen, die sprechen wollen. Eine Stimme für all die Frauen, die ein Zeichen wollen.“
In Ägypten hat eine 18-jährige Rapperin bei der „Arabs got talent“ TV-Show mitgemacht um über sexuelle Belästigung, die Behandlung von Frauen als Menschen zweiter Klasse und die sozialen Erwartungen an der Verhaltensweise junger religiöse Frauen. Sie ist bis zum Halbfinale gekommen, mit der Message, dass sie den Mädchen in Ägypten und anderswo sagen will, dass sie nicht alleine sind und sie alle die gleichen Probleme haben und nicht still bleiben dürfen, sondern ihre Stimme erheben müssen.
Die in London lebende Shadia Mansour ist sicherlich eine der bekanntesten Rapperinnen mit palästinensischen Wurzeln. In vielen ihrer Texte geht es um die Besetzung Palästinas und das Leid der Bevölkerung. Unsere heutige Existenz ist Widerstand, so Mansour. „Was palästinensischen Rap von westlichem Rap unterscheidet ist die Sprache – nichts Anderes. Am Anfang war die Rolle des Hip Hop sich auszudrücken. Rap – rhythm and poetry. Rap war fähig die Erfahrungen aus der Bronx auszudrücken. Die ersten Rapper rappten über Polizeibrutalität und ihren Kummer. Im palästinensischen Rap ist es dasselbe.“
Südamerika – Rappen kann jede(r)
Ähnlich wie in vielen arabischen Ländern, gibt es auch in südamerikanischen Staaten Verbindungen zwischen sozialen Bewegungen und HipHop. Sara Hebe (Rapperin aus Buenes Aires, Argentinien) meint, dass in ihrem Land die Vergangenheit der Diktaturen und die politischen Kämpfe die Inhalte des Rap prägen und weibliche MC‘s eine wichtige Rolle spielen: „Ja, es gibt viele Rapperinnen, die aktiv und sehr erfolgreich sind. Wir haben aber auch ein wichtiges Vorbild in der Frauen-Band Acitud Maria Marta – das haben wir als Frauen aus Argentinien deutlich vor Augen. Die hat uns ermutigt zu rappen, wir hatten einen Orientierungspunkt. (…) Wir sind weit von einem Matriachat entfernt, aber es gibt einen starken feministischen Kampf in Argentinien. Das Gleiche gilt für Chile.“ Der lebendige, politische Alltag hat Einfluss auf die Entwicklung des Hip Hop und umgekehrt. Sara Hebe beschreibt ihren Stil: „Mein politischer Ausdruck ist poetisch, ich schreibe schließlich Poesie. Aber natürlich wird das beeinflusst von allem, was ich fühle, und von dem, was passiert. Es gibt andere Songs von mir, die von Liebe handeln, vom Feiern und Spaß haben, vom Reisen und so weiter – ich schreibe über alles. Aber in allem findet man die politische Situation der Ungerechtigkeit im Recht und in der Gesellschaft.“
Die in vielen Texten sehr politische mexikanische Rapperin Mare Advertencia Lirika (aus Oaxaca) hat am meisten am Rap fasziniert, dass er Nichts erwartet, jeder kann es machen (es benötigt weder teure Instrumente noch „humanistische“ Kunstbildung o.Ä.), egal welchen Hintergrund man hat und worüber man sprechen möchte. Sie ist über die wachsende Graffitiszene in Mexiko zum Hip Hop gekommen und berichtet, dass die Politik bereits früh versucht hat Hip Hop Veranstaltungen zu kontrollieren. Staatlich organisierte und kontrollierte Veranstaltungen fanden statt – nach dem Motto: Hip Hop könnt ihr nur mit uns machen, weil wir das Geld haben und die Räume. Diese Veranstaltungen wurden mit politischen und Wahlkampagnen verbunden. Mare Advertencia Lirika meint: „Das ist deren Job uns zu kontrollieren, in einem Käfig zu halten, damit du dir nicht über den Rest der Gesellschaft sorgen machst.“ Sie hat mit anderen eine unabhängige Szene aufgebaut. Bei den sozialen Aufständen 2006 in Oaxaca waren die ganzen jungen Leute der wachsenden Hip Hop-Szene dabei. Sie waren nicht mehr die Exoten, sondern wurden zum wichtigen Teil der Bewegung, standen ganz vorne und entwickelten Forderungen.
Neben arabischen und lateinamerikanischen Ländern gibt es in weiten Teilen der Welt Rapperinnen die sich gegen die herrschenden Verhältnisse auflehnen. Und wie in allen gesellschaftlichen Bereichen ist auch die (Underground) Hip Hop Szene nicht frei von Sexismus, Frauen eine Minderheit und weibliche MC´s nicht automatisch fortschrittlich. Was kann helfen? Selbst aktiv werden, sich organisieren und Musik machen die den Herrschenden ein Dorn im Auge ist.
Linda Fischer ist aktiv in der linksjugend Hamburg und Mitglied des SAV Bundesvorstands.