TTIP und CETA sind Ausdruck der Krise des Kapitalismus
Kurz vor den erneuten Großdemonstrationen gegen TTIP und CETA hat Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel erklärt, TTIP sei de facto gescheitert. Das sollte Ansporn sein, den Kampf fortzusetzen, aber auch den Blick mehr auf CETA zu richten.
Von Ronald Luther
Genau das ist bei den September-Demonstrationen der Fall. Das CETA- Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU steht kurz vor der Unterzeichnung. Damit sollen neben dem Abbau von Zöllen insbesondere sogenannte „nichttarifäre Handelshemmnisse“ wie zum Beispiel Umweltschutz- und Verbraucherschutzbestimmungen sowie Sozialstandards beseitigt werden. Über internationale Schiedsgerichte könnten Großunternehmen über kanadische Tochtergesellschaften EU-Mitgliedsstaaten auf Schadensersatz verklagen, wenn neue Gesetze ihre Profite schmälern. Mittels regulatorischer Kooperation werden Interessengruppen Einfluss auf die Gesetzgebung bekommen, die mehrheitlich aus Lobbyisten einflussreicher Konzerne bestehen. Außerdem wird einer verstärkten Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen Tür und Tor geöffnet. Wie bei TTIP wird alles hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Sollte CETA durchkommen, wird es schwerer TTIP zu stoppen. Das Demo-Bündnis fordert einen gerechten Welthandel, „der die Belange der Zivilgesellschaft berücksichtigt statt sie zu Gunsten von Konzerninteressen auszublenden“. Aber ist ein gerechter Welthandel im Rahmen des Kapitalismus überhaupt möglich
Die Entwicklung des Kapitalismus war immer eng verbunden mit dem Handel von Waren. Oder wie Karl Marx schrieb: „Welthandel und Weltmarkt eröffnen im 16. Jahrhundert die moderne Lebensgeschichte des Kapitals.“ Der Welthandel bildet laut Marx „selbst die Basis dieser Produktionsweise“, also des Kapitalismus. Die historische Aufgabe des Kapitalismus war die Herausbildung der weltweiten Produktion und des Welthandels. Mit Beginn der industriellen Revolution und der damit verbundenen Massenproduktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm auch der Handel enorm zu. Überschüssige, also in den Ursprungsländern nicht benötigte Waren, wurden in die ganze Welt exportiert. Der Kapitalismus ließ die freie Konkurrenz hinter sich und es bildeten sich riesige Konzerne und Banken heraus, die die Wirtschaft unter Kontrolle hatten. Unterbrochen wurde diese Entwicklung durch die Weltwirtschaftskrise, die von 1873 bis 1896 andauerte und durch eine Überproduktion an Waren ausgelöst worden war. Damals reagierten viele europäische Staaten auf die Krise mit einer Einschränkung des Freihandels durch die Einführung von Zöllen zum Schutz der nationalen Wirtschaften. Mit dem Ende der Krise im Jahre 1896 und einer Aufschwungphase bis zu Beginn des 1. Weltkrieges nahm die Warenproduktion und damit auch der Welthandel wieder zu. Der Kapitalismus löste also die Überproduktionskrise im 19 Jahrhundert, indem er mittels Handel und gewaltsamer Kolonalisierung von Ländern insbesondere in Afrika und Asien die Welt eroberte und damit den Weltmarkt schuf. Das lief natürlich nicht völlig konfliktlos zwischen den imperialistischen Großmächten der damaligen Zeit ab. Bereits 1898 kam es zum ersten direkten Krieg zwischen zwei imperialistischen Großmächten, Spanien und den USA, um wirtschaftliche Einflusszonen in Asien und Mittelamerika. Nachdem die Aufteilung der Welt und damit der Absatz- und Rohstoffmärkte abgeschlossen war sollten diese schließlich durch den 1. Weltkrieges neu aufgeteilt werden. Der Kapitalismus war in seine höchste Phase, den Imperialismus über getreten.
Imperialismus
In den heutigen Geschichtsbüchern wird gerne erklärt, dass der Imperialismus mit dem Beginn des 1. Weltkrieges endete. Aber ist das so? Der russische Revolutionär Lenin schrieb in seinem Buch „Der Imperialismus, das höchste Stadium im Kapitalismus“, dass sich der Imperialismus ökonomisch dadurch auszeichnet, dass Monopole im Wirtschaftsleben dominieren, dass Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital verschmelzen, der Kapitalexport gegenüber dem Warenexport an Bedeutung gewinnt, die Aufteilung der Erde unter die multinationalen Konzerne beginnt und die territoriale Aufteilung des Planeten unter den Großmächten abgeschlossen ist. Beiden Weltkriegen und nicht nur dem ersten ging das weltweite Bestreben der Kapitalisten voraus, neue Absatz- und Rohstoffgebiete zu erobern, Konkurrenz auszuschalten und dadurch die Profite in ungeahnte Höhen zu treiben. Die Folgen sind bekannt. Während sich die Kapitalisten Milliarden an Extra-Profiten unter anderem aus dem Verkauf von Rüstungsgütern und der Ausbeutung von Zwangsarbeitern einstrichen starben Millionen Menschen und viele Länder wurden verwüstet. Auch nach dem 2. Weltkrieg ging es damit weiter. Die USA war infolge des 2. Weltkrieges zur dominierenden imperialistischen Weltmacht geworden und fünfzig Prozent der Weltproduktion und siebzig Prozent des Welthandels. Sie lieferten sich ein über Stellvertreterkriege geführtes heftiges Ringen mit dem durch die Sowjetunion angeführten nichtkapitalistischen Ostblock, aber auch mit anderen imperialistischen Ländern. Allein zwischen 1945 und 1969 wurden 93 Kriege in der Welt gezählt, von denen 36 länger als drei Jahre dauerten. Es waren mindestens zwanzig Millionen Tote zu beklagen. Weiterhin setzten die USA in den von ihnen kontrollierten Ländern den Abbau von Zöllen und Handelsbeschränkungen durch. Sie erweiterten damit den Welthandel und Weltmarkt enorm. Es kam zu einem gewaltigen Wirtschaftsaufschwung in der Zeit von 1945 bis 1975. Viele Kolonien erkämpften nach dem 2. Weltkrieg zwar ihre nationale Unabhängigkeit, blieben aber in wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeit von ihren ehemaligen Kolonialherrenstaaten. In vielen ex-kolonialen Staaten wurden von Anfang an Militär- und Polizeidiktaturen errichtet, um Bestrebungen der Bevölkerung, sich dem in diesen Ländern attraktiven Staaten des stalinistischen Ostblocks anzuschließen, brutal zu unterdrücken. Ein Drittel der Welt lebte 1977 unter nicht kapitalistischen Verhältnissen. Die kapitalistischen Großmächte waren darum zu jeder Schandtat bereit, um zu verhindern, dass weitere Länder ihrem Wirtschaftssystem verloren gingen. Gleichzeitig gab es aber auch Zugeständnisse. So konnten ehemalige Kolonialländer seit 1975 Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte zollfrei nach Europa liefern. Die Folge davon war, dass die Menschen in den unterentwickelten kapitalistischen Ländern einerseits einer Superausbeutung unterworfen waren, wegen der Konkurrenz der Ostblockstaaten aber auch ihr Lebensstandard allmählich stieg. Damit ist seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Schluss.
Zusammenbruch des Stalinismus
Mit der Rückkehr der Ostblock-Staaten in den kapitalistischen Wirtschaftsraum und Weltmarkt standen diese Staaten auch wieder dem kapitalistischen Welthandel zu Verfügung. Die Folge davon war, dass in vielen Ländern der Erde die Armut stieg und der Lebensstandard drastisch sank. Während heute die reichsten ein Prozent etwa fünfzig Prozent des weltweiten Vermögens besitzen, hat einer von neun Menschen auf der Erde nicht genug zu essen und eine Milliarde Menschen muss mit weniger als 1,25 Dollar am Tag leben. Die imperialistischen Großmächte setzten fast überall ihren Willen durch. So sind die Zölle der Industrieländer für Einfuhren aus Entwicklungsländern im Durchschnitt drei- bis viermal so hoch wie für Einfuhren aus Industrieländern. Im Jahre 2014 wurden Länder der ostafrikanischen Gemeinschaft durch die EU über das Economic Partnership Agreement (EPA) gezwungen, ihre Märkte bis zu 83 Prozent für europäische Importe zu öffnen und schrittweise Zölle und Gebühren abzuschaffen. Als Kenia sich weigerte zu unterschreiben, erhöhte die EU die Importzölle für Röstkaffee, Tee und Dosen-Ananas von 8,5 Prozent auf dreißig Prozent, so dass Kenia schließlich doch unterschrieb. Im Gegenzug dürfen die afrikanischen Ländern weiterhin Waren zollfrei in die EU einführen. Allerdings haben afrikanische Unternehmen keine wirkliche Chance gegen die übermächtigen Konzerne aus Europa, die die afrikanischen Märkte mit Billigprodukten überschwemmen. Die Folge davon sind drastisch wachsende Armut, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung, die hunderttausende Menschen zur Flucht nach Europa treibt und damit viele in den Tod. Aktuell werden 22 Freihandelsabkommen zwischen 110 Ländern auf allen Kontinenten ausgehandelt und das nicht zum Vorteil der Masse der Bevölkerung. NAFTA, das vor zwanzig Jahren abgeschlossene Freihandelsabkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko, hat bereits eine Million Arbeitsplätze in den USA vernichtet. In Mexiko stieg die Armut drastisch an und viele Menschen versuchen ihrer verzweifelten Lage durch Flucht in die USA zu entkommen. Der Trend zu Freihandelsabkommen hat also die ganze Welt erfasst und betrifft nicht nur uns in Europa. Aber warum wird das gerade jetzt so forciert?
Profit regiert
Die 500 weltgrößten Unternehmen beschäftigen 0,05 Prozent der Weltbevölkerung, kontrollieren jedoch siebzig Prozent des Welthandels, achtzig Prozent der Auslandsinvestitionen und 25 Prozent der Weltproduktion. Einer Studie am Polytechnikum der ETH Zürich zur Folge kontrollieren sogar 147 Konzerne vierzig Prozent des Welthandels. Trotzdem reicht das den Kapitalisten nicht aus. Seit 2007/08 befindet sich der Kapitalismus in einer chronischen Krise. Unternehmen sehen keine ausreichenden Möglichkeiten mehr, ihr Kapital profitabel zu verwerten. Viele investieren nicht mehr in die sogenannte Realwirtschaft, sondern spekulieren lieber weiter an den Finanzmärkten. Durch Freihandelsabkommen versuchen die Kapitalisten, die Beschränkungen des Nationalstaates zu überwinden. So soll der Zugang zu neuen Absatzmärkten erleichtert und sowohl regionale als auch internationale Konkurrenz ausgeschaltet werden. Das Ziel ist eine Aufhebung der letzten Schranken bei der Kapitalverwertung und ein direkter Zugang zu den natürlichen Ressourcen der betroffenen Länder. Alleine mit TTIP würde der größte Freihandelsraum der Welt mit 44 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und fast sechzig Prozent der ausländischen Direktinvestitionen geschaffen werden. Der Handel von Waren würde für die Kapitalisten in den USA und der EU billiger werden. Mit der Einführung von Freihandelsabkommen geht es den Kapitalisten also um eine Steigerung ihrer Profite. Gleichzeitig müssten sich Länder, die in die USA und nach Europa exportieren wollen, den Regularien von TTIP unterwerfen. Wer da nicht mitspielen möchte wäre vom europäischen und US-amerikanischen Markt ausgeschlossen. In einer Studie des IFO-Instituts wird davon ausgegangen, dass vor allem nord- und westafrikanische Länder die Verlierer bei TTIP sein werden, weil sie Marktanteile verlieren. Dadurch würde sich die Arbeitslosigkeit und Armut in den Ländern erhöhen und die Migration aus diesen Ländern weiter zunehmen. Verschärfen würde sich außerdem die Konkurrenz zwischen den sich infolge der Freihandelsabkommen bildenden Handelsblöcken. Bereits jetzt nehmen die Konflikte zwischen den verschiedenen Interessengruppen immer weiter zu. So prallen in der Ukraine die Interessen Russlands und der EU aufeinander, in Syrien die der USA, EU, Russland, der Türkei, Saudi-Arabien, Iran und im Streit um Inselgruppen im Chinesischen Meer die von China, den USA, Taiwan, Japan, Südkorea, Philippinen, Indonesien und Vietnam. Viele aktuell geführte Kriege in der Welt sind in Wahrheit keine Religionskriege sondern Stellvertreterkriege imperialistischer Großmächte. Immer mehr Geld wird in Rüstung gesteckt. Dafür wurden alleine 2014 weltweit 1,2 Billionen Euro ausgegeben. Bei TTIP kommt hinzu, dass die USA und EU den Trend zur Verlagerung des Schwerpunktes der Weltwirtschaft aus dem nordatlantischen Raum, Westeuropa und Nordamerika nach Asien zu stoppen versuchen. Außerdem soll damit die Abhängigkeit der EU von Russland bei Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas reduziert werden.
Trotzdem zeigen sich bereits die Grenzen des Freihandels. So wird der Konkurrenzkampf zwischen den USA und der EU damit nicht aufgehoben. Das zeigt sich nicht nur beim VW-Abgasskandal, wo deutsche Unternehmen argwöhnen, von den US-Gerichten schlechter als US-Unternehmen behandelt zu werden. Das zeigt sich auch beim aktuellen Vorhaben der EU-Komission, US-Unternehmungen in Europa wie Skype (Microsoft) und WhatsApp (facebook) strenger zu regulieren. Der Druck dafür kam von europäischen Telekom-Konzernen wie die Deutsche Telekom, Telefónica oder Vodafone. So wie die Wirtschaftskrise die EU vor die Zerreißprobe stellt, so wirkt sich diese auch auf die aktuellen TTIP-Verhandlungen aus. Einerseits verhandelt die EU-Komission gerade mit den USA über TTIP und andererseits veröffentlicht sie einen Bericht, in dem der wachsende Import von US-Holzimporten angeblich aus Umweltschutzgründen kritisiert wird. Wahrscheinlicher ist, dass die EU-Komission befürchtet, dass Europa von Holzimporten aus den USA überschwemmt und europäische Holzunternehmen aus den Markt verdrängt werden. So wurden 2015 aus den USA etwa fünf Millionen Tonnen Holzpellets in die EU exportiert, während 2014 in Deutschland gerade mal 2,1 Millionen Tonnen Holzpellets produziert, aber nur rund 1,8 Millionen Tonnen verbraucht wurden. Die an sich schon komplizierten TTIP-Verhandlungen könnten also alleine schon aus Konkurrenzgründen noch scheitern, wenn die Wirtschaft weiter einbricht.
Eine sozialistische Welt ist nötig
Ein gerechter Welthandel im Rahmen des Kapitalismus ist unmöglich. Produktion und Handel sind dafür da, so viel wie möglich an Profit zu schaffen. Wer nicht mithalten kann, wird aus den Markt verdrängt. Je stärker die Profite in Gefahr sind, desto brutaler wird der Konkurrenzkampf. Die Belange der arbeitenden Bevölkerung oder die Bedürfnisse von Gesellschaft und Umwelt sind den Kapitalisten dabei herzlich egal.
Die Basis des Kapitalismus ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalisten und kapitalistischen Staaten. Diese konkurrieren um einen möglichst großen Anteil am Markt, um einen möglichst hohen Profit zu erwirtschaften. Das führt zu immer mehr Überproduktion und Überkapazitäten. Wenn für die Produkte kein profitabler Absatzmarkt mehr gefunden und das angehäufte Kapital nicht mehr vermehrt werden kann, dann kommt es zu Krisen. Diese werden auch nicht durch Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP verhindert. Diese Krisen führen zu Massenentlassungen und Schließung ganzer Betriebe, zu neuen Konflikten und Kriegen. Während in der Folge die Arbeitenden, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen verarmen, wächst der Reichtum auf der Seite der Kapitalisten. Statt Freihandel, Konkurrenzkampf und Produktion für den Profit brauchen wir eine Produktion und Verteilung nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt.
Wir brauchen keine abgehobenen Manager, keine korrupten Politiker. Diejenigen, die den gesellschaftlichen Reichtum produzieren, müssen auch demokratisch darüber entscheiden, wie und was produziert wird. Statt kapitalistischen Welthandel brauchen wir eine demokratische Kooperation, lokal, regional, bundes- europa- und weltweit. Das würde auch Kriege unnötig machen, denn sie sind letztlich die Fortsetzung des kapitalistischen Konkurrenzkampfes mit militärischen Mitteln.
Ronald Luther ist Mitglied des SAV-Bundesvorstands und aktiv in der LINKE Neukölln.