Landgrabbing

Di Swathi Sridharan - Local Variety of Sorghum, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12183688
Di Swathi Sridharan – Local Variety of Sorghum, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12183688

Über die Gefräßigkeit der Reichen und den Kampf um Land und Brot

Wer über Macht und Geld verfügt eignet sich Agrarland an, das zuvor KleinbäuerInnen gehörte. Die ursprünglichen BesitzerInnen beziehungsweise NutzerInnen des Landes werden dabei nicht selten verjagt oder geraten in die Abhängigkeit der neuen Besitzer. Seit einigen Jahren gibt es in der öffentlichen Diskusssion einen Begriff dafür – „Landgrabbing“ -, denn das Problem hat massiv zugenommen. Dabei bezeichnet dieser Begriff eine uralte Praxis, mittels derer sich die Reichen und Mächtigen kleinbäuerliche Landflächen aneignen und dabei systematisch die Armen davon verdrängen.

von Marcus Hesse

„Landgrabbing“ (zu Deutsch in etwa „Landraub“, wörtlich „Landgreiferei“) bezeichnet die teilweise legale, teilweise halb- oder gar formal illegale, aber dennoch vollzogene Aneignung von Land, Boden und Ressourcen wie Wasser. Die Akteure dabei sind Konzerne, Banken und kapitalistische Regierungen. Besonders Agrarkonzerne greifen zu dieser Praxis, indem sie Agrarflächen aufkaufen oder langfristig pachten. Auf diesen Flächen eignen sie sich dann privat Ressourcen an oder nutzen das so angeeignete Land für den Anbau von Agrarprodukten, bevorzugt zur Herstellung von Viehfuttermitteln oder Biosprit. Sehr häufig geht es dabei um den Zugang zur in vielen Regionen der Welt knappen, aber lebenswichtigen Ressource Wasser. Seit den 2000er Jahren hat diese Praxis der Landaneignung sprunghaft zugenommen. Einer Oxfam-Studie zufolge wurden in den vergangenen 15 Jahren in den armen Ländern (vornehmlich in Afrika, Lateinamerika und Südasien) Ländereien von insgesamt der Größe Westeuropas verkauft. (1) Unterschiedlichen Schätzungen nach wechselten so fünfzig bis 220 Millionen Hektar Ackerland ihren Besitzer. (2) 180 Millionen Hektar Land entsprechen, zum Vergleich, der Gesamtfläche der Europäischen Union.

Landraub – so alt wie die Existenz von Klassenherrschaft

Die Aneignung von Land, als Quelle der Vermehrung des Reichtums, ist so alt wie die Herrschaft von Menschen über Menschen selbst. Erste Quellen darüber finden sich in den alten Hochkulturen Mesopotamiens, Ägyptens, Indiens und Chinas. Im Alten Rom, in der Spätphase der Republik der Sklavenhalteraristokratie begann die herrschende Klasse, die bis dahin in Italien vorherrschenden KleinbäuerInnen von ihren Ländereien zu verdrängen. Dabei eigneten sich die Angehörigen der Nobilität ab dem 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung den „ager publicus“ an, das bis dahin allen BäuerInnen offen stehende öffentliche Gemeindeland. Aus diesen bislang offenen Flächen wurden eingezäunte Weideflächen oder die Herrschenden legten große, mit Sklaven betriebene Landgüter, die „Latifundien“ darauf an. In Folge dessen wurden KleinbäuerInnen aus ihren Dörfern verdrängt und sie strömten in die Städte, allen voran Rom, welches schon um die Zeitenwende herum zur Millionenstadt anwuchs. Der Kampf um die Wiedernutzbarmachung des „ager publicus“ und die Verteilung des Landes als Agrarflächen an die Armen wurde zu einer zentralen Forderung der armen Plebejer. Als die Volkstribunen Tiberius und Gaius Gracchus versuchten, den Armen Land zur Bebauung zurückzugeben, ließen die Senatoren sie ermorden. In den antiken Quellen der Geschichtsschreiber Appian („Römische Bürgerkriege“) und Plutarch wird diese antike Form des Landgrabbing eindrucksvoll beschrieben. Auf diese Schilderungen haben sich Marx und Engels und spätere marxistische Historiker als Grundlage der Analyse der antiken Klassenkämpfe gestützt. (3) Auch in der Feudalgesellschaft, in der Landbesitz die Hauptquelle des Reichtums war, bildete der Kampf um das Land und dessen Nutzung, neben der Frage der Abgaben, einen der Hauptinhalte des Klassenkampfes. Um die Forderung nach Land drehten sich zahlreiche Bauernaufstände. Gegen Ende des Mittelalten begannen die Grundherren sich systematisch das gewohnheitsrechtlich begründete, für alle nutzbare Gemeindeland, die „Allmende“ anzueignen. Die Niederlage der Bauernhaufen im Deutschen Bauernkrieg ab 1525 ebnete in Mitteleuropa dafür den Weg.

Die Gier nach Land kannte mit dem Entstehen des Kapitalismus keine Grenzen mehr. Die europäischen Kapitalisten fanden im Zuge der Entdeckungsreisen und der Eroberungen in Amerika, Afrika und Asien eine bislang ungekannte Nahrung. Die systematische Verdrängung der indigenen Bevölkerung mündete in vielen Regionen der Welt (Conquista in Amerika, Ausrottung der TasmanierInnen durch britische Siedler) in Genozide. Die Kolonisierung durch Europas Mächte war mit der Umwandlung dieser Gebiete zu Großflächen für Agrarmonokulturen für den Export verbunden. Am Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914, gab es aus europäischer Sicht kaum einen „Weißen Fleck“ auf der Landkarte mehr. Die Welt stand unter der Herrschaft des europäischen und nordamerikanischen Kapitals. Die Entstehung und Herrschaft des Kapitalismus stellt zweifelsohne den größten Landraub der Menschheitsgeschichte dar.

Tatort neokoloniale Welt

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der direkte Kolonialismus durch die indirekte Beherrschung des globalen Süden durch die Industriemächte ersetzt. Die wirtschaftliche Ausplünderung ging unvermindert weiter. Die Regierungen der formal souveränen Staaten erweisen sich dabei als Handlanger der Ausplünderer aus den meist alten Kolonialländern.

Das Landgrabbing von heute basiert vordergründig auf legalem Landkauf, der unter dem vermeintlich positiven Wort der „Investitionen“ verkauft wird.

In den letzten Jahren haben die Landkäufe in der neokolonialen Welt (4) explosionsartig zugenommen. Im Kampf um die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums hat die Kontrolle über die Agrarproduktion und der Zugang zu Naturressourcen wie Wasser an Bedeutung gewonnen. Angesichts der steigenden Weltbevölkerung (besonders in den Ländern des globalen Südens) und in Folge des Klimawandels steigt der Wert dieser Investionsobjekte. Zehn bis dreißig Prozent des weltweit verfügbaren Ackerlands stehen heute zur Disposition – zusätzlich zu den schon geraubten Flächen. Entsprechende Verhandlungen darüber laufen. Die Wirtschaftskrise von 2008 ging auch mit einer Nahrungsmittelkrise einer. Global hat das zu einem schnellen Wachstum der Investitionen in profitable Agrarflächen geführt. Diese erfolgen entweder durch Kauf oder Pacht. Gut die Hälfte der Käufe wurden in Afrika getätigt. Meist laufen die Verhandlungen darüber geheim, sodass die Öffentlichkeit wenig davon erfährt. (5) Als besonders profitabel erweist sich dabei die Verwendung von Agrarprodukten aus Monokulturen für die Produktion von Biosprit oder Futtermitteln für das Nutzvieh in der Fleischindustrie. Die konkreten Zahlen sind alarmierend: Laut den Ergebnissen des Weltagrarberichts (eines internationalen Zusammenschlusses von großen NGOs) von 2015 wird auf nur zehn Prozent der neu gekauften oder gepachteten Flächen ausschließlich Nahrung für den menschlichen Gebrauch produziert. 33 Prozent davon werden gar nicht für die Lebensmittelproduktion genutzt. 18 Prozent werden für so genannte „Flex Crops“ genutzt. Das bedeutet, dass die Investoren je nach Marktlage entscheiden können, ob sie auf ihrem Land Lebensmittel, Viehfutter oder Agrarprodukte für die Verfeuerung zu Biosprit anbauen. Die andere Hälfte soll dann gemischt genutzt werden. Anstatt heimische Märkte zu bedienen, dient diese Form der Agrarproduktion dem Export. Im Endeffekt verschärft das in vielen Ländern der Erde die Ernährungslage. KleinbäuerInnen werden verdrängt und die Preise für Lebensmittel steigen.

In Süd-Sudan, das erst 2011 unabhängig wurde und schon ein „failed state“ ist, hat die Aneignung von Agrarflächen durch Konzerne gewaltige Dimensionen erreicht: Dort wurden vier Millionen Hektar verkauft. (6) Ein Grund dafür, warum Menschen von dort fliehen, wie Landgrabbing insgesamt zu den weltweiten Fluchtursachen gehört.

Die Maßnahmen des Landgrabbing verschärfen das ohnehin schon große Gefälle zwischen Großgrundbesitz und der armen Bauernschaft. Laut Zahlen von Oxfam besitzen in Guatemala weniger als acht Prozent der landwirtschaftlichen Produzenten nahezu achtzig Prozent der Landflächen. In Brasilien gehört einem Prozent der Bevölkerung fast die Hälfte des Landes. (7) Während in Lateinamerika eine große Zahl inländischer Großgrundbesitzer existiert, gleichen die Besitzstrukturen in Afrika kolonialen Zeiten. Die Besitzer der Landflächen sind vorwiegend aus Europa, Nordamerika und Japan. Neu kommt aber hinzu, dass chinesische Investoren, Investoren aus Malaysia sowie Investoren aus den reicheren arabischen Ländern, vor allem Saudi-Arabien und den Golfmonarchien hinzukommen. Letzteren geht es dabei häufig um die Aneignung von Wasserressourcen, die in ihren eigenen Staaten knapp sind. Vor seinem Sturz war das vermeintlich „antiimperialistische“ Regime Gaddafis fleißig dabei, in der Region südlich der Sahara Land aufzukaufen, um an Wasserquellen zu kommen. (8)

Die negativen Folgen des Landraubs sind vielfältig. Ernährungssicherheit wird untergraben, der Verteilungskampf um Grund und Boden verschärft, Menschen vertrieben, die Konzentration von Reichtum und Macht voran getrieben. Besonders zu betonen sind auch die ökologischen Folgen: „Absehbar sind ökologische Schäden und Umweltzerstörungen, z.B. durch erhöhten Wasserverbrauch, durch Rodung von Waldgebieten oder die Übernutzung von Grenzstandorten. Die Biodiversität könnte abnehmen, Tier- und Pflanzenarten aussterben. Die typische Bewirtschaftung der agroindustriellen Großplantagen durch ausgedehnte Monokulturen mit intensivem Pestizid- und Mineraldüngereinsatz bis hin zum Einsatz genetisch veränderten Saatguts birgt ein hohes Risiko negativer Auswirkungen auf Umwelt und lokale Bevölkerung.“ (9)

Betrachtet man die Karte, ergibt sich heute folgendes Bild: Betroffen von Landgrabbing sind die ärmsten Staaten der Erde, vorwiegend in Afrika. Süd-Sudan, Kamerun, Malawi, die Demokratische Republik Kongo, Mali, Uganda, Äthiopien, Mosambik. Außerhalb Afrikas betrifft es vor allem , Indonesien, Brasilien, Russland, Peru, die Philippinen, Honduras, Guatemala, Papua-Neuguinea und Kambodscha. In Kambodscha wurden binnen weniger Jahre zwei Millionen Hektar Land an neue, finanzkräftige Besitzer übergeben. Das entspricht fünfzig Prozent der Agrarnutzungsfläche des Landes. (10)

Landraub auch in Europa

Wenn Afrika und die neokoloniale Welt auch vorwiegend betroffen sind, ist zugleich festzustellen, dass das Phänomen des Landraubs durch Aufkauf auch in Europa [wieder] angekommen ist. Dies gilt besonders in Osteuropa. Große Agrarkonzerne und auch branchenfremde Investoren kaufen dort große Flächen Ackerland auf. Der libanesische Agrarkonzern Maria Group hat in Rumänien 650 Quadratkilometer Land aufgekauft, was einer Größe annährend der von Hamburg entspricht. Das dort hergestellte Getreide und Fleisch ist für den Export in den Nahen Osten und Ostafrika bestimmt. Dort verdrängt es – dank seines billigen Preises – einmal mehr die Produkte der einheimischen BäuerInnen. Folge: Die Maria Group wird reich, während KleinbäuerInnen in Rumänien, ebenso wie Ihresgleichen in Nahost, darunter zu leiden haben. Das hier der Investor aus dem Nahen Osten kommt und die Geprellten in Europa leben, klingt erst einmal ungewohnt. Doch es zeigt, wie global und vielseitig das Geschäft mit dem Land ist. In vielen Staaten, wie Russland und Malaysia ist es ohnehin so, dass die Investoren und Aufkäufer von Land nicht selten den selben Pass haben wie die verdrängten KleinbäuerInnen. Es ist eben eine Klassenfrage und nicht eine der Nationalität. Das Beispiel vom Wirken der Maria Group ist nur ein Beispiel von Vielen: In ganz Rumänien wird inzwischen vierzig Prozent der landwirtschaftlichen Anbaufläche von ausländischen Investoren kontrolliert. Ähnliche Verdrängungsprozesse können wir in Bulgarien, Ungarn, Litauen und Estland beobachten. Schuld daran trägt die Agrarpolitik der EU, die den Interessen der Banken, Konzerne und Investoren dient. So wird diese Landnahme von der EU mit satten Subventionen belohnt: Pro Hektar winken den Käufern Prämien von 250 bis 300 Euro. (11) Auch beim Landgrabbing in Osteuropa war die Wirtschaftskrise von 2008 ein Motor der Entwicklung. Denn durch den Zusammenbruch der Finanz- und Immobilienmärkte suchten die Investoren nach neuen Profitquellen. Sie fanden sie schnell in der Agrarindustrie. Denn fürs Essen besteht bekanntlich immer eine Nachfrage – besonders bei einer steigenden Weltbevölkerung. Entsprechend reihen sich zu den „Klassikern“ der Agrarindustrie zunehmend Akteure aus der Finanzwirtschaft in die Gruppe der Investoren in Agrarflächen ein. Dazu gehören laut Studie etwa Ableger der Schweizer Bank Credit Suisse, der deutschen Allianz Versicherung oder der QVT Fund LP, ein Investmentfonds mit Sitz auf den Kaimaninseln.

In Ostdeutschland investieren Firmen wie die Immobilien- und Altenpflegeholding Lindhorst ebenso wie Agrarkonzerne, etwa die KTG Agrar massiv in den Aufkauf von Agrarflächen. (12) KTG ist börsennotiert und bewirtschaftet allein in Deutschland 36.000 Hektar Land. (13) Auch in den Kernländern der Europäischen Union, in Frankreich und Deutschland, wird die Investition in Agrarflächen zunehmend zu einem einträglichen Geschäft. Entsprechende Verdrängungsprozesse finden auch hier statt, was auf bäuerliche Familienbetriebe großen Druck ausübt. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich der Preis für Agrarflächen innerhalb von zehn Jahren verdreifacht. Für Landwirte ein schöner Anreiz zum Verkauf ihrer Flächen und zur Aufgabe ihres Gewerbes. Es wird der raschen Verdrängung der noch bestehenden 260.000 bäuerlichen Familienbetriebe aus der deutschen Agrarproduktion weiteren Vorschub leisten. (14) Allen blumigen Bekundungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum Trotz, das diese als „Herzstück der globalen Ernährungssicherung“ bezeichnet, zum Trotz.

Globaler Widerstand gegen Verdrängungsprozesse

Überall setzen sich KleinbäuerInnen und Indigene gegen Landgrabbing zur Wehr. Die Formen des Widerstandes sind unterschiedlich: Sie schließen sich zusammen, versuchen es auf dem Klageweg oder greifen zu militanten Aktionen der Gegenwehr. Rechtliche Schritte nützen nur da was, wo das staatliche Rechtssystem wenig von Korruption betroffen ist und wo die Aneignung von Flächen auch formalrechtlich mit fragwürdigen Mitteln erfolgt ist.

In den meisten Fällen ist das bürgerliche Recht auf der Seite der Investoren, die das Land mit ihrem Geld kaufen. Nicht selten kommt es im Zuge der Aneignung des Landes zu Gewaltakten gegen die alten BesitzerInnen bzw. NutzerInnen des Landes. Wenn diese nicht weichen wollen, wird mit Gewalt nachgeholfen. Der Staatsapparat, Armee und Polizei, steht dabei so gut wie immer auf der Seite der Besitzenden. Im Januar 2016 kam es in Äthiopien zu Protesten gegen Enteignungen von AnwohnerInnen im Zuge der Erweiterung der Hauptstadt Addis Abeba, bei denen die Polizei in die Menge schoss. 140 Menschen starben. (15)

In Mali wehren sich sich seit April 2016 KleinbäuerInnen und LandarbeiterInnen in den Dörfern Sanamadougou und Sahou mit Feldbesetzungen gegen Landgrabbing in ihrem Land. Die Gendarmen des Regimes, zu dessen Unterstützung Frankreich und Deutschland im Land militärisch intervenieren, gingen mit äußerster Brutalität gegen die BesetzerInnen vor. (16) Ähnliche Kämpfe und Aufstände gegen den Landraub durch Banken, Konzerne und Regierungen finden sich weltweit.

Wo KleinbäuerInnen und Landlose zusammentun und kollektiv gegen die Investoren und die Regierung vorgehen, entstehen nicht selten sinnvolle Ansätze zur Selbstorganisation. Landbesetzungen sind ein sinnvolles und vorwärtsweisende Kampfmittel. Vor allem bilden sie Ansatzpunkte für eine Übernahme der Produktionsmittel durch die ProduzentInnen. Nicht selten bilden sich über diese Kämpfe kollektive wie bäuerliche Kooperativen.

Das Land denen, die es bebauen!

Grund und Boden ist eine bedeutende Quelle des Profits. Das Kapital hat ein vitales Interesse daran, an die natürlichen Ressourcen der Erde zu kommen und Ackerflächen, die heute in den Händen von Subsistenzwirtschaft und Kleinbauerntum sind, diesen zu entreißen. Wie wir sehen konnten, ist das nichts Neues, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise. Und nicht nur durch die – sondern durch die Geschichte aller Klassengesellschaften. Im Zuge der strukturellen Krise des Kapitalismus, besonders bemerkbar durch die Krise ab 2008, ist es für das Kapital schwerer geworden, Profite zu generieren. Getrieben von der Gier nach neuen Investitions- und Anlagemöglichkeiten, wird der Agrarsektor zunehmend interessanter. Entsprechend ist das alte Phänomen des Landgrabbing, erst seit einigen Jahren unter diesem Namen bekannt, explosionsartig angewachsen.

Wenn Menschen sich dagegen zur Wehr setzen, ist das ein legitimer Kampf. SozialistInnen unterstützen diese Gegenwehr. Jedoch ist es eine Illusion, dass man der Verdrängung der bäuerlichen Klein- und Kleinstproduktion oder gar Subsistenzwirtschaft durch die industrielle Massenproduktion durch Erhaltung der Kleinproduktion entgegentreten kann. Die agrarische Großproduktion stellt einen gesellschaftlichen Fortschritt dar gegenüber der zersplitterten Kleinproduktion. Nur durch sie lässt sich das Problem der Welternährung dauerhaft sichern. Nur so lässt sich Reichtum und Überfluss für Alle schaffen, was die notwendige Vorbedingung für eine freie sozialistische Gesellschaft ist. Die Macht der Konzerne und ihrer grenzenlosen Gier nach Profit, die über Leichen geht und die Umwelt zerstört, muss gebrochen werden. Dazu bedarf es eines Bündnisses von armen BäuerInnen mit den Lohnabhängigen in Stadt und Land, auf der Basis eines sozialistischen Programms. Die arme Bauernschaft soll frei entscheiden, ob sie ihr Land individuell oder kollektiv bebauen will. Sozialismus, der notwendigerweise demokratisch ist, hat nichts mit Zwangskollektivierung zu tun, wie sie nicht nur in der stalinistischen UdSSR und China, sondern auch in afrikanischen Ländern wie Äthiopien – mit verheerenden Folgen – praktiziert wurde. Auf der Grundlage einer demokratischen Planung und gestützt auf eine internationale solidarische Arbeitsteilung, würde sich das Lebensniveau rasch verbessern. Davon würden auch die armen bäuerlichen Massen profitieren. Der Vorteil der kollektiven Produktionsweise wäre dann letztlich offensichtlich.

Bis dahin ist der Kampf um die Erhaltung der eigenen Lebensgrundlage zentral. Banken, Konzerne und kapitalistische Regierungen machen im Interesse einer kleinen Minderheit Milliarden arm. Sie berauben Millionen gänzlich ihrer Existenzgrundlage. SozialistInnen stehen für den gemeinsamen Kampf um Land und Brot, dafür dass das Land denen gehört, die es bebauen bzw. der ganzen Gesellschaft – und nicht einigen Wenigen. In diesem Sinne ist Landgrabbing ein besonders schäbiger Ausdruck des Niedergangs des Kapitalismus, dessen Folgen auf die Masse der Menschheit abgewälzt werden.

Marcus Hesse ist Mitglied im Ortsvereinsvorstand der LINKEN Aachen-Stadt.

Quellen:

(1) Süddeutsche Zeitung online (2.3. 2016): www.sueddeutsche.de/wirtschaft/entwicklungslaender-giernach-land-1.2886878 (zugegriffen am 11.05. 2016).

(2) Von 56 Mio. Hektar geht DIE WELT aus: www.welt.de/wirtschaft/article151170043/Ruecksichtslose-Jagd-auf-den-neuen-alten-Bodenschatz.html (zugegriffen am 16.05.2016)

(3) Vgl. Max Beer: Weltgeschichte. Die staatliche, wirtschaftliche, soziale, geistige und kulturelle Entwicklung der Völker, Berlin 1922, S. 74 ff. Siehe ebenso: Arthur Rosenberg: Demokratie und Klassenkampf im Altertum, Leipzig 1921, S. 80 ff.

(4) Der Ausdruck „neokoloniale Welt“ wurde gewählt, weil er am Besten den Status der Länder bezeichnet, die von Landgrabbing im großen Stil betroffen sind. Es handelt es sich um unabhängige Staaten, die ökonomisch weiterhin von den alten Kolonialmächten dominiert werden. Der Ausdruck „Dritte Welt“ ist wegen seiner Herkunft aus der Terminologie des Kalten Krieges („Zweite Welt“ = Ostblock) politisch fragwürdig und historisch überlebt. Die Bezeichnung „Entwicklungsländer“ ist irreführend und zynisch, da die Entwicklung dieser Staaten durch den Imperialismus dauerhaft gehemmt wird. Alternativ ist die Terminologie „Globaler Süden“ sinnvoll, da sie bei der Frage der Armut-Reichtums-Verteilung – wenn man von Australien als Teil des „Globalen Nordens“absieht – grob die Teilung der Welt entspricht.

(5) Oxfam: www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/landgrabbing (zugegriffen am 14.05. 2016)

(6) Süddeutsche Zeitung 2. März 2016: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/entwicklungslaender-giernach-land-1.2886878 (zugegriffen am 14.05. 2016)

(7) Oxfam: www.oxfam.de/unsere-arbeit/themen/landgrabbing (zugegriffen am 14.05. 2016)

(8) Frankfurter Rundschau 12.8.2011: www.fr-online.de/politik/land-grabbing-grenzenlose-gier-nachland,1472596,10423620.html (zugegriffen am 16.4.2016)

(9) www.land-grabbing.de/land-grabbing/

(10) Gruppe FIAN – Mit Menschenrechten gegen den Hunger. www.fian.de/themen/landgrabbing/?tx_kesearch_pi1%5Bpage%5D=3 (zugegriffen am 15.05. 2016)

(11) Süddeutsche Zeitung 17. Juni 2015: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/land-grabbing-sturm-aufdie-felder-1.2525060 (zugegriffen am 16.05. 2016)

(12) FAZ 28.12. 2013: www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/landgrabbing-in-deutschland-derwettlauf-ums-land-12728635.html (Zugegriffen am 15.05. 2016)

(13) Taz 5.7.2015: www.taz.de/!5208491/ (zugegriffen am 16.05. 2016)

(14) Quelle: www.topagrar.com/news/Home-top-News-Rund-260-000-baeuerliche-Familienbetriebein-Deutschland-1324799.html (zugegriffen am 16.05.2016)

(15) TAZ 8.1.2016: www.taz.de/!5267637/ (zugegriffen am 16.5. 2016), Junge Welt 9.1. 2016.

(16) SoliLa! – resistance is fertile: www.solila.blogsport.eu/2016/04/25/feldbesetzung-mali/ (zugegriffen am 16.05. 2016)