Dieser Artikel erschien zuerst am 19. Oktober auf der englischsprachigen Webseite socialistworld.net
Regisseur Oliver Stone nimmt den „tiefen Staat“ der USA unter die Lupe – eine Filmkritik
von Vincent Kolo, „Socialist Action“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Hong Kong)
„Es geht nicht um Terrorismus“, sagt Edward Snowden in Oliver Stones neuestem Werk ‘Snowden’, „der Terrorismus ist nur vorgeschoben. In Wirklichkeit geht es um soziale und ökonomische Kontrolle“.
Der Kinofilm „Snowden“ hat die Vertreter des „tiefen Staats“ in Amerika schon deshalb empört, weil er Salz in die Wunde streut, die vor nunmehr drei Jahren aufgerissen ist. Damals haben die Enthüllungen von Edward Snowden und die von ihm offengelegten, bis dato als streng geheim klassifizierten Dokumente gezeigt, in welch immensem Ausmaß der Staat die Menschen überwacht. Zu diesen Enthüllungen zählte auch eine Sammlung von 200 Millionen Text-Nachrichten, die an einem einzigen Tag durchleuchtet worden sind. In dem Film äußert Snowden, dass er nachvollziehen kann, weshalb US-amerikanische Dienste sich in Computersysteme einhacken und Telefonate in China und Russland abhören. Warum aber geschehe dies auch in Ländern wie Österreich …?
Chris Inglis, ehemaliger stellvertretender Direktor der „National Security Agency“ (NSA), hat Oliver Stones Streifen indes als „lächerlich“ bezeichnet. Er mag das zwar behaupten, Edward Snowden aber muss derzeit in Russland ausharren (wo er weder Asyl beantragt noch erhalten hat, wie einige Berichte weiterhin suggerieren). Sollte er wieder US-amerikanischen Boden betreten, so droht Snowden eine 30-jährige Haftstrafe aufgrund von „Spionage“.
Beunruhigend
Eigentlich bringt der Film keine neuen Erkenntnisse. Die Art und Weise aber, wie er – in nicht allzu fachspezifische Sprache verpackt – das überwältigende und weltumspannende Ausmaß der Überwachung und die Verbreitung moderner Kontrollmechanismen präsentiert, ist wirklich beunruhigend. Wenn der Film dazu beitragen kann, für mehr öffentliche Sensibilität bei diesem Thema zu sorgen, dann hat er einen wichtigen Beitrag geleistet.
Im Film wird gezeigt, wie Handys und Laptops an jedem Ort der Welt in Beschlag genommen und zu Überwachungsapparaten umfunktioniert werden können. Snowden umgeht diese Möglichkeit, indem er sein Mobiltelefon in der Mikrowelle aufbewahrt und ein Heftpflaster auf die Kameralinse seines Computers klebt. Es geht offenbar um das wahre Leben!
Unter Präsident Bush und in der Zeit des „Kriegs gegen den Terror“ sind die rechtlichen Grenzen, in denen derartige Methoden der massenhaften Überwachung angewendet werden können, weitgehend gelockert worden. Stattdessen wurde ein System geschaffen, zu dem auch Geheimgerichte gehören. Snowden hat dieses System, das keiner demokratischen Kontrolle mehr unterliegt, mehr und mehr abgestoßen.
Indem er auf Computer-animierte Bilder zurückgreift, zeigt der Film sehr anschaulich, wie die NSA sich so alltäglicher Portale wie „facebook“ und „google“ zunutze macht, um darüber jede x-beliebige Person ausspähen zu können. Gezeigt wird dies in einer mutmaßlich fiktiven Szene, in der Snowden sich in ein „facebook“-Konto eines jungen Mädchens einhackt und auf entsprechende Daten zurückgreift. Dies führt dazu, dass sie Selbstmordgedanken entwickelt. Snowden selbst agierte bei den Dreharbeiten als inoffizieller technischer Berater des Filmteams und hat seither eingestanden, dass er sich „unwohl“ fühlt, weil der Film sich so nah an der Wirklichkeit bewegt.
Der Staat
In diesem Sinne sind es der Staat und Geheimdienste wie CIA und NSA, die in diesem Film die Stars abgeben. Im wahren Leben sind sie die größten Schurken. MarxistInnen wie Friedrich Engels haben den Staat als besondere Körperschaft beschrieben, die zur Unterdrückung aller anderen gesellschaftlichen Klassen durch die ökonomisch herrschende Klasse dient und aus bewaffneten Einheiten besteht, Gefängnisse unterhält usw. In heutiger Zeit gehören auch noch riesige Bunker zu dieser „besonderen Körperschaft“, die vollgestopft sind mit Cyber-Technologie.
Aus diesem Grund hat das „Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI) und die ihm in den USA verbundene Organisation namens „Socialist Alternative“ die Forderung aufgestellt, dass die NSA aufgelöst und anti-demokratische Gesetze wie der „Patriot Act“ wieder aufgehoben werden. ArbeitnehmerInnen und junge Leute müssen sich für die volle demokratische Kontrolle der Regierung und der staatlichen Einrichtungen einsetzen, damit das bestehende, undemokratische und von den Eliten beherrschte System beendet wird.
Oliver Stone ist bekannt für seine Filme, die sich kritisch gegenüber dem US-Establishment äußern. Im Besonderen gilt dies für die Außen- und Verteidigungspolitik. Zu seinen Werken zählen Filme wie „Wall Street“, „Geboren am Vierten Juli“ und „Salvador“. „Snowden“ ergänzt diese Liste auf eindrückliche Weise. In der US-amerikanischen Filmindustrie ist sein jüngstes Projekt auf viel Widerstand gestoßen. „Alle großen Studios haben abgewunken“, sagt Stone. „Im Prinzip ging es darum, dass sie Angst hatten; Angst davor, diese Geschichte zu erzählen.“ Der Regisseur ging daraufhin nach Deutschland und Frankreich, um Gelder für seinen Film zu bekommen.
In einer Hauptrolle brilliert Joseph Gordon-Levitt als leicht verrückter Computer-Künstler. Er handelt wie ein „Computerfreak“, der eher einem Mark Zuckerberg als einem Jason Bourne gleicht. Der Film behandelt die Jahre von 2004 bis 2013, von dem Zeitpunkt, an dem Snowden selbst zum Bestandteil des US-amerikanischen Sicherheitsapparats wurde (er war bei der CIA, der NSA und bei privaten Sicherheitsfirmen beschäftigt) bis zu seiner schicksalhaften Entscheidung, mit tausenden von Geheimdokumenten in der Tasche nach Hong Kong zu fliehen.
Politisches Aha-Erlebnis
Der Film folgt Edward Snowden auf seiner Odyssee von Virginia in die Schweiz und nach Hawaii. Darüber wird auch seine bemerkenswerte politische Wandlung greifbar. Am Anfang steht Snowden noch hinter dem Krieg führenden Präsidenten Bush. Am Ende ist er dann der „whistle-blower“, der ob des Scheitern von Barack Obama, der doch alles anders machen wollte, keine Illusionen mehr hat. Der Film wartet mit peinlichen Originalaufnahmen von Obama auf, wie dieser behauptet, für „Transparenz“ in der Regierung zu stehen. 2004 wird Snowden dann für ein Programm der Spezialkräfte der Armee angeworben. Zu jenem Zeitpunkt glaubt er noch fest daran, dass er damit „den freien Menschen helfen kann, sich gegen Unterdrückung zur Wehr zu setzen“. Einmal im Sicherheitsapparat angekommen entdeckt er hingegen, dass seine eigene Regierung exakt das Gegenteil mit der eigenen Bevölkerung anstellt. Snowden hat die Aktivitäten der NSA als „existentielle Bedrohung für die Demokratie“ beschrieben.
Die politischen Ansichten Snowdens sind nur schwer festzumachen. Folgt man den Angaben des Autors Luke Harding in seinem Buch über den „whistle-blower“, dann sympathisiert er mit dem Rechtsausleger der „Libertarians“, Ron Paul. 2012 habe er sogar für den Wahlkampf von Ron Paul gespendet. Das geschah jedoch, noch bevor Snowden den entscheidenden Bruch mit dem US-amerikanischen Establishment vollzieht.
Was geschah im „Mira Hotel“?
Etliche Szenen des Films wurden in einem Hotelzimmer des „Mira Hotels“ in Hong Kong gedreht, wo Snowden die digitalisierten Dokumente an Glenn Greenwald (gespielt von Zachary Quinto) und Ewan MacAskill (Tom Wilkinson) von der Zeitung „The Guardian“ übergeben hat. Stones Streifen setzt an der preisgekrönten Dokumentation „Citizenfour“ von Laura Poitras (gespielt von Melissa Leo) an, die 2013 ausschließlich im „Mira Hotel“ gedreht wurde.
In Hong Kong hat der neue Film von Oliver Stone gerade erst seine Premiere hinter sich. Und „Socialist Action“ hat aus diesem Anlass organisiert, dass eine Gruppe von Füchtlingen an dieser Uraufführung teilnehmen konnte. Wir wollten damit auch die Rolle der acht Asylsuchenden hervorheben, die Snowden in ihren Unterkünften in Sicherheit gebracht haben. Nachdem „The Guardian“ die ersten Auszüge aus Snowdens Enthüllungen veröffentlicht hatte, war er gezwungen, sich als Kameramann verkleidet aus dem „Mira“ herauszuschleichen und Unterschlupf bei den ärmsten BewohnerInnen der Stadt zu suchen: den Flüchtlingen. Auch diese Begebenheit wird in dem Film von Stone beleuchtet.
So saßen bei der Filmpremiere in Hong Kong dann auch Vanessa von den Philippinen, die Mitglied von „Socialist Action“ ist, und Ajith aus Sri Lanka mit im Publikum. Sie waren zwei der Flüchtlinge, die Snowden bei sich aufgenommen hatten. Für Vanessa und Ajith oder andere Familien hat sich seit ihrem heldenhaften Akt der Zivilcourage im Jahre 2013 nichts geändert. „Wie Edward Snowden sind sie weiterhin staatenlos“, sagte Jonathan Man, der Anwalt von Snowden in Hong Kong. Auch er war bei der Premiere zugegen.
Nicht nur Edward Snowden hat sich öffentlich im Sinne der Flüchtlinge geäußert, die in Hong Kong leben. Auch der Schauspieler Gordon-Levitt hat auf seiner „facebook“- und „Twitter“-Seite Unterstützung für unsere Demonstration zum Ausdruck gebracht, die wir in Hong Kong für Snowden und die Rechte von Flüchtlingen organisiert haben. Am Ende des Films findet sich dazu eine Videoaufnahme, wo die Fahne von „Socialist Action“ zu sehen ist. Die Aufnahmen wurden bei der Demonstration im Juni 2013 gemacht, bei der wir gefordert haben, dass Snowden Asyl in Hong Kong gewährt wird. „Socialist Action“ hatte diese Demo mit organisiert.
Begnadigung für Snowden
Die Premiere des Kinofilms findet in einer Zeit statt, in der gerade eine Kampagne für die Begnadigung Snowdens durch den Präsidenten Obama läuft, der in Kürze das Weiße Haus verlassen wird. Die Forderung danach hat auch das CWI schon mehrfach ins Spiel gebracht. So hat sich auch Paul Murphy in seiner Zeit als Abgeordneter des Europaparlaments und später als Mitglied des irischen Parlaments dafür eingesetzt. Er ist Mitglied der „Socialist Party“, der Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Irland. Und auch der Film von Oliver Stone wird die Sensibilität der Öffentlichkeit bei diesem Thema steigern. Von den aktuellen PräsidentschaftskandidatInnen in den USA steht lediglich Jill Stein von der „Green Party“ für eine Begnadigung Snowdens.
Demgegenüber hat Donald Trump seine guten Beziehungen zu Russlands Präsident Putin hervorgehoben, die dabei helfen würden, um Snowden in die USA ausliefern und wegen Spionage vor Gericht bringen zu können. Aufgrund des Drucks, der durch die radikale Welle aufgebaut wurde, welche durch den Wahlkampf von Bernie Sanders ausgelöst worden ist, hat Hillary Clinton ihre Position etwas abgeschwächt. Plötzlich sprach sie nur noch davon, dass Snowden „die Suppe auslöffeln“ muss, die er sich eingebrockt habe. Drei Jahre zuvor hatte sie noch die Meinung vertreten, dass Snowden ein „Verräter“ sei, der „Blut an seinen Händen“ habe.
Diese unterschiedliche Herangehensweise zeigt auch, wie das kapitalistische Establishment in der Lage ist, doppelte Standards anzulegen. Schließlich haben frühere Präsidenten eine ganze Reihe tatsächlicher Schurken begnadigt. So zum Beispiel Richard Nixon, der Gerald Ford begnadigte oder Lewis „Scooter“ Libby, dem eine 7-jährige Haftstrafe wegen Meineids durch George W. Bush erlassen worden ist. Marc Rich, der Milliarden-schwere Ölhändler, der in illegale Machenschaften verwickelt war und das Unternehmen „Glencore“ gegründet hat, ist später von Bill Clinton begnadigt worden. Zuvor hatte Rich auf der Liste gesuchter Krimineller gestanden, weil er am größten Fall von Steuerbetrug in der Geschichte der USA beteiligt gewesen ist.