Sozialistische Forderungen ernst nehmen
Am 14. Mai finden in Nordrheinwestfalen Landtagswahlen statt. DIE LINKE hofft auf den Wiedereinzug in das Landesparlament. Das Programm, mit dem die NRW-LINKE in den Wahkampf gezogen ist, hat eine klare antikapitalistische Ausrichtung. Vergesellschaftung unter demokratischer Kontrolle, Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Sozialismus nicht als abstrakte Parole, sondern als Notwendigkeit, um die Welt vor Umweltzerstörung und Kriegen zu retten.
von Claus Ludwig, Köln
Im Schlusswort heißt es: „DIE LINKE tritt perspektivisch für eine sozialistische Gesellschaftsordnung ein, in der die wesentlichen Produktionsmittel nicht mehr in den Händen weniger Konzerne liegen, sondern Allen gehören und die gesellschaftliche Produktion von den Bedürfnissen der Menschen statt vom Profitinteresse bestimmt wird.“
Dazu kommen eine EU-kritische Haltung, klare Kante gegen alle Formen von Rassismus und Spaltung und ein mietenpolitisches Programm, welches den öffentlichen Wohnungsbau durch Land und Kommunen in den Vordergrund stellt und darauf zielt, die private Verfügungsgewalt über Grund und Boden einzuschränken.
Bürgerliche Medien und Ministerpräsidentin Kraft (SPD) haben das Programm zu Recht als „radikal“ interpretiert. Viele AktivistInnen in der Partei hat es sehr motiviert.
Unter den ersten zehn Plätzen der Landesliste sind zudem einige Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) zu finden, auch das ist der Ministerpräsidentin übel aufgestoßen, sie und führende Grüne meinen, „die Radikalen“ hätten zu viel Einfluss bei den LINKEN.
Programm und Praxis
Die Angst, „zu radikal“ zu sein, scheint auch GenossInnen im Landesvorstand und der Wahlkampfleitung erfasst zu haben. Das konkrete Wahlkampf-Material und die Äußerungen gegenüber der Presse sind weit entfernt vom im November beschlossenen Programm. Auf der Wahlkampfzeitung – die auch der Autor dieser Zeilen unermüdlich verteilt – findet sich auf dem Titelblatt neben einem Bild von Sarah Wagenknecht die Überschrift „soziale Sicherheit“. Nun tritt die LINKE für soziale Gerechtigkeit ein, aber „soziale Sicherheit“ ist eine extrem zurückhaltende, auf den Sozialstaat der 1970er Jahre Bezug nehmende Losung.
Im Artikel zum Thema Wohnen wird die auch im Programm enthaltene schwammige Formulierung von der „neuen Gemeinnützigkeit“ verwendet, die Absage an Bau von Wohnungen durch private Investoren und die Betonung des kommunalen Wohnungsbaus sind in dem Artikel nicht zu finden.
Das Programm endet noch mit einer klaren Absage daran, die kapitalistischen Zustände in der Regierung mitzuverwalten: „… sagen wir unmissverständlich, dass DIE LINKE NRW sich nur dann an einer Regierungskoalition beteiligen wird, wenn damit ein deutlicher Politikwechsel verbunden ist. Sozialabbau, Stellenstreichungen, Privatisierungen oder eine repressive Flüchtlingspolitik sind mit der LINKEN auf keinen Fall zu machen. Deshalb werden wir uns zum Beispiel an einer Politik, die weiter auf die sogenannte Schuldenbremse setzt oder Flüchtlinge abschiebt, keinesfalls beteiligen.“
In Interviews hält die Landessprecherin und Spitzenkandidatin Özlem Demirel eine Koalition mit SPD und Grünen für „möglich“ und betont immer wieder, dass dies an der LINKEN nicht scheitern soll. In Gespräch mit dem Kölner Stadtanzeiger wird sogar über Ministerposten gesprochen, der Name des Kölner Armutsforschers Christoph Butterwegge wird erwähnt. (KStA, 21.04.17)
Alle wissen, dass SPD und Grüne ihre Politik nicht ändern werden. Sie werden abschieben, sie werden Kinder weiter zurück lassen, sie werden die Zustände, die zu mehr Armut und mehr Reichtum in den Händen von Wenigen führen, weiter stabil halten.
Wenn DIE LINKE unter diesen Umständen sagt, sie halte eine Regierung für möglich, dann könnten WählerInnen auf die Idee kommen, der LINKEN ist – wie jeder etablierten Partei – die eigene Programmatik egal, sobald die Posten in Reichweite kommen.
Angst zu radikal zu sein
Sind die GenossInnen schon umgekippt und haben alle Ziele aus dem Programm verworfen? Nein, wir schätzen sie nicht so ein. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass Özlem Demirel, Christian Leye und die anderen führenden GenossInnen zu ihren Zielen stehen, auf der Grundlage des Programms agieren.
Aber wir sehen mit Sorge, dass die GenossInnen Opfer ihrer eigenen Angst werden, ja nicht zu radikal zu erscheinen und dem Druck des bürgerlichen Politikbetriebs nachzugeben. Das macht eine Regierungsbeteiligung nicht unbedingt wahrscheinlicher, denn die SPD hat wahrscheinlich alle Optionen und könnte mit der FDP einen einfacheren Weg finden. Aber es führt zu Unklarheiten bei WählerInnen und Mitgliedern. Die LINKE wird nicht gebraucht als Möchtegern-Mini-Korrektiv einer asozialen SPD-Grünen-Koalition. Sie wird gebraucht als grundlegende Opposition gegen dieses System und das Establishment.