Kultur nur für hundert Tage?!
Vom 10. Juni bis zum 17. September findet in Kassel die documenta 14 statt. Sie ist die weltweit größte Ausstellung zeitgenössischer Kunst und wandelt Kassel alle fünf Jahre in ein Reiseziel internationaler BesucherInnen. In diesen hundert Tagen erscheint die Stadt als ein Ort kulturellen Angebots auch rund um die Kunstshow. Doch dabei werden einst selbstverwaltete Zentren untergraben, an dessen Stelle teure neue Clubs und Cafés treten. In der Kasseler Jugend entsteht Widerstand. Sie fordern Freiraum für unkommerzielle kulturelle Zentren, die auch nach den Wochen der documenta bleiben.
von Hannah, Kassel
1955 wurde die erste documenta in Kassel organisiert. Damals unter der Leitung des Kasseler Kunstprofessors und Kurators Arnold Bode. Im Fokus standen dabei die Werke vieler progressiver KünstlerInnen, deren Kunst während des Nationalsozialismus unter der Bezeichnung „Entartete Kunst“ diffamiert worden waren. Viele dieser Objekte wurden damals beschlagnahmt und zum großen Teil zerstört.
Kritisch nur im Ansatz
Heute präsentiert die Ausstellung ausschließlich Werke zeitgenössischer KünstlerInnen. Zudem hat der diesjährige Kurator Adam Szymcyk sich dazu entschieden, die Ausstellung 2017 in zwei Städten vorzuführen. Athen und Kassel. Mit dem Titel „Von Athen lernen” scheint die documenta den Rahmen aktueller gesellschaftspolitischer Kontexte anzustreben. Beide Städte sollen als gleichberechtigte Gastgeber der Ausstellung gelten.
In Anbetracht der politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland und der großen Verantwortung Deutschlands an der hohen Verschuldung Griechenlands, stößt der Anspruch auf Gleichberechtigung jedoch auf Unglaubwürdigkeit und Empörung auf Seiten der Griechinnen und Griechen. Für viele ist der Titel ironisch. „Sonst sollen wir doch immer von Deutschland und Berlin lernen. Was wollt ihr denn jetzt von uns lernen?“ äußerte sich eine Studentin in Athen. Außerdem sagte sie, dass sie sich als Studentin weder eingeladen fühlt, die documenta zu besuchen, noch könnte sie sich ein Ticket dafür leisten.
Der krisenhafte Charakter des Kapitalismus hat auch Einzug in die Weltkunst erlangt. Kriege, Flucht, Armut und Terror sind oftmals Inhalte der documenta-Werke und ein Abbild unserer heutigen Gesellschaft.
Der kritische Ansatz der Ausstellung geht jedoch nicht über die künstlerische Ebene hinaus. Auch die documenta ist eine kapitalistische Institution. Die Arbeitsbedingungen sind prekär und die Löhne zu niedrig, während die Preise der Läden und Cafés in der Stadt steigen.
Besetzung der Villa Rühl
Das Arrangement der documenta begeistert die internationale Kunstszene, sowie den Teil der Bevölkerung, der sowohl genug Zeit als auch Geld hat, um sich die Weltkunst anzuschauen. Die Kasseler Jugend fühlt sich jedoch weder miteinbezogen noch angezogen von dem überteuerten Angebot. Sie fordern Räumlichkeiten, die sie selbst verwalten und die ein Zentrum der Kreativität und des Austauschs bilden. Das alles auch für Menschen, die sich keine Tickets für’s Theater, Museum oder Kino leisten können. Solche Zentren existierten einst in Kassel, sie wurden in der Vergangenheit jedoch nach und nach geschlossen.
Da die Stadt Kassel dem Anliegen nicht entgegenkommt und bei Bildung und Jugendkultur weiterhin kürzt, hat eine Gruppe von AktivistInnen das Recht auf Stadt konkret eingefordert. Zehn Tage vor der documenta-Eröffnung wurde die Villa Rühl, ein leerstehendes Gebäude der Universität Kassel, besetzt. Schnell entstand breite Solidarität gegenüber dem Projekt und die Villa wurde zu einem attraktiven Aufenthaltsort vieler Menschen. Doch die Univerwaltung war nicht kooperationsbereit, hat die Villa räumen lassen und sich damit auch gegen das Interesse vieler ihrer Studierenden gestellt. Die Polizei räumte am 19. Juni das entstandene Zentrum. Alles was selbst gebaut und mit viel Mühe errichtet wurde, landete im Container.
Schnell wurde eine spontane Demonstration organisiert, bei der über dreihundert Leute auf der Straße waren. Weitere haben ihre Solidarität bekundet. Durch die Besetzung haben sich AktivistInnen, darunter auch Mitglieder der SAV, und UnterstützerInnen vernetzt, sodass auch aktuell unter dem Motto „Unsere Villa bleibt“ für den Ausbau von unkommerziellen Zentren gekämpft wird. Auch die Linksjugend [’solid] Kassel wird unter dem Titel „Zukunft erkämpfen!“ mit dieser Forderung in den Wahlkampf gehen.