Zu den Gesetzentwürfen von SPD und Grünen
Seit der „Flüchtingswelle“ vor zwei Jahren ist die Frage der „Zuwanderung“ eines der dominierenden politischen Themen. Am rechten Rand wird die Angst vor „Überfremdung“ geschürt und die etablierten Parteien lassen sich bereitwillig auf die Diskussion ein.
von Ianka Pigors, Hamburg
CDU/CSU, SPD und Teile der Grünen sind sich einig, dass eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen, effektivere Abschiebungen und schärfere Einreisekontrollen notwendig sind, um „den Ängsten der BürgerInnen“ zu begegnen.
Arbeitgeber wollen Reform
Gleichzeitig ist klar, dass ein Zuwanderungsstopp den Interessen eines wichtigen Teils der Wirtschaftseliten widerspricht. Die BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) fasst ihr Programm auf ihrer Homepage in klaren Worten zusammen: „Ziel nationaler und europäischer Zuwanderungsregelungen muss es sein, gesteuerte Zuwanderung dringend benötigter Fachkräfte flexibel und zeitnah zu ermöglichen und ungesteuerte Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme zu begrenzen.“
Durch gezielte Anwerbung von Fachkräften einerseits und verstärkte Repression gegen „ungeladene“ ZuwandererInnen andererseits, ließen sich beide Interessen unproblematisch in Einklang bringen. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen sind hierfür jedoch nicht besonders geeignet. Abgesehen von Asylverfahren sind die Einwanderungsmöglichkeiten beschränkt. Ein Visum zur Arbeitsaufnahme erfordert in der Regel unter anderem die Zusicherung eines jährlichen Gehalts von mindestens 50.800 Euro bzw. bei sogenannten Mangelberufen von 39.624 Euro.
„Nadelöhr“ Asylgesetze
Die Kritik daran, dass Zuwanderung in Deutschland überwiegend durch das „Nadelöhr“ des Asylgesetzes gezwängt wird, obwohl die dortige Definition der politischen Verfolgung oder der Flüchtlingseigenschaft der Lebensrealität vieler Menschen nicht gerecht wird, ist berechtigt. Die SPD und die Grünen haben diese Kritik aufgegriffen und Entwürfe für Zuwanderungsgesetze vorgelegt. Im Vorwort zum Gesetzentwurf der SPD heißt es ausdrücklich: „Der Wunsch nach einem Arbeitsplatz ist verständlich, aber kein Asylgrund. Auch deshalb müssen wir Klarheit schaffen, wer nach Deutschland einwandern kann und wer nicht. Dass genau definierte Einwanderungsangebote die Asylverfahren deutlich entlasten können, zeigt das Beispiel der befristeten Arbeitsvisa für den Westbalkan. Einen solchen Effekt erhoffen wir uns auch von dem Einwanderungsgesetz.“
Kernstück der Gesetzesentwürfe – sowohl der SPD, als auch der Grünen – ist ein „Punktesystem“ nachdem BewerberInnen auf ein Arbeitsvisum bzw. auf ein auf ein Jahr befristetes Visum zur Arbeitssuche bewertet werden sollen. Punkte werden nach Vorstellung der SPD vergeben für: Berufsqualifikationen, Sprachkenntnisse, Alter, Integrationsaspekte, Berufserfahrung und dem Vorliegen eines Arbeitsplatzangebotes.
Nach Vorstellung der Grünen erhält man Punkte für: Hochschulabschluss, Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung, Berufserfahrung, Kenntnisse der deutschen Sprache, Voraufenthalt in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz und Aussicht auf den Erwerb von Rentenanwartschaften oder eine bereits erworbene sonstige Alterssicherung.
Keine Auswirkung auf Flucht
Die Behauptung, die Pläne würden Menschen davon abhalten, die gefährliche Flucht über das Mittelmeer ist absurd. Die lange Flucht ist teuer. So machen sich selten die Ärmsten auf den Weg. Viele stammen aus der Mittelschicht und sind für ihre Heimatländer überdurchschnittlich gebildet. Trotzdem haben Menschen aus Afrika oder dem Mittleren Osten kaum eine Chance, „nach Punkten“ mitzuhalten: Viele Herkunftsländer haben keine Universitäten, deren Abschlüsse in Deutschland anerkannt werden, formelle Berufsausbildungen sind weitgehend unbekannt, Schulen, die deutsche Sprachzertifikate ausstellen dürfen, sind selten. In kaum einem Land kann eine formelle Altersversorgung erworben werden. Reguläre Arbeit, bei der man nachweisbare Berufserfahrung sammeln könnte, ist rar und Auslandsreisen, bei denen man „Voraufenthaltszeiten“ in der EU ansammeln könnte, sind für die große Mehrheit reine Utopie.
Der Gesetzentwurf der Grünen beinhaltet einige Vorschläge zur Abschaffung besonderer Ungerechtigkeiten im aktuellen Ausländerrecht. Die Grundtendenz des Vorschlages bietet jedoch keinen Ansatz zu Verbesserungen der Lage Flüchtender. Er ist im Kern ebenso neoliberal, wie der Vorschlag der SPD.
Er stellt einen Anreiz für deutsche Arbeitgeber dar, die Aus- und Weiterbildungskosten für hier lebende Menschen zu senken und stattdessen „fertige“ Fachkräfte aus dem Ausland einzukaufen. KollegInnen, die unter solchen Bedingungen einwandern, sind extrem abhängig von ihren Arbeitsplätzen und damit leichter daran zu hindern, sich gewerkschaftlich zu organisieren und für ihre Rechte einzutreten. Aus Sicht der Arbeiterbewegung gibt es keinen Grund, solche Gesetzesvorhaben zu unterstützen.
Gemeinsamer Kampf
Die Voraussetzung für selbstbestimmte Migration und offene Grenzen ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht nach den Profitinteressen der Unternehmen gewirtschaftet wird, eine Gesellschaft, in der Kriege, Armut und Umweltzerstörungen niemanden mehr zu Flucht und Migration zwingen, so dass wir alle frei entscheiden können, wo wir wann leben wollen.
Um diese Gesellschaft zu erreichen, müssen wir alle – Menschen mit und ohne Migrationshintergrund – gemeinsam kämpfen. Die Rechte der nicht-deutschen KollegInnen, MitschülerInnen und NachbarInnen – auch durch gesetzliche Verbesserungen – zu stärken und ihnen damit den Weg zu einem gemeinsamen Kampf zu vereinfachen, ist dafür eine unabdingbare Voraussetzungen.