Merkel geschwächt – Zugewinne und verpasste Chancen für DIE LINKE
Die vorgezogenen niedersächsischen Landtagswahlen haben das Regieren für die Herrschenden nicht leichter gemacht. Die CDU hat mit 2,5 Prozent ebenso wie ihre künftige Jamaika-Partner FDP (2,5) und die Grünen (4,8) deutliche Stimmenverluste verzeichnet. Merkel wurde am Sonntag weiter geschwächt.
Von Heino Berg, Göttingen
Auch in der niedersächsischen Landeshauptstadt reicht es nicht für eine rot-grüne Regierungsmehrheit, obwohl die SPD aufholen konnte, nachdem sie sich im Bund für die Opposition entschieden hat. Stephan Weil wird zwar als strahlender Wahlsieger, als Retter für die Parteiführung um Schulz und Nahles und damit als Garant für ein „Weiter so“ in der Sozialdemokratie gefeiert, kann sich aber noch weniger als vorher auf stabile Regierungsmehrheiten stützen.
Die AfD ist mit 6,2 Prozent im Landtag vertreten, aber ihr bisherige Höhenflug wurde stark gebremst. DIE LINKE konnte im Vergleich zu 2013 1,5 Prozent Zugewinne (plus 64.895 auf 177.107 Zweitstimmen) und viele neue Mitglieder verbuchen: Trotzdem überwog am Wahlabend bei den meisten Parteimitgliedern die Enttäuschung, weil DIE LINKE mit 4,6 Prozent ähnlich knapp wie in NRW den Einzug in den Landtag verpasst hat. Die Gründe, warum sie ihr Potenzial von 6,9 Prozent bei den Bundestagswahlen schon zwei Wochen später nicht mehr ausschöpfen konnte, beschränken sich sicher nicht auf unnötige Personalquerelen oder die Infragestellung der beschlossenen Flüchtlingspolitik durch führende Partei- und FraktionsvertreterInnen. Wir sollten sie nicht nur beim bevorstehenden Landesparteitag offen und ehrlich ansprechen, um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden.
DIE LINKE hat zwar besonders in den niedersächsischen Städten deutlich zugelegt (in Göttingen hat sie zum Beispiel ihren Stimmenanteil auf 9,9 Prozent fast verdoppelt, in Hannover Linden plus 6,8 Prozent auf 13,7, in Oldenburg plus 6,6 Prozent auf 10,5, in Osnabrück stieg sie von 3,2 auf 7,2 Prozent, in Braunschweig von drei auf sieben Prozent), blieb aber vor allem in den ländlichen Wahlkreisen ohne starke Parteistrukturen meist unter fünf Prozent. Eine Ausnahme bildete unter anderem der Wahlkreis 48 (Elbe) mit 6,4 Prozent, wo mit Matthias Wiedenlübbert ein Mitglied der AKL und SAV antrat und sich ausdrücklich gegen Koalitionen mit SPD und Grünen ausgesprochen hatte. Im Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Weil und Alhusmann – so die Kommentare am Wahlabend – war bei der LINKEN zu wenig eigenständiges Profil erkennbar.
In der Tat: DIE LINKE hat im Wahlkampf die politische Konfrontation mit der rot-grünen Landesregierung vermieden, weil ihre SpitzenkandidatInnen Adler und Stoeck ihre Beteiligung an einem R2G-Bündnis direkt angeboten hatten oder diese sich zumindest offen halten wollten. Das spiegelte sich in den wenig zuspitzenden Wahlplakaten, in den Aufklebern „Schwarz-Gelb verhindern“, in einer Zweitstimmenkampagne, die in der Presse als Aufruf für Leihstimmen an die SPD verstanden wurde. Auch presseöffentliche Äußerungen in Bezug auf die Bundesebene, denen zufolge die SPD nicht „der Gegner“ für DIE LINKE sei, mussten diesen Eindruck verstärken, selbst wenn im selben Atemzug einer „Koalition in der Opposition“ eine Absage erteilt wird (Victor Perli am 13.10. in der jungen Welt). Die Landesvorsitzende Anja Stoeck bezeichnete am 9.10. im NDR die Rolle der LINKEN auf „Anstupser“ und „Aufpasser“ für die Regierung Weil, anstatt den grundlegenden Gegensatz zwischen einer sozialistischen und neoliberalen Parteien zu betonen. Dies galt nicht zuletzt für den so genannten „Dieselskandal“, den DIE LINKE nicht als Steilvorlage für Frontalangriffe auf die mafiaähnliche Zusammenarbeit zwischen den Autokonzernen und den Regierungsparteien und für Vergesellschaftungsforderungen genutzt, sondern gemeinsam mit diesen Parteien die Verteidigung des VW-Gesetzes ins Zentrum gerückt hatte.
Dadurch wirkte die offizielle Wahlkampfkampagne der LINKEN im Unterschied zum Engagement der Parteimitglieder vor Ort und auf der Straße manchmal nur wie eine kritische Begleitmusik für Rot-Grün – und nicht als oppositionelle Alternative, welche die Unzufriedenheit gerade unter den bisherigen Nichtwählern mobilisieren konnte. Wer zusammen mit kapitalistischen Parteien regieren möchte, kann sie eben nicht glaubwürdig bekämpfen.
Der Autor dieser Zeilen hatte als Landessprecher der AKL und Mitglied der SAV in einer Stellungnahme vom 9.10. vor einem solchen Koalitionswahlkampf gewarnt: „Bei der Nominierung der linken Bundestagsabgeordneten hatte die niedersächsische LINKE auf Initiative der AKL in Wolfsburg fast einstimmig beschlossen, dass wir aufgrund der unüberbrückbaren Gegensätze zu SPD und Grünen nicht als Koalitionspartner, sondern als Opposition im neuen Landtag nur für eine EINZELFALLUNTERSTÜTZUNG einer rot-grünen (Minderheits)regierung zur Verfügung stehen können. (…) Denn mit dieser Position könnten wir uns am Kampf gegen eine auch in Niedersachsen drohende Rechtsregierung beteiligen und für deren Verhinderung um Stimmen für DIE LINKE werben, OHNE neoliberalen Parteien ein Regierungsbündnis in Aussicht zu stellen und unsere wichtigste Aufgabe, nämlich die einer wirklichen Opposition gegen das Establishment an der Parlamentsgarderobe abzugeben. Ansonsten riskieren wir die Stimmen derjenigen Menschen, welche DIE LINKE als Systemalternative zum neoliberalen Einheitsbrei und seinem rechtspopulistischen AfD-Anhang brauchen und unterstützen wollen. Das in Wolfsburg beschlossene Angebot einer Einzelfallunterstützung für eine rotgrüne Minderheitsregierung Weil ist nach Meinung der Antikapitalistischen Linken sehr viel besser dazu geeignet, unentschlossene WählerInnen für DIE LINKE zu gewinnen, als Koalitionsangebote an einen Ministerpräsidenten, der nicht etwa die AfD, sondern vor allem DIE LINKE aus dem Landtag heraushalten möchte.“
Nach Ansicht der SAV kann sich DIE LINKE auf Fortschritte bei der Gewinnung insbesondere junger Mitglieder und WählerInnen in den zurückliegenden Wahlen stützen, sollte sich aber auf ihr eigenständig-antikapitalistisches Profil besinnen, anstatt auf die Forderungen von neoliberalen oder gar rechtspopulistischen Parteien Rücksicht zu nehmen.