Interview mit Sylvia Gabelmann
Am 24. September wurden 69 Abgeordnete der LINKEN in den Bundestag gewählt. Eine der neu Gewählten ist Sylvia Gabelmann aus NRW. Sylvia ist eine von fünf BundessprecherInnen der Antikapitalistischen Linken (AKL). Mit ihr sprach Lucy Redler.
Am 17./18.10. fand die erste Fraktionsklausur der Linksfraktion im Bundestag statt. Wie hast du diese erlebt?
Schon im Vorfeld der Fraktionsklausur wurden Änderungsanträge zur Geschäftsordnung der Fraktion öffentlich, was ich sehr befremdlich fand. Direkt vor Beginn der Klausur bekamen die Abgeordneten dann einen Brief von Sahra Wagenknecht, in welchem sie die Bedingung stellte, dass insbesondere zwei dieser Änderungsanträge abgelehnt werden und außerdem ihre WunschkandidatInnen für den Fraktionsvorsitz akzeptiert werden sollten. Anderenfalls stünde sie für den Fraktionsvorsitz nicht zur Verfügung. Nicht nur ich empfand das als eine Form von Erpressung. Entsprechend dominierten Sahras Forderungen fast die gesamte Klausur. Immer wieder zogen sich die beiden Parteivorsitzenden mit den beiden Fraktionsvorsitzenden zurück, um einen Kompromiss zu finden. Konkret bedeutete das, dass über sechzig Abgeordnete warten mussten, bis ein Kompromiss ausgehandelt war, welcher dann vorgestellt wurde und wir eigentlich nur noch die Wahl hatten, dem zuzustimmen. Anderenfalls hätte es den Rückzug Sahras von ihrer Kandidatur bedeutet. Der Druck – insbesondere auf die neuen Abgeordneten – war immens hoch und eine offene, konstruktive und vor allem gemeinsame Aussprache war nicht möglich. Klaus Ernst sprach von einem „Klima der Angst“ und da muss ich ihm Recht geben. Besonders ärgerlich war, dass wir nur minimal Zeit hatten, inhaltliche Punkte zu diskutieren. Wie zum Beispiel, welche parlamentarischen Initiativen wir am Beginn der neuen Legislatur in den Mittelpunkt stellen oder wie wir mit der AfD im Parlament umgehen wollen.
Insgesamt habe ich die beschriebene Vorgehensweise der Fraktions- und Parteispitze als hochgradig undemokratisch und respektlos gegenüber uns Abgeordneten – besonders den neu Gewählten – empfunden. Dieser Arbeitsstil muss sich dringend ändern, ansonsten befürchte ich großen Schaden für die gesamte Partei.
Alles läuft auf eine Jamaika-Koalition hinaus. Was erwartest du und die neue Linksfraktion von Jamaika?
Ob eine Jamaika-Koalition am Ende tatsächlich zustande kommen wird, steht noch in den Sternen. Mir scheint der Machtwillen der beteiligten Parteien jedoch ausgeprägt genug dafür. Für die Mehrheit der Menschen in unserem Land wird es mit einer Jamaika-Koalition keine konkreten Verbesserungen geben. Vielmehr drohen in allen Lebensbereichen deutliche Verschlechterungen. Diese Koalition würde das neoliberalste Bündnis der letzten Jahrzehnte werden. Schon jetzt ist klar, dass das Renteneintrittsalter erhöht werden soll. Lohngerechtigkeit, einen Ausbau der Gesundheitsversorgung, Chancengleichheit in der Bildung, Datenschutz und eine fortschrittliche Flüchtlings- und Migrationspolitik wird es mit dieser Koalition nicht geben. Dass ausgerechnet die ehemalige Bürgerrechts- und Friedenspartei Bündnis 90/Die Grünen mancherorts als das vermeintlich „soziale Korrektiv“ einer solchen Koalition betrachtet wird, irritiert mich schon. Die Grünen haben ja nicht nur während ihrer Regierungszeit in der Koalition mit der SPD unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder die Hartz IV-Gesetze – und damit das größte Sozialabbauprogramm der deutschen Nachkriegsgeschichte – mitgetragen. Erinnert sei auch an die Aufgabe ihrer pazifistischen Positionen. Bis heute haben sie diesen Kurs nicht korrigiert. Selbst im Umweltbereich relativieren sie ihre Forderungen: Ein Ausstieg aus der Kohle wird nicht mehr terminiert. Es wird also auf uns LINKE ankommen, die sozial-ökologische Opposition gegen das sich abzeichnende neoliberale Großbündnis zu sein und sowohl im Parlament als auch gemeinsam mit den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften auf der Straße für eine soziale und umweltfreundliche Politik zu kämpfen.
Wie soll DIE LINKE in der Opposition mit der SPD umgehen?
Wir haben als LINKE immer die Position vertreten, dass wir in Sachfragen mit der SPD zusammenarbeiten, falls diese wieder zu einer sozialdemokratischen Politik, die diesen Namen auch verdient, zurückkehrt. Es wird sich zeigen, wie die SPD ihre neue Rolle als eine von mehreren Oppositionskräften ausfüllen wird. Ich bin derzeit nicht optimistisch, dass die SPD aus ihrer Serie von Wahlschlappen die richtigen politischen Schlüsse und notwendigen personellen Konsequenzen gezogen hat. Das Glaubwürdigkeitsproblem, welches sich die SPD aufgrund ihrer unsozialen Politik selbst organisiert hat, wird nicht von heute auf morgen zu beseitigen sein. Wenn es inhaltliche Gemeinsamkeiten geben sollte, die in die richtige Richtung gehen, nämlich hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und einer friedlichen Außenpolitik, kann ich mir vorstellen, dass es Absprachen mit der SPD geben kann. Eine „Koalition in der Opposition“ wird es jedoch mit uns nicht geben.