Hamburger Bündnis legt ebenfalls los
Zum Start der sechsten Woche des Berliner Volksentscheids für Gesunde Krankenhäuser (https://volksentscheid-gesunde-krankenhaeuser.de/) haben die AktivistInnen am Internationalen Frauentag vermutlich die erste Marke von 10.000 der in der ersten Stufe benötigten 20.000 Unterschriften geknackt. Die Resonanz auf der Straße und in Krankenhäusern ist enorm positiv. KollegInnen verschiedener Krankenhäuser geben regelmäßig Hunderte von Unterschriften bei der zentralen Sammelstelle von ver.di Berlin ab. Dort lagern 8891 Unterschriften (Stand 9. März), zudem wurden 800 beim Internationalen Frauentag gesammelt, weitere volle Listen liegen in den vierzehn dezentralen Sammelstellen. Und seit dem Internationalen Frauentag am 8. März gilt: Das gallische Dorf kämpft nicht mehr allein – Hamburg legt nach.
von Lucy Redler, Aktivistin des Berliner Volksentscheids
Und zwar in bahnbrechendem Tempo: So startete das Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus am 8. März den Hamburger Volksentscheid für mehr Personal im Krankenhaus (http://www.pflegenotstand-hamburg.de/) und hat sich zum Ziel gesetzt, die nötigen 10.000 Unterschriften der ersten Stufe einer Volksinitiative nicht in den vorgesehenen sechs Monaten, sondern innerhalb von drei Wochen zu sammeln. Erste Meilensteine für die Sammlung sollen die Frauentagsdemo am 9. März und das Spiel St. Pauli gegen Eintracht Braunschweig am 10.März sein.
Gefährliche Pflege
In Hamburg ist die Situation ähnlich katastrophal wie in der Bundeshauptstadt: 4200 Pflegestellen fehlen in Hamburger Krankenhäusern und Gelder der Krankenkassen für Personal werden aufgrund nicht ausreichender Mittel des Bundeslands für dringend nötige Investitionen umgewidmet. Pflegestellen werden so zu Baustellen.
Dagegen begehren Hamburger Pflegekräfte auf und wollen wie in Berlin erreichen, dass das Landeskrankenhausgesetz geändert wird und feste Personal-Patienten-Schlüssel eingeführt und die Investitionen maßgeblich erhöht werden.
Bundesländer schieben Verantwortung auf den Bund
Sowohl Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kolat als auch Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (beide SPD) begrüßen das Anliegen der Volksentscheide in Worten, verweisen aber auf die Zuständigkeit des Bundes. Prüfer-Storcks sagte als erste Reaktion auf den Hamburger Volksentscheid gar, „dieser gehe den falschen Weg“ und säte Zweifel, der Volksentscheid sei nicht verfassungskonform. Wieder einmal klaffen Wahlversprechen der SPD und die Realität auseinander. Dazu passen die Sorgen von vielen Aktiven, dass der rot-grüne Hamburger Senat und Gerichte die Volksgesetzgebung aufgrund von Finanzierungsvorbehalten generell in Zukunft einschränken könnten (siehe auch: https://www.abendblatt.de/hamburg/kommunales/article213100181/Wenn-zu-viel-direkte-Demokratie-Politiker-stoert.html).
Für bedarfsgerechte Standards
Die Aktiven beider Volksentscheide haben sich ebenfalls für eine bundesweite Regelung ausgesprochen, wollen aber nicht warten, dass der Bund agiert und verweisen darauf, dass die bisherigen durch die neue Regierung angekündigten Personaluntergrenzen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bedarfsgerecht sein werden. Oder wer kann sich vorstellen, dass der designierte konservative Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der bisher mehr als Vertreter der Pharmalobby aufgefallen ist, bedarfsgerechte Standards einführen wird?
Den Druck erhöhen
Nur durch den Druck der Volksentscheide und von weiteren betrieblichen Aktionen und Streiks in den Krankenhäusern wird eine solche bundesweite Regelung durchsetzbar sein – gegen den Willen von Spahn und der Bundesregierung.
Beide Bundesländer können schon jetzt handeln und durch Änderungen im Landeskrankenhausgesetz Personalschlüssel einführen. Dazu sind sie ermächtigt.
So ist in §6 des bundesweit geltenden Krankenhausfinanzierungsgesetz in Abs. 1a festgehalten: „Die Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu den planungsrelevanten Qualitätsindikatoren gemäß §136c Abs.1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sind Bestandteil des Krankenhausplans. Durch Landesrecht kann die Geltung der planungsrelevanten Qualitätsindikatoren ganz oder teilweise ausgeschlossen oder eingeschränkt werden und können weitere Qualitätsanforderungen zum Gegenstand der Krankenhausplanung gemacht werden.“
Bezeichnenderweise hat Prüfer-Storcks selbst gerade Personalvorgaben für zwei Bereiche der Chirurgie per Verordnung auf Hamburger Landesebene eingeführt. „Das zeigt, dass es auf Landesebene möglich ist und führt einen Teil von Prüfer-Storcks Gegenargumenten ad absurdum“, kommentiert Christoph Kranich, Sprecher des Hamburger Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus.
Breite Unterstützung
Die Unterstützung des Berliner Volksentscheids entwickelt sich sehr erfreulich: Neben ver.di Berlin unterstützen der Marburger Bund Berlin-Brandenburg, die Berliner Ärztekammer, die Berliner Landesverbände der Gewerkschaften EVG und GEW und DIE LINKE Berlin den Volksentscheid. Wöchentlich trudeln neue unterstützende Organisationen ein. Im Bündnis aktiv sind darüber hinaus viele Pflegekräfte, Auszubildende, betroffene PatientInnen und neben anderen politischen Gruppen wie der IL auch die SAV aktiv. Auch in Hamburg wird das Bündnis breit getragen, auch wenn sich einige Organisationen mit der Unterstützung des Volksentscheids noch schwer tun. So will ver.di Hamburg die Unterstützung erst prüfen, was für viele Aktive nicht nachvollziehbar ist, zumal ver.di Hamburg den Anstoß zur Gründung des Bündnisses 2016 selbst gegeben hat. Erfreulicherweise saß der ehrenamtliche Vorsitzende des ver.di-Landesbezirksvorstands Olaf Harms bereits auf dem Podium der Pressekonferenz. Alle anderen Organisationen des Hamburger Bündnisses unterstützen die Volksinitiative bereits.
Menschen statt Profite
Beide Volksentscheide verstehen sich explizit nicht als Ersatz für betriebliche Arbeitskämpfe, sondern als Ergänzung. Eine Ausweitung der bundesweiten ver.di-Tarifbewegung Entlastung, bundesweit koordinierte Arbeitsniederlegungen um den Tag der Pflege am 12. Mai herum und eine Ausweitung der Volksentscheide auf andere Bundesländern könnten den Druck massiv erhöhen. Die Tatsache, dass die Bundesregierung den Pflegenotstand ernst nehmen muss, hat viel mit dem ersten erfolgreichen Streik an der Charité 2015 zu tun. Sorgen wir dafür, dass aus den ersten Leuchtturm-Streiks und Leuchtturm-Volksentscheiden ein betrieblicher und politischer Flächenbrand wird, der an den Festen des neoliberalen Fallkostenpauschalensystems rüttelt und das Prinzip Menschen statt Profite in der Pflege durchsetzt.
Veranstaltungshinweis:
Im Rahmen der Sozialismustage diskutieren Silvia Habekost (Vertrauensfrau ver.di Vivantes Klinikum*), Carsten Becker (Sprecher ver.di Charité*) und Stefan Jagel (Gewerkschaftssekretär für Gesundheit und Soziales im ver.di Bezirk Augsburg*) am Samstag 31. März um 10 Uhr über den „Aufstand der Pflege – Der Kampf für mehr Personal im Krankenhaus von Augsburg nach Berlin“. Ab 16 Uhr findet zudem ein Vernetzungstreffen für Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen und der Krankenhaus-Solidarität statt. Mehr Infos unter www.sozialismustage.de
* Funktionsbezeichnung dient nur der Kenntlichmachung der Person