„Sozialismus und Feminismus“-Konferenz in Moskau

Am 27. Oktober organisierte unsere Schwesterorganisation „Sotsialisticheskaya Alternativa“ eine erfolgreiche Veranstaltung mit über 50 Teilnehmer*innen

Die Teilnehmer*innen der Konferenz „Sozialismus und Feminismus“ beteiligten sich an lebhaften Diskussionen, in denen wir die Verbindungen der beiden Aspekte einen Tag lang diskutierten.

Mitya Porotikow, „Sotsialisticheskaya Alternativa“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Russland)

Eröffnet wurde die Konferenz mit einer Diskussionsrunde darüber, wie es heute um den Kampf für Frauenrechte bestellt ist. Unsere Gastrednerin, Ruth Coppinger, die Mitglied im Parlament der Republik Irland und unserer dortigen Schwesterorganisation, der „Socialist Party“, ist, legte dar, wie die Kampagne zur Abschaffung des Abtreibungsverbots in Irland aufgebaut worden ist, um am Ende erfolgreich abgeschlossen werden zu können. Dieser Erfolg ist weltweit wahrgenommen worden, auch in Russland.

Ruth erklärte nicht nur, wie die Bewegung, die in das positive Ergebnis beim abschließenden Referendum mündete, aufgebaut worden ist. Sie zeichnete auch ein lebhaftes Bild davon, wie junge Leute und vor allen die jungen Frauen eine zentrale Rolle in der Kampagne übernommen haben und wie die „Socialist Party“ die Struktur ROSA ins Leben gerufen hat, um sicherzustellen, dass es eine linke und sozialistische Kraft in dieser Kampagne geben würde.

Danach teilte man sich in verschiedene Arbeitskreise auf, um sich über die Probleme auszutauschen, mit denen Sozialist*innen in Russland heute konfrontiert sind.

Nawalny und die Proteste der junge Menschen

Die Konferenzteilnehmer*innen diskutierten auch über Natur und Charakter der Bewegung um Alexei Nawalny und wie man dort intervenieren kann. In ihrem Einleitungsreferat erklärte Alexandra Aleksejewa, wie seine Aufrufe an die Jugend, gegen Korruption zu protestieren, deshalb auf ein Echo stoßen, weil es in den Krisenjahren zur Verarmung gekommen ist, weil es schlechtere Zukunftsaussichten gibt und weil es in der russischen Gesellschaft zur politischen Stagnation gekommen ist. Die Repression und sogar die Tatsache, dass Aktivist*innen dafür verhaftet werden, dass sie Blogeinträge teilen, stellt die jungen Leute vor die Wahl: Entweder versuche ich, einen Platz innerhalb des Systems zu bekommen oder ich werde zur/m Widerstandsaktivist*in. Diejenigen, die sich nicht entscheiden können, werden immer weniger. Und das eröffnet eine Periode, die dem Regime in Russland nur Turbulenzen bereiten kann.

Aber Alexei Nawalny, der wichtigste Vertreter der Opposition, der gleichwohl eine scharfe Wende hin zum Linkspopulismus vollzogen hat (so verspricht er kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung, einen Mindestlohn von 25.000 Rubel und neuerdings sogar die Verstaatlichung der Großkonzerne), ist nicht in der Lage, eine angemessene Taktik oder nur ein klares Programm für diese „wunderbare Zukunft Russlands“ vorzulegen.

Sein Populismus liefert keine tragfähigen Antworten, weil er versucht, „einen korrekten Kapitalismus“ aufzubauen, ohne Korruption, mit der korrekten Durchführung von Wahlen und einem transparenten Rechtssystem. Im Gegensatz dazu müssen wir uns an die Mehrheit der Bevölkerung wenden, an all jene, die sich von Lohnzahlung zu Lohnzahlung durchhangeln, um mit ihnen eine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse zu gründen, um für eine demokratisch organisierte Planwirtschaft zu kämpfen, die unter der Kontrolle der arbeitenden Massen steht. Wir müssen bei diesen Jugendprotesten intervenieren, um jene jungen Leute anzusprechen und für uns zu gewinnen, die tatsächliche nach einer echten Alternative Ausschau halten.

Nationale Frage, Recht auf Selbstbestimmung und Einheit der Arbeiterklasse

Aiten Yakubowa aus dem Kaukasus erklärte, wie Sozialist*innen mit der nationalen Frage umgehen müssen. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass die herrschende Elite versucht, die Nationalitäten-Frage anzuwenden, um die Arbeiter*innenklasse zu spalten und sie zu beherrschen.

Sie wies darauf hin, dass die Frage der Sprachen im vergangenen Jahr in Russland immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Die Ankündigung von Putin, dass der Unterricht in einer Minderheiten-Sprache (viele Menschen, die auf russischem Staatsgebiet leben, sprechen Russisch nur als Zweitsprache, zum Beispiel in Tatarstan oder den Republiken im Kaukasus) in diesen Regionen nicht mehr obligatorisch angeboten werden soll, ist als logische Folge der Zentralisierung der Macht unter seinem Regime zu verstehen. Sie hat bereits dazu geführt, dass Lehrkräfte dieser Sprachen sich als Russisch-Lehrer*innen neu qualifizieren müssen. Es hat aber auch schon Proteste gegeben von Menschen, die diese Sprachen sprechen. Für Sozialist*innen sei es nötig, so Aiten, das Recht auf Selbstbestimmung – bis hin zur Abspaltung – zu verteidigen, aber auch das Recht zu verteidigen, dass nationale Minderheiten im Staat bleiben und ihre eigene Sprache und Kultur leben können.

Sie beschrieb auch, wie die aktuellen Massenproteste in der kaukasischen Republik Inguschetien (als Protest gegen den Versuch des „starken Mannes“ in der benachbarten Republik Tschetschenien, Kadyrow, einen Teil des inguschetischen Gebiets zu annektieren) nicht so sehr angeheizt worden sind durch etwaigen Nationalstolz, sondern sich vielmehr gegen die eigenen Eliten vor Ort und ihr Versagen richten, gegen das Vorgehen von Kadyrow aufzustehen. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass die örtlichen Polizeikräfte sich geweigert haben Bereitschaftspolizei über die Grenze zu lassen, die von Moskau in die Republik gesendet worden war um die die Proteste zu beenden. In solchen Situationen ist es wichtig, die Aufrechterhaltung der Einheit der Arbeiter*innen anzustreben, um Versuche der herrschenden Elite zu durchkreuzen, die uns entlang ethnischer Linien einfach nur spalten wollen.

Studierende

Studierende erleben in Russland ein immer stärkeres Maß an Ausbeutung, so Mitya Porotikow. Das liege an den niedrigen Sozialleistungen für Studierende (die Grund-Unterstützung variiert zwischen 20 € und 45 € im Monat) und daran, dass nur wenige in Russland in den Genuss dieser Untertstützungsleistungen kommen. Immer mehr Studierende müssen daher arbeiten, um genug Geld zur Verfügung zu haben, mit dem sie die vier Jahre an der Hochschule bestreiten können. Deshalb beginnt sich allmählich eine demokratisch aufgebaute Organisation herauszubilden, in der sich Studierende unterschiedlicher Hochschulen und Universitäten zusammentun, um Kampagnen für höhere Leistungen und Verbesserungen in den Studentenunterkünften zu führen. Das darf aber – so Mitya weiter – nicht isoliert angegangen werden, sondern muss kombiniert werden mit einem Kampf für Erhöhung des Budgets, das im Bundeshaushalt für höhere Bildung zur Verfügung steht.

Vor kurzem haben Aktivist*innen der Gruppe „Für Studierenden-Unterstützung“, die an der Staats-Universität in Moskau und an anderen Hochschulen aktiv ist, eine Petition gestartet, mit der die Zuwendungen für Studierende an den offiziellen Mindestlohn angepasst werden sollen. Das ist natürlich ein guter erster Schritt für eine Kampagne. Es genügt aber nicht, wenn dieser Schritt lediglich mit einer Informationskampagne im Internet einhergeht. Wir unterstützen die Kampagne, appellieren aber an die Organisator*innen, Freiwilligen-Gruppen aufzubauen, die aktiv werden und Unterschriften sammeln, um eine echte Basis für den Aufbau einer aktiven Kampagne schaffen zu können. So kann eine Erhöhung der Unterstützungsleistungen für Studierende erreicht und die Lebensbedingungen verbessert werden.

Der Kampf international

Der letzte Arbeitskreis im Rahmen unserer Konferenz begann mit einem Einleitungsreferat von Kirk Leonard, der darlegte, wie der Kapitalismus auf internationaler Ebene immer weniger in der Lage ist, den Menschen einen Ausweg aus der momentanen wirtschaftlichen Stagnation und der gesellschaftlichen Krise zu bieten. Er verwies auf den sich zuspitzenden Handelskrieg zwischen den USA und China, die Schwierigkeiten in der EU wegen des „Brexit“ und auf das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte.

Um zu demonstrieren, wie es möglich sein kann, eine echte linke Alternative aufzubauen, richtete sich Jordan Quinn von unserer US-amerikanischen Schwesterorganisation „Socialist Alternative“ via „skype“ an die Moskauer Konferenz. Er wurde aus seiner Heimatstadt Seattle zugeschaltet

Beschrieben wurde, wie Aktivist*innen dort für einen Mindestlohn von 15 Dollar gekämpft haben und wie die Genossin Kshama Savant infolge der kollektiven politischen Arbeit als erste offen sozialistisch auftretende Kandidatin in den Stadtrat einer US-Großstadt gewählt worden ist. Diese Beispiele zeigten, wie es möglich war, selbst in Ländern wie den USA das Interesse an sozialistischen Ideen steigern zu können.

Damit ging unsere Konferenz mit einem optimistischen Ausblick zu Ende. Die teilnehmenden vornehmlich jungen Frauen und Männer verließen die Veranstaltung mit neuem Enthusiasmus, um für sozialistische Ideen einzutreten. Die neue Generation an Jugendlichen, von denen die meisten im post-sowjetischen korrupten Kapitalismus groß geworden sind und nur die Person Putin als Präsidenten kennen (dessen Regierungszeit in den vergangenen zehn Jahren von Krisen, Konflikten, wirtschaftlicher Stagnation und Repression gekennzeichnet war), beginnt, sich politisch aktiv einzubringen. Mehrere Teilnehmer*innen unserer Konferenz sagten in deren Verlauf, dass sie mit dem Gedanken spielen, Mitglied von „Sotsialisticheskaya Alternativa“ zu werden.