Der Diesel-Skandal geht weiter

Die Konzerne sollen bezahlen, nicht die Autofahrer*innen

Die Autokonzerne haben Millionen Menschen betrogen. Die etablierten Parteien auf allen Ebenen – von der Bundesregierung bis zu Bürgermeister*innen und Stadträten – haben dabei versagt, die Luftverschmutzung auch nur in Angriff zu nehmen. Die Probleme sind seit Jahren bekannt. Sie haben die Situation ausgesessen. Jetzt wurden in mehreren Städten wegen Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge bis inklusive Euro-Norm 5 verhängt. In Köln wären wegen der Ausweitung des Verbots auf die gesamte “Umweltzone” ab April 2019 Zehntausende betroffen, die auf das Auto angewiesen sind. Ihre Fahrzeuge würden zu Schrott erklärt. Ein Teil der Lohnabhängigen würde damit beraubt und stünde vor großen finanziellen und organisatorischen Problemen.

von Claus Ludwig, Köln

Nicht die Diesel-Fahrer*innen haben bei den Abgaswerten betrogen. Sie haben keine Luftverschmutzer bestellt, sondern Autos gekauft, von denen sie dachten, sie wären sparsam und umweltfreundlicher. Die Betrüger sitzen in den Führungsetagen der Konzerne. Sie kommen ungeschoren davon, werden sogar belohnt, indem das Kraftfahrt-Bundesamt in einem mit Steuergeldern bezahlten Brief offensive Werbung für den Kauf von Neuwagen dieser Konzerne macht.

Die Diesel-Fahrer*innen sollten in ihrer Empörung nicht auf diejenigen hören, die ihnen einflüstern, ihre Autos wären kein Problem, die Grenzwerte wären zu hoch angesetzt oder gar der ganze Klimawandel nur eine Erfindung. Es hilft nichts, sich der Realität zu verweigern. Die Fahrer*innen selbst sind mit am Stärksten von den Schadstoffen betroffen, sie atmen sie täglich ein. Wir steuern auf eine schwere ökologische Krise zu, die unser Leben beeinträchtigt, unsere Gesundheit, unsere Lebensqualität und auch unseren Lebensstandard. Nur sind dafür nicht die einzelnen Verbraucher*innen verantwortlich, nicht die Pendler*innen oder die Beschäftigten der Autoindustrie, sondern die wirtschaftlich und politisch Herrschenden, die über die Produktion entscheiden und die Gesetze machen.

Es ist keineswegs sicher, ob die Fahrverbote so umgesetzt werden wie von den Gerichten beschlossen. Nach wie vor versucht zum Beispiel die Stadt Köln mit dem Verweis auf eher vage Zukunftspläne – wie die Umrüstung der städtischen Busflotte oder ein neues Leitsystem für Reisebusse – die Fahrverbote zu umgehen. Seitens der örtlichen Kapitalisten wie zum Beispiel der IHK wird versucht, die Grenzwerte oder die Messstellen in Frage zu stellen. Es finden sich sogar “Experten”, welche die gesundheitsschädliche Wirkung der Stickoxide bestreiten. Doch genauso wenig wie Fahrverbote für bestimmte Gruppen von Dieselfahrzeugen eine Lösung sind, können wir uns ein “weiter so” leisten.

Die Gerichte haben Recht mit der Erkenntnis, dass es mit der Belastung nicht so weitergehen kann, ebenso der Kläger, die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Allerdings hat es einen Beigeschmack, dass die DUH von Toyota und US-Stiftungen in Verbindung mit dem Ford-Konzern Spenden erhält. Das wirft die Frage auf, ob über die Klagen auch der Konkurrenzkampf der verschiedenen Autokonzerne auf dem Rücken der Diesel-Fahrer*innen ausgetragen wird.

Keine Lösung

Verbote nur in wenigen Straßen wie in Hamburg führen dazu, dass andere Wege gefahren werden und sich die Belastung dorthin verschiebt. Auch umfassende Verbote wie in Köln haben eine begrenzte Wirkung, da der motorisierte Individualverkehr lediglich 27,2 Prozent der Stickstoff-Belastung ausmacht. Der Schiffsverkehr auf dem Rhein verursacht 21,2 Prozent, die Industrie 41,1 Prozent der Flugverkehr 2,7 Prozent der Stickoxid-Emissionen. Diese Zahlen mit der großen Bedeutung des Schiffsverkehrs sind eine Kölner Besonderheit, doch die Entwicklungen in verschiedenen Städten gehen unter dem Strich in die gleichen Richtung.

Die Hauptlast des Verbotes würden PKW-Fahrer*innen tragen, vor allem Berufspendler*innen. Doch noch stärker als der PKW- ist in den letzten Jahren der LKW-Verkehr angestiegen. Dies hat mit einer gestiegenen Konkurrenz von Verbrauchermärkten und Lieferdiensten zu tun sowie mit einem Anstieg der Just-in-Time-Produktion. Dazu kommen umfassende Baumaßnahmen auf den Autobahnen, die in Köln und anderswo zu mehr Verkehr in den Städten führen. Die steigende Zahl von Pendler*innen wiederum ist Folge der hohen Mieten und des einseitig wachsenden Arbeitsmarktes in den Großstädten bei Verödung der Mittelstädte und der Provinz. Diese Probleme lassen sich nicht allein durch Eingriffe in den Verkehr anpacken.

Das Verbot für Diesel-Fahrzeuge der Abgasnormen 4 und 5 würde lediglich zu einer Reduzierung bei den Stickoxiden führen. Die Emissionen von Feinstaub durch sämtliche Fahrzeuge – unter anderem durch Reifen-Abrieb – und der klimaschädliche CO2-Ausstoß der Benziner blieben davon unberührt. Im Durchschnitt werden die Autos immer größer, schwerer, verbrauchen mehr, sowohl Benziner als auch Diesel. Immer mehr SUV bevölkern die Städte. Warum werden keine Verbote für Autos ab einer bestimmten Hubraum-Größe oder PS-Stärke verhängt? Warum basieren die Schadstoffklassen auf relativen Werten und nicht auf absoluten?

Die Werbekampagne für neue, angeblich saubere Autos hat nichts mit Umweltschutz zu tun, dabei geht es nur um das Interesse der Konzerne, ihre Fahrzeuge zu verkaufen. Wenn ein*e Diesel-Fahrer*in seinen/ihren alten, voll funktionsfähigen Wagen verschrottet und dafür einen neuen kauft, ist die ökologische Bilanz dieser Aktion in den meisten Fällen wahrscheinlich negativ. Für die Produktion eines KfZ werden viele Ressourcen benötigt. Erst nach mehreren Jahren wäre die ökologische Bilanz positiv – aber auch nur, wenn man von einem Spritfresser auf ein kleineres, sparsames Fahrzeug umsteigt. Wechselt man von einem Diesel der Golf-Klasse mit Euro 4 auf einen brandneuen SUV mit Euro 6 ist das Umweltverschmutzung pur. Alleiniger Gewinner dieses teuer bezahlten “Tausches” ist der Hersteller.

Verkehrswende

Tatsächlich ist eine umfassende Verkehrswende nötig, die weiter viel geht als ein Fahrverbot für einzelne Fahrzeugklassen. Der motorisierte Individualverkehr muss reduziert, der öffentliche Verkehr massiv ausgebaut werden, um die Zurückdrängung der Fahrzeuge überhaupt zu ermöglichen. Wir brauchen einen schnelleren Takt, neue Bahn- und Buslinien sowie Zubringerdienste und eine Integration von Bahnen, Bussen, Taxen, Fahrrädern und Elektromobilität; kommunal organisiert, finanziert durch ein von Bund, Ländern und Kommunen getragenes Investitionsprogramm, gespeist aus höheren Steuern für Unternehmen und Reiche. Bezahlen sollen die betrügerischen Autokonzerne und diejenigen, die davon profitieren, dass die Menschen mobil sind – der Handel und die Unternehmen, deren Arbeitskräfte täglich zu den Arbeitsplätzen transportiert werden.

Auf dem Land müssen sämtliche Orte an den ÖPNV angebunden werden, mit einer Taktung, die es ermöglicht, in einer vertretbaren Zeit überall hin zu kommen.

Um einen Umstieg der Autofah-rer*innen auf den öffentlichen Verkehr zu erreichen, ist es nötig, dass dieser verbessert wird, dass Anreize geschaffen werden, auch durch den Nulltarif. Realistisch wird der Umstieg für viele Autofahrer*innen erst denkbar, wenn sie ähnlich schnell, aber günstiger, sicherer und gesünder zur Arbeit kommen können als mit dem Auto.

Ebenso unsozial wie die Fahrverbote wäre eine “City-Maut”, ein Eintrittsgeld zum Befahren der Innenstadt. Die Reichen könnten die Maut aus der Portokasse bezahlen, für viele Beschäftigte wäre dies eine weitere finanzielle Belastung. Statt Maut wäre es der richtige Schritt, die Innenstadt autofrei zu machen und per Ausbau des ÖPNV zu garantieren, dass alle Menschen alle Punkte in einer erträglichen Zeit erreichen können.

Gegen die Enteignung der Diesel-Fahrer*innen

Die Autokonzerne haben Milliarden verdient. Seit drei Jahren ist ihr organisierter Betrug bekannt. Die Bundesregierung hat nichts getan, um sie zur Rechenschaft zu ziehen, sondern hat ihre Interessen geschützt und eine Hardware-Nachrüstung verhindert.

Der Kauf eines Neuwagen zu handelsüblichen Rabatten wird seitens der Regierung als “Umtausch” dargestellt. Den Konzernen wird so ermöglicht, die Flucht nach vorne anzutreten und vom eigenen Betrug zu einem staatlich beworbenen Konjunkturprogramm überzugehen.

Wenn die Fahrverbote durchgesetzt werden, muss die Enteignung der betroffenen Diesel-Fahrer*innen verhindert werden. Dann müssen die Hersteller*innen verpflichtet werden, sämtliche Fahrzeuge kostenlos nachzurüsten oder den ursprünglichen Wert des Fahrzeugs vollständig zu ersetzen.

DIE LINKE im Kölner Stadtrat fordert als Antwort auf das drohende Fahrverbot separate Busspuren und Vorrangschaltungen für Busse, Tempo 30 und bessere Fuß- und Radwege. So weit, so gut. Doch die Forderung nach einem “kostenlosen ÖPNV-Ticket für das Kölner Stadtgebiet” für die betroffenen Autofahrer*innen ist kläglich. Einem Teil der arbeitenden Klasse sollen Tausende Euro gestohlen werden und als Entschädigung bekommen sie ein KVB-Ticket? Danke für nichts. Und dann nur für Köln, obwohl viele von ihnen Pendler*innen sind, die aus Rhein-Erft, Rhein-Sieg oder dem Rheinisch-Bergischen Kreis kommen bzw. dorthin fahren? Mit solchen bunten Perlen wird es nicht gelingen, die Lohnabhängigen für den Umweltschutz zu mobilisieren. Dies ist aber die strategische Aufgabe der Linken und der Gewerkschaften.

Für die Enteignung der Konzerne

In einigen Nachbarländern wie zum Beispiel Dänemark und Niederlande wurden umfassende Maßnahmen zum Ausbau von Fahrradwegen und ÖPNV ergriffen. Allerdings sind dort Autokonzerne nicht der bestimmende Teil der Wirtschaft. Hierzulande ist der Widerstand der Lobby von VW, Daimler und Co. hartnäckiger. Die Bundesregierung selbst, allen voran Verkehrsminister Scheuer, betätigen sich in erster Linie als Lobbyisten.

Auf der Ebene der Endverbraucher*innen gibt es bestenfalls kurzfristige Maßnahmen, die neben dem zweifelhaften Nutzen Schäden anrichten, indem sie die Kosten den arbeitenden Menschen aufbürden und einen Widerspruch zwischen deren sozialen Interessen und den Bedürfnissen von Umwelt und Gesundheit konstruieren.

Wir müssen bei der Produktion selbst ansetzen. Die heutigen Autofabriken müssen umgestellt werden auf umweltfreundliche Produktion, müssen umgerüstet werden für Busse und Bahnen sowie neue Technologien.

Dabei sind die bisherigen Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu erhalten. Es darf keine Verschlechterungen für die Beschäftigten geben. Sollte es bei Umstrukturierungen zu Phasen kommen, in denen weniger Produktionskapazitäten gebraucht werden, muss die Fortzahlung der Löhne garantiert werden. Die Kolleginnen und Kollegen haben die Investitionsmittel für die Verkehrswende längst erarbeitet, nur fließen diese bisher auf die Konten der Aktionäre. Die heutigen Arbeiter*innen, Techniker*innen und Ingenieure*innen werden auch in einer ökologisch ausgerichteten Mobilitätsindustrie gebraucht.

Neben der Veränderung der Produktion und Investitionsprogrammen für einen wirklich funktionierenden öffentlichen Verkehr müssen auf allen Ebenen Regeln und Gesetze verändert werden. Die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen ist auf Tempo 100 zu senken, in den Städten muss Tempo 30 zur Regel werden.

Wir können die Verkehrswende nicht den profitgierigen Konzernherren überlassen. Auch diese wissen um das kommende Ende des Zeitalters von Benzin und Diesel – und bereiten sich darauf vor, mit Elektroautos Geld zu verdienen. Sie versuchen, für die Übergangszeit so viele große, teure und Dreck schleudernde Benziner und Diesel-Fahrzeuge wie möglich in einem gigantischen mehrjährigen “Schlussverkauf” abzusetzen und nehmen dafür die Hilfe von Regierung in Staat und Anspruch.

Hinter den Kulissen entwickeln sie ihre Vorstellung von “Elektromobilität”, die darauf hinausläuft, dass jede und jeder ein Elektroauto braucht, in der Übergangszeit parallel zum Verbrennungs-Fahrzeug, und die Straßen weiter so verstopft bleiben wie bisher. Auch das ist ökologischer Wahnsinn, angesichts des großen Ressourcen-Aufwandes für die Produktion vor allem der Akkus dieser Fahrzeuge.

Statt Individualverkehr per Motor oder Akku brauchen wir einen wirklich öffentlichen Verkehr, ergänzt durch Fahrrad- und Fußverkehr, ergänzt auch durch E-Mobilität im Bereich des Lieferverkehrs und für Menschen mit Behinderungen.

Daher kann die Frage der Produktion von Autos nicht privaten Aktienbesitzer*innen und ihren Vorständen überlassen werden, sondern muss gesamtgesellschaftlich entschieden und umgesetzt werden.

Wir kämpfen daher für eine Überführung der Autokonzerne und Zulieferer in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle sowohl der Beschäftigten als auch gewählter Vertreter*innen des Staates, der Verbraucher- und Umweltverbände, als Mittel, die nötige radikale Verkehrswende für Mensch und Umwelt umzusetzen. n

Claus Ludwig ist Mitglied im AKL-Länderrat in NRW und im Bundesvorstand der SAV.

 

Fahrverbote auf Kosten der Diesel-Fahrer*innen sind keine Lösung. Wir treten ein für:

  • Die Betrüger-Konzerne sollen zahlen: Hardware-Umrüstung der betroffenen Fahrzeuge oder vollständiger Ersatz ohne zusätzliche Kosten für die betroffenen Fahrer*innen.
  • Für eine umfassende Verkehrswende: Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs durch höhere Taktzeiten, neue Linien für Bus- und Bahn sowie Nulltarif.
  • Massiver Ausbau von Fahrradwegen, Aufbau eines integrierten Verkehrssystems in den Städten mit Kombination von Bussen, Bahnen, Taxen, Lieferverkehr, Fahrrädern und Hilfen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität.
  • Kontrolle der tatsächlichen Verbrauchswerte und der Emissionen der Kraftfahrzeuge durch eine Kommission aus demokratisch gewählten Vertreter*innen von Umwelt- und Verbraucherorganisationen.
  • Umstellung der Produktion der Autofabriken auf öffentliche Verkehrsmittel.
  • Garantie aller Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen.
  • Drastische Senkung der Luftverschmutzung in allen Bereichen: Industrie, Kraftwerke, Landwirtschaft, LKW, Schiffsmotoren.
  • Überführung der Autokonzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten, des Staates und von Umwelt- und Verbraucherorganisationen.
  • Verlagerung des Gütertransports auf Schiffe und soweit wie möglich auf die Schiene.