DIE LINKE in unruhigem Fahrwasser

Foto: https://www.flickr.com/photos/die_linke/ CC BY 2.0

Diese Resolutionen zur Partei die LINKE wurde auf der Bundeskonferenz der SAV Anfang Februar 2019 beschlossen. Sie fasst unsere Haltung zu den Auseinandersetzungen in der Linkspartei zusammen. Der Text wurde
zur Veröffentlichung etwas redaktionell bearbeitet.

Einleitung

Viele Jahre neoliberale Politik in der Großen Koalition haben zu einer Krise der SPD und ihrem Tiefstand in Umfragen geführt. Der Hype um Martin Schulz und die darauffolgende angebliche Erneuerung der Partei waren auf Sand gebaut. Nur noch 17 Prozent würden der Partei heute bei Bundestagswahlen ihre Stimme geben (INSA und GMS am 11.09.2018), in Bayern erreichte sie bei der Landtagswahl schlappe 9,7 Prozent. Die Frage, warum DIE LINKE nicht in erheblichem Maße von der Schwäche der SPD profitiert und warum die AfD so stark werden konnte, beschäftigt DIE LINKE und auch uns.

Die Gesellschaft ist polarisiert: Ein Teil wendet sich der Rechten zu, ein anderer Teil beteiligt sich an großen Mobilisierungen wie #ausgehetzt, #Seebrücke, #hambibleibt, #unteilbar und an Mieter*innendemonstrationen.

Während die PDS und dann DIE LINKE in der ehemaligen DDR lange Zeit von vielen Menschen als die Vertretung der benachteiligten Ostdeutschen gesehen wurde, hat dieser Effekt nachgelassen. Ein zunehmender Teil derjenigen, die sich immer mehr von den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen entfremden, wendet sich im Osten von der LINKEN ab und der AfD zu, weil diese mehr als angebliche Anti-Establishment-Kraft wirkt. Im Westen hat DIE LINKE in der Vergangenheit weniger Schichten erreicht, die sie jetzt an die AfD verlieren könnte. Für West wie Ost besteht aber die Frage, wie die Partei stärker diejenigen Teile der Klasse ansprechen und für sich gewinnen kann, die sich entfremdet und gar nicht mehr politisch vertreten fühlen.

Zum Bundesparteitag der LINKEN im Juni 2018 lautete das Motto „DIE LINKE – Partei in Bewegung“. Gemeint war die stärkere Hinwendung der Partei zu außerparlamentarischen Bewegungen. Spätestens seit dem Streit um die Positionen der Partei zu Migration und der Gründung von „aufstehen“ durch Sahra Wagenknecht im September 2018 sind jedoch auch die Partei selbst und die meisten ihrer Strömungen in Bewegung, wenn nicht sogar in Aufruhr. Nichts ist mehr so wie es noch vor wenigen Jahren war. Unsere frühere Analyse, dass DIE LINKE zwei Parteien in einer ist (der auf Regierungsbeteiligungen setzende reformorientierte Teil um die ehemalige PDS und den Apparat auf der einen Seite und de linkere Teil um die ehemalige WASG auf der anderen Seite) hat einen Teil ihrer Gültigkeit verloren. Die Linien der Auseinandersetzung haben sich verschoben. Bisher war die Gretchenfrage die der Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen, wobei sich diejenigen gegenüber standen, die weitgehend ohne Bedingungen für Regierungsbeteiligungen eintraten und diejenigen,die diese entweder grundsätzlich ablehnten oder an scharfe Bedingungen (rote Haltelinien) knüpfen wollten. Jetzt steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen, wie man zu Sahra Wagenknecht und „aufstehen“ steht (wobei diese Fragestellung manche inhaltlichen Kontroversen, die entlang anderer Linien verlaufen nur zeitweise überdecken kann).

All das birgt erhebliche Risiken für die Zukunft der Partei, trägt die Möglichkeit der Spaltung in der nächsten Phase in sich und verkompliziert die nächsten Schritte zum Aufbau einer neuen Arbeiterpartei enorm.

Zustand der Partei

Sahra Wagenknecht bemängelt, dass DIE LINKE nicht stärker von der Krise der SPD profitiert. Richtig ist, dass DIE LINKE weit unter ihren Möglichkeiten bleibt. Aber die Entwicklung der Partei ist widersprüchlich.

Während die Partei im Osten weiter Mitglieder und Wähler*innen verliert, legt sie im Westen zu. Zum Zeitpunkt des Bundesparteitags 2018 gab es zum ersten Mal mehr Mitglieder im Westen als im Osten und damit auch mehr Delegierte aus dem Westen. Kein Wunder: Im Jahr 2017 erfolgten 72 Prozent der Neueintritte im Westen, 15 Prozent in den ostdeutschen Ländern und 13 Prozent in Berlin.

Die Partei hat 2017 und 2018 den Abwärtstrend bei der Mitgliederentwicklung gestoppt, vor allem neue Mitglieder unter 36 Jahren hinzu gewonnen und liegt zum Ende des Halbjahrs 2018 bei 62.340 Mitgliedern. Im ersten Halbjahr 2018 wurden 3186 Mitglieder gewonnen. Das sind vergleichsweise etwas weniger als die 8500 neuen Mitglieder im Gesamtjahr 2017, aber der positive Trend hält an (wenngleich die Verluste der Partei aufgrund von Austritten, Todesfällen und Tabellenbereinigung fast ähnlich hoch liegen). In einer Reihe von Kreisverbänden im Westen und Berlin haben sich neue Mitglieder auch aktiviert.

Auch wenn die Neumitglieder im ersten Halbjahr zu 62,4 Prozent jünger als 36 Jahre sind, liegt das Durchschnittsalter insgesamt bei 55,4 Jahren. Doch viele Menschen unter 35 sind angesichts der wachsenden Gefahr von Rechts aktiv geworden. In Bayern waren das zwei Drittel aller Neumitglieder der Partei. Während vor allem junge Erwachsene direkt in der Partei aktiv werden, konnten auch die Studierenden- und Jugendverbände wachsen. In den letzten zwei Jahren gründeten sich dreizehn neue SDS-Gruppen an verschiedenen Universitäten. Der Jugendverband entwickelt sich von Ort zu Ort unterschiedlich. In NRW, wo die Führung, unter Beteiligung von SAV-Genossen, eine kämpferische Politik verfolgt, etablierten sich seit der Bundestagswahl viele neue Gruppen und der Verband wächst. Bundesweit bleibt er aber weit unter den Möglichkeiten, Jugendliche zu begeistern und zu organisieren.

Das hat mit der kleinbürgerlichen Politik der Führung und großen Teilen des Verbandes zu tun. Im „Herbst der Solidarität“ ist er nicht mit eigenen Inhalten und Angeboten in Erscheinung getreten. Zwar gibt sich der neue Bundessprecher*innenrat etwas aktionsorientierter und versucht sich bundesweit bei „Ende Gelände“ oder beim Frauen*kampftag-Bündnis einzubringen, doch insgesamt resultiert das außerhalb von Wahlkämpfen kaum in nennenswerten Kampagnen. Stattdessen konzentriert er sich mit seinen Aktionen inhaltlich auf Themen, die kämpferische und Arbeiter*innenjugendliche kaum anziehen. Zusätzlich wurde mit Angriffen auf Linke im Verband, wie dem Antrag auf Unvereinbarkeit mit der SAV, das interne Klima vergiftet und werden Aktivist*innen aus dem Verband gedrängt.

Teile des LINKE-Apparats unterstützen diese Ausrichtung des Jugendverbandes, damit sie dort ein Becken für Nachwuchs haben, aber nicht politisch herausgefordert werden. Dafür wird in Kauf genommen, dass der Jugendverband linke Beschlüsse auf dem Papier fällen kann, solange er sich nicht zu sehr in zentrale Auseinandersetzungen einmischt. Mitglieder des BAK Revolutionäre Linke (BAK RL), in dem auch Mitglieder der SAV mitarbeiten, stehen dagegen für eine kämpferische und sozialistische Ausrichtung des Jugendverbandes und helfen mit, dass er sich auf zentrale Bewegungen ausrichtet, Jugendliche anspricht und in die Partei einmischt.

Die Darstellung von Sahra Wagenknecht und anderen, derzufolge DIE LINKE unter Arbeiter*innen verloren habe, stimmt in der Pauschalität nicht. Die Partei hat bei den Bundestagswahlen unter Beschäftigten des Dienstleistungssektors hinzugewonnen, schneidet aber weiterhin schwach ab unter Beschäftigten in den Kernbereichen der Industrie und hat zudem Erwerbslose als Wähler*innen verloren.

Daraus abzuleiten, DIE LINKE hätte die Arbeiterklasse als Ganze verloren, ist demnach einseitig und wenig zielführend. Beschäftigte des Dienstleistungssektors sind ein wichtiger und derzeit sehr kämpferischer Teil der Arbeiterklasse, was unter anderem Streiks bei Amazon, im Krankenhausbereich und im SuE-Bereich bewiesen haben. Auch hat der Anteil von Beschäftigten im Dienstleistungssektor (wenn auch meist in produktionsbezogenen Bereichen) an der deutschen Arbeiterklasse in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen.

Das soll trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass DIE LINKE viel zu wenig in Betrieben verankert ist und viele so genannte „Abgehängte“ nicht anspricht, weil sie zu sehr als linke Ergänzungspartei des parlamentarischen Betriebs wirkt. Ein Warnsignal ist, dass die AfD bei Wahlen, wie zuletzt in Bayern, unter Arbeiter*innen und Gewerkschaftsmitgliedern überdurchschnittlich gut abschneidet. Und natürlich kann gewonnenes Vertrauen schnell wieder verloren gehen, zum Beispiel durch Beteiligung an arbeiter*innenfeindlichen Maßnahmen oder auch nur eine Verwaltung des status quo in Regierungsbeteiligungen.

Wir haben in diversen Artikel die wesentlichen Gründe dargelegt, warum auch DIE LINKE Stimmen an die AfD verloren hat. Der wichtigste Grund ist, dass DIE LINKE im Osten nicht nur etabliert wirkt, sondern ist und damit als Adresse für Protest ausfällt. Hinzu kommt hier, dass die soziale Frage in den Hintergrund getreten ist und die rassistische Propaganda bei einem Teil der Bevölkerung verfangen hat. Während früher noch manche*r Wähler*in sagte, die PDS bzw. LINKE trotz ihrer Positionen zum „Thema Ausländer“ zu wählen, haben solche Schichten heute eine andere Möglichkeit, ihren Protest gegen das Establishment auszudrücken.

Doch warum profitiert die LINKE so wenig von der Krise der SPD? Warum kann sie kaum aus der großen Gruppe der Nichtwähler*innen gewinnen? Auf diese Fragen gibt es keine für alle potenziellen LINKE-Wähler*innen gleichermaßen zutreffende Antwort.

Allgemein lässt sich aber feststellen: Es gibt weiter große Vorbehalte, weil DIE LINKE ihr Verhältnis zum System der DDR nicht eindeutig geklärt hat. Gleichzeitig ist DIE LINKE weit davon entfernt zum Ausdruck zu bringen, was es an Unzufriedenheit, Frustration, Empörung und Wut in den gerade für die LINKE wichtigen Teilen der Bevölkerung gibt. Ihr Auftreten ist weder frech noch radikal, sondern eher brav und staatstragend, wenn beispielsweise die Parteivorsitzende Katja Kipping die SPD für ihre Haltung in der Maaßen-Angelegenheit lobt, statt die Auflösung des Verfassungsschutzes zu fordern, oder Dietmar Bartsch die Laudatio bei der Präsentation der Biografie von Jens Spahn hält. Die teils weitgehenden programmatischen Forderungen finden sich in öffentlichen Äußerungen ihrer führenden Repräsentanten kaum wieder. Ihre gebetsmühlenartige Orientierung auf die SPD, die sich bitte ändern möge, eröffnet keine Perspektive auf eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse, welche sich potenzielle Wähler*innen dringend herbeisehnen.

Durch ihre Regierungsbeteiligungen im Osten und ihrer oftmals angepassten Praxis stellt sie ihre Glaubwürdigkeit in Frage. Obendrein schreckt der andauernden Streit in der Partei ab, zumal die unterschiedlichen Positionen oft nicht klar erkennbar sind bzw. potenzielle Wähler*innen sich weder mit der einen noch der anderen Position weitgehend identifizieren können.

Wir setzen uns in der LINKEN für einen Kurswechsel, für eine (wie wir es in einem Artikel im Jahr 2017 genannt haben) „Revolutionierung“ der Partei ein. Weg vom parlamentarischen Sumpf, staatstragender Rhetorik und Regierungsbeteiligungen – hin zu einer klaren Schwerpunktsetzung auf Bewegungen, Kämpfe, Betriebe und Gewerkschaften, Verankerung in den Stadtteilen. Hin zu einem Profil als Stimme des Protests gegen das Establishment. Das bedarf einer anderen, die gesellschaftlichen Widersprüche zuspitzenden Sprache, aber auch konkreter Forderungen in Wahlkämpfen und Kampagnen statt allgemeiner und oftmals nicht belastbarer Slogans für mehr Soziales oder demokratische Rechte. Vor allem muss die Verankerung der Partei in der Arbeiterklasse und unter Jugendlichen durch kontinuierliche Kampagnearbeit in Stadtteilen, Betrieben und Gewerkschaften verstärkt werden.

Auf parlamentarischer Ebene gibt es, abgesehen von der LINKEN, heute nur pro-kapitalistische Parteien. Wir kämpfen in der Partei gegen Regierungskoalitionen mit diesen pro-kapitalistischen Parteien. Die LINKE muss selbstbewusst die Rolle der gesellschaftlichen und parlamentarischen Opposition vertreten – und dabei darauf hinweisen, dass sie die sozialen Interessen der Mehrheit gegen die Parteien der gesellschaftlichen Minderheit von Kapitalbesitzer*innen vertritt. Gleichzeitig muss sie eine Vorstellung davon geben, wie durch den Aufbau gesellschaftlicher Massenbewegungen nicht nur einzelne Verschlechterungen verhindert bzw. Verbesserungen erreicht werden können, sondern auch die Basis für eine sozialistische Regierung und die grundlegende Veränderung der Gesellschaft geschaffen werden kann.

Konkrete Vorschläge von uns sind: Die Pflege- und Wohnen-Kampagne muss mit voller Energie umgesetzt werden. DIE LINKE muss klare Kante zeigen gegen Rassismus, AfD und Krieg. Die Migrationsdebatte muss in der LINKEN organisiert und die ganze Mitgliedschaft mitgenommen werden. Es muss Schluss sein mit dem öffentlichen Streit und dem Ignorieren von Parteibeschlüssen. Der Europawahlkampf muss mit einem antikapitalistischen Programm geführt werden der sich gegen das EU-Establishment richtet. DIE LINKE muss unmissverständlich klar machen, dass eine Regierungsbeteiligung in Koalition mit bürgerlichen Parteien nicht infrage kommt und ihr Platz daher in der Opposition ist.

Widersprüchliche Entwicklung der Partei

Seit Mitte der 1990er Jahre setzt sich die SAV für die Bildung einer neuen Arbeiterpartei ein, um der Arbeiterklasse zu ermöglichen, in einer vom Kapital unabhängigen Partei ihre politischen Interessen zu formulieren, Erfahrungen zu sammeln und über politische Forderungen, Strategie und Programm zu diskutieren. Wir haben eine solche Partei aufgrund des Rückgangs des Bewusstseins in der Arbeiterklasse nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und aufgrund der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie als einen notwendigen Schritt auf dem Weg zu einer revolutionären Massenpartei betrachtet. DIE LINKE ist und auch zuvor die WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) waren keine massenbasierten Arbeiterparteien, aber ein wichtiger Ansatz auf dem Weg, eine solche Partei aufzubauen. Mit der Fusion zwischen WASG und PDS 2007 ist eingetreten, was wir vorausgesagt hatten und weshalb wir die Fusion zu den damaligen Bedingungen abgelehnt haben: Ein starker Apparat dominiert von nun an die Partei, Parteitage werden von Mandatsträger*innen, Mitarbeiter*innen und Hauptamtlichen dominiert, Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen in den östlichen Bundesländern wurden akzeptiert und hier kann die Partei kaum neue Schichten von Beschäftigten und Jugendlichen erreichen und ist weitgehend eine Fortsetzung der alten PDS.

Doch trotz dieser Schwächen gilt: Ohne DIE LINKE gäbe es heute keinen gesetzlichen Mindestlohn, keine Partei im Bundestag, die alle Rüstungsexporte und Kriege ablehnt und keine Stimme gegen Sozialabbau. DIE LINKE beeinflusst das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zugunsten der Arbeiter*innenklasse. Ohne sie würden kämpfende Belegschaften, wie in den Krankenhäusern, und soziale Bewegungen deutlich weniger Unterstützung und Ressourcen erhalten. Ohne sie würde die polarisierte Stimmung parlamentarisch nur rechts ihren Ausdruck finden. Die Partei ist heute der einzige Ansatz für den Aufbau einer sozialistischen Arbeiterpartei in Deutschland. SAV-Mitglieder leisten einen wichtigen Beitrag, um für sozialistische, kämpferische und demokratische Positionen in der Partei zu kämpfen und um diese Positionen herum einen Pol gemeinsam mit Genoss*innen der Antikapitalistischen Linken (AKL) und des Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke (BAK RL) aufzubauen, während wir natürlich gleichzeitig für unser weitergehendes marxistisches Programm argumentieren und versuchen Genoss*innen der LINKEN davon zu überzeugen.

Die Partei entwickelt sich nicht widerspruchsfrei und nicht nur in eine Richtung. Es gibt zur Zeit gleichzeitig eine Links- und eine Rechtsverschiebung in der Partei, nur in unterschiedlichen Teilen. Während wir aber noch vor einigen Jahren von einer schleichenden Rechtsverschiebung gesprochen haben, kann man seit zwei, drei Jahren davon sprechen, dass die Bundespartei, zumindest auf dem Papier, eher eine Linksverschiebung durchmacht.

Auf der einen Seite gibt es derzeit vier Faktoren, die eine leichte Linksverschiebung der Partei zum jetzigen Zeitpunkt bedeuten – ein Trend, den wir seit 2016 beobachten:

Erstens ist die Partei im Westen stärker geworden und verliert im Osten Mitglieder, was die eher bewegungsorientierten und Regierungsbeteiligungen zumindest kritischer sehenden Kräfte gestärkt hat.

Zweitens gibt es derzeit keine Perspektive für Rot-Rot-Grün auf Bundesebene. Das führt dazu, dass der Parteivorstand und wesentliche Teile der Partei mehr als in der Vergangenheit auf außerparlamentarische Bewegungen und Kampagnen (Wohnen und Pflege) orientieren. Die Kampagnen bleiben bei einer Mitgliedschaft von 60.000 noch weit unter ihren Möglichkeiten, der Großteil des Apparats, der Mandatsträger*innen vor allem in den Kommunen und Ländern und auch viele Ortsverbände setzen die Kampagnen nicht ausreichend um, aber es bedeutet dennoch eine Änderung des Augenmerks der Partei.

Drittens ist es vor diesem Hintergrund und der gesellschaftlichen Polarisierung zu einer gewissen inhaltlichen Radikalisierung – meist jedoch lediglich auf dem Papier und in Reden – gekommen. So sprechen sich die Parteivorsitzenden, unter anderem auf unsere Initiative hin und aufgrund der erstarkten Mieterproteste, für die Enteignung von Immobilienfirmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia aus und in der Partei hat eine Debatte über Klassenpolitik und die Arbeiterklasse begonnen. Auch das Bundestagswahlprogramm 2017 war linker als das vorherige, unter anderem wurde die Überführung in Gemeineigentum der großen Banken und Konzerne aufgenommen. Solche Positionen halten aber oftmals nicht Einzug in die tägliche Politik und Propaganda der Partei.

Viertens gibt es eine leichte Wiederbelebung von innerparteilicher Debatte mit vermehrten Regionalforen und Diskussionsveranstaltungen. Auch der Bundesparteitag 2018 und die Debatten zu Migration waren ein Ausdruck dieser Entwicklung und einer Mitgliedschaft, die sich solche Debatten einfordert. Doch trotz der stärkeren Betonung der Vorsitzenden auf innerparteiliche Demokratie ist das Hauptmerkmal der Partei weiterhin ein starker Apparat und Top-down-Ansatz.

Auf der anderen Seite sind dies außer dem ersten Faktor alles Momentaufnahmen, die sich auch wieder ändern oder anderweitig konterkariert werden können. Wichtige entgegenwirkende Tendenzen sind:

Erstens: Die Hinwendung zu außerparlamentarischen Bewegungen vollzieht nur ein Teil der Partei. Zwar ist die Pflegekampagne die Kampagne, die in der Geschichte der LINKEN von den meisten Kreisverbänden aktiv aufgegriffen wurde, doch einem einem anderen Teil der Partei sind Kampagnen oftmals fremd und das Agieren, vor allem in Ostdeutschland, aber auch in vielen westdeutschen Kommunen, ist auf parlamentarische Tätigkeit ausgelegt oder beschränkt. Und auch allgemein gilt, dass die betriebliche Verankerung der Partei dünn ist, auch wenn die Partei viele Mitglieder in Gewerkschaften hat und die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Betrieb und Gewerkschaft die stärkste BAG ist.

Zweitens: In Brandenburg, Berlin und Thüringen will DIE LINKE die Regierungsbeteiligung mit SPD beziehungsweise SPD und Grünen fortsetzen und in Bremen möglicherweise neu starten. In Brandenburg und Thüringen haben sogar Debatten darüber begonnen, ob DIE LINKE mit der CDU koalieren solle. Auch bei den Landtagswahlen in Bremen 2019 ist es nicht ausgeschlossen, dass das erste rot-rot-grüne Bündnis in Westdeutschland entsteht und die Debatten in der Partei nachhaltig verändern wird. Der Eintritt in eine Regierung mit SPD und Grünen muss nicht immer den unmittelbaren Ausverkauf zu Folge haben, sondern ist abhängig von finanziellen Spielräumen, außerparlamentarischem Druck und dem Agieren der LINKEN. So agiert DIE LINKE vor dem Hintergrund von stärkeren außerparlamentarischen Bewegungen in der Berliner Regierung bisher linker als in Brandenburg oder Thüringen und auch im Vergleich zur rot-roten Regierungszeit von 2001 bis 2011. Doch mittel- bis langfristig wird DIE LINKE in solchen Regierungen Sachzwangpolitik und Sozialabbau durchsetzen und breitere Teile der Arbeiterklasse enttäuschen und damit die AfD weiter stärken. Es ist davon auszugehen, dass auch die Parteivorsitzenden bei jeder sich neu bietenden realen Option für eine Regierungsbeteiligung der LINKEN sich dafür aussprechen werden und dies die programmatische Linksverschiebung konterkarieren wird.

Drittens: Die programmatische Linksverschiebung verbleibt oftmals auf dem Papier und spiegelt sich nur wenig in der Praxis wider, beispielsweise durch kämpferische Vorschläge bei Demonstrationen und Protesten zum wie weiter der Bewegung. Die von Partei und Fraktion regelmäßig organisierten Konferenzen für Betriebsrät*innen und Aktive aus den Krankenhäusern und anderen Bereichen heben sich hiervon positiv ab, bleiben aber die Ausnahme.

Viertens: Eine weitere Gefahr geht von der programmatischen Rechtsverschiebung des Lagers um Sahra Wagenknecht am Programm zu Migration, aber auch in wirtschaftspolitischen Fragen, aus. Positiv ist, dass sie dafür bisher keine Mehrheit in der Partei erreichen konnte. Aber die Gründung von „aufstehen“ mit einem Programm rechts der LINKEN hat das Potential, einen Teil der Mitgliedschaft der LINKEN zu verwirren und Fraktion und Partei zu spalten oder gar zu zerstören.

Die LINKE wird daran gemessen, wie sie sich in Zeiten fortschreitender Polarisierung bisher verhalten hat und wie sie in Zukunft agieren wird. Etwas linker aufzutreten kann dennoch bedeuten, dass die Kluft zwischen dem Auftreten, das politisch nötig wäre und dem, was die LINKE tatsächlich an den Tag legt, größer wird. In den vergangenen Jahren hinkte sie bereits um Längen hinter den Notwendigkeiten einer sozialistischen Partei her. Das bedeutet zusammengefasst eine extrem widersprüchliche Entwicklung, die schnellen Veränderungen unterworfen sein kann und erfordert unsere Flexibilität und regelmäßige Analysen über den Zustand und Perspektiven der Partei.

Machtkampf in DIE LINKE

Am Ende der von der letzten SAV Bundeskonferenz beschlossenen Resolution zu „Perspektiven in Deutschland“ heißt es treffend: „In dieser Zeit (nach der Bundestagswahl) wird es auch intensive Diskussionen in der LINKEN zur Wahlauswertung und der weiteren Strategie geben. Im Falle eines unterdurchschnittlichen Ergebnisses für DIE LINKE kann der Kampf zwischen den Flügeln oder zwischen Wagenknecht/Bartsch auf der einen Seite und den Vorsitzenden auf der anderen Seite neu ausbrechen. An der Basis verlaufen die Fronten innerhalb der Partei weiterhin zwischen linken und rechten Positionen. Im Apparat sind die Fronten aufgrund der prinzipienlosen Zusammenarbeit des Wagenknecht- und Bartschflügels andere. Welche Auswirkung dies auf künftige Polarisierungsprozesse haben wird, müssen wir weiter diskutieren.“

Dieser Machtkampf hat innerhalb eines Jahres seit den Bundestagswahlen im September 2017 eine neue Qualität erreicht. Er begann mit der Behauptung Sahra Wagenknechts nach den Bundestagswahlen, DIE LINKE habe vor allem aufgrund ihrer Programmatik zu Migration Wähler*innen aus der Arbeiterklasse verloren und sei auf dem Weg zu einer hippen, urbanen Partei, die der Arbeiterklasse den Rücken zuwende. Ihr Begriff der Arbeiterklasse ist dabei nicht von Internationalismus geprägt, sondern bezieht sich auf deutsche Arbeiter*innen bzw. auf solche, die schon hier leben. Diese Positionierung geht einher mit einer allgemeinen politischen Rechtsentwicklung Wagenknechts, welche die SAV bereits 2011 frühzeitig in einer Broschüre thematisiert hat.

Der Jugendverband blieb von diesem Machtkampf bisher verschont. Das hat einerseits damit zu tun, dass „aufstehen“ unter Jugendlichen insgesamt weniger Resonanz bekommt und andererseits, dass die Mehrheit des Jugendverbandes in den innerparteilichen Auseinandersetzungen die Positionen Katja Kippings unterstützt. Der Jugendverband hat bisher jedoch keine explizite Position zum Machtkampf oder zu „aufstehen“ gefasst, positionierte sich aber früh gegen Sahra Wagenknechts Positionen zur Migrationsfrage.

Die SAV und die AKL haben sich in dem Konflikt stets inhaltlich positioniert und nicht den Fehler anderer Strömungen gemacht, sich aufgrund der Kritik an Wagenknecht unkritisch hinter die Parteivorsitzenden zu stellen oder gar einen inhaltlichen Block mit Reformern zu bilden. So haben wir sowohl die Position Wagenknechts zu Migration als auch den Reformer*innen-Vorschlag eines sogenannten linken Einwanderungsgesetzes abgelehnt, da beides zu einer Begrenzung und Regulierung von Migration durch den kapitalistischen Staat führen würde.

Natürlich ist die Zukunft der LINKEN auch durch den Kurs derjenigen Wagenknecht-Gegner*innen, die auf Regierungsbündnisse mit SPD und Grünen setzen gefährdet. Trotzdem haben wir bereits früh analysiert, dass die Hauptgefahr für die Partei derzeit von der Rechtsentwicklung von Sahra Wagenknecht ausgeht: Zum einen weil sie als ehemalige Ikone der Parteilinken mehr dazu beitragen kann, die Mitgliedschaft und Parteilinke zu verwirren, zum anderen weil Sahra Wagenknecht eine Rhetorik anwendet, die dazu beigetragen hat, das Thema Migration im Mittelpunkt gesellschaftlicher Debatten zu halten und die Spaltung der Arbeiter*innenklasse vertiefen kann. Wir haben in anderen Texten bereits erklärt, dass letzteres unter fortschrittlicheren Schichten in der Bevölkerung eher als migrationsfeindliche Position wahrgenommen wird, als die reale Abschiebepolitik der Landesregierungen, an denen DIE LINKE beteiligt ist.

Die SAV vertritt die Position, dass offene Grenzen im Rahmen des Kapitalismus nicht durchsetzbar sind, weil der Kapitalismus auf dem Nationalstaat basiert und die Kapitalist*innenklasse eine Kontrolle über die Einwanderung in ihren Nationalstaat ausüben will. Offene Grenzen sind erst in einer sozialistischen Welt zu erreichen. Das ist unser Ziel und das erklären wir in unserer Propaganda. Die Forderung nach offenen Grenzen ist aber aus diesem Grund keine Übergangsforderung, die die Massen mobilisieren könnte (ähnlich wie Forderungen nach der Abschaffung der Lohnarbeit oder der Abschaffung von Polizei und Armee). Sie verkompliziert eine einheitliche Mobilisierung der Massen sogar, weil sie von Teilen der Arbeiter*innenklasse als gegen ihre unmittelbaren sozialen Interessen gerichtet wahrgenommen wird. Daher haben wir diesen Slogan nicht verwandt oder in der LINKEN vorgeschlagen. Den Slogan nicht zu verwenden bedeutet aber nicht, sich für Einwanderungsbeschränkungen einzusetzen. Aufgrund des Versuchs von Sahra Wagenknecht, die Programmatik in dieser Frage nach rechts zu verschieben, haben wir die Positionierung der Partei für offene Grenzen für Menschen in Not gemeinsam mit anderen verteidigt. Gleichzeitig haben wir in den Debatten zum Thema Einwanderungspolitik und auch hinsichtlich des Entwurfs für ein so genanntes linkes Einwanderungsgesetz statt der Parole für offene Grenzen vorgeschlagen, einen konkreten Rechtekatalog für Migrant*innen zu fordern und den gemeinsamen Kampf von Deutschen und Nichtdeutschen für bessere Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen zu propagieren und zu organisieren. Unser Programm zu Flucht und Migration haben wir hier dargelegt: https://sozialismus.info/2015/09/schutz-und-solidaritaet-fuer-alle-fluechtlinge-fluchtursachen-bekaempfen-2/.

Ein weiterer Pfeiler des Machtkampfs neben Migration und dem Klassenbegriff ist der Umgang mit innerparteilicher Demokratie. Die Missachtung der demokratischen Gremien der Partei und Versuche der Erpressung beispielsweise bei der Aufstellung der Spitzenkandidat*innen zur Bundestagswahl durch Wagenknecht und Bartsch sind zum Charakteristikum der Politik von Team Sahra geworden. Mittlerweile nutzt sie Wahlkampfauftritte, so geschehen in Hessen, um für „aufstehen“ zu werben, was von vielen Parteimitgliedern als Provokation verstanden werden muss.

Die neue Unübersichtlichkeit

Der Machtkampf in der Partei hat eine tiefgreifende Wirkung auf die Strömungen der Partei. Innerhalb der Bundestagsfraktion hat der Kreis um Sahra Wagenknecht ein strategisches Machtbündnis mit einem Teil des fds um Dietmar Bartsch gebildet, das den inoffiziellen Namen „Hufeisen“ trägt. Die SAV hat dieses prinzipienlose Bündnis frühzeitig kritisiert. Es hat die politischen Linien der Auseinandersetzung innerhalb der Fraktion und in Teilen der Partei verwischt und massiv zur Verwirrung beigetragen. Während AKL und Kommunistische Plattform (KPF) weitgehend intakt geblieben sind, sind Sozialistische Linke (SL) und das Forum demokratischer Sozialismus (fds) an der Frage Pro oder Contra Hufeisen gespalten. In der SL hat sich der Flügel der „aufstehen“-Unterstützer*innen und -Sympathisant*innen durchgesetzt. Aus der früheren SL-Mehrheit hatte sich schon gemeinsam mit weiteren bewegungsorientierten Kräften die Gruppierung bewegungslinke.org gebildet, die sich bisher nicht als neue Strömung, sondern als Forum zur Debatte verstanden hat. Es spricht viel dafür, dass sich daraus nun eine neue Strömung bildet. Prominente Reformer*innen haben aufgrund der Kritik am Hufeisenbündnis das fds verlassen, weil sie mehr Kritik an der Fraktionsvorsitzenden fordern.

Ein Autor des Neuen Deutschlands nannte das Phänomen der Neuverortung der Strömungen am 15. Juni treffend „Die neue Unübersichtlichkeit“.

Gründung von „aufstehen“ und Risiken für die Partei

Am 4. September hat sich „aufstehen“ gegründet. Wir haben in diversen Artikeln erklärt, warum „aufstehen“ sowohl programmatisch als auch von seiner undemokratischen Verfasstheit einen Schritt nach rechts darstellt und kein Bewegungsprojekt, sondern ein zutiefst parlamentarisches Projekt ist, das auf die Bildung einer rot-rot-grünen Regierung auf Basis einer Abkehr der Politik der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder ausgerichtet ist. Wir haben erklärt, warum wir uns nicht an „aufstehen“ beteiligen und dies inhaltlich begründet. Gleichzeitig unterbreiten wir Einheitsfrontangebote an „aufstehen“ im Sinne davon, „aufstehen“ aufzufordern Kämpfe und Bewegungen aktiv zu unterstützen, um die Schichten aus der Arbeiterklasse zu erreichen, die sich von „aufstehen“ angezogen fühlen. Letzteres ist auch deshalb wichtig, weil Menschen außerhalb der LINKEN einen anderen Blick auf „aufstehen“ haben als Parteimitglieder der LINKEN. Während wir in den innerparteilichen Debatten oftmals einen scharfen Ton gegen die Gründung von „aufstehen“ anschlagen mussten, müssen wir darauf achten, denjenigen Unterstützer*innen von „aufstehen“, die ehrlich etwas politisch nach links bewegen wollen, freundlich gegenüberzutreten.

„aufstehen“ ist einerseits von vielfältigen politischen Widersprüchen geprägt, wie beispielsweise dem Ziel, die Rechten dadurch zu bekämpfen nicht nur die soziale Frage zu besetzen, sondern ihnen in der Migrationsfrage nachzugeben. Das war schon 1993 Oskar Lafontaines Position, die er bis heute verteidigt, nämlich das Asylrecht auszuhöhlen, als Mittel um den Aufstieg der Republikaner zu stoppen. Ein weiterer Widerspruch ist, dass gerade Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine als personifizierter Dorn im Auge der SPD ein rot-rot-grünes Projekt auf den Weg bringen wollen. Drittens ist „aufstehen“ als angebliche Sammlungsbewegung in keiner der derzeitigen wichtigen Bewegungen wie Mieten, Pflege, Antirassismus verankert. Und noch schlimmer: während sogar die Berliner SPD und viele bürgerliche Einrichtungen zur #unteilbar-Demo im Oktober 2018 aufriefen, hat „aufstehen“ explizit nicht dazu aufgerufen.

Das hat dazu geführt, dass es innerhalb von „aufstehen“, inklusive seiner Führung, schon wenige Wochen nach der Gründung zu Konflikten und offenem Widerspruch gegen Sahra Wagenknecht gekommen ist. Die Dynamik der ersten Wochen wurde dadurch schon abgeschwächt. „aufstehen“ krankt daran, vorzugeben etwas zu sein, was es nicht ist: eine außerparlamentarische Bewegung. Die Tatsache, dass der Initiative ein zugespitztes Projekt fehlt, birgt das Potenzial, dass sich Unterstützer*innen schnell wieder zurück ziehen werden. Das kann auch dadurch ausgelöst werden, wenn klar wird, dass die Aktiven von unten doch wenig Einfluss auf die Ausrichtung von „aufstehen“ nehmen können.

Das sind einige der Faktoren, die es sehr unwahrscheinlich machen, dass „aufstehen“ zu einem neuem Ansatzpunkt für eine neue Arbeiterpartei bzw. einer dauerhaften Förderung von Selbstorganisation wird.

Die, bisher weitgehend passive Unterstützung für „aufstehen“ ist einerseits Ausdruck eines Phänomens, das wir schon beim Hype um Martin Schulz beobachten konnten – dem Wunsch nach einer re-sozialdemokratisierten Sozialdemokratie, nach etwas Neuem und Verbindendem in dem, was gemeinhin als „linkes Lager“ bezeichnet wird. Zudem drückt sich darin eine Panikreaktion auf den Aufstieg der AfD aus. Einigen, auch Aktivist*innen mit eigentlich wenig Illusionen in die Sozialdemokratie, erscheint es als letzte Möglichkeit, dem rechten Wachstum etwas entgegen zu setzen. Wider besseren Wissens zählen sie vor lauter Verzweiflung die SPD zur Linken und sehen diese „linke Einheit“ als eine Art letztes Aufgebot gegen rechts. Die Popularität und Medienpräsenz Sahra Wagenknechts und ihre Fähigkeit, soziale Fragen einfach, zugespitzt und mit einer gewissen Radikalität im Ton zu beantworten, spielen dabei eine Rolle. Das kann dazu führen, dass „aufstehen“ bei Meinungsumfragen weiter an Zuspruch gewinnen kann, selbst wenn es ihnen nicht gelingt eine substanzielle Aktivenbasis zu schaffen. Solche Phänomene können, wie ja auch schon bei Aufstieg und Niedergang der Piratenpartei geschehen, aber auch von kurzer Dauer sein, wenn sich innere Widersprüche entwickeln. Die Debatte und Spannungen innerhalb von „aufstehen“ nach Sahra Wagenknechts faktischer Distanzierung von #unteilbar sind ein Beispiel für solche Widersprüche.

Die Wirkung von „aufstehen“ auf DIE LINKE ist offen und von mehreren Faktoren abhängig, die derzeit noch nicht abzuschätzen sind. Das strategische Ziel von „aufstehen“ ist, die Mehrheitsverhältnisse in den drei Parteien, dabei vor allem in DIE LINKE, zu ändern – und letztere programmatisch nach rechts zu verschieben. Sahra Wagenknecht und Anhänger*innen setzen darauf, spätestens bei den nächsten Bundestagswahlen im Jahr 2021 oder im Falle von Neuwahlen die Aufstellung der Listen so zu beeinflussen, dass eine zukünftige Fraktion sich mehrheitlich aus „aufstehen“-Unterstützer*innen zusammensetzt. Scheitert dieser Versuch, ist die Gründung einer eigenen Partei möglich. Gelingt es Wagenknecht und anderen, die Mehrheit zu erlangen, ist die Überführung der LINKEN in eine neue Formation nicht ausgeschlossen. All das könnte sich durch mögliche Neuwahlen zum Bundestag, die schon für 2019 nicht ausgeschlossen sind, dramatisch beschleunigen.

Eine vorgezogene Bundestagswahl 2019 käme für aufstehen aber wahrscheinlich zu früh. Ein „Durchmarsch“ in der LINKEN ist unwahrscheinlich. Zudem ist die Gruppierung politisch und organisatorisch noch nicht ausreichend auf eine eigene Kandidatur vorbereitet und die schwache Resonanz in SPD und Grünen untergräbt die Strahlkraft des Projekts. Der Versuch, den parteiinternen Streit nicht weiter eskalieren zu lassen, der sich unter anderem in der gemeinsamen Erklärung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden zur Migrationsfrage und in Sahra Wagenknechts Zustimmung zur Unterstützung von #unteilbar bei der Fraktionsklausur im Januar zeigt, ist Ausdruck dieser Erkenntnis – wie auch der Haltung auf der anderen Seite, Wagenknecht nicht als prominenteste Kandidatin für die Partei zu verlieren. Dementsprechend ist es nicht auszuschließen, dass eine Form von Kompromiss gefunden wird – aus Angst vor Spaltung und Untergang. Das kann aber durch objektive Ereignisse und Reaktionen von Sahra Wagenknecht und anderen aufstehen-Unterstützer*innen konterkariert werden, zum Beispiel im Falle von einem Terroranschlag oder anderen Ereignissen, die wieder zu migrant*innenfeindlichen Aussagen führen können. Die Situation bleibt volatil.

Das Potenzial für eine Spaltung und gar Zerstörung der LINKEN besteht jedenfalls. Eine solche Spaltung würde quer durch die Partei gehen und nicht wie bei anderen Spaltungen die rechten von den linken Kräften in der Partei trennen. Dabei könnte folgendes Szenario eintreten: Eine Partei DIE LINKE, die weiterhin das breite und eigentlich nicht kompatible politische Spektrum wie die heutige Partei abbildet, aber deutlich geschwächt ist steht einer neuen Formation „aufstehen“ (bzw. einer aus „aufstehen“ hervorgegangenen Partei) gegenüber, die zwar ein rechteres Programm und keine breite aktive Mitgliedschaft aber einer größeren passiven Zustimmung in der Arbeiterklasse erreichen könnte. Es ist möglich, dass die Rest-LINKE dann versucht weiterzumachen, wie bisher, wobei wir in diesem Fall eine Bestandsaufnahme und Bilanzdebatte einfordern sollten, in der wir darum kämpfen müssen, dass als Lehre aus der Vergangenheit ein sozialistischer Kurswechsel eingeleitet wird. Es kann sein, dass darin dann der rechte Flügel gestärkt würde und sich für die linken Kräfte fragen einer Reorganisierung stellen. Es ist auch möglich, dass DIE LINKE sich darüber komplett zerlegt und die Partei in der Form nicht weiter existiert.

Antikapitalistische Linke

In einer solchen polarisierten und unübersichtlichen Situation kann die AKL eine wichtige Rolle dabei spielen, richtige Ideen und Vorschläge in der Breite der Partei bekannt zu machen und zur Diskussion zu stellen, aber auch exemplarische Arbeit zu machen.

Die AKL hat über 1000 Mitglieder und ist mit aktiven Mitgliedern im Parteivorstand und in der Bundestagsfraktion vertreten, stellt die Landesvorsitzende in NRW und hat Mitgliedern in diversen Landesvorständen. Das Ansehen der AKL ist in der letzten Zeit gewachsen. Es ist daher wichtig, am Aufbau einer solideren Basis der AKL zu arbeiten, dazu wollen wir beitragen.

Wahljahr 2019

Im Jahr 2019 stehen Landtagswahlen in Bremen, Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Europawahlen und diverse Kommunalwahlen an. Es ist außerdem nicht auszuschließen, dass es schon 2019 zu Neuwahlen zum Bundestag kommt.

Die Zeit von der SAV-Bundeskonferenz bis Mai wird vom Europawahlkampf und dem Wahlkampf zur Bremer Bürgerschaft geprägt sein, die Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern folgen im Herbst.

Bei allen Landtagswahlen, außer womöglich in Sachsen, wird es um die Option der Regierungsbeteiligung der LINKEN mit bürgerlichen Parteien gehen. Sollte es in Bremen zu einer rot-rot-grünen Koalition kommen, wäre dies ein Novum für die gesamte Partei, da es die erste Regierungsbeteiligung in einem westlichen Bundesland, wenn auch einem kleinen Stadtstaat, wäre. Dies würde die Debatten innerhalb der Partei weiter nach rechts verschieben. In Thüringen ist die Fortsetzung der Koalition aufgrund des Erstarkens der AfD und der Schwäche der SPD unwahrscheinlich. In Brandenburg könnte es statt zur Fortsetzung von Rot-Rot zu einer rot-rot-grünen Koalition kommen, aber möglicherweise reicht es auch dafür nicht. Vor diesem Hintergrund haben Debatten über Koalitionen mit der CDU begonnen. Solche werden weder vom Landesvorstand DIE LINKE Brandenburg noch von führenden Protagonisten der LINKEN in Thüringen ausgeschlossen. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass es dazu kommt, bedeutet allein die Debatte darüber ein enormer Schaden für die Partei und bietet Vertreter*innen von „aufstehen“ die Möglichkeit, sich links davon und als Kraft gegen die Etablierten zu positionieren.

Die Europawahlen finden in einer polarisierten Lage statt. Die EU wurde seit ihrer Gründung noch nie so offen in Fragen gestellt wie in der Periode seit Ausbruchs der Krise 2008/2009. Nicht nur große Teile der Arbeiterklasse in vielen Ländern lehnen die EU ab, ein Prozess, in dem der Brexit und die Proteste gegen die Troika-Diktate nur die Spitze des Eisbergs waren. Auch im bürgerlichen Block gibt es unterschiedliche Antworten auf den Charakter der EU in der Zukunft und politische Verwerfungen.

In Deutschland haben die Verwerfungen zu einem handfesten Streit zwischen CDU und CSU in Bezug auf ihre Position zu Migration und Grenzpolitik geführt. Dabei ging es um die Frage, ob die Grenzen in Absprache mit den europäischen Partnern oder im Alleingang dicht gemacht werden sollen. Solche Konflikte werden in der nächsten Periode zunehmen und können die Große Koalition erneut an den Rand des Abgrunds bringen. Außerhalb der linken Kräfte gibt es zwei Pole in der Auseinandersetzung um das Verhältnis von EU und Nationalstaat: die Rechtsaußen-Kräfte von AfD und CSU, die weniger EU und mehr Nationalstaat wollen und die bürgerlichen Kräfte von Merkel bis Grüne, die sich positiv auf die bisherige EU mit einigen Änderungen beziehen. Diese Kräfte dominieren bisher in der veröffentlichten Meinung die Debatte.

Aufgrund der Erfolge der Rechtspopulisten gibt es besonders von Jugendlichen aber auch von einem Teil von abhängig Beschäftigten den Wunsch, eine internationale, pro-europäische Position zu beziehen. Diese differenzieren oftmals nicht zwischen der EU und Europa. Ein großer Teil der Arbeiter*innenklasse ist entfremdet vom institutionalisierten Politbetrieb. Das wirkt sich stark auf die Wahrnehmung der EU aus. Ein kleinerer Teil sieht die EU als Projekt im Interesse von Banken und Konzernen, wenngleich die Anti-EU-Stimmung in Deutschland nicht vergleichbar ist mit jener in Südeuropa oder Großbritannien. Aufgabe der LINKEN ist es, beide Teile mit einer internationalistischen Position zu erreichen, die ihre Kritik an der EU erklärt und Anti-EU-Slogans einen Klasseninhalt gibt.

Innerhalb der LINKEN dominiert die Position des „Neustarts der Europäischen Union“-Position und wird es den Versuch geben, sich weder in eine Pro- noch in eine Contra-EU-Position drängen zu lassen, aus Angst Wähler*innen zu verprellen. Dabei ist es auch Aufgabe der LINKEN, das Bewusstsein über den Charakter der imperialistischen EU und ihrer Nichtreformierbarkeit zu schaffen und zu schärfen. Die Idee, es könne einen Neustart dieser EU im Interesse der Arbeiterklasse geben, ist eine Illusion. Wir treten deshalb dafür ein, dass sich DIE LINKE klar als Gegnerin dieser kapitalistischen EU positioniert und dies mit einer Vision eines sozialistischen Europas von unten verbindet. Wir streiten für konkrete soziale Forderungen im Europa-Wahlprogramm. Aufgrund des komplexen Bewusstseins an dieser Frage ist es jedoch zentral, diese Position gut zu erklären.

Leider ist zu erwarten, dass die Partei einen uninspirierten Wahlkampf mit unklarem inhaltlichen Profil führen wird. Wir sollten vor Ort dafür eintreten, dass auch im Wahlkampf die Umsetzung der Pflege- und Wohnen-Kampagne, der Kampf gegen rechts und die Unterstützung anderer sozialer Bewegungen und Kämpfe im Mittelpunkt stehen sollte. Gleichzeitig werden wir Mustermaterial erstellen, was wir in LINKE-Strukturen einbringen können.

Schluss

DIE LINKE ist, trotz all ihrer Beschränktheiten und ihres widersprüchlichen Charakters eine Errungenschaft. Sie wird gefährdet durch die unterschiedlichsten Kräfte innerhalb der Partei, die in der einen oder anderen Art auf Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen setzen und eine sozialistische Perspektive aufgegeben haben. DIE LINKE zu verteidigen, heißt sie in einer kämpferische und sozialistische Richtung zu verändern. Ein Teil von Jugendlichen und Beschäftigten hat das instinktiv verstanden und sich der Partei angeschlossen bzw. unterstützt sie. Ein anderer Teil, der auch für linke Politik gewinnbar ist, fühlt sich von den parteiinternen Streitereien und Parteipolitik im allgemeinen abgeschreckt. Wir können über eine exemplarische, kämpferische Politik in den LINKE-Strukturen, in denen wir aktiv sind, und über ein unabhängiges Profil der SAV Menschen aus beiden Schichten aktivieren und für unser sozialistisches Programm gewinnen.