Interview mit Cornelia Möhring
Cornelia Möhring ist frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE. Für die Solidarität sprach Anne Engelhardt mit ihr über den Kampf gegen die Paragraphen 218 und 219a.
Hat der „Kompromiss“ der Großen Koalition zum §219a irgendeinen Lichtblick für Betroffene zu bieten?
Nein, leider gar nicht. Dass Ärztinnen und Ärzte nun auf ihrer Homepage schreiben dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten und ihnen ansonsten weiterhin der Mund verboten wird, kann nicht als Lichtblick bezeichnet werden – auch, wenn sich die SPD gerade unheimlich verrenkt, um genau das zu tun. Mit dieser „Erlaubnis“ einher geht das explizite Verbot aller weiteren Informationen durch Ärzt*innen selbst. Sie dürfen nur auf staatliche Stellen verweisen. Damit ist die bisherige Rechtsunsicherheit zu Ungunsten der Betroffenen aufgelöst worden. Die Berufsfreiheit und Informationsrechte werden weiterhin eingeschränkt. Mit dem Kompromiss droht sich nun das Kapitel 219a wieder zu schließen. Die SPD erweist damit der sich an dieser Frage politisierten neuen Generation der Frauenbewegung einen Bärendienst.
Wann und wie hat es der §219a ins Strafgesetz geschafft und warum wird er beibehalten?
Das „Werbeverbot“ wurde mit der so weit reichenden Formulierung, dass unter Werbung auch Information fällt, 1933 von den Nationalsozialisten gesetzlich verankert, während gleichzeitig der §218 StGB vorsah, dass Schwangerschaftsabbrüche mit Zuchthaus oder Gefängnis zu bestrafen waren, ab 1943 teils sogar mit dem Tod. Dank gesellschaftlicher Kämpfe ist zwar heute ein Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen straffrei möglich, im Kern geht es von konservativer Seite aber noch immer darum, an einem Gesetz festzuhalten, dass Schwangerschaftsabbrüche stigmatisiert. Dadurch, dass allein das Informieren über den konkreten Eingriff und verschiedene Methoden mit dem scharfen juristischen Schwert des Strafgesetzbuchs verboten wird, bleibt das Sprechen über Schwangerschaftsabbrüche ein Tabu. Genau das ist gewollt.
Der Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch geht weiter. Welche Rolle spielt DIE LINKE und was können die Gewerkschaften tun, um die Forderung zu unterstützen?
Eigentlich ist es erschreckend, aber in der ganzen parlamentarischen Debatte um 219a wurden die Stimmen, die ganz explizit das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen thematisiert und die eigentliche Forderung der Frauenbewegung „Weg mit §218“ hochgehalten haben, immer leiser. Ich bin froh, in einer Partei und Mitglied in einer Fraktion zu sein, in der es unbestritten ist, dass das Ziel die komplette Streichung von Schwangerschaftsabbrüchen aus dem Strafgesetzbuch ist. Hier sehe ich auch eine zentrale Rolle der LINKEN: Verlässliche Partnerin in der Bewegung sein und sich auch als Sprachrohr innerhalb des parlamentarischen Raums verstehen. Von den Gewerkschaften würde ich mir ein Ende der Zaghaftigkeit wünschen. Der Prozess für einen Frauenstreik bietet die Chance, den politischen Streik zum Gegenstand gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen zu machen. Wie wäre es denn mit einem Generalstreik der Hälfte der Bevölkerung für die Streichung der Abtreibungsparagraphen?
Am 8. März finden in vielen Orten Proteste statt. Welche Rolle wird der „Kompromiss“ zum §219a für die Mobilisierung spielen? Nimmt er den Wind aus den Segeln oder facht er ihn eher an?
Ich hoffe Letzteres. Zumindest schürt der Kompromiss die Wut, für die die Aktivitäten rund um den 8. März sicherlich ein gutes Ventil sein können. Dass die SPD mit dem Kompromiss befrieden will, ist offensichtlich. Dass wir es zu dieser Befriedung nicht kommen lassen dürfen, ist jetzt unsere Aufgabe der nächsten Wochen und Monate.
Welche Aktionen wären nötig, um sowohl eine Familienplanung frei von Sanktionen und Geldsorgen als auch die Bestimmung über den eigenen Körper endlich möglich zu machen?
Das spricht eine ganze Palette von Maßnahmen an, die notwendig wären, um echte Entscheidungsfreiheit zu sichern. Statt des § 219a müssen Alternativen her, die helfen, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden oder im Konfliktfall wirklich Unterstützung bieten: Kostenlose Verhütungsmittel, eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und ein Ausbau der Beratungsangebote. Und am Anfang muss der schnelle und niedrigschwellige Zugang zu Informationen stehen. Das übergeordnete Ziel muss darüber hinaus sein, dass sich Menschen unabhängig von gesellschaftlichen und ökonomischen Zwängen für oder gegen die Fortführung einer Schwangerschaft entscheiden können. Eine Alleinerziehende, die schwanger wird und sich grundsätzlich ein weiteres Kind wünscht, aber schon mit einem Kind, zwei Minijobs und einer kranken Mutter nicht weiß, wo ihr der Kopf steht, ist massiv in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Aus dieser Perspektive werden die Forderungen nach einer besseren Kinderbetreuungsinfrastruktur, bedarfsgerechter pflegerischer Versorgung und deutlich höheren Löhnen zu Forderungen für reproduktive Selbstbestimmung.