Zwischen Rechtsruck und Massenprotesten
Von 23. bis zum 26. Mai wird in der EU gewählt und schon jetzt zeichnet sich ab, dass auch diese Wahl zu einem gewaltigen Schock für das Establishment in den verschiedenen europäischen Staaten werden wird.
von Christoph Glanninger, SAV-Berlin
Die Wahl findet vor dem Hintergrund einer tiefen Krise der europäischen Institutionen statt. In Großbritannien war zum Redaktionsschluss noch nicht einmal klar, ob das Land an der EU-Wahl teilnimmt oder nicht, weil komplett offen ist, wann, wie und ob der Brexit stattfinden wird. Der kurzzeitige Hoffnungsträger der europäischen Eliten, Emmanuel Macron, ist seit Monaten mit wachsenden Protesten und sinkender Unterstützung konfrontiert. In Italien, Ungarn, Polen und Österreich sind Rechtspopulisten an der Regierung, die sich mehr oder weniger offen gegen die dominierende EU-Politik stellen. Auch in Deutschland erleben wir eine politische Polarisierung. Dazu kommen noch zunehmende Anzeichen auf eine bevorstehende Wirtschaftskrise kombiniert mit einer Reihe an ökonomischen Pulverfässern, wie den enorm hohen Staatsschulden und das Potenzial neuer Bankenkrisen. Die politischen Perspektiven deuten auf eine sehr instabile Periode hin.
Charakter der EU
Gleichzeitig wird der Charakter der EU immer offensichtlicher. Europaweit gibt es ein weitverbreitetes und gerechtfertigtes Misstrauen gegen “die Bürokratie in Brüssel”. Die Fassade eines „Friedensprojektes“ bekommt immer deutlichere Risse: allein im letzten Jahr ließ die EU mehr als zweitausend Menschen im Mittelmeer ertrinken, die Aufrüstung schreitet weiter voran und die europäischen Regierungen stützen sich verstärkt auf autoritäre Staaten wie die Türkei, Ägypten und andere, um ihre Interessen durchzusetzen. Und auch innerhalb Europas wird immer stärker, von Macron bis Orban, auf autoritäre Herrschaft gesetzt.
Drohender Rechtsruck
Aktuell scheint es so, als ob vor allem die Rechtspopulist*innen von dieser Instabilität profitieren können. Laut Umfragen könnten diese Kräfte als große Gewinner*innen aus den bevorstehenden Wahlen hervorgehen und ihre Sitze im Europaparlament fast verdoppeln. Sie schaffen es, den Unmut über soziale Missstände und die abgehobene EU-Bürokratie nach rechts zu lenken. Eine gestärkte extreme Rechte im EU-Parlament würde wahrscheinlich zu noch mehr reaktionären Gesetzen führen. Das könnte zum Beispiel einen beschleunigten Abbau von Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen bedeuten oder eine noch rücksichtslosere Abschottungspolitik an den europäischen Außengrenzen.
Widerstand von unten
Aber es gibt auch ein anderes Europa: von Spanien bis Serbien gibt es Massenproteste gegen die herrschende Politik. In Frankreich halten die Proteste der Gelbwesten seit Monaten an, wir erleben grenzübergreifende Streiks bei Ryanair und Amazon, europaweite Proteste gegen Umweltzerstörung und Frauenunterdrückung, beeindruckende Demonstrationen gegen Rassismus in Solidarität mit Geflüchteten, und das rechte Orban-Regime war in den letzten Monaten mit wichtigen Streiks in der Automobilindustrie und Protesten gegen das sogenannte Sklavengesetz konfrontiert. Diese Proteste zeigen das Potenzial für Widerstand auch auf europaweiter und internationaler Ebene.
Linke zu angepasst
Leider findet dieser Widerstand, der wachsende Unmut über die Macht der Bosse, Banken und Konzerne und die Wut über die EU-Bürokratie kaum einen politischen Ausdruck in der europäischen Linken. Die meisten europäischen Linksparteien geben sich zu angepasst und verbreiten realitätsfremde Illusionen in die EU. Sie schaffen es nicht, an dem wachsenden Unmut anzuknüpfen. Um die Unzufriedenheit und die Wut gegenüber der EU und den Herrschenden nach links zu lenken, brauchen wir eine Linke, die sich klar als Gegnerin des Establishments und der EU der Banken und Konzerne positioniert. Wir brauchen ein Linke, die nicht nur ein lebendiger Teil von Protesten und Streiks ist, sondern auch Vorschläge macht, wie diese erfolgreich sein können. Eine Linke, die keine Illusionen darin schürt, eine durch und durch neoliberale, undemokratische und militaristische EU auf kapitalistischer Grundlage in eine soziale, demokratische, friedliche Gemeinschaft verwandeln zu können.
Sozialistische Alternative notwendig
Linken Kritiker*innen der bestehenden EU wird vorgeworfen, sie wollten Europa spalten, sie würden den Nationalismus befördern und letztlich den Frieden in Europa gefährden. Das Gegenteil ist der Fall. Die regierenden, ausnahmslos pro-kapitalistischen, Parteien spalten Europa, wirtschaftlich und sozial. Unter ihrer Herrschaft weitet sich der Nationalismus aus. Sie sind es, die die Rüstungsausgaben von Jahr zu Jahr steigern.
Die Alternative zu einem zerfallenden Europa und zu wachsendem Nationalismus ist die internationale Solidarität der arbeitenden Menschen, für gute und gleiche Löhne und Lebensverhältnisse in ganz Europa, gegen Rassismus, gegen Nationalismus – für ein demokratisches, sozialistisches Europa der arbeitenden Bevölkerung.