SPD blinkt links

Das Sozialstaatskonzept hält nicht, was es verspricht

Mit einem neuen Sozialstaatskonzept will die SPD sich vom Makel der Hartz IV-Partei befreien und die Umfragetiefs hinter sich lassen. „Arbeit, Solidarität, Menschlichkeit“ steht da in der Überschrift, klingt doch gut. So viele tolle Schlagwörter waren lang nicht lesbar. Von Würde des Einzelnen, fairen Löhnen und Anerkennung von Lebensleistungen ist die Rede. Doch ist das jetzt tatsächlich die Abkehr von der Agenda 2010?

von Doreen Ullrich, Aachen

Demut, Erkenntnis und Veränderungswille soll da zu finden sein. Und so behauptet SPD-Chefin Nahles: „Wir lassen Hartz IV hinter uns“. Hat die SPD nun tatsächlich erkannt, welch entwürdigendes System sie mit den Hartz-Gesetzen geschaffen hat? Anstelle von Hartz IV soll nun das Bürgergeld kommen, die Kindergrundsicherung soll Kinderarmut beenden und Reformen des Arbeitsmarktes sollen die Situation der Arbeitenden verbessern.

Unkonkret

Im Punkt Arbeitsmarkt spricht die SPD vor allem vom digitalen Wandel und einer neu entstehenden Plattformwirtschaft. Hier sollen Arbeitnehmer*innen durch mehr Tarifbindungen, einen Mindestlohn von zwölf Euro und flexibleren Regelungen der Arbeitszeit geschützt werden. Es wird aber nicht klar, wann die zwölf Euro kommen sollen. Die Eingrenzung heißt „perspektivisch“ und lässt damit alles offen. Dabei ist die Anhebung des Mindestlohns absolut dringlich.

Genauso unkonkret bleibt die SPD zur Frage der Lohnangleichung in Ostdeutschland, Man wolle sich dafür „einsetzen“ ist alles, was da zu lesen ist.

Es geht im SPD-Papier viel um neue Arbeitsformen, um Strukturwandel sowie ständige Qualifizierung und Weiterbildung. Völlig abhanden sind Forderungen zur Abschaffung von Mini- oder Midijobs und zum Schutz vor prekärer Beschäftigung. Wichtige Punkte, wie Forderungen nach mehr Personal, zum Beispiel in der Pflege, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und Verkürzung der Lebensarbeitszeit, werden gar nicht erst aufgeworfen.

Um Arbeiten und Leben besser miteinander zu vereinbaren, will sich die SPD lediglich für ein ausgeweitetes Recht auf Teilzeitarbeit und späterer Rückkehr zur Vollzeit einsetzen, sowie Homeoffices als Recht einführen. Dabei zeigte erst kürzlich eine Studie, wie durch HomeOffices noch mehr Überstunden und noch mehr Druck entstehen.

Außerdem schlägt die SPD ein persönliches Zeitkonto für Überstunden vor, das auch bei Betriebswechseln mitgenommen wird und dann für Qualifizierung und Weiterbildung oder auch Auszeiten für die Familie genutzt werden kann. Doch eine Idee, wie die Millionen von Überstunden, die ständig geleistet werden, überhaupt verhindert werden können, kommt nicht vor.

Von wegen Anerkennung

Bei Arbeitslosigkeit soll nun auch die Lebensleistung anerkannt werden, bevor es in die Armut geht. Mit einer Qualifizierungszeit kann das Arbeitslosengeld I im ersten Schritt verlängert werden (anrechnungsfrei für zwölf Monate). Im zweiten Schritt ist eine Verlängerung möglich, wenn genug Arbeitsjahre in die Versicherung eingezahlt wurden. Nach zwanzig Jahren verlängert sich die Zeit des ALG I-Bezuges dann beispielsweise um ganze drei weitere Monate. Ja richtig: drei Monate! Das also ist die Anerkennung für zwanzig Jahre harter Arbeit? Spätestens hier erhärtet sich der Verdacht, dass die SPD leider immer noch nichts verstanden hat.

Neuer Name, altes Konzept

Klar wird dies, wenn es um die Umbenennung von Hartz IV in „ Bürgergeld“ geht. Zwar soll mit einem Teil der unsinnigen Sanktionen, insbesondere für Jugendliche, bald Schluss sein. Jedoch spricht sich die SPD nicht für eine Erhöhung des Regelsatzes aus. Mehr Geld gibt es nicht und auch die Bedarfsgemeinschaften (und damit familiäre Abhängigkeiten) bleiben bestehen! Das bedeutet weiter Armut per Gesetz! Lediglich in den ersten zwei Jahren des Bürgergeldes sollen Vermögen und Wohnung unangetastet bleiben. Das sind die einzig wirklichen Erleichterungen.

Auch bei der Kindergrundsicherung bleibt die SPD schwammig, es soll eine Zusammenführung verschiedener Leistungen geben, gemessen am Existenzminimum von 408 Euro für Kinder und mit der kostenlosen Bereitstellung von Kita, Hort oder schulischem Mittagessen. Wann und wie genau, aber auch eine konkrete Summe wird nicht vorgeschlagen.

Ein Sonntagspapier

So bleibt zusammenfassend der Eindruck, das Konzept ist eine Zusammenstellung von ein paar nett gemeinten Forderungen. Anders als Nahles behauptet, lässt es Hartz IV nicht hinter sich, lediglich ein paar Härten werden aufgeweicht und das Kind bekommt einen neuen Namen.

Was auch fehlt: der Wille zur Umsetzung. Das zeigt sich schon am fehlenden Finanzierungskonzept, aber auch im Umgang mit dem Koalitionspartner. Die Union bekam nach der Vorstellung des Konzeptes Schnappatmung und ließ Volker Bouffier rumjaulen: „ Die SPD plant die Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft“ (1).

Selbst die bescheidenen Reformen werden mit CSU und CDU nicht zu machen sein, das hat die Union klargemacht. Das ist der SPD-Chefin Andrea Nahles scheinbar schlicht egal. Sie meint:“ Ich wüsste nicht, was die Beschlüsse dieses Wochenendes jetzt mit der Frage, Verbleib oder Nicht-Verbleib in der Koalition zu tun hätten. Es war Null-Thema, um genau zu sein!“(2)

So ist das Papier der Versuch etwas links zu blinken und einen sozial ausgerichteteren Wahlkampf für die nächsten, möglicherweise schon bald stattfindenden, Bundestagswahlen vorzubereiten. Alles spricht dafür, dass die Sozialdemokrat*innen danach nicht wieder Teil der Regierung sein werden und nicht in die Verlegenheit kommen werden, ihre bescheidenen Forderungen auch in die Praxis umsetzen zu müssen. Angesichts der sich ankündigenden wirtschaftlichen Krise wäre auch das nur im Kampf gegen das Kapital möglich, dessen Vertreter*innen deutlich machen, dass sie „Reformen“ ganz anderer Art – im Interesse von Arbeitgeber*innen – durchgesetzt sehen wollen.