„Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riss hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebnen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eignen Landes hinausgetragen wird.“
K. Marx: „Das Kapital“, Bd. 3, 47. Kap.
Allzu viele Sozialist*innen (sogar jene, die sich selbst als revolutionäre Marxist*innen verstehen) sind erst reichlich spät darauf gekommen, sich mit der ökologischen Analyse vom „unheilbaren Riss“ zu befassen, die Karl Marx und Friedrich Engels bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts begonnen hatten und die sich mit dem Antagonismus zwischen Kapitalismus und Natur befasst.
// Arne Johansson [zuerst veröffentlicht in der Juli-Ausgabe 2018 der „Offensiv“, Wochenzeitung der „Rättvisepartiet Socialisterna“ (Sektion des CWI in Schweden). Neu veröffentlicht auf socialistparty.ie
Mit seinem Buch „Natur gegen Kapital. Marx’ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus.“ (Frankfurt am Main 2016) hat der japanische Philosoph und Marx-Forscher Kohei Saito einen neuen und bedeutenden Beitrag vorgelegt, mit dem das oben erwähnte Manko behoben werden kann. Schließlich leben wir in einer Phase, in der die raffgierige Rücksichtslosigkeit, mit der der Kapitalismus Mensch und Natur gegenübertritt, einen kritischen Punkt erreicht hat. Große Teile des Planeten drohen unbewohnbar zu werden.
Saito, der an der Universität von Osaka am Institut für politische Ökonomie lehrt, stützt sich im Wesentlichen auf die bedeutende Anzahl an unveröffentlichten Bemerkungen und Notizen von Karl Marx. Als Mitherausgeber der „Marx-Engels-Gesamtausgabe“ (MEGA), einem immer noch nicht vollendeten Projekt, mit dem die gesammelten Werke dieser beiden Vordenker zusammengetragen werden soll, zählen diese Schriften ohnehin zu Saitos Standard-Repertoire.
Ein neuer Bestandteil dieser Materialsammlung ist nun die detaillierte Darstellung dessen, wie Marx zu seinem außerordentlichen Interesse für die damals hoch modernen Naturwissenschaften und Fachgebiete Biologie, Chemie, Geologie und Mineralogie gekommen ist. Anlass für ihn war die Krise, die auf die Industrialisierung der Landwirtschaft durch den Kapitalismus zurückzuführen war, und der „Riss“, den er im Stoffwechsel zwischen Mensch und Umwelt feststellte. Heute wird dieser „durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebene Stoffwechsel“ von Marx als „ökologischer Kreislauf“ oder „Bio-Kreislauf“ bezeichnet. Saito erklärt, wie diese Aspekte Marx dazu gebracht haben, sich im Rahmen seiner letztendlich nicht zu Ende gebrachten Arbeit am „Kapital“ und nach Veröffentlichung des ersten Bandes im Jahr 1867 umfassend mit diesem Thema zu befassen.
Auch wenn es Friedrich Engels ist, der von den beiden bislang eher mit wissenschaftlichen Schriften (z.B. dem „Anti-Dühring“) und seiner unvollendeten aber posthum veröffentlichten „Dialektik der Natur“ in Verbindung gebracht wird, weist Saito darauf hin, dass das Interesse von Marx an diesen Themenbereichen mindestens genauso groß gewesen ist – schließlich stand er die ganze Zeit über in engem Kontakt zu Engels.
These der Ökosozialist*innen ist widerlegt
Nicht weniger als ein Drittel der Aufzeichnungen, die sich in Marx´ Notizbüchern finden, gehen auf seine letzten fünfzehn Lebesjahre zurück. Es handelt sich hierbei um eine große Menge an Fragmenten, Zitaten und Kommentaren, von denen wiederum knapp die Hälfte der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Aspekten zugeordnet werden kann. Damit wäre die Sichtweise sogenannter „westlicher Marxist*innen“ (u.a. aus der „Frankfurter Schule“) widerlegt, die Engels für seine Ausweitung der dialektischen Gesetze auf die Natur lange Zeit eine unmarxistische Verzerrung vorgeworfen und eingewendet haben, dass der historische Materialismus von Marx lediglich auf die menschliche Gesellschaft anwendbar sei.
In seinem Vorwort würdigt Saito nun die wichtigen Schritte im Bemühen, die Marxsche Analyse vom „aufgrund des Kapitalismus auftretenden unheilbaren Riss im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur“ wiederzuentdecken. Den Weg dazu geebnet hatten die sozialistischen Professoren Paul Burkett und John Bellamy Foster, die 1999 den Titel „Marx and Nature“ (Burkett) bzw. im Jahr 2000 das Buch „Marx´s Ecology“ (Forster) herausbrachten.
Mit Hilfe der Zeitschrift „Monthly Review“, deren Herausgeber Foster ist, haben die beiden es sehr effektiv vermocht, einer schon wahnhaften Betrachtungsweise von Marx als – in ökologischer Hinsicht – naivem Fürsprecher des industriellen Wachstums („Promethismus“) entgegenzuwirken. Diese Haltung war über lange Zeit sowohl unter grünen Theoretiker*innen wie auch bei Vertreter*innen der „ersten Welle“ von Ökosozialist*innen weit verbreitet (z.B. bei Ted Benton, André Gorz, Michael Löwy, James O’Connor oder Alain Lipietz).
Marx und Engels als Inspiration in Umweltfragen
Ein wichtiger Erfolg in diesem Kampf auf der theoretischen Ebene ist die Tatsache, dass Marx heute weltweit als Inspiration dient, wenn es um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen geht. Ganz ähnlich sieht es aus, wenn man die Rezeption dessen sowohl in den Texten wissenschaftlicher Autor*innen als auch den Beiträgen politischer Aktivist*innen betrachtet. Zu nennen sei an dieser Stelle beispielhaft Naomi Klein mit ihrem Buch „Die Entscheidung: Kapitalismus versus Klima“.
In seinem Buch „Natur gegen Kapital“ zeigt Saito, wie Marx seine Analyse vom „unheilbaren Riss“ im Kapitalismus nach und nach entwickelt hat. Saito räumt ein, dass die Faszination, die der junge Marx hinsichtlich der enormen Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus an den Tag legte, bisweilen als „produktivistisch“ verstanden werden kann. Dabei beschreibt er schon 1844 in seinem „Pariser Notizbuch“ („Manuskripte und Exzerpthefte“) sowie in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ die auf den Kapitalismus zurückzuführende zunehmende Kluft (Entfremdung) zwischen Arbeiter*innen und den Früchten ihrer Arbeit. Dieselbe Entfremdung stellte er damals bereits zwischen den Menschen untereinander fest und im Verhältnis zwischen Mensch und Natur; vor allem, als die Arbeiter*innen im Zuge der Industrialisierung von Grund und Boden getrennt wurden.
Schon zu diesem Zeitpunkt hatte Marx die Aufgabe des Kommunismus formuliert: Dieser müsse die völlige und rational determinierte Einheit von Mensch und Natur auf höherer Ebene wiederherstellen. Seine Abkehr von der abstrakten Philosophie der Jung-Hegelianer*innen wie auch die persönliche Erfahrung mit der Niederlage der Revolutionen des Jahres 1848 waren die Basis dafür, dass er seine materialistischen Studien darüber, wie der Kapitalismus funktioniert, gewissenhaft zu vertiefen begann. Sein Werk „Das Elend der Philosophie“ erschien 1847.
Kritik an der bürgerlichen Werttheorie
Zentraler Bestandteil der Marxschen Kritik an der Werttheorie der klassisch-bürgerlichen Ökonomen (v.a. Thomas Malthus und David Ricardo; Erg. d. Übers.) war, dass sie die Arbeit als Quelle der Wertschöpfung betrachteten. Marx wies hingegen mit aller Sorgfalt darauf hin, dass sie damit blind auf die Tauschwerte des Marktes starren würden. Dieser Tauschwert entstamme der Arbeitskraft. Eine Schlussfolgerung, die Marx im Zuge seiner ökonomischen Studien daraus zog, war, dass diese Ökonomen somit den Gebrauchswert, der der Natur entspringt, außer Acht lassen würden. Sie würden diesen Gebrauchswert als bloßes „Geschenk an das Kapital“ verstehen. Das bedeutet, dass das Kapital (mit seiner Konkurrenz um die größtmögliche Akkumulation) sowohl die Arbeiter*innen als auch Grund und Boden – „die wahren Quellen allen Wohlstands“ – aushöhlt.
Es deutet einiges darauf hin, dass es der freundschaftliche Kontakt zum sozialistischen Physiker Roland Daniel und dessen Interesse am Bio-Kreislauf zwischen Tieren und Pflanzen gewesen sind, die Marx dazu veranlasst haben, mit der Arbeit am Konzept vom Stoffwechsel zwischen Mensch und Umwelt zu beginnen.
Der Mensch, so würde Marx es beschreiben, existiert im „allgemeinen Stoffwechsel der Natur“, aus der er – als Teil des „gesellschaftlichen Stoffwechsels“ – Gebrauchswerte gewinnen kann. Es war allerdings einige Jahre zuvor, während seiner vorbereitenden Studien für „Das Kapital“ und vor dem Hintergrund der zunehmenden Krise in der britischen Landwirtschaft, dass Marx wirklich damit begann, Interesse am Problem der industriellen Ausbeutung der Erde zu entwickeln. Ausgangspunkt dafür war die Kritik des deutschen Chemikers Justus von Liebig. Darin fand Marx auch „Futter“ für seine Kritik an der ahistorischen Methode, mit der vor allem die Ökonomen David Ricardo und Thomas Malthus (mit ihrem „Bevölkerungsgesetz“) die Frage der Grundrente analysiert hatten. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur hat sich aufgrund der Entwicklung neuer Produktionsmethoden verändert. Im Kapitalismus vergrößert sich jedoch die Kluft in der Beziehung zwischen Mensch und Natur ganz radikal.
Technischer Fortschritt als ökologisches Problem?
Gerade wegen des Einflusses, den Liebig auf ihn ausgeübt hat, begann Marx in den Jahren 1865 und 1866 damit, seine frühere, optimistischere Sicht auf den zeitgenössischen technologischen Fortschritt noch einmal zu überdenken. Er verstand, wie die für den Kapitalismus typischen, kurzfristigen und kurzsichtigen Ansätze die Fruchtbarkeit der Erde schwinden lassen, nur um auf immer höherer Ebene für neue und „unheilbare Risse im Stoffwechsel“ zu sorgen. Am Ende beträfe das Problem die ganze Welt.
Saito skizziert, wie Liebig in seinem wegweisenden Buch „Einleitung in die Naturgesetze des Feldbaues“ (1862) beschrieb, wie das starke urbane Wachstum der britischen Städte im Laufe der Industrialisierung die Nachfrage an landwirtschaftlichen Gütern aus den entvölkerten ländlichen Regionen auf dramatische Weise erhöht hat. Gleichzeitig bestand noch das Problem, dass dem Boden die entnommenen pflanzlichen Nährstoffe nicht zurückgegeben wurden. Und anstatt Dünger zuzufügen, wurde das Abwasser aus den neuen Toiletten mit Wasserspülung in London und anderen Städten über die Flüsse und das Meer entsorgt.
Das Ergebnis war, dass nicht nur die britischen Äcker sondern das ganze Land immer unfruchtbarer wurden. Guano (Fäkalien südamerikanischer Seevögel) und Knochen wurden als Düngemittel importiert:
„Großbritannien raubt allen Ländern die Bedingungen ihrer Fruchtbarkeit, es hat die Schlachtfelder v. Leipzig, Waterloo u. der Krim bereits nach Knochen umgewühlt u. die in den Katakomben Siziliens angehäuften Gebeine vieler Generationen verbraucht […]. Man kann der Welt sagen, dass es wie ein Vampyr am Nacken Europas hängt“, so Liebig.
Zum Verhältnis von Mensch und Natur
Im „Kapital“ fasste Marx die Kernaussagen zusammen, wonach „jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur […] nicht nur ein Fortschritt in der Kunst [ist] den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit“ und dass die „kapitalistische Produktion daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses [entwickelt], indem sie zugleich die Springquellen allen Reichthums untergräbt: Die Erde und den Arbeiter.“ (Karl Marx und Friedrich Engels: „Exzerpte und Notizen“; bearbeitet von Otani, Saito, Graßmann, 2019).
Die verzweifelte Jagd Englands und der USA nach den Rohstoffen Guano und Salpeter zur Wiederbelebung ihrer erschöpften Nutzflächen brachte die Vereinigten Staaten im Jahr 1856 dazu, Dutzende Inseln zu annektieren, auf denen diese Düngemittel reichlich zur Verfügung standen. Dies führte aber auch, wie Saito anmerkt, zur gewaltsamen Repression der indigenen Bevölkerung an der Westküste Südamerikas. In den Jahren 1865-/66 kam es dann zum „Guano Krieg“ (zwischen Spanien auf der einen und Chile, Peru, Bolivien und Ecuador auf der anderen Seite; Erg. d. Übers.) und von 1879 bis -84 zum „Pazifik-Krieg“ um Salpeter (einerseits Chile und andererseits Peru und Bolivien; Erg. d. Übers.).
Die dialektisch-materialistische Methode
Im „Kapital“ beschreibt Marx auch, wie die gesellschaftliche Notwendigkeit, die Bodenschätze unter Kontrolle zu bringen und die Naturgewalten zu zähmen in der Geschichte eine entscheidende Rolle gespielt hat, während gleichzeitig auch versucht wurde, die Natur vor Auszehrung zu schützen. Die Bewässerungssysteme in Ägypten, der Lombardei und den Niederlanden wie auch die von Menschenhand angelegten Kanäle beispielsweise in Indien und Persien belieferten nicht nur den Boden mit Wasser sondern fügten ihm auch Dünger in Form von Mineralien hinzu, die als Sediment aus dem Gestein abgetragen wurden.
„Das Geheimnis der Industrieblüte von Spanien und Sizilien unter arabischer Herrschaft war die Kanalisation“
(Karl Marx: „Das Kapital“, Bd. 1, 1890).
War Marx zuvor noch in der Lage gewesen, an verschiedenen Stellen über die zivilisatorische Rolle zu sprechen, die der Kapitalismus in der Phase des Kolonialismus gespielt hat, so sah er nun – ohne dabei vor-kapitalistische Gesellschaften zu idealisieren – vor allem Leid und Elend infolge der Auflösung traditioneller lokaler Gemeinschaften, was das Ende der vertrauten Beziehung zwischen Menschen und der Natur zur Folge hatte. Als das britische Regime während der Kolonialzeit im Jahr 1856 in Indien „eine Karikatur des englischen Großgrundbesitzes einführte“ und damit das System aus Dämmen und Kanälen beendete, das bislang vom Staat überwacht worden war, so Marx, war Dürre das Ergebnis und eine schreckliche Hungersnot mit einer Million Toten.
Laut Marx muss der Mensch in allen Gesellschaften und Produktionsformen mit der Natur fertig werden, um seine Bedürfnisse befriedigen zu können:
„Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“
(Karl Marx: „Das Kapital“, Bd. 3, 48. Kapitel, 1894).
Das Problem der „Nicht-Nachhaltigkeit“
In seinen „Ökonomischen Manuskripten von 1863–1868“ warnt Marx, dass im Kapitalismus
„an die Stelle selbstbewusster rationeller Behandlung des Bodens als des gemeinschaftlichen ewigen Eigentums, der unveräußerlichen Existenz- und Reproduktionsbedingung der Kette sich ablösender Menschengeschlechter, die Exploitation und Vergeudung der Bodenkräfte“ tritt
(Karl Marx: „Das Kapital“, Bd. 3, 47. Kapitel).
In einem Kapitel, das sich mit der Marxschen Ökologie nach 1868 befasst, hebt Saito das große Interesse von Marx hervor, das dieser an den Debatten zwischen unterschiedlichen Agrar-Experten hegte. So zum Beispiel an den Thesen der „Physik-Lehrmeinung“ und denen der „Chemie-Lehrmeinung“ bezogen auf die Frage, welche Elemente wichtiger seien, wenn es um die Steigerung der Fruchtbarkeit des Bodens geht: Mineraldünger oder organische Düngemittel. Saito hält z.B. den maßgeblichen Eindruck fest, den der Chemiker James Johnston und vor allen der deutsche Agrarwissenschaftler Karl Fraas bei Marx hinterlassen haben müssen, die (teilweise in einer Polemik gegen Liebig) die große Rolle betonten, die der Klimawandel spielt, wenn es darum geht, dass die Abholzung zur Verringerung des Feuchtegrads im Boden und zur Verminderung des natürlichen Nährstoffgehalts führt.
In einem Brief an Engels aus dem Jahr 1868 wird Fraas von Marx als eine Person mit „unbewusster sozialistischer Tendenz“ beschrieben. Folgt man Marx, so hat Fraas in seinem Buch „Klima und Pflanzenwelt in der Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte beider“ aufgezeigt, wie
„die Landwirtschaft – wenn sie nicht auf natürliche Weise geschieht und nicht bewusst kontrolliert wird […] Wüsten hinterlässt“.
Mit bürgerlichem Horizont war ein „bewusst kontrollierter“ Umgang mit der Natur natürlich schwer zu bewerkstelligen!
Fraas war alarmiert aufgrund der Folgen der in rasantem Tempo voranschreitenden Abholzung in Ländern wie England, Frankreich und Italien. Die Rodungen dort fanden sogar hoch oben auf bis dato unzugänglichem Terrain statt. Fraas leitete davon die Notwendigkeit ab, regulierend einschreiten zu müssen. Aufgrund seiner Lektüre der Werke von Fraas und einer Reihe weiterer wissenschaftlicher Autoren (z.B. John Tuckett und Friedrich Kirchhoff) notierte Marx in seinen Manuskripten zum dritten Band des „Kapital“ auch (Band zwei und drei wurden nach Marx’ Tod auf Grundlage seiner unvollständigen Manuskripte von Friedrich Engels herausgegeben), dass weder die kapitalistische Land- noch die Forstwirtschaft nachhaltig ausgerichtet seien und dass der durch den Kapitalismus hervorgerufene unheilbare Riss im Stoffwechsel zwischen Gesellschaft und Natur daher nicht nur auf die Auszehrung des Bodens beschränkt bleibt.
Kapitalismus und Umweltschutz
„Die Entwicklung von Kultur und Industrie im allgemeinen ist mit einer derart heftigen Zerstörung der Wälder einhergegangen, dass alles, was umgekehrt zum Erhalt und zur Wiederherstellung getan wird, geradezu winzig erscheint“,
notierte Marx in den Manuskripten für den zweiten Band des „Kapital“.
Dieselbe kapitalistische Tendenz zur gewaltsamen Ausbeutung der Natur bis an die Grenzen des Machbaren, die er bei der nicht-nachhaltigen Forstwirtschaft beobachtete, stellte er auch bei der Tierhaltung fest, die er als „widerwärtig“ bezeichnete. In einem Kommentar zu einem Auszug aus Wilhelm Hamms Lobrede auf die intensive Fleischtierhaltung stellte Marx u.a. die Frage, ob dieses „Gefängniszellen-System“ und die Aufzucht von nicht artgerecht gehaltenen Tieren am Ende zu „einer ernsthaften Schwächung der Lebenskraft“ führen könne.
Saito erklärt, wie das große Interesse, dass Marx an der polemischen Auseinandersetzung zwischen Liebig und Fraas wie auch an der rasanten Entwicklung von Wissenschaft und Technik hatte, ihn zur Schlussfolgerung gebracht hat, dass eingehende Studien nötig seien, um herauszubekommen, wie lange der Kapitalismus seine ökologische Krise noch hinauszuzögern im Stande sein kann. All dies waren Aspekte, die er weiter ausgearbeitet sehen wollte und die – nach Meinung von Saito – die Arbeit von Marx am zweiten und dritten Band des „Kapital“ verzögert haben.
Auch in den Studien des Historikers Georg Ludwig von Maurer über ebenbürtige vor-kapitalistische Gesellschaften und ihre Erkenntnisse darüber, wie notwendig es sein mag, Versuche zur Regulierung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Umwelt zu unternehmen, sah Marx (in seinen späteren „Ethnologischen Notizen“) „eine unbewusste sozialistische Tendenz“. Marx war beeindruckt von der „natürlichen Vitalität“ und ökologischen Nachhaltigkeit autarker Dorfgemeinschaften in Deutschland des Mittelalters, die seiner Ansicht nach „den Fokus lediglich auf die Freiheit und das öffentliche Leben richteten“.
In einem Brief an Wera Sassulitsch, die den Narodniki (sozialrevolutionäre Bewegung im Russischen Kaiserreich) angehörte, schloss Marx nicht aus, dass eine sozialistische Revolution in Russland auf ähnlich gearteten Dorfgemeinschaften basieren könne. Er erklärte in diesem Zusammenhang, dass sich das kapitalistische System in Westeuropa und den USA
„im Kampfe befindet gegen die Wissenschaft, gegen die Volksmassen und gegen die Produktivkräfte, die es erzeugt. Mit einem Wort, sie findet den Kapitalismus in einer Krise, die erst mit seiner Abschaffung, mit der Rückkehr der modernen Gesellschaften zum „archaischen“ Typus des Gemeineigentums enden wird.“
(Karl Marx: Entwürfe einer Antwort auf den Brief von V. I Sassulitsch, 1881)
Die ökologische Dimension bei Marx und Engels
Saito betont, dass es nicht möglich ist, die unvollendete Kritik der politischen Ökonomie von Marx zu verstehen, wenn man dabei ihre ökologische Dimension ignoriert. Laut Saito weist das ursprüngliche Manuskript von Marx zum dritten Band des „Kapital“ einige Unstimmigkeiten auf im Vergleich zu dem, was Engels nach Marx’ Tod veröffentlicht hat. Als Beispiel nennt er eine Fußnote, die sich mit der Analyse des Kreditsystems auseinandersetzt. Abgesehen von (kleineren) Klarstellungen dessen, was Marx zum Ausdruck brachte, gegenüber dem, was Engels letztlich veröffentlichte, meint Saito, dass der vierte Teil der neuen Gesammelten Werke auch Notizen und Eintragungen beinhalten wird, die allesamt umso bedeutsamer sind, da „Das Kapital“ unvollendet geblieben ist.
Die Lektüre dieser Original-Quellen wird – Saito zufolge – in Verbindung mit dem, was bereits im „Kapital“ veröffentlicht worden ist, die Forschung davon überzeugen, dass Marx’ Ökologie ein fundamentaler Bestandteil seiner Kritik der politischen Ökonomie ist. Saito behauptet sogar, „dass Marx das Problem der ökologischen Krise noch viel stärker als zentralen Widerspruch in der kapitalistischen Produktionsweise betont hätte, wäre er in der Lage gewesen, Band zwei und drei des »Kapital« zu Ende zu bringen“.
In seinem Buch „Natur gegen Kapital. Marx´ Ökologie“ räumt Saito den bedeutsamen Beiträgen von Engels, die dieser zum Thema gemacht hat, nur sehr wenig Platz ein. Dabei hat er versucht, die gemeinsam mit Marx erarbeiteten Schlussfolgerungen zu verallgemeinern. In seinem genialen kleinen Pamphlet „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ erklärt Engels, dass das Tier nur die ihn umgebende Natur benutzt, wohingegen der Mensch sie kontrolliert. Dazu liefert er eine lange Liste an sehr eindrucksvollen Beispielen:
„Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben.“
(Friedrich Engels: „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“, 1876).
„Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“
(ebd.).
Was nötig ist, um den „Riss im Stoff-Wechsel zwischen Mensch und Natur“ zu beheben, der im Kapitalismus bis an die Grenze des Hinnehmbaren erweitert wird, und zu dem zu gelangen, was heute als „nachhaltige Gesellschaft“ bezeichnet wird, ist – laut Marx und dem, was er im „Kapital“ geschrieben hat, eine Gesellschaft höheren Niveaus – der Sozialismus:
„Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias [gute Familienväter] den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“
(Karl Marx: „Das Kapital“, Bd. 3, 46. Kapitel).
Wären Marx und Engels heute noch am Leben, so stünde außer Frage, dass sie den aktuellen Forschungsergebnissen zum Klimawandel besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen würden. Denn der auf den Kapitalismus zurückgehende Riss im Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur ist zur existentiellen Bedrohung für das Leben geworden.
Heute besteht für Marxist*innen eine zentrale Aufgabe darin, die Verbindung zu den ökologischen Studien der Pioniere Marx und Engels wieder herzustellen und – wie sie selbst – den Sozialismus als Schlüssel zur rationalen Regulation des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur zu begreifen.