Pünktlich zu den großen Klimaprotesten am 20. September einigte sich die Bundesregierung nach monatelangem Hin und her auf ein Klimaschutzprogramm 2030. Im Online-Auftritt von „Spektrum der Wissenschaft“ wird das Ergebnis als „enttäuschend“ bezeichnet, die FAZ fragt ob „das Klimapaket eine Mogelpackung“ sei. Wir stellen die beschlossenen Maßnahmen dar, erläutern, wieso diese zu kurz greifen und skizzieren, was tatsächlich nötig und sinnvoll wäre.
Viktor, Berlin
Das Klimaschutzprogramm startet mit einer allgemeinen Beschreibung der Ausgangslage. Es wird positiv Bezug genommen auf das 2005 beschlossene Emissionshandelssystem. Die Bundesregierung erhofft sich dadurch eine Reduktion der Treibhausgasemissionen von 43% bis zum Jahr 2030. Dies ist – wenn wir uns die bisherige Geschichte dieser Maßnahme anschauen – eine mindestens sehr optimistische Annahme. Weiterhin gibt es eine Selbstverpflichtung Deutschlands, die Treibhausgasemissionen in den Bereichen, die nicht vom Emissionshandelssystem erfasst werden, bis 2030 um 38% gegenüber dem Niveau von 2005 zu senken.
Die Bundesregierung sieht im Klimaschutzprogramm vier Eckpfeiler, durch die diese Reduktionen ermöglicht werden sollen: 1. Förderprogramme für CO2-Einsparung 2. Eine Besteuerung von Treibhausgasemissionen 3. Eine Entlastung der Bürger*innen durch Rückgabe von Teilen der erhobenen Steuergelder und 4. Regulatorische Maßnahmen.
Die jetzt beschlossenen Klimavorschläge wurden unter Federführung von Andreas Scheuer (CSU) erarbeitet. In seiner Amtszeit als Bundesverkehrsminister wurde dieser bereits mehrfach auffällig – insbesondere hervorzuheben ist, dass er den Vorschlag einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen aus Gründen des Klimaschutzes als „gegen jeden Menschenverstand gerichtet“ einschätzt.
Weiterhin war er einer der ersten, die den unwissenschaftlichen Brief Köchers, der von über hundert „Lungenärzten“ unterschrieben wurde, als Steilvorlage für eine Debatte über die Lockerung von Feinstaub-Grenzwerten genutzt hat. Insofern erscheint es auch richtig, dass Andreas Scheuer seit den Plagiatsvorwürfen bzgl. seiner Dissertation auf das Führen eines akademischen Titels verzichtet, auch wenn dieser ihm im Rahmen der Überprüfung nicht aberkannt wurde.
Eine sinnvollere Gliederung
Für eine wirkliche Einschätzung der Maßnahmen ist es sinnvoll, einen Überblick über die Verursacher*innen von Treibhausgasemissionen zu gewinnen, und dann die Maßnahmen diesen zuzuordnen. Hilfreich sind dazu z.B. Daten die vom Umweltbundesamt für das Jahr 2016 veröffentlicht wurden:
- 36% Energiewirtschaft
- 18% Verkehr
- 15% Feuerungsanlagen und Emissionen aus kleinen Quellen
- 20% Verarbeitendes Gewerbe und Industrieprozesse
- 7% Landwirtschaft
- 4% Sonstiges und in der Rundung begründete Ungenauigkeit
Die zwei größten Posten sind demnach die Energiewirtschaft und das verarbeitende Gewerbe und Industrieprozesse – weiterhin werden wir in diesem Artikel noch die Posten Verkehr und Feuerungsanlagen betrachten, da diese in der Berichterstattung besonders stark herausgehoben werden.
Energiewirtschaft
Die Bundesregierung setzt an dieser Stelle zum einen auf die Bepreisung von Treibhausgasemissionen und zum anderen auf die Förderung erneuerbarer Energien. Die Unzulänglichkeit der ersten Maßnahme wird deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass in Großbritannien erst der aktuelle Preis von 25 Euro pro Tonne CO2 im Emissionshandel zu einer relevanten Abschaltung besonders klimaschädlicher Kohlekraftwerke führte. Die Bundesregierung möchte im Jahr 2021 10 Euro pro Tonne erheben und erst im Jahr 2023 auf 25 Euro pro Tonne aufschließen. Der Ausstieg aus der Kohleenergie soll erst im Jahr 2038 erfolgen.
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung soll bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 65% erreichen – wobei der entsprechende Absatz in starkem Maße davon handelt, die Akzeptanz für erneuerbare Energien zu steigern und weniger den Weg aufzeigt, dieses konservative Ziel zu erreichen.
Dabei kann in Deutschland nicht davon gesprochen werden, dass die Akzeptanz von Windkraftanlagen ein reales Problem ist. Selbst wenn konkrete Baupläne vorliegen, befürwortet eine Mehrheit der Anwohner*innen die Errichtung von Windkraftanlagen. Besonders auffällig ist, dass die Akzeptanz solcher Anlagen dort überdurchschnittlich hoch ausfällt, wo diese bereits errichtet und in Betrieb genommen wurden. Deshalb ist es sinnvoll darüber zu reden, wie dem aktuellen Trend, immer weniger Windkraftanlagen zu errichten, entgegengewirkt werden könnte – dies ist aber mutmaßlich nicht im Sinne der von der CSU betriebenen Pflege des Landschaftsbildes in Bayern.
Verarbeitendes Gewerbe und Industrieprozesse
Der entsprechende Absatz beginnt mit einen Loblied auf die bereits erzielte Senkung gegenüber dem Niveau von 1990. So soll vom jetzigen Niveau (188 MillionenTonnen CO2/Jahr) nur weitere 45-48 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden – dies entspricht einer Senkung von nur 25% bis zum Jahr 2030.
Alleine daran wird deutlich, dass seitens der Bundesregierung keine Bereitschaft besteht, sich auf einen Konflikt mit der Industrie einzulassen, dem zweitgrößten Verursacher von Treibhausgasemissionen. Die einzelnen Maßnahmen sind insbesondere Subventionsprogramme, um eine Umstellung der Prozesswärme auf erneuerbare Energien zu erreichen, die Erforschung von emissionsärmeren Technologien und eine Sicherung der Automobilbranche durch Unterstützung der Umstellung auf E-Automobile. Vereinzelt werden auch Mindeststandards angehoben – jedoch kann hier deutlich gesagt werden, dass die Industrie von der später besungenen „Gesamtgesellschaftliche[n] Kraftanstrengung zum Klimaschutz“ ausgenommen wird und sich vermutlich bereits jetzt auf die Subventionen freut.
Verkehr
Ein großes Thema im Klimaschutzprogramm ist die Umstellung auf E-Mobilität. Dabei scheint es der Bundesregierung entgangen zu sein, dass Elektroautos keineswegs CO2-neutral sind. Es wäre vernünftig zu beurteilen, wie viele Treibhausgase durch die Herstellung des Autos (hier insbesondere durch die Förderung von Lithium und Cobalt) freigesetzt werden. Dazu gibt es sehr unterschiedliche Aussagen. Doch selbst der ADAC mit seiner Nähe zur Autoindustrie liefert Zahlen, die deutlich machen, dass das Konzept Elektromobilität Tücken hat.
Nehmen wir das Beispiel eines Wagens der Kompaktklasse. Gerne wird die Studie in der Art wiedergegeben, dass ein E-Kompaktwagen ab einer Laufleistung von 45.000 km den Benziner auch beim jetzigen Energiemix bezüglich der CO2 Bilanz unterschreitet. Das suggeriert auf den ersten Blick – bei einer durchschnittlichen Laufleistung von etwa 150.000 Kilometer, von der der ADAC ausgeht – dass das E-Auto nur rund ein Drittel der CO2 Emissionen eines Benziners zur Folge hat.
Bei genauer Betrachtung ist der Unterschied über eine Laufleistung von 150.000 km aber 22,5 Tonnen CO2 für ein E-Auto und 30 Tonnen CO2 für einen Benziner – rund zehn Tonnen CO2 wurden nämlich bereits bei der Herstellung eines E-Autos freigesetzt – bei Benzinern deutlich weniger.
Der Unsinn des individual motorisierten Pendelns zum Arbeitsplatz wird im Klimaschutzprogramm nicht angegangen, sondern durch die Erhöhung der Pendlerpauschalen für PKW, die aus der CO2-Steuer gegenfinanziert werden soll, weiter zementiert. Einige verlieren wegen der höheren Besteuerung von Benzin. Andere, die weit pendeln, werden unter dem Strich sogar entlastet. Das irrsinnige Pendelsystem bleibt erhalten.
Auch die Maßnahme der Verteuerung von Flügen wird angesprochen. Wie viele Treibhausgasemissionen sich dadurch einsparen lassen, bleibt fraglich angesichts der Tatsache, dass z.B. die viel diskutierten Inlandsflüge nur für etwa 0,3% der Gesamtemissionen verantwortlich sind. Die Maßnahmen zum Ausbau von Radverkehr und ÖPNV sind weitestgehend symbolisch, einzig die Diskussion über das 365-Euro-ÖPNV-Jahresticket könnte beispielhaft umgesetzt werden.
Feuerungsanlagen und kleine Emissionsquellen
Unter diesem Bereich fällt insbesondere der Sektor Gebäude (14% der Gesamtemissionen) durch Heizwärme, etc. Neben der nicht ganz sinnlosen Förderung von energetischer Sanierung finden sich auch viel besungene Maßnahmen, die bei genauerer Betrachtung lediglich zu Kopfschütteln oder schallendem Gelächter führen können.
Besonders hervorzuheben ist hier das kommende Verbot des Einbaus von Ölheizungen ab dem Jahr 2026. Diese machen zum jetzigen Zeitpunkt nur noch lediglich 0,7% aller neuen Heizungsanlagen aus. Wenn wir nun vereinfachend annehmen, dass diese 0,7% auf den gesamten Bestand ausgedehnt werden und die 14% an den Gesamtemissionen für den Sektor Gebäude zur Grundlage nehmen, ergibt sich durch diese Maßnahme immerhin ein Einsparpotenzial von rund 0,1% CO2 im Jahr – in Zahlen ausgedrückt ein zehntausendstel.
Was wäre nötig?
Auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es durchaus möglich, durch einen konsequenten Ausbau von insbesondere Wind- und Solarkraft eine CO2-neutrale Stromversorgung sicherzustellen. Es gibt weiterhin bereits zum jetzigen Zeitpunkt Speichertechnologien, die die schwankende Verfügbarkeit im Bereich der erneuerbaren Energien abpuffern können – insbesondere hervorzuheben ist an dieser Stelle die Gewinnung von Wasserstoff aus Wasser durch Elektrolyse und seine folgende Methanisierung. Für Methan besteht nämlich bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Speicherkapazität von 120TWh in Deutschland. Dies reicht aus um ein stabiles Stromnetz zu betreiben. Weiterhin ergeben sich große Einsparpotenziale durch Abschaltung gesellschaftlich nicht sinnvoller Branchen wie z.B. der Werbebranche.
Im Bereich der industriellen Treibhausgasemissionen besteht ein enormes Einsparpotenzial – insbesondere durch den Verzicht auf gesellschaftlich nicht sinnvolle Produktion. Beispielhaft zu nennen ist die Produktion von Rüstungsgütern, Produkten mit einer geplanten geringen Lebensdauer (seien es Elektronikprodukte oder auch billige Möbel) und von einem großen Teil der Autos.
Der letzte Punkt führt auch direkt zum Verkehrssektor: Hier ist zum einen deutlich zu sagen, dass die meisten Arbeitnehmer*innen nicht aus freiem Entschluss teils mehrere Stunden am Tag pendeln, sondern weil Industrie und Dienstleistung ihren Sitz nicht nach den Bedürfnissen von Arbeitnehmer*innen sondern üblicherweise nach den größten Subventionen und den geringsten Steuern wählen. Aus solchen Überlegungen wird auch nicht selten der Firmensitz verlagert.
Im Rahmen einer sinnvollen Planung der Produktion muss ein großes Augenmerk darauf gelegt werden, diese so zu gestalten, dass die von jeglichem Sinn befreite Verschwendung von Zeit und Ressourcen auf ein absolutes Minimum reduziert wird, indem Arbeitsplätze möglichst wohnortnah geschaffen werden. Im städtischen Bereich muss weiterhin ein Umdenken in der Verkehrsplanung weg vom Auto erfolgen – Kopenhagen ist in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel von dem, was bereits im kapitalistischen System möglich wäre. Der weitgehende Verzicht auf das Auto in Kopenhagen führt nicht zu einer geringeren Lebensqualität, sondern im Gegenteil die vermehrte sportliche Betätigung zu einer Steigerung der durchschnittlichen Gesundheit und des Wohlbefindens führt.
Fazit
Die Industrie wird kaum angetastet. Der ohnehin bescheidenen Ziele zum Ausstieg aus der Kohle und zum Ausbau erneuerbarer Energien werden lediglich bestätigt. Beim Ausbau des ÖPNV und der Fahrradwege bleibt die Regierung vage. Das individual motorisierte Pendeln wird bekräftigt. Die Autobranche erhält Subventionen zur Umstellung, unterliegt aber keinen Verpflichtungen. Die Sackgasse E-Auto wir nicht einmal hinterfragt.
Das ist kein großer Wurf, nicht einmal ein Würfchen mit dem Wattebausch. SPD und CDU versagen auf breiter Front. ie Bundesregierung verzichtet schlicht darauf, politisch zu lenken und einen radikalen Schritt hin zu erneuerbaren Energien zu machen. Sie lässt den privaten Konzernen fast vollständig freie Hand, setzt auf markwirtschaftliche Mechanismen, die bisher lediglich zur Eskalation der Klimakrise geführt haben. Greta Thunberg scheint bei ihrer wütende Rede beim UN-Klimagipfel dieses Maßnahmenpaket vor Augen gehabt zu haben, als sie mit Tränen in den Augen sagte:
„Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens und alles, worüber Ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum.“
Das Programm der SAV zur Klimakrise:
- CO2-Emissionen in den nächsten Jahren stoppen, nicht in den nächsten Jahrzehnten
- Sofortiger Stopp der Zerstörung des Amazonas Regenwaldes, Wiederaufforstung des Planeten
- Verbot von Fracking jetzt
- Sofortiger Stopp des Braunkohle-Abbaus und Stilllegung der Kohlekraftwerke
- Volle Lohnfortzahlung und neue qualifizierte Arbeitsplätze für alle Beschäftigten in der Braunkohle und anderen Fabriken, die für den Klimaschutz geschlossen werden müssen
- Schutz des Ozeans, für ein Ende des industriellen Fischfangs und der Belastung des Meeres durch Plastik
- Schluss mit der Überproduktion und der Zerstörung noch brauchbarer Güter
- Schaffung von Millionen Arbeitsplätzen durch ein öffentliches globales Investitionsprogramm in erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windkraft, finanziert aus den Gewinnen der Banken und Konzerne
- Massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Nulltarif im Nahverkehr
- Aufbau eines internationalen Schienennetzes, viel günstiger als jetzt und in hoher Qualität, um Flüge und Autofahrten zu vermeiden und die Mobilität zu sichern
- Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene
- Die Jobs müssen dort entstehen, wo Menschen wohnen – für die Reduzierung des Berufspendelns
- Für eine international koordinierte Forschung in Richtung erneuerbarer Energien, Begrenzung und Zurückdrehen des Klimawandels ohne jede von Konzernen und privaten Interessen gesetzten Grenzen
- Wir zahlen nicht dafür, eurer zerstörerisches System aufrecht zu erhalten: Keine neuen Massenverbrauchssteuern wie z.B. die „CO2-Steuer“
- Vergesellschaftung der Öl-, Gas-, Energie- und Autokonzerne unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten, der Umweltbewegung und des Staates
- Umstellung der Produktion auf ökologisch unbedenklich und dauerhaft haltbare Produkte
- Schluss mit sinnloser oder gar zerstörerischer Produktion wie Werbung oder Waffen
- Anerkennung der Fluchtursache Klimakrise als Grund für eine Bewillligung von Asyl
- Bruch mit der zerstörerischen Logik des Kapitalismus: Keine Produktion mehr für kurzfristige Profitinteressen. Für einen demokratischen Produktionsplan, basierend auf den Interessen der Mehrheit der Menschen und des Planeten, für eine sozialistische Demokratie