4000 Menschen demonstrierten am 3. Oktober trotz Regen, Ferienanfang, einem für viele verlängerten Wochenende und parallel zu Naziblockaden vom Alexanderplatz durch Kreuzberg zum Kottbusser Tor. Ein Bündnis aus fünzig Initiativen und Gruppen hatte zur Demo aufgerufen. Mitglieder der SAV waren mit dabei und hatten auch im Vorfeld in Neukölln mobilisiert.
von Jeanine Thümig, Berlin
Die Demo war geprägt von Mieter*inneninitiativen aus Berlin und sogar aus Brandenburg, vielen Basismitgliedern von DIE LINKE und anderen linken Organisationen. Eins war allen Anwesenden klar: Ein wirksamer Mietendeckel kommt nicht ohne Druck von der Straße.
Which side are you on?
Eindeutige Kritik äußerten Demoteilnehmer*innen an der SPD Berlin. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte sich mit seinen Äußerungen gegen die notwendigen Mietsenkungen im Rahmen des Gesetzesentwurfs unbeliebt gemacht und erneut gezeigt, dass die SPD auf der Seite der Immobilienkonzerne und der privaten Bauindustrie steht.
Die Immobilienkonzerne drohen jetzt damit, notwendige Sanierungen auszusetzen, solange der Mietendeckel bewirkt, dass sie die Kosten nicht auf die Mieter*innen umlegen können.
Deutsche Wohnen Mieter*innen lachen frustriert auf, wenn sie das hören. Viele von ihnen wohnen in Häusern, die bei stetig steigenden Mieten immer weiter verfallen. Der IOmmobilienkonzern ist, wie auch die Akelius und Vonovia, bekannt dafür, seiner Instandhaltungspflicht nicht nachzukommen. Am 8.Oktober berichtete die Berliner Abendschau, dass Mieter*innen der Deutschen Wohnen in drei Wohnblocks in der Kottbusser Straße frieren, weil die Heizungen ausgefallen sind. Man kann jedes Jahr die Uhr danach stellen: Wird es draußen kälter, fallen bei der DW die Heizungen aus.
Genossenschaften
Selbst die Berliner Wohnungsbaugenossenschaften hetzen mit einer groß angelegten Plakatkampagne gegen den Mietendeckel und behaupten, er “zerstört das soziale Gefüge der Stadt” und drohen sogar mit Personalabbau. Sie haben Angst um ihre im Neubau jetzt schon für große Teile der Berliner Familien mit durchschnittlichem Einkommen unbezahlbaren Mieten.
Wenn in Berlin Mieter*innen schon heute im Durchschnitt 33,3 Prozent und bei neuen Verträgen sogar 44 Prozent ihres Einkommens für die Miete bezahlen, ist es nicht der Mietendeckel, der das soziale Gefüge Berlins gefährdet. Es ist der profitgesteuerte freie Immobilienmarkt. Aufgabe der Genossenschaften wäre es, gemeinsam mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen und nicht zum Sprachrohr der Immobilienkonzerne zu werden.
Wir müssen dagegen halten und uns einmischen. Auch das Genossenschaftsmodell schützt nicht vor steigenden Mieten und Genossenschaftsmitglieder, auch die vielen, die noch in bezahlbaren Wohnungen leben, sollten sich mit den anderen Mieter*innen organisieren.
Ein Aktionsprogramm für die Mieter*innenbewegung
“Deckeln deluxe” wurde auf Plakaten und Flyern zur Demo am 3.10. in Berlin gefordert. Was damit gemeint ist, müssen wir in der Stadt eindeutiger erklären: Wir brauchen eine Kampagne, die den offenbar verschieden interpretierten Begriff des Mietendeckels mit klaren Forderungen füllt und mit einem Aktionsprogramm verbindet.
Wir können nicht abwarten, was der Senat aus dem Mietendeckel macht. Wir sollten stattdessen den ersten Entwurf voll verteidigen bzw. uns für die Rücknahme der zentralen Verschlechterungen einsetzen, das heißt im Wesentlichen:
- Für einen allgemeinen gesetzlichen Anspruch auf qualitative Mietsenkung
- Herabsetzen der Mietobergrenzen, Stopp jeglicher Mieterhöhungen und Modernisierungszuschläge
- Mietendeckel ohne Ausnahmen
Die SAV vertritt darüber hinaus ein weitergehendes Programm mit der zentralen Forderung, die Immobilienkonzerne und weitere Bereiche der Wohnungswirtschaft und insgesamt der Wirtschaft in öffentliches Eigentum und demokratische Kontrolle zu überführen.
LINKE-Parteitag muss entscheiden
Die öffentliche Auseinandersetzung um den Mietendeckel in der Berliner Koalition wirft die Frage auf, ob qualitative Verbesserungen für Mieter*innen, die Beschäftigten und die sozial am härtesten Betroffenen dieser Stadt zusammen mit der SPD erreicht werden können. Die Äußerungen von Michael Müller und anderen aus der SPD Berlin legen nahe, dass die SPD die Profitinteressen der Immobilienkonzerne über die Bedürfnisse einer Mehrheit der Berliner*innen stellt. Allen ist klar, dass ein zeitlich begrenzter Mietendeckel, der nicht zu Mietabsenkungen führt, die dringend nötige Entlastung der Berliner Mieter*innen verfehlt.
Die LINKE sagt, sie will an den Mietabsenkungen rückwirkend zum 18. Juni festhalten. Viele Mitglieder der LINKEN nahmen an der Demonstration teil, weil sie zum ersten Entwurf des Mietendeckels aus der Feder der eigenen Partei stehen.
Als LINKE-Mitglieder setzen wir uns deshalb jetzt auch innerhalb der Partei dafür ein, beim Mietendeckel hart zu bleiben und ihn gemeinsam mit der außerparlamentarischen Bewegung zu erkämpfen. Eine breite Strategie-Diskussion in allen Bezirksverbänden ist nötig. Dann muss konsequenterweise ein Landesparteitag die Ausrichtung der weiteren Verhandlungen im Senat bestimmen.
Als weiteren Schritt könnte die LINKE eine Aktivenkonferenz einberufen, um zusammen mit der Mieter*innenbewegung eine Strategie für die Durchsetzung der Forderungen zu entwickeln.
Gewerkschaften in die Offensive!
GEW und ver.di Berlin-Brandenburg unterstützen das Volksbegehren “Deutsche Wohnen & Co. enteignen!” und haben offiziell zur Demo am 3. Oktober aufgerufen. Diese Beschlüsse sind eine gute Grundlage und müssen in die Praxis umgesetzt werden.
Gewerkschaften können in der Mieter*innenbewegung eine wichtige Rolle spielen, weil sie zum einen ihre Mitgliedschaft aktiv mobilisieren, eine Öffentlichkeitskampagne zum Thema durchführen, in Betriebsgruppen und Gliederungen Diskussionen über Forderungen und die Strategie für die Bewegungen organisieren können.
ver.di und IG BAU sollten aber auch aktiv gegen die Spaltung zwischen Mieter*innen und Beschäftigten von Immobilienkonzernen, Bauunternehmen und Genossenschaften eintreten. – indem sie die Forderung nach einem wirksamen Mietendeckel und einem Investitionsprogramm in Wohnungsbau mit Forderungen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen bei den Wohnungsgesellschaften verbinden.
ver.di kann für mehr Personal im öffentlichen Dienst eintreten, damit die Umsetzung des Mietendeckel machbar wird. Die Gewerkschaften und Jugendverbände, aber auch die LINKE solten erklären, warum es auch im Interesse der Beschäftigten ist, die Immobilienkonzerne in öffentliche Hand zu überführen.
Nächster Protesttermin: SPD-Parteitag
Nächster Termin für die Bewegung muss der SPD Landesparteitag am 26.10. sein. Zeigen wir Michael Müller: Berliner Mieter*innen brauchen einen soliden Deckel und keinen Sieb! Hier findet ihr den Flyer den wir auf der Demo verteilt haben inklusive unserer „5 Ideen für die Mietenbewegung“.
Wir schrieben auf sozialismus.info bereits am 24.9.:
„Aber selbst wenn der Mietendeckel in der verschärften Form käme, würde das die grundlegenden Probleme nicht lösen. (…) der Deckel ist zeitlich befristet und die Konzerne haben Mittel und Wege, diesen zu umgehen, um ihre Profite zu erhalten und zu steigern, beispielsweise durch Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, die Reduzierung der Kosten für Instandhaltung oder die Erhöhung der Nebenkosten.
Im Kapitalismus werden die großen Konzerne immer wieder Umgehungsstrategien finden, um ihre Profite zu steigern. Das ist keine Ausnahme, sondern die Triebfeder dieses Systems, das auf Profitmaximierung und Konkurrenz basiert. Die Enteignung der größten Immobilienkonzerne wäre ein riesiger Schritt, um die Mondmietpreise zu stoppen. Es wäre eine politische Ermutigung, auch in anderen Bereichen die Eigentumsfrage zu stellen. Trotzdem stünden die vergesellschafteten Konzerne weiterhin in Marktkonkurrenz gegenüber privaten Konzernen in Deutschland und international.
Es ist Aufgabe der LINKEN, die Offenheit gegenüber der Idee der Enteignung dazu zu nutzen, um Debatten zu befördern, wie eine sozialistische Systemalternative aussehen könnte und wie wir solche Ideen heute verbreiten können.”