Interview mit Stefan und David aus der linksjugend [’solid] München über ihren drohenden Ausschluss aus dem Jugendverband
Auf der Landesmitgliederversammlung der linksjugend [’solid] Bayern wurde ein Unvereinbarkeitsantrag mit der SAV und der Sol (Sozialistische Organisation Solidarität, die sich im Herbst von der SAV abgespalten hat) beschlossen. Wir haben ein Interview mit den beiden betroffenen Mitgliedern der SAV und der linksjugend [’solid] Bayern geführt, bei dem sie erklären, warum der Beschluss eine Gefahr für die innerparteiliche Demokratie ist und wie sie sich dagegen wehren.
Auf der Landesmitgliederversammlung der linksjugend [’solid] Bayern wurde ein Unvereinbarkeitsantrag mit der SAV und der Sol beschlossen. Was ist genau passiert?
Stefan: Im Vorfeld der Landesmitgliederversammlung haben sich prominente Mitglieder des Forum demokratischer Sozialismus (FdS) mit anderen Mitgliedern, darunter drei aus München zusammengetan, um diesen Antrag einzubringen. Das Brisante: Obwohl die SAV im bayerischen Jugendverband ausschließlich in der Münchner Gruppe aktiv ist, wurde der Antrag bei der münchner Vorbesprechung der LMV mit keinem Wort erwähnt. Viele Mitglieder waren irritiert, warum sie umgangen worden sind und David und ich keine Möglichkeit hatten, dagegen zu argumentieren und das obwohl dieser Antrag die Arbeit der Basisgruppe beeinträchtigen wird. Der Antrag sieht vor, dass eine Mitgliedschaft in der SAV oder der Sol mit einer Mitgliedschaft in der linksjugend [‘solid] Bayern unvereinbar sein soll, was nur förmlich umschreibt, dass David und ich in der nächsten Zeit Post von der Schiedskommission erhalten und aus dem Landesverband ausgeschlossen werden.
Das recht deutliche Ergebnis – rund 75% für unseren Ausschluss – hat natürlich auch mit dieser intransparenten Ausgangssituation zu tun. Trotzdem zeigt es auch, wo der Schuh im Landesverband drückt. Politisch dominieren antideutsche Ideen und Verwaltungsmentalität, während die politische Arbeit zu kurz kommt. Bis heute gibt es zum Beispiel etwa keine koordinierte Intervention in die Fridays-for-Future-Demonstrationen.
Warum wurde dieser Antrag eurer Meinung nach jetzt beschlossen?
Stefan: Die Drohung uns auszuschließen, steht schon länger latent im Raum. Gerade vor einem Jahr wurde mir auf einer Demo gegenüber erwähnt, dass es im Landesverband einige Mitglieder gäbe, die über einen solchen Antrag nachdenken – wir sollten aufpassen, was wir machen. Damals ging es um unsere SAV-Zeitung, die ich gemeinsam mit linksjugend-Material angeboten habe. Gleichzeitig wurden David auf dieser Demo, Zeitungen aus der Hand gerissen und weggeworfen.
Im Landessprecher*innenrat sitzen mehrere Mitglieder des FdS, der sich maßgeblich für die Anpassung der LINKEN, zugunsten von Regierungsbeteiligungen einsetzt. Dieselben Leute stehen jetzt auch wieder hinter dem Antrag gegen uns. Sie argumentieren zwar, dass es ihnen nicht um unsere Positionen gegen Regierungsbeteiligungen geht, letztendlich ist das aber die Bruchlinie, an der wir ihnen begegnen. Wir wollen kein Karrierenetzwerk für Mitglieder einer zukünftigen grün-rot-roten Stadtregierung sein, sondern einen lebendigen Jugendverband aufbauen und mit einem Programm, dass den Kapitalismus herausfordert, landesweit in Fridays for Future, Pflege- oder Mietenprotesten intervenieren.
David: Neben zeitlichen Überlegungen – bei der letzten Landesmitgliederversammlung wurde nur die Umwandlung in einen Verein thematisiert – sind es auch politische Gründe, die erklären, warum der Antrag jetzt beschlossen wurde. Im März finden die Kommunalwahlen statt. Stefan und ich haben uns von Beginn an kritisch und konstruktiv in der Basisgruppe und der Aufstellungsversammlung der LINKEN eingebracht. Ein Ergebnis war zum Beispiel eine gemeinsame Workshopreihe rund um das Thema Regierungsbeteiligungen und eine Kundgebung vor der Universität. Dazu werden wir uns jetzt in die Ausarbeitung unseres Jugendprogramms einbringen, das die in München regierende SPD bestimmt nicht schonen wird.
Was haltet ihr von den Vorwürfen?
Stefan: Der einzig wirklich politische Vorwurf, der in der Begründung des Antrags steht, ist die angeblich fehlende Demokratie in der SAV. Dabei ist von extrem ausgebauten Hierarchien die Rede. Praktisch sieht unsere Struktur ganz anders aus: Alle Mitglieder einer SAV-Ortsgruppe wählen ihren Ortsgruppenvorstand, genauso wie die Delegierten auf den Bundeskonferenzen den Bundesvorstand wählen. Alle Mitglieder haben dasselbe Stimmrecht, können von den Führungsgremien Rechenschaft verlangen und, im Gegensatz zur Linkdjugend, frei Fraktionen gründen. Darüber hinaus sind alle gewählten Gremien jederzeit wähl- und abwählbar. Das steht nicht bloß auf einer PDF, sondern wird von uns praktisch gelebt: Innerhalb der SAV hat im letzten Jahr eine intensive politische Auseinandersetzung stattgefunden. Am Ende einer fast einjährigen Debatte, auf allen Ebenen der Organisation, hat sich eine Mehrheit der Mitgliedschaft auf einer Bundeskonferenz Anfang September gegen die Position der Mehrheit der Führung durchgesetzt. Diese Genoss*innen haben die demokratische Entscheidung der Mitgliedschaft akzeptiert und die Organisation verlassen, um die Sol (Sozialistische Organisation Solidarität) zu gründen. Sieht so eine extrem ausgebaute Hierarchie aus?
Auch der Vorwurf, in der SAV würde Druck auf die Mitglieder ausgeübt werden, ist nicht haltbar. In meinen sechs Jahren, in denen ich in der Internationalen der SAV aktiv bin, habe ich mich kein einziges Mal unter Druck gesetzt gefühlt. Wenn ich keine Zeit hatte, wurde das solidarisch akzeptiert.
Sollte es irgendwelche Probleme mit Führungsstrukturen geben, gibt es eine mindestens fünfköpfige Kontrollkommission mit mindestens fünfzigprozentiger Frauenquote, die sich damit beschäftigt.
David: Uns wird auch vorgeworfen, Mitglieder dazu anzuhalten, auch im Privaten politische Positionen der SAV zu beziehen. Aber wir sind ja aktiv geworden, um etwas zu verändern. Wenn etwa in einer Nachbarschaft eine Gentrifizierungsmaßnahme greift, ist es genauso wünschenswert, wenn Linkdjugend-Mitglieder als solche Auftreten und den Anwohner*innen Angebote für den gemeinsamen Widerstand machen. Das wollen wir auch als SAV machen und natürlich geschieht das bei uns wie bei der Linksjugend freiwillig.
Stefan: In München hatten wir im letzten Jahr das Gefühl, dass die Spannungen mit den Antragssteller*innen aufgehört haben. Jetzt werfen sie uns vor, wir hätten aggressiv neue Menschen auf den Plena angeworben. Wenn David oder ich ein Referat zu Umweltthemen oder anderem für ein SAV-Treffen vorbereitet haben und einzelne Leute dazu einladen, sollte das aber genauso möglich sein wie Einladungen zu Klimacamps oder anderen linken Veranstaltungen. Wir haben in der letzten Zeit, nach dem es Befürchtungen gab, Neumitglieder könnten zwischen uns und dem Jugendverband nicht unterscheiden, nochmal genauer darauf geachtet, klar zu machen, dass wir alles transparent kommunizieren. Darüber hinaus sind große Teile des Antrages nur aus einem vergangenen bundesweiten Ausschlussantrag kopiert, auf den wir schon damals ausführlich geantwortet haben. Auch der Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke hat nochmal auf einige der Vorwürfe geantwortet. Dort kann man nochmal genauer nachlesen.
Warum seid ihr in SAV und linksjugend [’solid] aktiv?
David: Ich bin nach der Bundestagswahl 2017 in DIE LINKE eingetreten, da sie für mich die einzige Partei ist, die einen Unterschied machen kann. Später bin ich zusätzlich in die SAV eingetreten, da ich der Meinung bin, dass die LINKE nur etwas verändern kann, wenn sie sich von dem aktuellen angepassten Kurs abwendet und sich tatsächlich auf die Basis, soziale Bewegungen und Klassenkämpfe stützt und die tagtägliche Arbeit mit dem Kampf für eine sozialistische Zukunft verbindet.
Die Linksjugend in München war vor zwei Jahren recht inaktiv und hat mich als Neumitglied nicht wirklich angesprochen. Nachdem ich mich durch Stefan mehr mit revolutionärer Politik und der SAV auseinandergesetzt habe, habe ich erkannt, wie wichtig es ist, DIE LINKE und die Linksjugend von unten aufzubauen und und sie aktiv und bewegungsorientiert zu gestalten.
Ich bin in die Linksjugend eingetreten, nachdem ich SAV-Mitglied wurde und freue mich, dass ich einen Teil dazu beitragen konnte, dass die Basisgruppe in München heute so aktiv ist wie noch nie. Deswegen ist für mich die Mitgliedschaft von SAV und Linksjugend absolut kein Widerspruch. Im Gegenteil, der Aufbau einer breiten linken Bewegung und der Kampf für ein weitergehendes revolutionäres Programm ergänzen sich.
Was haben SAV-Mitglieder in den vergangenen Jahren in München gemacht?
David: In den letzten zwei Jahren haben wir mitgeholfen, die Linksjugend in München aufzubauen. Zum Beispiel durch eine Kampagne für freien ÖPNV, bei dem einige Mitglieder gewonnen wurden. Zudem haben wir uns eingebracht bei der Vorbereitung gemeinsamer Blocks bei FfF, bei Aktionen im Landtagswahlkampf und jetzt zu den Kommunalwahlen, der Erstellung von Flyern und Material zu Umwelt, Mieten oder gegen das neue Polizeiaufgabengesetz und der Vorbereitung von Workshops für das Plenum. Wir haben uns in den Kampagnen immer stark für die Gewinnung und Einbindung neuer Mitglieder engagiert.
Stefan: Vor einem Jahr sind wir auch mit zwei Containeraktivist*innen aus München aktiv geworden, nachdem sie verklagt wurden, weil sie bei Edeka Essen aus dem Müll gerettet haben. Wir haben sie beim Aufbau eines Bündnisses unterstützt und dabei LINKE und Linksjugend von Beginn an miteinbezogen.
Was waren die Reaktionen auf den Antrag und was macht ihr jetzt?
David: Innerhalb der LINKEN ist der Antrag auf breite Ablehnung gestoßen. Viele Genoss*innen haben sich mit uns solidarisiert und wollen uns dabei helfen, den Beschluss rückgängig zu machen, damit wir in München weiterhin gute Arbeit machen können. Auch die Linksjugend-Basisgruppen in Wasserburg und Altöttingen-Mühldorf unterstützen uns.
Wir finden dieser Antrag, der bei der LMV beschlossen wurde, ist nicht nur politisch falsch, sondern auch gefährlich für die partei- und jugendverbandsinterne Demokratie. Deswegen sammeln wir Unterschriften zur Unterstützung für eine Stellungnahme, die sich für die Rücknahme dieses Beschlusses einsetzt. Darin heißt es: “Beschlüsse gegen Gruppierungen, die ein aktiver Teil im Leben und den Kampagnen von Partei und Jugendverband sind und auf den Grundlagen von Programm und Satzung agieren, würde den politischen Debatten, der innerparteilichen Demokratie, aber auch der Stärke des Verbandes schweren Schaden zufügen und einen Präzedenzfall schaffen, dem weitere Fälle folgen können.”
Gerade angesichts der Klimakrise und politischen Polarisierung sind eine starke linke Bewegung und eine starke LINKE und Linksjugend nötig. In der zunehmenden Zuspitzung politischer Auseinandersetzungen in der Partei sollten wichtige sozialistische und kritische Stimmen nie mit bürokratischen Methoden bekämpft werden. Es braucht konstruktive und demokratische Debatten, das macht einen linken Jugendverband und die Partei stark. Deswegen wollen Stefan und ich weiterhin beim Aufbau von Partei und Jugendverband helfen und gemeinsam für eine sozialistische Zukunft kämpfen.