#Riseup4Rojava – Nein zu Erdoğans Krieg

Rojava-Demonstration in Köln

Kein Vertrauen in die falschen Freunde Assad, USA, EU

Aktualisierung des Textes vom 9. Oktober

Türkische Truppen bombardieren kurdische Dörfer und Städte, Krankenhäuser, Schulen und zivile Fahrzeugkonvois. Zivilist*innen sterben. Bis zu Zweihunderttausend Menschensind auf der Flucht, darunter 70.000 Kinder. IS-Terroristen fliehen aus den Gefängnissen, gruppieren sich neu, verüben Anschläge und Morde.

von Claus Ludwig, Köln

Damit hat die nächste Etappe des Krieges der Welt- und Regionalmächte begonnen, der auf syrischem Territorium und auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung ausgetragen wird.

Die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ haben den türkischen Panzern und der Luftwaffe militärisch wenig entgegen zu setzen. Allein ihr Heldenmut und ihre Motivation, die Heimat zu verteidigen, werden die Feuerkraft der Türkei nicht stoppen. Es wird berichtet, dass sich die kurdischen Einheiten aus Tall Abyad und Ain-Issa zurückziehen mussten. Allerdings gelang es ihnen, die türkischen Truppen und ihre islamistischen Söldnertruppen in Serekaniye/Ras-al-Ain zurückzuschlagen.

Das Ziel: Die Zerstörung Kurdistans

Wenn die Türkei ihre Ankündigung wahr macht und viele syrische Flüchtlinge – meist arabischer Herkunft – aus der Türkei in die kurdischen Gebiete verlegt, wird dort der Boden für ethnische Vertreibungen und Massaker bereitet. Den geschundenen Opfern des Krieges wird eine neue „Heimat“ geboten, von der andere erst vertrieben werden müssen. Das wird die islamistischen Milizen und Gangsterbanden aller Art auf den Plan rufen, die sich bei der Neuaufteilung des Gebietes Einflusszonen und Handelsrouten sichern wollen.

Neu gemischt

Die Kräfteverhältnisse in Syrien werden erneut durcheinander gewirbelt. Die US-Regierung schreibt in ihrer Begründung für den Abzug der Truppen, diese würden nicht mehr gebraucht, weil das Kalifat des „Islamischen Staates“ geschlagen sei. Doch zerschlagen wurde der IS am Boden durch die kurdischen Einheiten. Tausende islamistische Kämpfer und ihre Angehörigen sitzen derzeit in kurdischen Internierungslagern. Die türkische Invasion wird diese freisetzen.

Eine Niederlage der YPG wird sofort ein Vakuum schaffen und die reaktionären islamistischen Kräfte sind in der Lage, in dieses Vakuum zu stoßen. Das Erdogan-Regime hat in der Vergangenheit den IS direkt benutzt, um Terror zu verbreiten. Islamistische Milizen werden in Afrin als Bodentruppen unter der Kontrolle der türkischen Armee eingesetzt. Doch es ist unerheblich, ob sich Erdogan direkt auf die Islamisten stützen will oder sie versucht klein zu halten – sie werden sich neu gruppieren können.

Überfluss an falschen Freunden

Angesichts der türkischen Feuerwalze hat die kurdische Führung akzeptiert und begrüßt, dass Einheiten der syrischen Armee an die Grenze vorrücken und den Vormarsch der türkischen Truppen so zu blockieren. Wenn die SAA (Syrische Arabische Armee) konsequent Front gegen Erdoğans Truppen bezieht, würde das den unmittelbaren Druck auf die YPG und die kurdische Bevölkerung verringern.

Doch niemand sollte sich Illusionen machen: Assad will die kurdische Selbstverwaltung ebenso zerstören wie Erdoğan. Wie Trump. Wie die Staatschefs der EU. Wie der Iran und Russland. Methoden, Taktiken und Tempo unterscheiden sich, aber alle regionalen und weltweiten Mächte wollen das potenzielle Gegenmodell zu ethnischer Spaltung, Diktatur und Kapitalismus zerstören, wollen Rojava noch im Keim ersticken. Es kann kein Bündnis mit der Assad-Diktatur geben, sie nutzt die türkische Bedrohung, um die kurdischen Gebiete selbst zu kontrollieren.

Deutsche Waffen, deutsches Geld

Vor der Invasion besuchte Bundespräsident Steinmeier die Türkei. Wahrscheinlich hat er seine „Bedenken“ oder „Sorgen“ gegenüber einer türkischen Invasion in Nordsyrien geäußert. Aber er hat auf keinen Fall „Stopp“ gerufen oder Erdoğan gedroht. Wenn türkische Einheiten in Rojava einfallen, dann tun sie das mit Hilfe deutscher Technologie, mit Panzern, LKW und automatischen Waffen aus hiesiger Produktion. Die EU hat sich auch nach Tagen des Mordens nicht auf ein umfassendes Waffenembargo gegen die Türkei geeinigt, sondern lässt Schlupflöcher für militärische Lieferungen an das Regime.

An diesem Punkt sollte die politische Gegenwehr in Deutschland ansetzen. Wenn es gelingt, die deutsche Kriegsbeteiligung in den Vordergrund zu rücken, die Verantwortung der Bundesregierung und deutscher Konzerne, die mit dem Tod in Syrien Profite machen, dürfte das die Basis der Demonstrationen verbreitern. Die sehr aktiven und mutigen kurdischen Organisationen in Deutschland sollten sich noch stärker dafür einsetzen, Gewerkschaften, soziale Bewegungen und linke Organisationen in Deutschland für den gemeinsamen Kampf gegen die türkische Invasion zu gewinnen. 

Der erwartete Verrat

Während der Schlacht um Kobane 2014/15 war die US-Luftunterstützung neben der hohen Motivation und Kampfkraft von YPG/YPJ entscheidend für den Erfolg der kurdischen Einheiten. Es war verständlich, dass diese im Kampf gegen die drohende Gefahr jede Möglichkeit nutzten, auch eine Zusammenarbeit mit dem US-Imperialismus.

Dies brachte der kurdischen Bewegung zwar taktische Vorteile, führte gleichzeitig aber in eine strategische Sackgasse. 2014 war der größte Pluspunkt der kurdischen Bewegung ihr Alleinstellungsmerkmal, für ein multi-ethnisches, multi-religiöses, demokratisches Syrien zu kämpfen und auf Gebietsgewinne und Unterdrückung zu verzichten.

Weder regionale Mächte noch die US-Imperialisten oder Putins Russland können wirkliche Verbündete sein. Für den US-Imperialismus ging es nie um ein strategisches Bündnis mit den Kurd*innen, lediglich um eine taktische Maßnahme. Insofern war klar, dass die YPG/YPJ früher oder später fallen gelassen würde, um übergeordnete und langfristige Interessen zu bedienen.

Am Ende werden die Kurd*innen ihre demokratischen Rechte nur im Bündnis mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten anderer Nationen erkämpfen können. Die nationalen und religiösen Gräben sind tief. Daher ist eine lange, ausdauernde und sehr schwierige, teils politisch feinfühlige Arbeit nötig, um diese Gräben zu überwinden und eine wahrhaft multi-ethnische Kraft in der Region aufzubauen.

Es ist von Deutschland aus nicht klar, inwieweit das Bild der kurdischen Bewegung durch die mit US-Truppen erfolgte Eroberung Raqqas verändert wurde. Aber wahrscheinlich ist es beschädigt, mindestens unklarer. Es besteht die Gefahr, dass YPG und YPJ anders als 2014 nicht als Kraft der Befreiung gesehen werden, sondern als weitere von vielen ethnisch definierten Milizen im syrischen Krieg, die eigene Interessen verfolgen und dafür bereit sind, sich mit Mächten zu verbünden, die Tod und Schrecken über das Land bringen.

Angesichts der extrem bedrohlichen Lage und der nächsten Phase im syrischen Krieg schlagen wir Proteste vor, die sich in erster Linie gegen die deutsche Beteiligung an Erdoğans Kriegen richten.

Die Gewerkschaften, die Partei die LINKE, Friedens- und Umweltgruppen sowie linke Organisationen in Deutschland sollten die Proteste unterstützen und eine starke Kampagne gegen die deutschen Rüstungshilfe an die Türkei starten.

Als Forderungen schlagen wir vor:

  • Nein zur türkischen Invasion
  • Alle Besatzungstruppen raus aus Syrien
  • Keinen Panzer, kein Gewehr, keine Patrone, keinen Cent für die türkische Armee
  • Sofortige Aufhebung des Verbots der PKK und anderer kurdischer Organisationen in Deutschland

Das strategische Dilemma im Nahen Osten kann nur gelöst  werden, wenn es gelingt, eine multi-ethnische, sozialistische Bewegung der Unterdrückten aller Länder aufzubauen. Die kurdische Bewegung kann dabei eine wichtige Rolle spielen, wegen ihrer geografischen Lage, ihrer sozialistischen Wurzeln und wegen ihrer bisherigen praktischen Politik gegen ethnische Spaltungen und für gleichberechtigte demokratische Selbstregierung.

Aber sie braucht eine bewusste Strategie, um die türkischen, arabischen und persischen Arbeiter*innen und Bauern zu erreichen. Sie braucht ein Programm, um die Einheit der arbeitenden und unterdrückten Menschen zu befördern. Dafür muss sie völlig unabhängig sein und Bündnisse mit den Verbrecherbanden der Herrschenden ablehnen.

Sie sollte ihre eigenen Erkenntnisse – die Zentralität der Frauenbefreiung, die ökologische Frage, direkte Demokratie – ernst nehmen und über den kurdischen Tellerrand hinaus gucken. Sie braucht die Klarheit, dass es im Nahen Osten keine Fortschritte auf der Basis des Kapitalismus geben wird, sondern der gemeinsame Klassenkampf über nationale und religiöse Grenzen hinweg der Schlüssel ist, der gemeinsame Kampf für den Sturz sämtlicher Regime, für eine freiwillige sozialistische Föderation des Nahen Ostens.

In der dunklen Stunde der türkischen Invasion sind es Ereignisse wie die massiven sozialen Proteste im Irak und der Streik der Lehrer*innen in Jordanien, die eine andere Perspektive für die Region aufzeigen.