Thüringen hat gewählt: Kommentar und Analyse

DIE LINKE gegen Nazis

Foto: DIE LINKE

Für eine LINKE-Alleinregierung

Es ist gut, dass die LINKE zur stärksten Partei in Thüringen geworden ist und bei gestiegener Wahlbeteiligung in absoluten Zahlen und prozentual zulegen konnte. Doch Grund zum Jubeln ist dieses Ergebnis nicht. Zwei Wochen nach dem Doppelmord von Halle haben die Stichwortgeber der Nazi-Terroristen unter dem offenen Rechtsextremisten Björn Höcke ihre Stimmen mehr als verdoppeln können. Jetzt werden Rufe laut, die LINKE solle mit der CDU koalieren oder die FDP zu R2G dazuholen. Die LINKE sollte  dies ablehnen.

Wie in Brandenburg und Sachsen hat es bei der Landtagswahl in Thüringen eine scharfe Polarisierung anhand der Frage “für oder gegen die AfD” gegeben. Viele dieser Wähler*innen haben ihre Stimme der stärksten Anti-AfD-Kraft und damit der Partei des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gegeben. In Sachsen profitierte davon die CDU, in Brandenburg die SPD.

Die LINKE gilt – nicht zu Unrecht – im Osten als Teil des Establishments. Die Regierungsbeteiligung hat die LINKE verändert, nicht aber die Verhältnisse. Auch unter Bodo Ramelow gab es keinen Politikwechsel, sondern überwiegend ein “weiter so”. 

Es ist rechnerisch nicht möglich, eine Regierung ohne LINKE oder AfD in Thüringen zu bilden. Eine Regierung mit der CDU würde, gerade angesichts der nahenden Wirtschaftskrise, dazu führen, dass die LINKE die Mitverantwortung für eine Politik übernimmt, die gegen die arbeitenden Menschen gerichtet ist. Das würde der AfD die Möglichkeit eröffnen, noch stärker zu werden. Das gleiche gilt, wenn die LINKE mit SPD, Grünen weiter regiert und sich die FDP als neoliberale Laus in den Pelz holt.

DIE LINKE hat 31% der Wähler*innen für sich mobilisiert. Was macht sie daraus? Wie baut sie auf der Grundlage eine starke antirassistische Bewegung auf, um die AfD zu bekämpfen? Die LINKE sollte eine sozialistische Strategie zur Veränderung Thüringens entwickeln, mit klaren Eckpunkten und dafür im Parlament Unterstützung einfordern und auf der Straße, den Betrieben, Unis und Schulen mobilisieren (siehe unten).

In den nächsten Wochen wird viel von Verantwortung die Rede sein. Die wahre Verantwortung der LINKEN ist es, eine gesellschaftliche Alternative zu Sozialabbau, Niedriglöhnen, Armutsrenten und Rassismus zu formulieren und dafür auf allen Ebenen zu kämpfen – auf der Straße, im Parlament und – bei 31 Prozent Wähler*innen – auch in der Regierung. Das geht nicht mit den Establishment-Parteien von CDU, FDP, GRÜNEN und SPD, das geht nur mit einer linken Alleinregierung. Wenn die LINKE klare Beschlussvorlagen im Interesse der arbeitenden Menschen in den Landtag einbringt, müssen die etablierten Parteien Farbe bekennen, ob sie mit der AfD gegen die LINKE opponieren oder deren Anträge passieren lassen.


LINKE vs. Höcke-AfD

Analyse der Thüringer Landtagswahl

Der Aufstieg der AfD ist alarmierend und führt viele an die Wahlurne. Auch wenn es in Thüringen eine klare Mehrheit gegen die AfD gibt und nur 15 Prozent aller Wahlberechtigten (inkl. der Nichtwähler*innen) die rechtsextreme AfD unter Björn Höcke gewählt haben: Die politische Polarisierung war selten so deutlich wie bei dieser Wahl. Von der Stimmung gegen rechts hat die LINKE profitiert, die ihre Stimmen von 265.000 auf 344.000 (Zahlen auf Tausend gerundet) steigern konnte. Doch Jubeln und Freudenfeiern seitens der LINKEN sind fehl am Platz.

von Claus Ludwig, Köln

Die AfD konnte ihre Stimmen von 100.000 auf 259.000 um den Faktor 2,6 vermehren. Die AfD ist die Partei der erwerbstätigen Männer im mittleren Alter, liegt bei den 18-24jährigen knapp vor der LINKEN und bei den Erstwähler*innen knapp hinter ihr. Die stark von Senior*innen geprägte Altersstruktur des Landes ist einer der Faktoren, welche einen Durchmarsch der AfD verhindert haben.

Ein anderer Faktor ist das unterschiedliche Wahlverhalten von Frauen und Männern. Frauen haben in stärkerem Maße die LINKE gewählt. Das wird auch an der beruflichen Aufteilung deutlich: Bei der stärker weiblich geprägten Gruppe der Angestellten dominiert die LINKE mit 34 Prozent gegenüber 19 Prozent der AfD, bei Arbeiter*innen liegen beide nah beieinander (31 und 29 Prozent). Bei den Selbstständigen liegt die AfD vorn. Gewerkschaftsmitglieder haben zu 36,6 die LINKE und zu 22,6 Prozent die AfD gewählt, bei den Gewerkschaftsfrauen waren es 40,2 zu 16,2 Prozent.

Die AfD hat mit 34 Prozent eine besonders hohe Unterstützung unter denjenigen, die ihre eigene wirtschaftliche Situation als schlecht ansehen. Allerdings waren  nur 13 Prozent der Befragten der Meinung, die Lebensverhältnisse hätten sich in ihrem direkten Umfeld verschlechtert, für 31 Prozent sind sie gleich geblieben, 34 Prozent sehen sogar Verbesserungen. Bei den “Sorgen” dominierten die Angst vor “politischen Anschlägen” (80 Prozent), dem Klimawandel (65 Prozent), Kriminalität und dem Islam (54 Prozent). Sorgen um den eigenen Lebensstandard machen sich 31 Prozent.

Bei der Wahl der AfD gibt es Elemente von Protestwahl, aufgrund zuvor erlebter sozialer Ausgrenzung und der Benachteiligung des Ostens. Diese waren jedoch bei dieser Wahl nicht entscheidend. Die AfD wird zwar von vielen gewählt, die sich vernachlässigt oder abgehängt fühlen. Dies ist allerdings nicht deckungsgleich mit einem bereits erfolgten sozialen Abstieg. Es handelt sich auch um eine Zunahme verfestigter rassistischer und rechtsextremer Einstellungen, auch wurzelnd in der massiven Intervention von Nazi-Organisationen in den 1990er Jahren und der Förderung von Rassismus durch staatliche Institutionen und die Debatten der bürgerlichen Parteien. All dies wurde und wird begünstigt durch das Fehler einer wirklich klaren linken Alternative und starken Gewerkschaften.

Björn Höcke ist auch unter AfD-Wähler*innen umstritten – was diese nicht daran hindert, ihn zu wählen. 82 Prozent aller Wähler*innen sehen die AfD zu nah an rechtsextremen Positionen. Aber 47 Prozent der Befragten finden es gut, dass sie “die Zuwanderung begrenzen” will und 39 Prozent halten sie für eine “demokratische Partei wie die anderen Parteien auch”. 44 Prozent der AfD-Wähler*innen sehen Höcke zu nah am Rechtextremismus, aber 77 Prozent “finden es gut, dass er kein Blatt vor den Mund” nimmt.

Bei der AfD-Unterstützer*innen handelt es sich nicht überwiegend um harte Faschist*innen, die bereit zur Aktion sind. Doch die Akzeptanz völkisch-faschistischer Sprache und Propaganda ist hoch. Das Potenzial, von einer Phase überwiegend parlamentarischer Agitation zu Straßenaktionen überzugehen und die Landes-AfD zu einer aktiven faschistischen Kraft wie die NPD zu machen, wächst.

Die LINKE hat es mit ihrer Fokussierung auf den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow geschafft, die Rolle von SPD und Grünen gleich mit zu übernehmen. Anders als in Sachsen und Brandenburg konnte sie ihre starke Position bei den über 60jährigen halten. Gleichzeitig wurde sie zur Gegenspielerin der AfD, legte in größeren Städten wie Jena, Erfurt, Weimar, Suhl und Gera sowie unter Erstwähler*innen, bei Menschen mit höherer Bildung und bei Frauen im erwerbstätigen Alter besonders stark zu. Dies sind Schichten, die in anderen Bundesländern vor allem die Grünen wählten, auch wegen ihrer scheinbar konsequenten antirassistischen Positionierung. Dieses Ergebnis ist vor allem der Bündnis-Konstellation auf Landesebene geschuldet. Dazu beigetragen hat allerdings auch die glaubhafte Positionierung von Bodo Ramelow und vieler bekannter LINKER, die sich an Blockaden gegen Nazi-Aufmärsche beteiligt haben oder im NSU-Untersuchungsausschuss aktiv waren.

Der Verlust der Regierungsmehrheit für R2G bei Stärkung der LINKEN ist ein Hinweis darauf, dass die Lager-Arithmetik der Regierungsbefürworter*innen in der LINKEN nicht stimmt. Es wird keine starke LINKE neben einer stabilisierten SPD und dynamischen Grünen geben. Wenn die LINKE erfolgreich ist, geht das auf Kosten der SPD und der Grünen. Der Aufschwung der Grünen ist hingegen mit einer Begrenzung der LINKEN verbunden.

Solange nicht auf der Basis verstärkter Klassenkämpfe die Gesellschaft in Bewegung gerät und weitere Schichten von bisherigen Nicht-Wähler*innen erreichbar werden, bleiben die Verschiebungen bei den Wahlen im Großen und Ganzen innerhalb der Lager. Die Grünen profitieren vom Niedergang der SPD, die LINKE vom Schwächeln der Grünen. Die CDU verliert an die AfD. Ausnahmen bestätigen die Regel: In Thüringen gab es eine bedeutende, aber nicht entscheidende Wanderung von 23.000 CDU-Wähler*innen zur LINKEN. Die CDU-Spitze hatte versucht, LINKE und AfD gleichermaßen auszugrenzen, dies wurde von deren Wähler*innenschaft mehrheitlich abgelehnt.

Die in Berlin regierenden Parteien kommen nicht aus ihrer Krise heraus, und das am Vorabend des wirtschaftlichen Abschwungs. Die Meinung der meisten Thüringer*innen über die SPD ist eindeutig: “nur mit sich, ihrem Personal und Posten beschäftigt”.

Die Zahlen stammen aus: “Die Wahl zum 7. Thüringer Landtag am 27. Oktober 2019, WAHLNACHTBERICHT UND ERSTER KOMMENTAR”, Horst Kahrs und Benjamin-Immanuell Hoff, Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie von Infratest Dimap im Auftrag der ARD-Tagesschau.


Kämpferische Linke statt Sozialdemokratie 2.0

Die ernüchternden Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen scheinen bei der LINKEN fast schon wieder vergessen zu sein. Nach dem Wahlerfolg von Bodo Ramelow in Thüringen und der ersten Regierungsbeteiligung im Westen in Bremen gehen kritische Stimmen im Knallen der Sektkorken unter. Dabei liegt gerade in diesen vermeintlichen Erfolgen eine Gefahr für DIE LINKE.

von Sebastian Rave, Bremen

Es gibt nichts Grundlegendes, was die LINKE, die in Sachsen und Brandenburg verloren hat, von der LINKEN unterscheiden würde, die in Thüringen gewonnen hat. Alle drei Landesverbände stehen für die Hoffnung, als linker Teil eines “linken Lagers” in der Regierung eine graduelle Verbesserung der Verhältnisse erreichen zu können. 

Tatsächlich sind die Regierungserfolge beispielsweise in Thüringen aber eher überschaubar. Der Verfassungsschutz blieb ebenso unangetastet wie die Schuldenbremse (wie in Bremen), ein Landesmindestlohn, der auch bei Aufträgen von Kommunen gilt, wurde nicht eingeführt. Dafür ist Thüringen heute das Land mit dem zweitgrößten Niedriglohnsektor (30%).

Das Scheitern des Projekts Sozialdemokratie 2.0 lässt sich deutlich daran festmachen, dass eines der Ziele des Koalitionsvertrags der scheidenden rot-rot-grünen Regierung lautete: „Der Kampf gegen alte und neue Nazis, gegen Rassismus und Antisemitismus, muss entschlossen fortgesetzt werden“. Bei allem Bemühen und der Teilnahme an Demonstrationen: Am Ende der Legislatur wurde das Ziel, Nazis und Rechtspopulist*innen wirksam zu bekämpfen, verfehlt. Und leider trägt auch DIE LINKE mit ihrer wirkungslosen sozialdemokratischen Politik einen Teil der Verantwortung dafür. Wenn die Menschen das Gefühl haben, trotz einer linken Regierung Bürger*innen zweiter Klasse zu bleiben und DIE LINKE Teil des Establishments ist, hat es eine rechte Opposition eben leicht. 

Die ehemalige Sozialdemokratie ist nicht aus reiner Boshaftigkeit zur neoliberalen Agenda-2010-Partei geworden, sondern weil sie sich den Sachzwängen des globalisierten Kapitalismus gebeugt hat. Dieser ist mittlerweile in einer tiefen Krise, die Sachzwänge verschärfen sich sogar noch weiter – ein Kurswechsel bei der LINKEN weg von der Sachzwanglogik ist deshalb dringend nötig.

Die Partei muss sich endlich trauen, den Kapitalismus nicht nur in Programmen in Frage zu stellen. Sie muss sich in den Stadtteilen und Arbeitsplätzen verankern, indem sie eine konstruktive Rolle bei jeder kleinen und großen Gegenwehr spielt. Zum Beispiel wurde der Mietendeckel in Berlin vor dem Hintergrund einer monatelangen Debatte über Enteignung von Immobilienkonzernen als Zugeständnis an die Bewegung durchgesetzt. Wenn es auch in Bremen und Thüringen solche Verbesserungen geben soll, reicht es nicht, SPD und Grüne am Kabinettstisch mal darauf anzusprechen. Die LINKE sollte eine sozialistische Strategie zur Veränderung Thüringens entwickeln, dafür im Parlament Unterstützung einfordern und auf der Straße, den Betrieben, Unis und Schulen mobilisieren. Zu den Eckpunkten sollten gehören:  1. Nichtumsetzung der Schuldenbremse, 2. Bekämpfung der Niedriglöhne, 3. Stopp aller Abschiebungen, 4. Mietendeckel, Mietsenkung und Enteignung der Immobilienkonzerne, 5. Einführung eines Landesgesetzes zur bedarfsgerechten Personalbemessungen in den Krankenhäusern (Thüringen könnte hier Vorreiter werden!) 6. Bedarfsgerechter Haushalt, 7. Rückgängigmachen von Privatisierungen.

Wir gehen nicht davon aus, dass sich SPD und Grünen an einer Regierung mit einem solchen Programm beteiligen würden. Aber das wäre ein Brechen mit der Sachzwanglogik und würde die Frage nach einer gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus konkret auf die Tagesordnung stellen.