Wahlen in Großbritannien inmitten Brexit-Chaos und sozialer Krise
Am 12. Dezember wird in Großbritannien das Parlament neu gewählt. Der konservative Premier Boris Johnson hofft auf eine Mehrheit für seinen Brexit-Deal, der einen weiteren Abbau der Rechte von Arbeitnehmer*innen zur Folge hätte und eine Privatisierung des britischen Gesundheitsdienstes NHS auf die Tagesordnung setzen würde.
von David W., München
Die Arbeiter*innenklasse ist in der Brexit-Frage gespalten. Aber alle spüren die sinkenden Löhne, die Einschnitte im Gesundheits- und Bildungssystem, die Kürzungen der Sozialprogramme. Noch gibt es keine breite Bewegung, um sich gegen die sozialen Angriffe zu wehren. Das Potenzial besteht. Die Wahl kann dafür ein Wendepunkt sein, allerdings nur, wenn Jeremy Corbyn und die Labour-Partei eine Mehrheit erringen, ihr linkes Programm umsetzen und die Austeritätspolitik der Tories beenden. Socialist Alternative ist die Schwesterorganisation der SAV in England, Wales und Schottland. Über ihre Praxis im Wahlkampf berichtet Connor Rosoman aus Brighton im Interview mit sozialismus.info.
Es gibt eine große Wut in der Arbeiter*innenklasse. Ist es für Corbyn möglich, diese Wut zu kanalisieren und bei der Wahl zu gewinnen?
Das neue Manifest der Labour-Partei, das sich auf die Politik rund um den Klimawandel und soziale Forderungen konzentriert, hat das Potenzial, der in der Gesellschaft existierenden Wut eine Richtung zu geben. Aber der Schlüssel zum Sieg besteht darin, Menschen um dieses Programm herum zu mobilisieren. Bisher haben wir keine Massenkundgebungen wie bei den letzten Wahlen gesehen. Corbyn hat seinen Anhänger*innen bei der Vorstellung des Manifests gesagt, „alles, was ihr tun müsst, ist wählen”. Aber damit es zu einer Corbyn-Regierung kommt, reicht wählen allein nicht. Wir brauchen eine Kampagne an der Basis, um diese Wahl zu gewinnen. Der massive Schwung hin zu Labour im Jahr 2017 hat gezeigt, dass Corbyn auf der Grundlage eines mutigen Programms gewinnen kann. Aber er startet aus einer schwachen Position heraus und hat die schwierige Aufgabe, die durch den Brexit verursachte Spaltung zu überwinden. In den kommenden Wochen ist es möglich, dass Corbyn aufholen und sogar in der Lage sein kann, nach dem 12. Dezember eine Regierung zu bilden, aber das ist nicht sicher.
Die Position der Labour-Partei zum Brexit wird von den rechten „Blairites”, den neoliberalen Sozialdemokrat*innen um den Ex-Premier Tony Blair, dominiert. Gibt es eine Chance, dass die Labour-Linke die Basis von einem „Labour-Brexit” überzeugen kann?
Der Brexit ist wahrscheinlich die Frage, die Corbyn am meisten unter Druck setzt. Die Labour-Linke ist sehr gemischt und desorganisiert. Viele Parteilinke haben keine klare Position zum Charakter der EU und lehnen sie nicht eindeutig ab. Die aktuelle Politik der Labour-Partei spiegelt dies wider, indem sie dazu aufruft, ein neues Brexit-Abkommen mit der EU auszuhandeln und diesen Deal dann in einem zweiten Referendum abzustimmen. Trotz einiger Unzulänglichkeiten findet diese Position innerhalb der Partei Unterstützung und stellt einen möglichen Plan für einen von Labour geführten Ansatz für den Austritt aus der EU dar. Aber für Labour darf dies nicht zur „Brexit-Wahl“ werden. Es ist auch eine Wahl über die Austeritätspolitik, Klimawandel und die Zukunft des Gesundheitswesens.
Socialist Alternative kämpft für eine von Corbyn geführte Regierung. Wie sieht eure Praxis im Wahlkampf aus?
Wir beteiligen uns an allen größeren Wahlkampf-Aktionen (in Großbritannien meist Touren von Haustür zu Haustür, d.R.) sowie an Veranstaltungen und Kundgebungen. Und wir organisieren eigene Treffen und Aktionen. Wir treten offen als Mitglieder des CWI auf, diskutieren mit Aktivist*innen und denjenigen, die offen für sozialistische Ideen sind. Eine Priorität für uns ist, ein klares, unabhängiges Profil in dieser Kampagne zu haben und die Grenzen von Corbyns aktuellem Programm zu benennen, sowie die notwendigen Schritte, um sie zu überwinden. Ein mobilisierender Wahlkampf kann die Grundlage einer Bewegung sein, die für die Interessen der Arbeiter*innen und der Jugendlichen kämpft, wer immer auch am Ende regiert. Diese Bewegung muss über den 12. Dezember hinaus fortgesetzt werden können, um für den Systemwechsel zu kämpfen, den wir so dringend brauchen.