In China essen sie Hunde …?

Eine Auseinandersetzung mit rassistischen Vorurteilen in Bezug auf das Coronavirus

Seit Bekanntwerden des Ausbruchs des Coronavirus in Wuhan wird über die Ursache und die Gefährlichkeit des neuen Stamms spekuliert, was angesichts der chinesischen Informationspolitik nicht unverständlich ist. Aktuell erleben wir Versuche, die vorherrschende Angst zur teils rassistischen Stimmungsmache gegen Chines*innen oder China zu nutzen. Das hat Folgen.

von Viktor, Berlin

In einem Kölner Asia-Supermarkt legte ein Kundin ihrer Tochter ein Halstuch um das Gesicht, als sie an der Kasse standen und zog diese schnell vom Kassierer weg. Laut dem Kölner „Express“ fragte die Tochter daraufhin, ob alle Chines*innen krank seien.

Insbesondere in Onlineforen werden der in China verbreitete Verzehr von im westlichen Kulturkreis unüblichen Tierarten erwähnt und den Chines*innen Unverständnis bezüglich Hygiene zugeschrieben. Die rechtsgerichtete dänische Tageszeitung Jyllands-Posten zeigte eine „Karikatur“ der chinesischen Flagge, in der die Sterne durch Piktogramme eines Virus ersetzt wurden. Auch der „seriöse“ SPIEGEL zeigte einen Mann im Seuchenschutzanzug und dem – gelben – Schriftzug „Made in China“.

Übertragungsmöglichkeiten

Bezüglich der für Europäer*innen ungewohnten Tierarten wird oft die Fledermaussuppe erwähnt. Tatsächlich kann die durch einen sehr verwandten Coronavirusstamm ausgelöste SARS-Epidemie nach heutigen Erkenntnissen auf Fledermäuse zurückverfolgt werden. Für das aktuelle Virus ist eine mögliche Theorie die Übertragung von Fledermäusen auf Schlangen als Zwischenwirt und später zum Menschen.

Gegen einen Zusammenhang mit der Fledermaussuppe spricht jedoch, dass ihr Verzehr in China eher selten ist, im Unterschied zu Indonesien und Malaysia. Zum anderen erscheint die Infektion durch Verzehr von gekochtem Fleisch bei einem nicht besonders hitzestabilen Virus als eher unwahrscheinlich. Das dazu gern verbreitete Video entstand nach Recherchen von mimikama weder in China noch im zeitlichen Zusammenhang zur jetzigen Epidemie.

Schlangenfleisch gehört in China dagegen schon eher zur Speisekarte, aber z.B. auch in den USA – und selbst in deutschen Feinkostläden ist Schlangenfleisch erhältlich. Auch in China wird es meistens nicht roh gegessen, da Schlangen häufig Salmonellen in sich tragen. Nur eine kleine Minderheit der Chines*innen isst überhaupt rohes Fleisch – was in Deutschland nebenbei gesagt in Form von Hackepeter durchaus beliebt ist.

Eine Möglichkeit der Übertragung ist der Verzehr von kontaminiertem Fleisch, eine andere Kontakt oder Nähe zu infizierten Tieren. Das funktioniert wie bei der Übertragung von Mensch zu Mensch über eine Tröpfchen-, Kontakt- oder Schmierinfektion – anders gesagt genauso, wie wir es von Erkältungskrankheiten kennen. Tatsächlich sind einige Stämme des Coronavirus häufige Erreger banaler Erkältungen.

Die Ernährungsgewohnheiten in China weichen nicht entscheidend von denen anderer Länder ab. Es ist zudem nicht wahrscheinlich, dass die Übertragung auf den Menschen über die Ernährung läuft. Angesichts der Rückverfolgung der ersten bekannten Infektionen auf einen Fisch- und Meeresfrüchtemarkt erscheint eine Übertragung durch ein dort angebotenes Tier als die wahrscheinlichste Option. Eine eindeutige Rückverfolgung wird aber wahrscheinlich – wie auch bei SARS und MERS – nicht möglich sein.

Nutztiere und Infektionen

Die Doppelzüngigkeit der antichinesischen Kommentare wird deutlich, wenn wir uns die hierzulande vorherrschende Nutztierhaltung und ihr Verhältnis zu infektiösen Erkrankungen anschauen. Wir stoßen dabei allerdings nicht auf einen neuartigen Virenstamm, der in Bezug auf seine Gefährlichkeit medial aufgebauscht wird, sondern auf wohlbekannte multiresistente Bakterien. Diese sind im EU-Raum für zwischen 600.000 und 700.000 Infektionen jährlich verantwortlich und führen in rund 33.000 Fällen zum Tod. Ein Zusammenhang zur Nutztierhaltung ist hier in vielen tausend Fällen anzunehmen. Die Übertragung eines Erregers von Tieren auf den Menschen als chinesisches – oder afrikanisches – Phänomen darzustellen, wie es in einigen Kommentaren immer wieder durchscheint, ist faktisch falsch.

Auch die Übertragung neuartiger Erkrankungen von Mensch auf Tier ist im europäischen Raum kein gänzlich fremdes Phänomen. Die Verfütterung von Kadavern in der Massentierhaltung führte 1992 zur BSE-Krise in Großbritannien mit über 36.000 infizierten und in den Folgejahren 230 Toten europaweit.

Das chinesische Neujahr

Die traditionellen Familienbesuche und damit verbundenen Reisen zum chinesischen Neujahr am 25. Januar wurden ebenfalls in Medien und Foren thematisiert. Rassistisch aufgeladen wurde dies durch Memes, in denen suggeriert wurde, Chines*innen würden sich durch Erkrankungssymptome im Gegensatz zu anderen Ethnien nicht von Reiseplänen abbringen lassen. Doch der neuartige Coronavirus beginnt bei den meisten in Form einer Erkältung. Es wird weltweit schwierig sein, Menschen zu finden, die nicht schon einmal trotz Erkältungssymptomen zur Arbeit, auf Reisen oder zum Einkaufen gegangen sind.

Festzuhalten ist, dass in China über 20 Städte mit insgesamt etwa 60 Millionen Einwohner*innen unter Quarantäne gestellt wurden. Die Straßen in diesen Städten sind den Fotos nach zur Urteilen weitestgehend leer. Es ist stellenweise schwierig, noch einen Mundschutz zu bekommen. Menschen sind teilweise gezwungen, ihren Mundschutz mehrfach zu verwenden. Dieses reale Bild hat wenig mit dem von rechten Propagist*innen gezeichneten zu tun.

Versagen der Behörden

In den Medien findet sich eine reale Ursache für die (Größe der) Epidemie nicht wieder: Das zeitweilige Versagen der Behörden. Berichten unserer Genoss*innen von Socialist Action in Hongkong zur Folge gab es eine Nachrichtensperre seitens der Regierung. Die Situation vor Ort wurde verharmlost. Aufgrund der Erfahrungen mit SARS 2003 wären spätestens zum Zeitpunkt der Isolation und genetischen Analyse des neuartigen Coronavirus, die bereits am 7. Januar erfolgte, weitergehende Isolationsmassnahmen seitens der lokalen Verwaltungen angebracht gewesen.

Dies wäre laut dem Virologen Guang Yi von der Uni Hongkong auch die „goldene Periode“ gewesen, in der eine tausendfache Ausbreitung hätte verhindert werden können. Stattdessen setzten die lokalen Verwaltungen darauf, die Epidemie runterzuspielen und keine Maßnahmen zu ergreifen. Erst als das Ausmaß der Epidemie nicht mehr verborgen werden konnte, wurden Maßnahmen seitens der Zentralregierung ergriffen. Dies geschah erst Ende Januar – so die Quarantäne von Wuhan am 23. Januar und der Beginn einer Errichtung von Isolationskrankenhäusern im Schnellverfahren ungefähr zur selben Zeit.

Dabei hängt die Untätigkeit und Informationspolitik mit der Instabilität des Regimes zusammen. Die andauernden Proteste in Hongkong führen zu einer Paralyse der lokalen Institutionen in China, da diese bei jedem Schritt Angst haben, vor Ort Proteste zu entfachen und/oder schlechte Nachrichten in Peking zu verkünden.

In Hongkong selbst herrscht die paradoxe Situation, dass die Regierung trotz bestätigter Fälle nicht zu einem Mundschutz rät. Das Tragen eines Mundschutzes in der Öffentlichkeit wurde als Teil der Repressionen gegen die Protestbewegung verboten.

Fakten über das Wuhan Coronavirus

Das Wuhan Coronavirus wurde erstmals am 7. Januar als eigenständiger Stamm identifiziert, wobei die ersten Erkrankungsfälle mindestens einen Monat früher zurückliegen. Am Stichtag 29. Januar liegen nach offiziellen Angaben rund 7700 bestätigte Infektionen und 170 Todesfälle vor, wobei über 98% davon in China konzentriert sind. Die wahre Zahl der Infizierten dürfte nach epidemiologischen Berechnungen eher bei rund 24.000 bis 40.000 liegen. Die Differenz lässt sich zum einen darüber erklären, dass die Erkrankung in vielen Fällen ohne schwere Symptome verlaufen könnte und Menschen entsprechend keine medizinische Hilfe suchen, zum anderen ist aber natürlich auch ein Verschweigen durch durch chinesische Behörden denkbar.

Die Erstinfektion erfolgte nach gegenwärtigen Erkenntnissen wahrscheinlich auf einem südchinesischen Markt für Fisch und Meeresfrüchte. Als Zwischenwirt für die Übertragung sind aktuell Schlangen in der Diskussion.

Eine genaue Abschätzung der Gefährlichkeit des neuen Coronavirus ist faktisch nicht möglich. Anhand der bisherigen offiziellen Statistik kann eine Sterblichkeit von 2-3% berechnet werden – zum einen können aber bereits in der Statistik erfasste Patient*innen im Verlauf der Erkrankung versterben, zum anderen können weitaus mehr Menschen erkrankt sein, die nicht erfasst sind und nur milde Symptome verspüren. Bei einer Epidemie des genetisch sehr ähnlichen SARS Erregers in den Jahren 2002/2003 betrug die Sterblichkeit rund 10% – gleichzeitig muss aber auch gesagt werden, dass andere Coronavirenstämme Erreger banaler Erkältungskrankheiten sind.

Exkurs: Bezifferung der Infektionen in Zusammenhang mit Nutztierhaltung

Nach einer im Lancet veröffentlichten Studie gab es alleine im Jahr 2015 in der EU rund 670.000 Infektionen mit multiresistenten Keimen, die in rund 33.000 Fällen zum Tod führten. Die Gründe für die Entstehung von Antibiotikaresistenzen sind vielfältig, und sicherlich steht die Entstehung und Verbreitung der meisten multiresistenten Keime nicht mit der Tiernutzung in Verbindung. Ursachen dürften überwiegend Fehler im Einnahme- und Verschreibungsverhalten sowie mangelhafte Hygiene in Krankenhäusern und Arztpraxen sein.

Doch gleichzeitig lässt sich ein Zusammenhang mit der Tiernutzung nicht wegdiskutieren. Greenpeace berichtet unter Verweis auf das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit von über mehr als 700 Tonnen jährlich verschriebenen Antibiotika in der Tiermedizin. Die Zahl ist zwar in den letzten Jahren deutlich gesunken, bewegt sich aber immer noch gleichauf mit der in der Humanmedizin verschriebenen Menge.

Eine genaue Bezifferung der mit Tiernutzung in Zusammenhang stehenden Infektionen ist aufgrund der fehlenden Rückverfolgbarkeit jeder einzelnen Infektion faktisch nicht möglich, zur Abschätzung der Mindestzahl lässt sich aber ein bestimmter Stamm von MRSA nutzen (LA-MRSA CC398), der vor allem Menschen mit beruflichen Kontakt zu Tieren infiziert und sich für etwa 2-5% der MRSA Besiedlungen verantwortlich zeigt.

Alle MRSA-Stämme zeigen sich in der weiter oben angeführten, im Lancet veröffentlichten Studie – für rund 150.000 Infektionen im EU Raum verantwortlich. Das würde hochgerechnet rund 3.000 bis 7.500 Infektionen mit dem oben angeführten LA-MRSA CC398 Stamm bedeuten (methodisch wurde hier der Anteil an Infektionen als gleich dem Anteil an Besiedlungen angenommen).

Dies ist, wie angeführt, eher eine Mindestzahl. Es gibt zum einen darüber hinaus sehr viele weitere Stämme, die aus der Nutztierhaltung auf den Menschen überspringen und zum anderen kann auch angenommen werden, dass in einigen Fällen eine unfreiwillige Antibiotikaeinnahme über belastetes Fleisch passiert, die wiederum eine Resistenzentwicklung direkt am Menschen fördert.