Kristofer Lundberg aus Göteborg ist Vorsitzender des Regionalverbands Westschweden der schwedischen Mieter*innen-Gewerkschaft Hyresgästföreningen und Mitglied der Sozialistischen Gerechtigkeitspartei. Thies Wilkening aus Hamburg hat ihn interviewt. Dies ist eine gekürzte Fassung des in der Lunapark21 erschienenen Interviews.
Update: Während des letzten Jahres wurde der Druck auf die nationale Führung der Mieter*innengewerkschaft ausgeübt, zu einem landesweiten Protest gegen die rot-grüne Regierung aufzurufen. Unter dem Vorwand, „finanzielle Unregelmäßigkeiten“ entdeckt zu haben, setzte die nationale Führung , die alle den Sozialdemokraten angehören, den gesamten Bezirksvorstand Westschweden anfang Februar ab und übernahm die Region.
Ein sozialdemokratischer Ombudsmann, der zuvor noch nie Mitglied oder aktiv in der Mieter*innengewerkschaft war kandidiert nun für den Vorsitz. Er wird von der gesamten sozialdemokratischen Maschinerie und den von ihr kontrollierten Gewerkschaften, unterstützt, um mit der radikal kämpfenden Mieter*innengewerkschaft zu brechen.
In Deutschland konzentriert sich der bundesweite Mieterbund vor allem auf Rechtsberatung und -hilfe statt auf politische Arbeit. Die Mieterorganisation in Westschweden hat eine sehr andere, viel politischere Herangehensweise. Ist das in ganz Schweden so, und wie ist es dazu gekommen?
Hyresgästföreningen, die Mieter*innen-Gewerkschaft, ist in ganz Schweden eine politische Organisation, allerdings sind die politischen Grundlagen, das Selbstverständnis und die Methoden regional unterschiedlich. Die ersten Mieter*innen-Gewerkschaften wurden 1917 von Sozialist*innen, Kommunist*innen, Syndikalist*innen und Gewerkschafter*innen gegründet. Sie organisierten offensive Kämpfe mit Mietstreiks, Blockaden, Boykotten und Massenprotesten und schlossen sich 1923 zu einer landesweiten Organisation zusammen.
1936 erkämpfte die Mieter*innengewerkschaft das Recht, über Mietverträge kollektiv zu verhandeln. Bis heute verhandelt sie für alle drei Millionen Mieter*innen in Schweden mit öffentlichen und privaten Vermieter*innen über die Mieten, wie eine Gewerkschaft über Löhne verhandelt. Unter diesem Druck wurde der Wohnraummangel durch den Bau guter, günstiger Wohnungen für alle durch den Staat beseitigt. Nach diesem Erfolg entwickelten sich die Ortsgruppen eher zu Geselligkeitsvereinen, die oft nicht mehr wie eine Gewerkschaft wirkten. Die Verhandlungsmacht blieb aber erhalten und die Mieten niedrig. Nach der Restauration des Kapitalismus in Osteuropa und der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie hielten Neoliberalismus und Privatisierung Einzug. Die Gewerkschaft, die stark an die sozialdemokratische Partei gebunden war, leistete kaum Widerstand gegen die Einführung von Marktmechanismen und verlor an Boden. In den folgenden Jahren begannen einzelne Ortsgruppen in verschiedenen Städten, sich zu wehren. Wir haben Hyresgästföreningen in Westschweden, wo ich seit 2017 Regionalvorsitzender bin, wieder zu einer kämpferischen Organisation mit klaren politischen Zielen gemacht, die in der Bewegung landesweit als Vorbild gesehen wird. Von uns kam auch die Initiative für die aktuelle landesweite Kampagne gegen die Wohnungspolitik der Rot-Grünen Regierung.
Eine halbe Million Mitglieder landesweit klingt ziemlich beeindruckend. Nimmt ein großer Teil der Mitglieder an der politischen Arbeit der Organisation teil?
Die Gewerkschaft organisiert 538.000 Haushalte, das entspricht mehr als einer Million Menschen, in 1220 Ortsgruppen. Diese sind unterschiedlich aktiv, aber viele von ihnen treffen sich jede Woche. In Göteborg kommen Hunderte Menschen zu unseren monatlichen Veranstaltungen, im März waren es sogar 700. In der letzten Woche haben wir eine Demo gegen die rechte Stadtratskoalition mit 1000 Menschen organisiert.
Welche Hauptforderungen hat die Gewerkschaft?
Das hängt von der Situation ab. Aktuell kämpfen wir gegen die Privatisierung kommunaler Wohnungen und gegen die Pläne der Regierung zur Einführung von Marktmieten. Wir verteidigen das Recht, die Mieten kollektiv auszuhandeln. Außerdem fordern wir, dass die Anwohnerinnen in ihren Vierteln selbst entscheiden können, zum Beispiel über Sanierungen. Mieterinnen sollen die Kontrolle darüber haben, ob renoviert wird oder nicht, so werden Luxussanierungen verhindert.
Was für Kampagnen und Aktionen organisiert ihr?
Wir organisieren politische Bildungsprogramme, Jugendarbeit, Sozialarbeit, Demonstrationen, Diskussionen und Protestaktionen. Zum Beispiel haben junge Mitglieder mit Zelten einen Platz besetzt, um gegen den Wohnungsmangel zu protestieren.
Arbeitet ihr mit Gewerkschaften, Parteien oder anderen Partnerinnen zusammen?
Wir kooperieren mit Gewerkschaften, Genossenschaften und dem Arbeiter*innenbildungsverband. Wir sind mit keiner Partei verbunden, nach den Erfahrungen unter dem Einfluss der Sozialdemokratie wollen die Mitglieder nicht mehr von einer Partei geführt werden. Es gibt aber Parteien, die unsere Forderungen aufgreifen: die Linkspartei und die Sozialistische Gerechtigkeitspartei. Linke Parteien nehmen an unseren Protesten teil.
Hast du ein Paar Beispiele für erfolgreiche Kämpfe in den letzten Jahren?
Wir haben die Überführung von 900 Wohnungen aus Privatbesitz in öffentliches Eigentum durchgesetzt, die Privatisierung von tausenden Wohnungen verhindert und Renovierungen ohne Mieterhöhung erkämpft.