100. Jahrestag des Kapp-Putsches

Kapp-Putsch

Wie die deutsche Arbeiterklasse einen rechten Putsch abwehrte, fast die Macht ergriff und wieder einmal von der SPD verraten wurde.

von Marcus Hesse, Aachen

Oft hört man, dass ein Generalstreik in Deutschland nicht möglich sei, geschweige denn eine Revolution. Doch vor hundert Jahren kam die deutsche Arbeiter*innenklasse der Eroberung der Macht recht nahe. In Sachsen, Thüringen und vor allem im Ruhrgebiet entstand eine Rote Armee. Ein Generalstreik ließ einen rechtsradikalen Militärputsch gegen die Republik nach nur fünf Tagen in einem peinlichen Desaster für die Putschisten enden. Für eine kurze Zeit sah es so aus, als könnten die arbeitenden Menschen ihre Vision einer sozialistischen Neuordnung umsetzen. Die Arbeiter*innen griffen zur Macht. Doch davor hatte SPD-Regierung und Gewerkschaftsbürokratie Angst. Die SPD setzte dieselben Militärs, die sie vor wenigen Tagen noch stürzen wollten, gegen die sich nun erhebenden Arbeiter*innen ein. Dieser Verrat erfolgte nur etwas mehr als ein Jahr nach dem Mord an Liebknecht, Luxemburg und viele anderen Revolutionär*innen.

Novemberrevolution. Die erste Runde.

Als im November 1918 ein Aufstand der Kieler Matrosen das Kaiserreich zum Einsturz brachte, bildeten sich über Nacht in fast jeder großen Stadt Arbeiter- und Soldatenräte. Für wenige Wochen lag die Macht auf der Straße. Selbst die Mittelschichten hofften nach Ende des Krieges auf den Sozialismus. Doch anders als in Russland fehlte eine revolutionäre Partei. Die von der Front zurückgekehrten Soldaten vertrauten in der Mehrzahl ihren alten Führern von der SPD, einer Partei, die sie unter großen Opfern aufgebaut hatten. Die linke USPD und erst recht der Spartakusbund (ab 1919 KPD) organisierten nur eine kleine bewusste Minderheit.

Die SPD-Führer nutzten ihre Autorität dazu aus, die Revolution wieder auf die Bahn des Parlamentarismus zu lenken und die bürgerliche Ordnung zu verteidigen. Sie erreichten, dass die Räte sich praktisch selbst entmachteten. Zugleich aber paktierten sie mit den Generälen der alten Armee, um gewaltsam gegen die revolutionären Aktivitäten der Arbeiter*innen vorzugehen.

Die revolutionären Arbeiter*innen wehrten sich dagegen. Die SPD-Führer Ebert und Noske setzten daraufhin das Militär gegen diese ein. Zu den regulären Militärs kamen rechtsradikale Kampfverbände, die sich „Freikorps“ nannten. Sie sollten gegen die „spartakistische Bedrohung“ die „Ordnung“ wiederherstellen. Im SPD-Parteiorgan „Vorwärts“ wurden sogar Rekrutierungsanzeigen für sie geschaltet.

Ebert sagte: „Ich hasse die Revolution wie die Sünde!“ Sein Minister Noske meinte, „einer muss doch der Bluthund werden. Ich scheue die Verantwortung nicht!“ Er ließ den Worten blutige Taten folgen. Im Januar 1919 wurde der sogenannte Spartakusaufstand in Berlin niedergeschlagen, die revolutionäre Volksmarinedivision entwaffnet und der linke Polizeipräsident Eichhorn von der USPD abgesetzt. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Jogiches wurden ermordet.

Die blutige Niederlage der revolutionären Kämpfe zeigte Wirkung: Die Parlamentswahlen vom Februar 1919 brachten der SPD und den Bürgerlichen eine Mehrheit. Die USPD blieb schwach und die KPD boykottierte gegen Rosa Luxemburgs Rat die Wahlen. Doch schon im März reagierten die Arbeiter*innen mit politischen Streiks gegen die brutale Repression durch Armee und Freikorps. Denn Noske schickte sie inzwischen in jede Stadt, in der sich das Proletariat erhoben hatte. Dort regierte dann das Standrecht. Manch einer von diesen Freikorps und Militärs hatten sich vorher in Kolonialkriegen in Afrika geübt, wie General Maercker. Den Terror, den er zuvor gegen die „Eingeboren“ verübt hatte, trugen seine Truppen nun in die deutschen Arbeiterviertel.

In Bremen wurde eine Räterepublik militärisch niedergeschlagen, in Hamburg Revolten gegen Lebensmittelteuerungen. Besonders brutal wüteten die Freikorps in München, wo im April 1919 für wenige Wochen eine sozialistische Räterepublik ausgerufen wurde, die durch Freikorps der berüchtigten Marinebrigade Ehrhardt, die 1920 noch eine große Rolle spielen sollte, niedergeschlagen wurde – mit Billigung der SPD-Führung. Das Gemetzel der Freikorps dort war so blindwütig, dass sie sogar Teilnehmer des Treffens eines katholischen Gesellenvereins versehentlich erschossen, weil sie ja Arbeiter waren und wie Spartakisten aussahen. Die Führungspersönlichkeiten der Räterepublik wie Eugen Leviné und andere wurden hingerichtet. Seitdem sollte München zu einer Brutstätte für faschistische Gruppen werden. Nicht umsonst wurde dort 1919 die NSDAP gegründet.

Eine Republik die kaum einer wollte

Binnen des Jahres 1919 wurden die Räte allmählich wieder vom bürgerlichen Staat verdrängt. Auf betrieblicher Ebene sollten sie noch lange einiges mitzureden haben. Aber Regierung und Gewerkschaftsbürokratie entmachteten sie zunehmend und wandelten sie Schritt für Schritt zu den heute noch bestehenden, zum Frieden mit den Bossen verpflichteten Betriebsräten um. Ein Pakt zwischen der Gewerkschaftsführung und dem größten Kapitalisten Stinnes besiegelte das.

Der Verrat der SPD blieb den Arbeiter*innen natürlich nicht verborgen. USPD und KPD waren vorübergehend gleichstark und der Bluthund Noske wurde zur verhassten Figur. Die noch junge KPD aber war ihrer hervorragenden Köpfe beraubt, zeitweise illegal und in interne Flügelkämpfe verstrickt, beispielsweise darüber, ob man als revolutionäre Partei an Parlamentswahlen teilnehmen sollte oder innerhalb der großen Gewerkschaften arbeiten solle. Der ultralinke Flügel, der eben das ablehnte, war anfangs stark und spaltete sich unter dem Namen KAPD ab.

Die Arbeiter*innen lehnten jedoch weiterhin den Kapitalismus ab. Auch nach den Märzstreiks 1919 und der Niederschlagung der Räterepubliken gingen die Arbeitskämpfe weiter. Im Januar 1920 gab es vor dem Reichstag in Berlin eine Großdemonstration von 100.000 Menschen gegen das neue Betriebsrätegesetz, das die Rechte der Betriebsräte beschneiden sollte. Die Regierung ließ das Militär und die paramilitärische Sicherheitspolizei auf sie los und das feuerte in die Menge. Mehr als vierzig Tote und hundert Verletzte waren die Folge. Der verantwortliche General des Massakers hieß

Herr von Lüttwitz, der nur zwei Monate später gegen die Republik putschen sollte. Seitdem gibt es übrigens in Deutschland die Bannmeile vor dem Parlament, die bis heute gilt.

Der radikalen Rechten war die parlamentarische Republik mit ihrer formalen Demokratie, ihren sozialen Zugeständnissen an die Arbeiter*innen und dem Frauenwahlrecht aber schon zu viel. Die Freikorps, die die Ebert/Noske-Regierung gegen die revolutionären Arbeiter*innen losgelassen hatte, waren bis an die Zähne bewaffnet. Daneben gab es eine paramilitärische Sicherheitspolizei und bewaffnete Bürgerwehren. Aus diesen Kreisen kam ein Großteil der späteren SA- und SS-Formationen und Nazi-Führer. Sie vertraten antisemitische Ideen. Auf den Helmen der Marinebrigade Ehrhardt prankte schon 1919 das Hakenkreuz-Symbol.

Träger der bürgerlichen Republik wurden SPD, das katholische Zentrum und die Liberalen. Diese waren es auch, die die Verhandlungen mit den Alliierten um die Reparationen für den Krieg führten und den Versailler Vertrag unterzeichneten, welcher Deutschland die alleinige Kriegsschuld zusprach, Entschädigungen in Milliardenhöhe von der Bevölkerung forderte und daher bei nahezu allen in Deutschland verhasst war.

Vor allem die radikale Rechte nahm das zum Anlass für ihre Hetze. Während die Republik den Rechten und alten Eliten schon zuviel war, bot sie den Arbeiter*innen zu wenig. Die Kapitalisten und der alte Staatsapparat waren noch da. Sie beuteten weiter die Arbeitenden aus Wer das ändern wollte, bekam die geballte Macht der Staatsmacht und der mit ihr verbündeten Rechten zu spüren.

Die Rechten putschen. Ebert verzieht sich.

Im März 1920 sahen die Rechten ihre Zeit gekommen, gegen die Republik und die starke Arbeiter*innenbewegung loszuschlagen. Anlass war, dass Ebert und Noske auf Druck der Briten und Franzosen die Reichswehr abbauen mussten. Auch die Auflösung der Freikorps sollte durchgesetzt werden. Das veranlasste General Lüttwitz und den rechten Politiker Kapp zu einem Militärputsch gegen die Ebert-Regierung. Andere Rechtsradikale und Militärs schlossen sich Ihnen an. Darunter die Brigade Ehrhardt und Leute wie Waldemar Pabst, der Mörder Rosa Luxemburgs.

Es war ein Who-Is-Who der deutschen Rechtsradikalen und Faschisten (bevor der Begriff überhaupt aufkam). Der Zusammenschluss nannte sich „Nationale Vereinigung“. Unternehmer wie Stinnes und andere Kapitalisten spendeten großzügig Geld. Heute weiss man, dass die SPD-Regierung vorher vor dem Putsch gewarnt worden war. Doch sie unternahm nichts. Bezeichnenderweise hatten die Putschisten versucht, SPD-Mann Noske zu gewinnen. Aber der wollte dann so weit doch nicht gehen.

In der Nacht auf den 13. März setzte sich die Brigade Ehrhardt nach Berlin in Marsch. Die sozialdemokratische Regierung Ebert wurde für abgesetzt erklärt, Streiks und Demonstrationen verboten und das Standrecht ausgerufen. Ebert und Noske flohen, feige wie sie waren, nach Dresden zum Reichswehrgeneral Maercker, der sich 1919 als Arbeitermörder hervorgetan hatte. Der wollte sich zwar nicht den Putschisten anschließen, aber sich auch nicht gegen die Truppe stellen oder die parlamentarische Demokratie verteidigen. So mussten die SPD-Führer erneut ihre Koffer packen und flohen ins ruhige Stuttgart. Als sie sahen, dass die Militärs sie nicht schützen wollten, mussten sie umdenken.

In vielen Orten bildeten sich gegen den rechten Putsch revolutionäre Vollzugsräte aus Linken und Gewerkschafter*innen von unten, die sich vernetzten, die Arbeit niederlegen und sich vielerorts bewaffneten. Ebert und Noske waren jetzt schutzlos. Ihnen kam die Idee, an die Arbeiter*innenklasse zu appellieren, für sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Der rechte SPD-Mann und ADGB-Gewerkschaftschef Legien sollte das einfädeln. Es kam zu Verhandlungen zwischen den Arbeiterorganisationen. Als Ergebnis riefen SPD, USPD und Gewerkschaften am 13.3.1920 zum Generalstreik gegen den rechten Putsch auf.

Die KPD verweigerte anfangs ihre Teilnahme, weil sie Ebert und Noske nicht stützen wollte, zog aber nur einen Tag später nach. Ihre Mitglieder hatten sich schon am ersten Tag am Streik beteiligt. Der Generalstreik war nahezu allumfassend, griff von den Arbeiter*innen auf die Angestellten und Beamten über. Im Ruhrgebeit streikten alleine 100.000 Bergleute, reichsweit mehrere Millionen. Die Putschisten kamen dagegen nicht an. Es fuhr kein Zug mehr, der Strom fiel aus und nichts ging mehr. Nach nur fünf Tagen war der Spuk vorbei. Kapp floh ins Ausland, Lüttwitz trat zurück. Ebert & Co. kehrten an die Regierung zurück. Noske musste zurücktreten, weil er bei den Arbeiter*innen zu verhasst war.

Die den Generalstreik unterstützenden Gewerkschaften einigten sich am 18. März auf ein gemeinsames Neun-Punkte-Programm mit weitgehenden Forderungen, darunter die Sozialisierung von Betrieben und Enteignung von Großagrariern und auf eine rein sozialistische Regierung. Andernfalls wollten sie den Streik fortsetzen. Nach Verhandlungen mit den Regierungsparteien kam es am 20. März zu einem Kompromiss: Wesentliche Forderungen des Neun-Punkte-Programms wurden in abgeschwächter Form akzeptiert. Doch auf Druck der USPD kam es zu weiteren Verhandlungen und zu weiteren Zugeständnissen. Letztlich wurden aber die meisten Zusicherungen nach kurzer Zeit schon wieder zurückgenommen. Die Putschisten erwarteten lächerlich milde Strafen. Die Freikorps wurden nach und nach in die reguläre Reichswehr und den Staatsapparat integriert. Die Übrigen bleiben nicht lange beschäftigungslos: Sie strömten in die neuen völkischen Parteien und Kampfverbände.

Mitteldeutschland und die Ruhr. Vom Generalstreik zum bewaffneten Aufstand.

Schon während des Generalstreiks formierten sich in den Industriezentren bewaffnete Verbände der Arbeiter*innenklasse. Sie waren parteiübergreifend organisiert und bestanden aus Kommunist*innen, linken Sozialist*innen und Syndikalist*innen. Sie nannten sich im Ruhrgebiet „Rote Armee“, nach russischem Vorbild und wie 1919 in München.

Im mitteldeutschen Industrierevier wurde von bewaffneten Arbeiter*innen die Räterepublik ausgerufen, getragen von kämpferischen Betriebsräten. Sie bildeten eine „revolutionäre Volkswehr“. Im Vogtland machte sich der erwerbslose Kommunist Max Hoelz als „Roter Robin Hood“ einen Namen, der mit seiner Guerilla gewaltsam die Güter der Reichen konfiszierte und an die Armen der Region verteilte. Daraufhin marschierten Reichswehr und Freikorps erneut in Sachsen und Thüringen ein. Im Ruhrgebiet wurde die starke Rote Ruhr-Armee gebildet, die etwa 80.000 Kämpfer umfasste. Die Macht war für die kommunistischen Arbeiter*innen wieder einmal zum Greifen nah.

Die SPD-Regierung Ebert reagierte wie im November 1918. Sie setze die Militärs und bewaffneten Rechtsradikalen, die eben noch gegen die SPD geputscht hatten, gegen die revolutionäre Arbeiterschaft in Bewegung. Der Aufstand der Roten Ruhrarmee und der mit ihr symphatisierenden Arbeiter*innen wurde im April 1920 durch die von Generalleutnant Oskar von Watter befehligten Freikorps und Reichswehreinheiten blutig niedergeschlagen. An vielen Orten wurden Bürgerwehren eingesetzt und überall auch die schwer bewaffnete SiPo. Dabei kam es zu Massakern. Die Bergarbeiterschaft des Ruhrgebietes reagierte mit Streiks. Aber am 6. April wurden die Revolutionär*innen besiegt. Wieder einmal war es die SPD-Führung, also die Führung der größten Arbeiterpartei mit der Kontrolle über die ADGB-Gewerkschaften, die der Arbeiter*innenklasse in den Rücken fiel. Nicht zuletzt ihrer eigenen Basis.

Das war nur eine Schlacht … aber noch nicht die letzte.

Die Repression war heftig. Max Hoelz und viele andere landeten für Jahre im Gefängnis. Viele Arbeiter*innenfamilien an der Ruhr oder in Sachsen hatten Tote in der Familie zu beklagen, die von Männern im Staatsdienst ermordet wurden. Die Opfer gingen in die Tausende. Genaue Zahlen fehlen, da viele Morde an gefangenen Arbeiter*innen vertuscht wurden oder von staatlichen Stellen als Folge der Kampfhandlungen dargestellt wurden. Die Märzkämpfe des Jahres 1920 waren eine erneute blutige Niederlage für Deutschlands Kommunist*innen.

Doch die KPD wuchs, wohl auch, weil sich die SPD-Führung politisch entlarvte. Auch die USPD entwickelte sich nach links. 1920 vereinigte die KPD sich mit der Mehrheit der USPD und wurde damit zur Massenpartei. 1921 im März kam es im mitteldeutschen Bergbaugebiet erneut zu einem bewaffneten Aufstand. Auch wenn die Aktion nicht erfolgreich war, trug die Politik der Einheitsfront (also der Zusammenarbeit der Arbeiterparteien) Früchte. Die revolutionäre Welle setzte sich bis zum Herbst 1923 fort.

Der Generalstreik hatte die Macht der Arbeiter*innenklasse gezeigt, wenn sie gemeinsam kämpft. Revolutionär*innen können die Massen nur im konkreten Kampf für sich gewinnen und durch das praktische Beispiel zeigen, dass sie das bessere Programm haben.

Dass die Revolution scheiterte, hatte eine Vielfalt von Gründen: Es lag am schädlichen Einfluss der SPD-Führung und ihrem eisernen Griff auf die Gewerkschaften ebenso wie an politischen Schwächen der noch jungen KPD, die mal den Ereignissen hinterher trabte, mal zu abenteuerlichen Aktionen neigte.

Der Kapp-Putsch von 1920 lehrt uns, dass die Herrschenden zur Erhaltung ihrer Macht zu jedem Verbrechen bereit sind. Notfalls hetzen sie Militär und Rechtsradikale auf uns. Und wenn die sich dann gegen die bürgerliche Demokratie wenden, brauchen sie wenig zu befürchten. Im Zweifelsfall werden sie gebraucht, wenn es gegen die Linke geht. Wie im März 1920.

Bild:  Bundesarchiv, Bild 183-18594-0088 / CC-BY-SA 3.0