Die Wahlen zum irischen Parlament (Dáil) am 8. Februar endeten mit einem politischen Erdbeben. Erstmals fielen die beiden traditionellen etablierten Parteien in Irland, Fianna Fáil (FF) und Fine Gael (FG), nicht nur in absoluten Stimmen unter 50%, sondern behalten auch zusammen nicht mehr genug Parlamentssitze, um eine Regierung zu bilden.
von Christoph Glanninger, Wien
Der große Wahlgewinner ist die linksnationalistische Sinn Féin (SF). In geringerem Maß haben die Grünen zugelegt. Die sozialistische Linke, bestehend aus der Socialist Party, People Before Profit und RISE, konnte fünf von sechs Mandaten verteidigen. Nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch der Verlauf des Wahlkampfes zeigen den Wunsch nach Veränderung. Im Zuge der nur vierwöchigen Wahlkampagne wurde offensichtlich, wie groß die Wut über die sozialen Zustände in Irland ist. Die Situation am Wohnungsmarkt ist katastrophal, laut offiziellen Zahlen leben über 10.000 Menschen auf der Straße. Das Gesundheitswesen leidet unter chronischer Unterfinanzerung zu Lasten von Patient*innen und Beschäftigten. Die Kosten für die Kinderbetreuung sind die höchsten in der EU.
Gleichzeitig gibt es zur Zeit keine aktive Bewegung gegen diese Missstände. Für viele erschien daher eine Stimme für SF als die beste Möglichkeit, eine Veränderung zu erreichen.
Echte Veränderung mit Sinn Féin?
Obwohl das Ergebnis für SF auf den Wunsch nach Veränderung ausdrückt, sollte man dabei nicht vergessen, dass SF keine „normale linke Partei“ ist. SF ist im Kern eine prokapitalistische, nationalistische Partei mit linkspopulistischen Elementen. Sie wurde gegründet als politischer Arm der Provisional IRA, einer Organisation, die für die Ermordung von protestantischen Arbeiter*innen und Zivilist*innen in Nordirland verantwortlich ist. Sie verfolgt auch heute noch eine Politik, die zur Spaltung von Arbeiter*innen in Nordirland beiträgt.
In Nordirland setzt SF in der Regierung auch Austeritätsmaßnahmen um. In der Diskussion über mögliche Koalitionen im Süden machte SF von Anfang an klar, dass die Partei auch zu einer Koalition mit den Parteien des Establishments bereit ist und darüber hinaus keines ihrer Wahlversprechen als „rote Linie“ sieht. In vergangenen Massenbewegungen in Irland – wie dem Kampf gegen die Wassergebühren und im Kampf gegen den achten Verfassungszusatz, der Schwangerschaftsabbrüche verbot – spielte SF nur eine zurückhaltende Rolle.
Trotzdem deutet aktuell alles darauf hin, dass sich weder FF noch FG auf eine Koalition mit SF einlassen werden. Für eine Koalition „links“ von den etablierten Parteien reichen die Abgeordneten voraussichtlich nicht. Irland steht eine lange und komplizierte Regierungsbildung bevor.
Die Socialist Party (SP), die irische Schwesterorganisation der SAV, konnte entgegen der Erwartungen den Sitz von Mick Barry in Cork, der zweitgrößten Stadt des Landes, halten, während Ruth Coppinger ihren Sitz in Dublin-West nur knapp verlor. Die Socialist Party ruft SF und die Grünen dazu auf, jede Koalition mit FF und FG auszuschließen und stattdessen für eine alternative Regierung und eine Bewegung von unten zu kämpfen, die tatsächliche Veränderungen bewirken könnte.
In einer ersten Stellungnahme heißt es: „Wenn Fianna Fáil und Fine Gael im Laufe der nächsten Wochen eine Vereinbarung treffen, so dass eine oder beide die nächste Regierung kontrollieren und dominieren, fordern wir insbesondere Sinn Féin auf, ihre Opposition nicht auf das Parlament zu beschränken. Stattdessen sollten sie ihre verbesserte Position und ihre Ressourcen nutzen, um eine neue Massenbewegung der arbeitenden Menschen und der Jugend zu initiieren, die das Establishment und seine Parteien zurückdrängt.“