Gewerkschaften in die Offensive.
Das Corona-Virus hat Betriebe und Schulen erreicht. Wer trägt das finanzielle Risiko, wenn Beschäftigte der Arbeit fern bleiben müssen? Gewerkschaften und Betriebsräte sollten handeln und klare Positionen beziehen: 1. Es ist sinnvoll zur Eindämmung und Verzögerung des von COVID-19, wenn mehr Menschen zu Hause bleiben. 2. Diese und andere Maßnahmen dürfen nicht auf Kosten der Arbeitnehmer*innen gehen, die Risiken sind durch die Unternehmen zu tragen bzw. durch den Staat und die Sozialversicherung.
Von Marc Treude, Aachen, Betriebsratsvorsitzender, IG Metall*
Bereits in diesen Tagen werden die ersten Beschäftigten mit Verdacht auf eine Corona-Infektion nach Hause geschickt. Bestätigt sich dieser Verdacht, bekommen sie noch sechs Wochen lang Gehalt, danach fallen sie aus der Lohnfortzahlung und beziehen Krankengeld, mit erheblichen finanziellen Einbußen.
In Geilenkirchen bei Aachen tauchten die ersten Infektionen auf, am Aschermittwoch wurden im gesamten Kreis Heinsberg Kindergärten und Schulen geschlossen – arbeitende Eltern mussten sich allein darum kümmern, wie ihre Kinder betreut wurden. In vielen Fällen werden Beschäftigte unter Druck kommen, Urlaub oder Stunden aus Zeitkonten zu verwenden Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt lediglich eine Regelung für das sogenannte Kinderkrankengeld. Somit wird das Risiko bei betrieblichen und behördlichen Maßnahmen auf die Beschäftigten abgewälzt.
Der DGB hat auf seiner Webseite eine eher hilflose FAQ-Liste zum Thema veröffentlicht. Dort heißt es:
„Beschäftigten mit Kindern, die aufgrund einer Epidemie keine Betreuung haben, bleibt letztlich nur, die Situation offen mit dem Arbeitgeber anzusprechen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. In erster Linie ist es aber Sache der Eltern, für die Betreuung zu sorgen.„
Corona: Was Beschäftigte wissen müssen
In vielen Berufen mag es möglich sein, vermehrt Home Office zu machen. Dies lässt sich aber nur für einen Teil der Belegschaften umsetzen. Produktionsarbeiter*innen, Beschäftigte in Logistik und Handel sowie Service-Kräfte blieben außen vor.
Noch schlimmer wird es, wenn Betriebe wegen Verdachtsfällen vorübergehend geschlossen bleiben. In diesem Fall könnte dies zwar als “unternehmerisches Risiko” definiert werden, die gesetzlichen Regelungen sind allerdings dürftig. Viele Unternehmen werden versuchen, ihr Risiko auf die Belegschaften abzuwälzen und Urlaubsansprüche und bisher geleistete Mehrarbeitsstunden abzubauen. Der DGB schreibt dazu richtigerweise:
„Auch eine Zwangsbeurlaubung unter Fortzahlung der Vergütung kommt grundsätzlich nicht in Frage. Urlaub und Überstundenabbau sind nur dann möglich, wenn der Arbeitnehmer dies beantragt, also nicht gegen dessen Willen. Entschließt sich der Arbeitgeber aus freien Stücken, den Betrieb vorübergehend zu schließen, kann er dies natürlich tun. Er muss dann aber das Entgelt weiterzahlen und darf auch nicht auf die Überstundenkonten zurückgreifen.„
Corona: Was Beschäftigte wissen müssen
Was der DGB leider nicht beantwortet, ist die Frage, wie die Beschäftigten ihre Rechte durchsetzen können.
Lohnfortzahlung für alle
Tatsächlich müssten Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte jetzt Druck auf Unternehmen und Politik organisieren, um die Bevölkerung zu schützen und zu verhindern, dass die Kosten auf die Arbeitnehmer*innen abgewälzt werden. Erste Schritte müssten sofortige Betriebs- und Abteilungsversammlungen sein, um über die Risiken und Gefahren einer Corona-Pandemie zu informieren. Im Arbeitsalltag muss mehr Zeit für regelmäßiges Händewaschen und Desinfizieren durchgesetzt werden, oft fehlt es ja schon an ausreichend Seife und Papierhandtüchern, geschweige denn Desinfektionsmitteln.
Regelungen zum Beibringen von AU-Bescheinigungen („gelber Schein“) nach zwei oder drei Tagen müssen vorübergehend ausgesetzt werden, auch für die Kolleg*innen, die alltägliche Krankheiten wie grippale Infekte oder Kopfschmerzen haben. Sie sollten weder die Arztpraxen mit unnötiger Arbeit belasten noch sich selbst der Ansteckungsgefahr aussetzen müssen. Betriebe dürfen den Beschäftigten nicht unterstellen, dass dann „blau“ gemacht würde – es geht hier um die Gesundheit von Millionen. Zuhause bleiben ist eine einfache und wirksame Maßnahme, um die Ausbreitung zu verzögern. Wenn die Hürden zum Fernbleiben zu hoch sind und die Beschäftigten Einkommensverluste fürchten müssen, dann steigt die Gefahr, dass Kolleg*innen sich nicht testen lassen und krank zur Arbeit kommen – wie es bei „normalen“ Krankheiten auch oft der Fall ist. Nur würde das in diesem Fall die Ausbreitung des Virus beschleunigen.
Eltern mit erkrankten Kindern müssen ab sofort unbefristet Kinderkrankengeld erhalten, ohne Anrechnung auf die ihnen laut BGB zustehenden zehn Tage, durch den Arbeitgeber aufgestockt auf das Netto-Gehalt. Diese Regelung muss auf den Fall ausgedehnt werden, dass Schulen oder Kitas schließen und ein Elternteil zuhause bleiben muss. Das darf weder über erzwungenen Urlaub noch über unbezahlten Sonderurlaub zu Lasten der Beschäftigten gehen. Kommt es tatsächlich zu längeren Produktionsstopps, so muss die Lohnfortzahlung erkämpft und durchgesetzt werden. Löhne und Gehälter müssen weiter gezahlt werden, einen Ausgleich dürfen Unternehmen nur bei erwiesener Bedürftigkeit erhalten.
All dies kann und muss durch eine Kampagne des DGB und der Einzelgewerkschaften mit ihren über sechs Millionen Mitgliedern erkämpft werden. Eine solche Kampagne muss jetzt beginnen.
*Die Angabe dient nur der Kenntlichmachung der Person.
Foto: Creative Commons CC BY 2.0