Gastbeitrag von Florian Licht, Masterstudent der Biologie.
Übertragungswege können durch eine riesige Ausweitung der Test-Kapazitäten reduziert werden. Wenn Menschen früh im Verlauf ihrer Krankheit, bevor sie Symptome zeigen, getestet werden können, können sie sich effektiv selbst isolieren und weitere Übertragungen reduzieren, im Vergleich zu einem Abwarten bis sich Symptome entwickeln.
Trevor Bedford, Virologe aus den USA. (Twitter)
Durch umfangreiches Testen kann nachvollzogen werden, wo neue Infektionen ausbrechen und wo es unentdeckte Infektionsketten gibt. Wer positiv getestet wurde, weiß, dass er/sie sich unbedingt in Quarantäne begeben muss. Wenn millionenfach regelmäßig getestet wird, muss nicht mehr die gesamte Bevölkerung zuhause bleiben, da infizierte Personen gezielt identifiziert werden könnten.Diese Strategie wird seit Wochen erfolgreich in Südkorea [1] und Singapur [2] angewendet, mit dem Ergebnis, dass dort die Ausbreitung COVID-19 nicht nur verlangsamt, sondern sogar vorerst gestoppt wurde. Die Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) hat dazu ein Strategie-Papier veröffentlicht, in dem sie eindeutig die Empfehlung ausspricht, so viele Tests wie möglich durchzuführen [3].
Um das Virus einzudämmen, müssen insbesondere die besonders gefährdeten Personen getestet werden: Menschen mit Vorerkrankungen, Pflegekräfte und Ärzte, Verkäufer*innen, alle Verdachtsfälle. Das reicht aber nicht, um das Virus zu stoppen. Das Ziel muss sein, jeden Menschen regelmäßig testen zu können. In Deutschland wird mehr als in den meisten anderen Ländern getestet, allerdings immer noch viel zu wenig. Offizielle Zahlen zu den aktuell genutzten Kapazitäten wurden bislang nicht veröffentlicht, es ist allerdings bekannt, dass es bundesweit 47 Labore gibt, die den Test durchführen. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sagt:
„In unserem Labor ist die Diagnostik schon seit Wochen an der Leistungsgrenze […] und wir sind sicherlich eines der größten Labors in Deutschland. Wir testen etwa 600 bis 700 Proben am Tag.”
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gibt an, dass in der Woche vom 16.-20. März 100.000 Test durchgeführt wurden [4]. Zum Vergleich: Pro Kopf werden in Südkorea dreimal so viele Tests durchgeführt wie in Deutschland.
Um mehrere Millionen Menschen pro Woche testen zu können, müssen die Kapazitäten massiv erweitert werden. Ist das möglich?
Wie funktioniert ein Corona-Test?
Es gibt mehrere verschiedene Testverfahren zum Nachweis von SARS-CoV-2, und Wissenschaftler arbeiten fieberhaft daran, neue Verfahren zu entwickeln, die noch schneller und praktischer sind. Das wohl gängigste und genauste Verfahren ist zurzeit der Test mit Hilfe der sogenannten quantitativen Polymerase-Ketten-Reaktion (qPCR). Vereinfacht ausgedrückt wird versucht, das Erbgut des Virus in der Probe nachzuweisen. Dafür wird die Probe mit bestimmten Reagenzien vermischt und in eine sogenannte qPCR-Maschine gegeben. Die qPCR-Maschine ist im Prinzip lediglich eine Gerät, das die Proben in mehreren Zyklen auf bestimmte Temperaturen erhitzt und abkühlt. Bei diesem Prozess wird das Erbgut von SARS-CoV-2 vervielfältigt (vorausgesetzt die Probe stammt von einer Infizierter Person). Zusätzlich kann die Maschine messen, wie schnell die Vervielfältigung abläuft, was wiederum Rückschlüsse auf die Menge des Virus in der Probe erlaubt. Dieses Verfahren liefert in wenigen Stunden Ergebnisse.
Eine handelsübliche qPCR-Maschine. Bild: Wiki210397. (CC BY-SA 4.0)
Millionen Tests möglich
Die wichtigsten Dinge für die Durchführung eines qPCR-Testes sind: die Test-Stäbchen zur Probenentnahme, die Test-Röhrchen zur Aufbewahrung der Stäbchen, die Reagenzien und die qPCR-Maschinen. Zudem werden geschultes Personal und Labore benötigt, die geeignet sind, um mit dem gefährlichen SARS-CoV-2 Virus zu arbeiten.
Sowohl qPCR-Maschinen, die nötigen Reagenzien, als auch ausgebildete Wissenschaftler, gibt es nicht nur in den 47 Instituten die zurzeit die Tests durchführen, sondern in praktisch jeder Universität, in der Forschung im Bereich der Biologie stattfindet. Es gibt vermutlich mindestens eine qPCR-Maschine nicht nur in der Mikrobiologie, sondern oftmals auch in den Instituten der Botanik, der Genetik, der Biotechnologie oder der Ökologie. Das Verfahren wird täglich eingesetzt. Jede*r Biologie-Student*in mit einem Bachelor-Abschluss ist damit vertraut, erst recht zahlreiche Promovierende und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen.
In Deutschland gibt es außerdem viele Unternehmen im Bereich der Biotechnologie und Life-Sciences, die mit Sicherheit auch qPCR Maschinen besitzen. In der biologischen Forschung gehört die qPCR-Maschine zum Standardinventar von nahezu jedem Labor. Es gibt in Deutschland hunderte von qPCR-Maschinen die derzeit nicht zum Testen auf SARS-CoV-2 verwendet werden.
Ein Beispiel illustriert, welche Kapazitäten mobilisiert werden könnten: Die Universität Nottingham hat auf Anfrage der Regierung in Großbritannien (die nun wirklich nicht für die schnelle Bekämpfung des Corona-Virus bekannt ist) innerhalb von 24 Stunden 16 qPCR-Maschinen aus ihrem Bestand für die Durchführung von Corona-Tests übergeben, mitsamt Reagenzien in Wert von einer Million Pfund. Parallel dazu haben sich über 600 Studenten freiwillig gemeldet, um Krankenhäuser und Forschung zu verstärken.
Wenn diese 16 Maschinen kontinuierlich benutzt werden, können am Tag 30-40 Läufe mit je 35 Proben durchgeführt werden. Das sind 20.000 Tests pro Tag [5]. Allein mit den Maschinen der Universität Nottingham könnten also in der Woche so viele Tests durchgeführt werden, wie in ganz Deutschland in der Woche vom 16. – 20. März durchgeführt wurden, nämlich 100.000 (KBV). Wie bereits beschrieben, gibt es in Deutschland nicht nur 16 sondern schätzungsweise hunderte ungenutzte qPCR-Maschinen.
Die nötigen Reagenzien sind zurzeit sehr gefragt und müssen nachproduziert werden [6]. Der Großteil der Reagenzien wird von wenigen Unternehmen, beispielsweise von Roche, Qiagen oder ThermoFisher Scientific hergestellt. Mit Sicherheit haben diese Unternehmen bereits angefangen, ihre Produktion hochzufahren – das reicht aber noch nicht. Außerdem werden diese Reagenzien und zugehöriges Material zu hohen Preisen verkauft. Viele Labore versuchen, ihre eigenen Reagenzien herzustellen. Deshalb wäre es nötig, dass alle Rezepturen, Protokolle und Patente, die im Kampf gegen SARS-CoV-2 relevant sind, sofort offen gelegt werden, damit alles Notwendige weltweit vervielfältigt werden kann.
Zur Probenentnahme werden nur relativ simple Gegenstände benötigt, diese sollten nicht den limitierenden Faktor darstellen. Zum Vergleich: Jede Woche werden in Deutschland über 300 Millionen Einweg-Plastik-Flaschen verbraucht. Schwer vorstellbar, dass in unserer industrialisierten Gesellschaft keine Kapazitäten für die kurzfristige Produktion von mehreren Millionen Wattestäbchen und Plastik-Röhrchen verfügbar wären.
Es gibt keine genaue Zahlen über die Menge an Reagenzien und die Anzahl an qPCR-Maschinen. Doch selbst eine vorsichtige Schätzung ergibt, dass es in Deutschland technisch möglich sein muss, mehrere Millionen Tests pro Woche durchzuführen.
Sämtliche Möglichkeiten nutzen
Viele Wissenschaftler*innen und Forschungseinrichtungen verstehen, dass jeder Tag zählt und bieten ihre Fähigkeiten und Kapazitäten für den Kampf gegen SARS-CoV-2 an. Weltweit melden sich Fachleute freiwillig und vernetzen sich untereinander [7] [8]. Rund um die Welt veröffentlichen Wissenschaftler*innen neue Methoden im Kampf gegen das Virus, wie z.B. einen spezifischen „Antikörpertest“. Auf die Frage wie schnell dieser Test im großem Stil angewendet werden kann, entgegnet der Autor einer neuen Studie dazu auf Twitter sinngemäß: “Wartet nicht auf Regierungen. Trefft Vorbereitungen, um ihn im Krankenhaus einzusetzen!” [9] [10].
Die Regierung behauptet zwar, es würde ALLES getan, um das Virus zu bekämpfen, hat aber seit Wochen versäumt, die potentiell vorhandenen Kapazitäten für massenhafte Corona-Tests in den Dienst der Virusbekämpfung zu stellen. Dazu gehört allerdings auch, dass die Logistik für Probenentnahme und Verteilung organisiert wird. Die Erfassung der Ergebnisse muss zentral koordiniert werden. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Tests fehlerfrei und unter Einhaltung von Sicherheitsstandards durchgeführt werden können.
Das Wissen darum, in welchem Ausmaß Kapazitäten prinzipiell vorhanden sind, erhöht hoffentlich den Druck, um den Einsatz von millionenfachen Tests zu erreichen.
Referenzen
[2]: https://academic.oup.com/jtm/advance-article/doi/10.1093/jtm/taaa039/5804843
[3]: https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/331509/WHO-COVID-19-lab_testing-2020.1-eng.pdf
[5]: https://www.nottingham.ac.uk/news/test-kits-for-c-19
[6]: https://can-acn.org/public-health-agency-of-canada-call-for-reagents-for-covid19-testing/
[7]: https://twitter.com/AUSSOCMIC/status/1240501187817832449
[8]: https://crowdfightcovid19.org/volunteers
[9]: https://labs.icahn.mssm.edu/krammerlab/covid-19/
[10] https://twitter.com/florian_krammer/status/1241753398321561600
Titelbild: Snuupo (CC BY-SA 4.0)