Notstandsübung Corona

Eine Warnung an die sozialen Bewegungen

In Frankreich gilt eine komplette Ausgangssperre inklusive Verbot von Demonstrationen. In Spanien machen Polizei-Drohnen Ansagen an die Bevölkerung. In Österreich hat der Mobilfunkanbieter A1 Bewegungsdaten von Kunden anonymisiert an den Staat weitergeben, damit dieser die Wirksamkeit der Ausgangsbeschränkungen analysieren kann. Sind das notwendige Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern oder Angriffe auf demokratische Rechte?

Claus Ludwig, Köln

Viele, selbst ansonsten kritische Menschen rechtfertigen die scharfen Maßnahmen mit der “Unvernunft” derjenigen, welche die Aufrufe zur sozialen Distanz missachten. Der Staat müsse eingreifen. Die “Egoist*innen” seien schuld an der Ausbreitung des Virus. Doch Pandemien sind nicht erst seit Corona Bestandteil des globalisierten Kapitalismus. Sie werden durch freien Warenverkehr, Tourismus und Geschäftsreisen befördert. Die Jugendlichen, die im Park “Corona-Parties” feiern, verhalten sich schädlich, aber sie sind nicht die Hauptverantwortlichen der Verbreitung. Corona steht für ein Systemversagen. Es gab keine brauchbaren Pandemie-Pläne. Eingriffe in die wirtschaftlichen Abläufe wurden erst vorgenommen, als der Virus schon verbreitet war. Das Gesundheitswesen wurde in vielen Ländern kaputt gespart.

Corona hat auch die Reichen und wirtschaftlich Mächtigen und ihre politischen Parteien auf dem falschen Fuß erwischt. Sie haben sich die Krise weder gewünscht noch ist derzeit davon auszugehen, dass sie die vom Virus ausgehenden Gefahren übertreiben. Und doch nutzen sie die Krise, um die eigenen Interessen zu befördern und sich auf soziale Konflikte vorzubereiten. Macron spricht von einem “Krieg” gegen das Virus. Der Kriegsmodus ist für die Herrschenden ideal, um von den Problemen ihres Systems abzulenken und einen äußeren Gegner zu markieren.

Die Weltwirtschaft rutscht in die Rezession. Schon 2019 ist es in vielen Ländern zu riesigen Protestbewegungen gekommen, teilweise mit aufständischen Charakter, nicht zuletzt in Frankreich. Zur Rettung seiner Profite wird das Kapital die sozialen Rechte und den Lebensstandard der breiten Masse schärfer attackieren. Dabei hilft es, wenn mit dem Ruf “Corona stoppen” die Gewöhnung an Notstandsmaßnahmen, Aushebelung von Versammlungs-, Demonstrations- und Bewegungsfreiheit vorbereitet wird.

Der Journalist Heribert Prantl schreibt in der Süddeutschen:

“Im Moment ist der demokratische Souverän, das Volk, mit allen Maßnahmen einverstanden. Es gibt fast schon Dankbarkeit, dass jetzt das Notwendige getan wird. Es gibt das große Wir-Gefühl: ‘Wir halten zu den Alten.’ Und wenn das Wir-Gefühl mit der Zeit zerbröselt? Muss dann mehr Kontrolle her? Mehr Überwachung? Mehr Polizei?”

Wir wenden uns gegen die Ausgangssperren und gegen die Aushebelung demokratischer kollektiver Rechte durch Katastrophen- Ausnahme oder Notstandsgesetze oder durch Verordnungen. Wir wenden uns gegen die Einschränkung des Demonstrations- und Streikrechts.

Natürlich kommt niemand in Europa aktuell auf die Idee, Tausende von Menschen zu Demonstrationen zu mobilisieren. Das wäre unverantwortlich. Aber die Arbeiter*innenbewegung, die Linke und die sozialen Bewegungen müssen selbst entscheiden können, in welcher Form sie protestieren. Streiks bleiben das zentrale Mittel der Arbeiter*innen, sich zu wehren – aktuell auch, um für die Beendigung nicht notwendiger Produktion und die eigene Sicherheit zu kämpfen. In Spanien, Italien und Österreich haben Arbeiter*innen bereits für die Einstellung der Produktion beziehungsweise für die Bereitstellung von Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz gestreikt. Wenn wir den öffentlichen Raum aufgeben, wenn wir uns das Recht nehmen lassen, gegen den Umgang der Regierung mit der Corona-Krise und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu demonstrieren, dann hat die herrschende Klasse ihre Ausgangsposition für kommende Auseinandersetzungen deutlich verbessert. Der Virus ist eine ernste Sache. Aber die Arbeiter*innenbewegung darf nicht darauf starren wie das Kaninchen auf die Schlange.


#SocialDistancing

Zur Verlangsamung der Ausbreitung ist es wichtig, dass Schulen, Unis, Betriebe, Restaurants schließen und die Menschen verstärkt zuhause bleiben. Komplette Ausgangssperren sind nicht nötig und richten ihrerseits Schaden an, indem Menschen sozial isoliert werden, und die Gefahr zunimmt, dass psychische Erkrankungen und Bewegungsmangel eskalieren.

#staythefuckathome – das kann richtig gemütlich sein, wenn man ein Häuschen in der Vorstadt hat, mit Garten, Hobbykeller, Fitnessgeräten, Arbeitszimmer und genug Platz, dass sich alle aus dem Weg gehen können. Klingt fast nach Urlaub. Millionen hingegen wohnen in beengten Verhältnissen und halten es im Alltag nur aus, weil selten alle auf einmal dort sind. Sie brauchen Spaziergänge, die Kinder müssen raus, rennen und toben können – was selbst in eng bebauten Städten in klarer Distanz zu anderen machbar ist.

Für viele ist die eigene Wohnung kein sweet home, sondern ein Ort der Angst. Frauen und Kinder erleben dort häusliche Gewalt. Psychisch Kranke leiden an der Einsamkeit, ebenso ältere Menschen. Für sie ist die Corona-Krise extrem hart, eine echte Ausgangssperre fast unerträglich.

Wohnungslose und viele Geflüchtete haben überhaupt kein Zuhause, sondern wohnen in Massenunterkünften, die sie normalerweise nur zum Schlafen aufsuchen würden. Ein Staat, der sich um alle kümmert, würde informieren, aufklären, Möglichkeiten aufzeigen anstatt Menschen in ihren Wohnungen faktisch einzusperren.