Kaum ist die Thüringer Regierungskrise vorbei, gibt es den nächsten Eklat: Bodo Ramelow, am Tag zuvor noch von allen Seiten dafür gelobt, Höcke den Handschlag verweigert zu haben, erklärte, er habe bei der Wahl zum Parlaments-Vizepräsidenten Michael Kaufmann von der AfD gewählt. Ein Schlag ins Gesicht der tausenden, die zuvor gegen die AfD auf die Straße gegangen sind, und die Konsequenz eines über allem stehenden staatsmännischen Politikverständnis.
Die von Ramelow zuvor beschworene „Brandmauer“ gegen die AfD hat er selbst wieder eingerissen. Die rechtsaußen-AfD unter Faschist Höcke feiert, endlich in der Mitte des Parlaments angekommen zu sein. In der LINKEN herrscht Fassungslosigkeit, es gibt Distanzierungen vom SDS über den Parteivorstand bis Susanne Henning-Welsow, in sozialen Medien tobt ein Shitstorm. Antifaschist*innen prangern völlig zurecht an, dass Bodo Ramelow sich über die Wahl von Kemmerich durch die AfD empört hat, aber nun selbst einen AfD-Vertreter gewählt hat. Andere glauben oder verstehen es nicht, sind desorientiert oder demoralisiert.
Die Begründung Ramelows, „auch mit meiner Stimme den Weg frei zu machen für die parlamentarische Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden muss“, strotzt vor staatstragender Ideologie, nach der alle gewählten Fraktionen unabhängig von ihrer Weltanschauung Positionen im Parlament verdient haben. Dass die AfD keine Partei wie die anderen ist, muss hier nicht erklärt werden. Auch wenn CDU, FDP, und auch SPD und Grüne immer wieder staatlichen Rassismus mit Abschiebungen und Ungleichbehandlung voranbringen, hat die rassistische Hetze der AfD eine andere Qualität. Ihr darf kein Podium geboten werden, kein Fußbreit gewährt und keine Stimme geschenkt werden.
Antikapitalismus nicht vorgesehen
Der neue, alte Thüringer Ministerpräsident war einer der ersten, die Bernd Riexinger für seinen Scherz angriff, man solle das reichste 1% für nützliche Arbeit einsetzen. Auch andere Teile der Parteispitze wie Dietmar Bartsch haben sich den Angriffen von Springer-Presse und CDU auf Riexinger und Parteilinke angeschlossen. Diese staatstragende Attitüde ist keine Ausnahme. Ramelows Idee, sich zur Not von der CDU tolerieren zu lassen, und ihr mit einem „Stabilitätspakt“ entgegenzukommen, repräsentiert den unbedingten Regierungs- (eher: Verwaltungs-)willen großer Teile der Partei. Eine grundsätzliche Ablehnung der herrschenden, kapitalistischen Ordnung ist in diesem Denken nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Der Kapitalismus und die Herrschaft der Minderheit der ökonomisch Mächtigen wird als unabänderlich oder sogar begrüßenswert wahrgenommen, höchstens eine Gestaltung von links im Detail wird für möglich gehalten. Das zeigte sich auch auf der Strategiekonferenz der LINKEN. Bei einer “Diskussion” ohne jede Publikumsbeteiligung mit Katja Kipping und der Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali priesen alle Podiumsteilnehmenden im unterschiedlichen Schattierungen die Vorzüge des Regierens. . Ramelow erzählte dabei nicht ohne Stolz, die Abschiebung eines Afghanen, die über seinen Tisch ging, nicht verhindert zu haben, weil der Betroffene Urlaub in seinem Heimatland gemacht hatte und in Deutschland straffällig geworden war. Wir wissen nicht, welche Straftat er begangen hat, aber ein Urlaub (wahrscheinlich bei seiner Familie) darf nicht dazu führen, härter bestraft zu werden, als jeder deutsche Straftäter.
Eine Grundregel von Solidarität ist, die Gleichbehandlung von Menschen zu fordern. Dagegen verstößt Ramelow auch dann, wenn er sich damit rühmt, Geflüchtete bei ihm bekannten Unternehmer*innen untergebracht zu haben, und ausdrücklich klar stellt, dass er dann nicht danach fragt, ob denn auch nach Tarif bezahlt wird und es einen Betriebsrat gibt. Eine solche Haltung macht es der AfD leicht, sich als Verteidiger der (deutschen) Arbeiter*innen gegen Lohndumping durch Geflüchtete darzustellen.
Jetzt rächt sich die Fokussierung der LINKEN in Thüringen auf eine Person, deren Wahlverhalten jetzt mit der Partei als Ganzes verbunden wird. Auf den Großplakaten im Thüringer Wahlkampf wurde auf das Parteilogo verzichtet und nur noch das Gesicht Ramelows abgedruckt. Er begrüßt auf den Plakaten „Abenteurer, Freunde, Frauen, Kinder…“ und „Unternehmer“ oder wirbt mit dem Postkartenspruch „Es muss nicht alles anders werden, aber wir können vieles besser machen.“ Würde DIE LINKE in seinem Sinne geführt werden, wäre sie keine Partei zum Mitmachen, zum aktiv werden, zur Selbstorganisierung derer, die sich gegen die Verhältnisse wehren wollen, sondern eine ganz normale bürgerliche Wahlkampfmaschine und Verwaltungspartei wie die SPD oder die CDU, nur mit einem linken Image. Und das nicht einmal zurecht.
DIE LINKE muss die Lehren aus dem historischen Aufstieg des Faschismus ziehen. Dazu gehört, dass es das Bürgertum war, das die Nazis zum Schutz ihrer kapitalistischen „Ordnung“ an die Macht gebracht haben. Bei der Politik der LINKEN muss deshalb die Überwindung statt die Verwaltung des Kapitalismus der Ausgangspunkt der Überlegungen sein. Der große Lyriker Erich Fried schrieb: „Ein Faschist, der nichts ist, als ein Faschist, ist ein Faschist. Aber ein Antifaschist, der nichts ist, als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“ In dem Sinne ist es wertlos und unglaubwürdig, einem Höcke symbolisch den Handschlag zu verweigern, wenn man am gleichzeitig einen AfDler zum Vize-Präsidenten wählt oder Abschiebungen zustimmt. Beides ist Folge einer Entwicklung von Anpassung an das System und seine Repräsentanz. Diese birgt die Gefahr, zur ewigen Wiederholung der Geschichte verdammt zu sein.
Foto: Protest vor FDP-Zentrale in Berlin nach der Wahl Kemmerichs duch die AfD. Martin Heinlein, CC BY 2.0