Die Nachrichten über die Ausbrüche von Covid19 in Pflegeheimen haben viele schockiert. Bei der Diskussion um eine Exit-Strategie aus dem Lockdown spielt daher der Schutz der Risikogruppen eine besondere Rolle. Wir sprachen mit Julia Blum, Beschäftigte in einem Pflegeheim, über die Situation bei ihr im Heim und den Auswirkungen von Corona.
Du arbeitest seit mehreren Jahren in einem Seniorenheim. Was sind deine Aufgaben?
Ich bin Mitarbeiterin des Sozialdienstes. Ich kümmere mich um die Alltags- und Freizeitgestaltung, also Planung von Festen, Organisierung von Ausflügen und die Durchführung von verschiedenen Gruppenangeboten wie Gymnastik, Gedächtnistraining, Singen oder kreatives Gestalten. Die Mitarbeiter*innen des Sozialdienstes führen aber genauso körpernahe Einzelbetreuungen durch.
Wie kommen die Bewohner*innen mit der Situation „Corona“ zurecht?
Mein Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Wohnbereich für dementiell veränderte Menschen. Sie haben besonders schwer damit zu kämpfen, weil sie zwar die angespannte Stimmung wahrnehmen und instinktiv spüren, das was nicht stimmt, aber vieles nicht richtig verstehen und sich schlechter an Veränderungen anpassen können. Insgesamt würde ich aber sagen, dass sich alle tapfer halten. Allerdings hinterlassen die unterschiedlichen Einschränkungen trotzdem Spuren.
Was meinst du damit? Sind die Bewohner*innen isoliert und dürfen ihre Zimmer nicht verlassen?
Nein, das versuchen wir bisher zu vermeiden. Aber es müssen besondere Schutzmaßnahmen ergriffen werden, um die Bewohner*innen, die alle ausnahmslos mehrfach zur Risikogruppe für einen schweren Verlauf mit potenziell tödlichem Ausgang gehören, vor einer Ansteckung zu schützen.
Als erste Maßnahmen wurden deshalb schon vor über einem Monat Ausgangs- und Besuchsbeschränkungen bzw. mittlerweile Verbote verhängt. Das führt zum Ausfall der regelmäßigen Angebote von Ehrenamtler*innen wie dem Bingonachmittag, dem Chor, aber auch den Gottesdiensten und dem Begegnungsprojekt mit Schul- oder Kitakindern. Außerdem vermissen die Bewohner*innen ihre Kinder oder Enkel und wir versuchen das über Skype zu kompensieren, aber das ist natürlich nicht dasselbe.
Eine weitere Maßnahme war die Umsetzung der gebotenen Abstandsregeln auch bei uns im Heim. Das führte dazu, dass die Bewohner*innen seitdem ihre Mahlzeiten im Zimmer einnehmen und nicht mehr im gemeinschaftlichen Tagesraum und so das soziale Miteinander eingeschränkt wurde. Für einen Spaziergang im Garten oder zu den Gruppenangeboten darf man aber nach wie vor das Zimmer verlassen. Wir machen jetzt alle Angebote nur noch in Kleingruppen von maximal sieben Personen, was aber für alle eine deutliche Reduzierung der Beschäftigung bedeutet. Der geistige und körperliche Abbau durch den Mangel an ausreichenden Angeboten ist bereits jetzt nach einem Monat deutlich wahrzunehmen. Die dementiell veränderten Bewohner*innen reagieren auf die Situation mit Unruhe, Anspannung, Stress, was den Job fürs Personal wiederum ebenfalls stressiger macht.
Wie sieht es bei euch mit der Schutzausrüstung aus?
Auch bei uns fehlt ausreichend Schutzausrüstung und von den durch die Regierung beschafften Schutzmasken, von denen man in den Nachrichten immer hört, sind bei uns noch keine angekommen. Wir hatten natürlich zu Beginn der Corona-Krise was auf Lager, hatten dann aber wegen Lieferengpässen Schwierigkeiten nachzubestellen. Desinfektionsmittel und ein paar FFP3-Masken haben wir. Mittlerweile sind ein paar Pakete Einmal Mundschutze angekommen, zu völlig überteuerten Preisen. Seit drei Wochen müssen alle Mitarbeiter*innen Mundschutz tragen, also auch wir vom Sozialdienst, die Reinigungskräfte oder das hauswirtschaftliche Personal. Deshalb haben verschiedene Kolleg*innen oder Angehörige wieder verwendbare also waschbare Mundschutze selber genäht, die wir jetzt jeweils einen pro Schicht tragen.
Helfen die?
Jein. Es gibt zwar Unsicherheit unter den Mitarbeiter*innen, aber diese Mundschutze können durchaus das Risiko verringern, dass wir als Mitarbeiter*innen im Infektionsfall Bewohner*innen anstecken. Das ist wichtig. Seit den Ausgangs- und Besuchsverboten sind wir die größte Ansteckungsgefahr. Aber umgekehrt stellt dieser Mundschutz für uns als Personal keinen ausreichenden Schutz dar.
Ein Problem ist auch, dass wir gar nicht wissen, wer infiziert ist oder nicht, weil das Robert-Koch-Institut bisher nicht empfahl, Beschäftigte, die mit Risikogruppen zu tun haben, verdachtsunabhängig zu testen. So können wir keine gezielten Schutzmaßnahmen ergreifen. Es wird vermutet, dass ein nicht kleiner Teil der Covid19-Erkrankungen nur mit leichten Symptomen einher geht, aber trotzdem ansteckend ist. Und für uns ist es nicht möglich, immer zwei Meter Abstand zu halten. Die Bewohner*innen haben auch mal das Bedürfnis nach körperlichem Kontakt, brauchen ein wenig Trost oder sind einfach schwerhörig, so dass man bei Gesprächen näher ran muss. Waschen mit Abstand geht natürlich auch nicht. Mit regelmäßigen Testungen könnte man Infektionen frühzeitig erkennen und betroffenes Personal nach Hause in Quarantäne schicken und betroffene Bewohner*innen gezielt isolieren bevor weitere angesteckt werden.
Was wir Fachkräfte an der Basis schon lange sagen, scheint jetzt endlich umgesetzt zu werden. Mittlerweile ist es möglich und wird uns dringend empfohlen, uns auch ohne Symptome in Abstrichzentren testen zu lassen und es sollen mobile Testwagen im Einsatz sein, die Seniorenheime anfahren.
Nach Sinken der Neuinfektionszahlen wurden die ersten Lockerungsmaßnahmen beschlossen. Was bedeutet das für euch?
Während für Beschäftigte das Ansteckungsrisiko schrittweise steigt, sollen besondere Risikogruppen wie unsere Bewohner*innen besonders geschützt werden. Für sie besteht der Lockdown weiter, noch mehrere Monate oder sogar ein Jahr. Was das im Detail bedeutet, ist schwer einzuschätzen, ob man zum Beispiel die Besuchsbeschränkungen lockern kann, indem man Besucher*innen Schutzmasken zur Verfügung stellt. Da steht die Regierung in der Pflicht, für ausreichend Material zu sorgen. Wenn nötig eben über zwangsweise durchgeführte Produktionsumstellung anstatt Maskenherstellern auch noch riesige Gewinne zu bescheren.
Was uns durch die Unternehmensleitung vor kurzem mitgeteilt wurde, ist, dass das Heim angewiesen wurde, besondere Isolations- und Quarantänebereiche einzurichten. Wir stellen uns also auf eine längere Dauer ein. Unser Haus ist voll belegt, so dass jetzt einige Bewohner*innen gezwungen werden, umzuziehen und ihren vertrauten Wohnbereich zu verlassen, um Platz zu machen für Rückkehrer aus dem Krankenhaus. In diesem Zusammenhang ging uns auch die Information zu, dass das Arbeitszeitgesetz verändert wurde und es nun möglich sein soll, in 12-Stunden-Schichten und bis zu 60 Stunden pro Woche zu arbeiten.
Was denkst du darüber und was sagen deine Kolleg*innen?
Für mich sieht es so aus, als ob die Corona-Krise vor allem auf Kosten der Pflegekräfte bewältigt werden soll. Das empört auch die Kolleg*innen. Und die Bewohner*innen haben ein Interesse daran, von ausgeruhtem Pflegepersonal versorgt zu werden. Zu wenig Personal ist nicht nur im Krankenhaus schon seit Jahren ein Problem, sondern auch bei uns. Da hilft es nicht, die Arbeitszeit auszuweiten, sondern da muss insgesamt mehr Personal her. Aber während Rettungspakete für die Wirtschaft geschnürt werden, sollen Pflegekräfte bis zur Erschöpfung arbeiten und werden lediglich mit einem Corona-Bonus abgespeist.
Du spielst auf die von den Tarifvertragsparteien beschlossene Pflegeprämie an?
Unter anderem. Das Pflegeunternehmen, für das ich arbeite, gehört nicht dem Arbeitgeberverband an und zahlt wie der Großteil der Pflegeheime keinen Tariflohn. Uns wurde ein Corona-Bonus in Aussicht gestellt, dessen Höhe etc. bisher aber nicht benannt wurde. Viel wird es nicht sein. Diese einmalige Pflegeprämie von 1500 Euro für Vollzeitbeschäftigte ist zwar eine Anerkennung, aber völlig unzureichend. Das Pflegepersonal riskiert seine Gesundheit und ist seit Jahren unterbezahlt, vor allem wenn man bedenkt, wie belastend und stressig der Job in Zeiten von ständigem Personalmangel ist. Notwendig wäre eine tabellenwirksame Lohnerhöhung von mindestens 500 Euro und verpflichtende Bezahlung nach Tarifvertrag für alle Beschäftigten im Pflegesektor, also auch für die Reinigungskräfte, die einen nicht zu unterschätzenden verantwortungsvollen Job machen.