Wer trägt das finanzielle Risiko, wenn Beschäftigte der Arbeit fern bleiben müssen? Gewerkschaften und Betriebsräte sollten handeln und klare Positionen beziehen: 1. Zur Eindämmung und Verzögerung des Virus ist es sinnvoll, wenn mehr Menschen zu Hause bleiben. 2. Diese und andere Maßnahmen dürfen nicht auf Kosten der Arbeitnehmer*innen gehen, die Risiken sind durch die Unternehmen zu tragen und durch den Staat und die Sozialversicherung abzusichern.
Von Marc Treude, Aachen und Claus Ludwig, Köln
Der Bundestag hat eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um die Lasten der Krise abzufedern. Doch diese verhindern nicht, dass die Lohnabhängigen massive Verluste durch die Krise erleiden. Kurzarbeitergeld ist besser als entlassen zu werden, aber es bedeutet einen heftigen Einschnitt. Eltern, die aufgrund der Kinderbetreuung nicht arbeiten können, sollen eine Lohnfortzahlung in Höhe von 67 % erhalten, aber erst, nachdem sie ihren Jahresurlaub – der eigentlich zur Erholung dienen soll – aufgebraucht und die Überstunden abgebaut haben.
Einige Unternehmen wittern ihre Chance. Schon vor Corona bewegte sich vor allem die Industrie auf eine Krise zu, der Absatz von Autos fiel weltweit. Manche Betriebe, die jetzt „wegen Corona“ die Tore schließen sind Trittbrettfahrer, die Personal abbauen wollen, aber die wahren Gründe verschweigen. In Hamburg hat die Privatklinik Schön Kurzarbeit angemeldet, weil lukrative Operationen ausfallen, obwohl jede Fachkraft im Gesundheitswesen gebraucht wird.
In vielen Berufen ist es möglich, vermehrt Home Office zu machen. Dies lässt sich aber nur für einen Teil der Belegschaften umsetzen. Produktionsarbeiter*innen, Beschäftigte in Logistik und Handel sowie Service-Kräfte bleiben außen vor. Mit der Schließung von Schulen und Kitas wird das Home Office angesichts geschlossener Sportstätten, Spielplätze und Kontaktverboten auch für diejenigen, die das technisch bewältigen können, zu einer Belastung, die weit über die bisherige Arbeit hinausgeht.
Rechtlich eindeutig ist die Lage nur, wenn ein Unternehmen sich selbst entscheidet zu schließen – dann gibt es die volle Lohnfortzahlung – bei Erkrankung von Beschäftigten oder bei Betriebsschließungen durch die Gesundheitsämter wegen Corona-Fällen.
Drohende Einkommensverluste und unklare Regelungen setzen viele unter Druck weiterzuarbeiten. Täglich erleben wir den Wahnsinn, dass man sich nur zu zweit im Park bewegen darf – in einigen Bundesländern nicht einmal das – sich aber Beschäftigte auf dem Weg zur Arbeit in Bussen und Bahnen und später in Werkhalle oder Großraumbüro bei unfreiwilligen „Corona-Parties“ drängeln. Zuhause bleiben wäre eine einfache und wirksame Maßnahme, um die Ausbreitung zu verzögern. Sämtliche Betriebe, deren Tätigkeiten nicht der Versorgung der Bevölkerung oder der Aufrechterhaltung von Infrastruktur dienen, sollten sofort die Arbeit einstellen und die Beschäftigten bei voller Lohnfortzahlung nach Hause schicken.
Die Vereinzelung aufheben
Die Kommunikation zwischen den Kolleg*innen, Kontakte zur Gewerkschaft und zur Rechtsberatung laufen zur Zeit rein virtuell. Das verringert die Kampf- und Durchsetzungsfähigkeit. In vielen Fällen werden daher nicht einmal die rechtlich abgesicherten Standards erreicht.
In dieser Situation müssen die Gewerkschaften die Initiative ergreifen und gegen die Zersplitterung wirken – dagegen, dass einige Kolleg*innen in den Zwangsurlaub geschickt werden, andere im Home Office mit Kindern arbeiten müssen, obwohl die Arbeiten verzichtbar sind und andere sich auf der Arbeit Gefahren aussetzen, weil sie sich nichts anderes leisten können.
Die Gewerkschaften sollten die Forderung aufstellen, dass alle von Corona betroffenen Beschäftigten – ob wegen Kindern zu Hause, ob wegen Unterbrechung der Produktion, Gesundheitsgefahren oder im Betrieb positiv getesteten nach Hause geschickt – die volle Lohnfortzahlung durch das Unternehmen erhalten. Das muss auch für die Betriebe gelten, die Dinge produzieren, die nicht gebraucht werden (Stichwort Rüstungsindustrie) und welche sofort die Produktion einstellen müssten.
Sollten Betriebe angeben, dazu nicht in der Lage zu sein, müssten sie ihre Geschäftsbücher offen legen. Wenn sie ihre finanzielle Misere beweisen können, sind staatliche Hilfen denkbar. Wenn Betriebe keine wirtschaftliche Tragfähigkeit haben, sind sie unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten in öffentliches Eigentum zu überführen. Auf dieser Grundlage wäre eine Umstellung der Produktion zu prüfen.
Die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt unter harten Bedingungen arbeiten müssen – vor allem im Gesundheitswesen aber auch im Lebensmittelhandel – müssen sofortige Gefahrenzulagen von 500 Euro im Monat erhalten. Die Einkommen im Gesundheitswesen sind darüber hinaus generell um 500 Euro aufzustocken.
Eine klare Ansage vom DGB und den Einzelgewerkschaften für volle Lohnfortzahlung für alle könnte von den Betriebs- und Personalräten, die weiterhin funktionieren, aufgegriffen werden. Obwohl wir aktuell vereinzelt sind, sind wir keineswegs machtlos. Regierung und Parlament haben mit der Aussetzung der Schuldenbremse und umfassenden staatlichen Interventionen in die Wirtschaft die Diskussion eröffnet. Vielen ist klar, dass es gerade nicht um das Profitinteresse Einzelner gehen darf, sondern dass die gesamte Gesellschaft entscheiden muss. Zudem würden viele Unternehmen auf Streiks oder drohende Streiks sensibel reagieren, weil diese durch angespannte Lieferketten und fehlendes Personal schnell wirksam würden.
Entscheidend dafür, wieder in die Offensive zu kommen, wäre eine klare Linie der Gewerkschaftsführung, die auch die Möglichkeiten hätte, eigene Online-Kommunikationskanäle und Kampagnen zu starten. Eine Initiative in diese Richtung ist längst überfällig.