In den ersten Maitagen des Jahres 1945 stürzte die Nazikriegsmaschinerie. Dennoch wüteten bis zur endgültigen Kapitulation am 8. Mai vereinzelte Verbände von Wehrmacht und SS in Deutschland und den besetzten Gebieten Europas. Erst die Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation brachte den noch vorhandenen KZ-Häftlingen, Sklavenarbeiter*innen und verängstigten deutschen Zivilist*innen die Gewissheit: Der Krieg in Europa war zu Ende, die Herrschaft der Nazibarbarei gebrochen.
von Dima Yanski, Köln
Der blutigste militärische Konflikt der Geschichte unterschied sich grundsätzlich von allen anderen Kriegen. Er begann als Versuch der Großmächte, die aus dem ersten Weltkrieg als Verlierer herausgingen, ihren Zugang zu Kolonien, Ressourcen und Märkte zu sichern. In diesem Aspekt war es ein „normaler“ imperialistischer Konflikt, in dem die Kriegsziele vor allem ökonomisch definiert waren. 1935 begann das von Mussolini angezettelte Blutbad in Äthiopien und Libyen. Danach folgte Nazideutschland, das zusammen mit Polen und Ungarn in der Absprache mit Großbritannien und Frankreich die Tschechoslowakei zerfleischte. Japan nutzte die Hilflosigkeit Chinas, welches im blutigen Bürgerkrieg versank, um die chinesische Küste zu besetzen und seine Besitztümer in dem nördlichen China auszuweiten.
Neu jedoch war in der Konstellation die Existenz der Sowjetunion. Trotz der stalinistischen Deformation stellte die UdSSR für die Arbeiterklasse der Industrieländer sowie die unterdrückten Massen der Kolonialwelt einen attraktiven Anziehungspunkt und für die Kapitalisten eine existenzielle Todesgefahr dar. Die Sowjetunion bewaffnete spanische Republikaner und chinesische Revolutionäre, schützte die Mongolei von Angriffen Japans und sandte Geld und Kader zu den kommunistischen Parteien in der ganzen Welt. Allein der Fakt, dass ein Sechstel der Erde ohne eine herrschende kapitalistische Klasse existierte, machte die UdSSR zum Hauptpokal des neuen Krieges.
Japanische Militaristen zettelten 1937-38 den Grenzkonflikt gegen die UdSSR mit 100.000 gefallenen Soldaten an. Churchill und Papst, Hitler und Mussolini „riefen zum Kreuzzug gegen Kommunismus“ auf. Die geheimen Absprachen zwischen Stalin und Hitler im Jahr 1940, zweifellos ein offener Verrat an der internationalen Arbeiter*innenklasse, konnten die unvermeidbare militärische Konfrontation mit der UdSSR nur verschieben. Vielmehr noch verschafften die Absprachen den Nazis den benötigten zeitlichen Spielraum, um gesamten Europa mit seinen industriellen Kapazitäten zu unterwerfen.
Die Versklavung Europas verschaffte den Nazis aber nicht nur die industrielle Basis für die erhoffte Unterwerfung der UdSSR. Auch die reaktionärsten Schichten des europäischen Kontinents waren bereit sich in den Dienst des Faschismus zu stellen. Italienische Faschisten, holländische Nazis, spanische Falangisten, Nationalisten aller Art und mehr als eine Million russischer Emigranten und Kollaborateure standen Hitler zur Seite, was dem Konflikt den Charakter eines globalen Bürgerkrieges gab. In den russischen Steppen und Wälder kämpften spanische Republikaner gegen Francos Falangisten, chinesische und mongolische Kommunisten gegen flämische SS-Legionäre, oder das estnische Rote Armee-Korps gegen die estnische SS-Division. Die gefangenen Soldaten der Roten Armee wurden nicht als normale Kriegsgefangene betrachtet, sondern als ideologische Feinde, was für die meisten ein Todesurteil bedeutete.
Die Zerschlagung der Achsenmächte und später Japans nach vier Jahren erbitterter Kämpfe durch die Rote Armee, Alliierten sowie linke Partisanen und Widerstandskämpfer in Griechenland, Italien, Frankreich, Jugoslawien und in anderen Ländern führten vor 75 Jahren zum Ende des Blutbads mit 75 Millionen Opfern. Die überlebenden Juden und Jüdinnen, Zwangsarbeiter*innen; Gegner*innen und Kriegsgefangenen konnten die Konzentrationslager als freie Menschen verlassen. Aber auch für die Millionen deutschen Zivilist*innen war es ein Tag der Befreiung. Diesen Tag feiern wir am 08.05.
Foto: CC 4.0 International, “Raising a flag over the Reichstag”, 2. Mai 1945. Quelle: mil.ru. Autor: Yevgeny Khaldei (1917 – 1997).