Die aufgrund des Corona-Virus eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen sind für die meisten von uns eine psychische Belastung. Eine ebensolche Belastung kann es aber auch werden, wenn diese Maßnahmen unter falschen Bedingungen an den falschen Stellen wieder gelockert werden.
von Monja Rehmke, Bremerhaven
Nachdem weltweit die Schulen im Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Virus geschlossen wurden, beschlossen die Länderregierungen in Deutschland Ende April, dass die Abschlussklassen nach und nach wieder in die Schulen zurückkehren sollten, da die Prüfungen bevorstehen.
Abgesehen vom gesundheitlichen Risiko, dem Jugendliche und ihre Angehörigen hierbei ausgesetzt werden, folgt diese Entscheidung auf wochenlanges Home Schooling, das für die Schüler*innen sehr unterschiedlich ausgefallen ist. Jugendliche aus ärmeren Familien, die zuhause keinen Zugang zum notwendigen Material für den Online-Unterricht haben und ihre Aufgaben nur am Handy bearbeiten können, haben nicht einmal ansatzweise das Niveau an Prüfungsvorbereitung erreichen können wie ein*e Schüler*in aus der Mittelschicht, der*die zuhause Zugang zu Laptops und eventuell auch elterlicher Unterstützung hat und im schlimmsten Fall eben Nachhilfeunterricht bekommt. Unter diesen Bedingungen sollen in den kommenden Wochen und Monaten die Abschlussprüfungen geschrieben werden.
Widerstand lohnt sich
In Irland befand sich die Schüler*innenschaft in einer ähnlichen Situation. Nach Wochen der Unsicherheit in der Isolation kündigte die irische Regierung an, dass die Leaving Certificate genannten Prüfungen wie geplant stattfinden würden. Das irische Leaving Certificate ist das Abschlusszeugnis, dass den Schüler*innen die Universitätsreife anerkennt, und ist mit dem deutschen Abitur vergleichbar.
Aber dann wurden die Prüfungen doch abgesagt. Offiziell weil die Planung nicht ganz mit den Sicherheitsvorschriften übereinstimmte. Im Hintergrund allerdings spielte sich noch sehr viel mehr ab: Die Eltern und Schüler*innen lehnten sich von Anfang an gegen die Entscheidung der Regierung auf, und in einer Umfrage sprachen sich 79 % der befragten 25.000 irischen Schüler*innen gegen das Stattfinden der Prüfungen aus.
Auf dieser Basis breiter Massenunzufriedenheit organisierten die Socialist Students gemeinsam mit Mick Barry, Parlamentsabgeordneter unserer Schwesterorganisation in Irland, der Socialist Party, eine „Online Protest Rally“, an der 2500 Schüler*innen teilnahmen. 1500 von ihnen erklärten sich bereit, an einer Onlinekampagne teilzunehmen, um weiterhin den Druck auf die Regierung zu verstärken. Infolge dieser ersten Onlineaktion der Kampagne fanden sich #canceltheleavingcert und #cancelthelc mehrere Stunden unter den Top-Hashtags auf Twitter. Einen Tag darauf wurden die Prüfungen offiziell abgesagt.
Der Unterschied zwischen Irland und Deutschland ist hier, dass die irischen Schüler*innen mit der Socialist Party die Durchführung der Abschlussprüfungen bekämpft haben. In Deutschland muss ein ähnlicher Kampf geführt werden, es braucht Petitionen, das Einschreiten von Schüler*innenvertretungen, Organisation der Elternschaft, Aktivitäten der Lehrer*innen und ihrer Gewerkschaft GEW, breite Vernetzung unter Abschlussschüler*innen. Als SAV unterstützen wir diesen Kampf und fordern, dass die Abschlussprüfungen abgesagt und die Abschlüsse ohne diese anerkannt werden.